Arbeitsrecht

Gleichstellung – Schwerbehinderung – Höchstaltersgrenze

Aktenzeichen  M 5 K 16.513

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBG BayBG Art. 23 Abs. 1
AGG AGG § 1, § 3, § 4, § 7 Abs. 1, § 15
SGB IX SGB IX § 2 Abs. 3, § 82 S. 2, S. 3

 

Leitsatz

1. Schwerbehinderte Bewerber und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen sind solange sie nicht offensichtlich ausgeschlossen sind, zum Vorstellungsgespräch einzuladen, damit der öffentliche Arbeitgeber sich über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus einen persönlichen Eindruck verschaffen kann (ebenso: BVerwG BeckRS 2011, 48976). (redaktioneller Leitsatz)
2. § 83 S. 2 und S. 3 SGB IX verlangen, dass zwischen der Behinderung des Bewerbers und seiner Benachteiligung im Bewerbungsverfahren ein Kausalzusammenhang besteht, d.h. die Behinderung muss Bestandteil eines Motivbündels sein, das die Entscheidung zur unterbliebenen Einladung zum Vorstellungsgespräch beeinflusst hat (ebenso: BAG BeckRS 2014, 73585). (redaktioneller Leitsatz)
3. An einem für § 83 S. 2 und §. 3 SGB IX erforderlichen Kausalzusammenhang fehlt es, wenn der Bewerber wegen Überschreitung der gesetzlichen Höchstaltersgrenze nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 BayBG nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird, da für die Nichteinladung zum Bewerbungsgespräch die Schwerbehinderteneigenschaft nicht ausschlaggebend war. (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Festlegung von Höchstaltersgrenzen ist für die Einstellung von Beamten – auch europarechtlich – keine unzulässige Form der Altersdiskriminierung (ebenso: BVerwG BeckRS 2009, 33325). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
1. Nach § 15 Abs. 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet, es sei denn, er hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der Betreffende eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG). Auch der Entschädigungsanspruch setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne des § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG voraus. Zwar wird dieser Verstoß nur in § 15 Abs. 1 AGG als Tatbestandsvoraussetzung für den Ersatz materieller Schäden ausdrücklich genannt. Dem Charakter des § 15 AGG als umfassender Regelung der finanziellen Einstandspflicht des Arbeitgebers bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot entspricht es aber, auch die Entschädigung immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG an einen derartigen Verstoß zu binden (OVG NRW, B.v. 4.8.2014 – 6 E 916/13 – juris Rn. 3; BVerwG, U.v. 3.3.2011 – 5 C 16.10 – BVerwGE 139, 135/138 f.).
Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. § 1 AGG nennt u. a. eine Behinderung, wegen der Benachteiligungen zu verhindern oder zu beseitigen sind. Nach § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die unmittelbare Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen. Eine solche Benachteiligung ist insbesondere gegeben, wenn ein (künftiger) Arbeitgeber einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht nachkommt. § 82 Satz 2 und 3 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) begründen eine solche Handlungspflicht, bei deren Nichterfüllung eine unmittelbare Benachteiligung durch Unterlassen anzunehmen ist. Danach haben öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen oder die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen, die sich um einen Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich (BAG, U.v. 22.10.2015 – 8 AZR 384/14 – juris Rn. 27; OVG NRW, B.v. 4.8.2014 – 6 E 916/13 – juris Rn. 5). Diese Verpflichtung gilt grundsätzlich auch im Fall des Klägers, der schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, auch wenn für ihn lediglich ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt ist (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
a) Es spricht alles dafür, dass dem Kläger die Eignung im Sinn des § 82 Satz 3 SGB IX fehlt, da er wegen Überschreitens der Altersgrenze nicht in ein Beamtenverhältnis (auf Probe) übernommen werden darf. Ziel des § 82 Satz 2 SGB IX ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen und der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen am Arbeitsleben durch eine ausgleichende Bevorzugungsregelung zu fördern. Der Gesetzgeber stellt diesen Personenkreis zum Ausgleich ihrer im Allgemeinen tatsächlich schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Bewerbungsverfahren besser als die nicht schwerbehinderten Konkurrenten. Anders als diese sollen schwerbehinderte Menschen und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen die Gelegenheit erhalten, den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von ihrer Leistungsfähigkeit und Eignung zu überzeugen, auch wenn ihre fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle zweifelhaft sein mag, solange sie nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Der öffentliche Arbeitgeber hat sich in diesem Fall über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus einen persönlichen Eindruck von dem schwerbehinderten Bewerber und dem ihm gleichgestellten behinderten Menschen, insbesondere von seinem positiven Leistungsprofil zu verschaffen (BVerwG, U.v. 3.3.2011 – 5 C 16.10 – BVerwGE 139, 135/140 f.). Sind die gesetzlichen Vorausset-zungen für die Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe wegen Überschreitens der Altersgrenze nicht erfüllt, geht dieser gesetzgeberische Zweck indes von vornherein ins Leere (OVG NRW, B.v. 4.8.2014 – 6 E 916/13 – juris Rn. 10).
b) Rechtlich ausschlaggebend ist, dass es vorliegend an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung (unterbliebene Einladung zum Vorstellungsgespräch) und Behinderung fehlt („wegen“ der Behinderung, § 7 Abs. 1 AGG; vgl. BAG, U.v. 18.9.2014 – 8 AZR 759/13 – juris Rn. 25, ZTR 2015, 216; Weidenkaff in Palandt, BGB, 75. Auflage 2016, § 15 AGG Rn. 3). Der Kausalzusammenhang ist nur gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht sind nicht erforderlich. Zwischen der Behinderung des Klägers und seiner Benachteiligung im Bewerbungsverfahren hat hier kein Kausalzusammenhang bestanden, weil der Beklagte den Kläger allein wegen der Überschreitung der Altersgrenze nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat (Schreiben vom 28.8.2015). Zwar ist diese Begründung der Klagepartei nicht in der E-Mail vom 24. Juni 2015 mitgeteilt worden. Das Schreiben vom 28. August 2015 erging jedoch zeitnah nach der Geltendmachung einer Entschädigung wegen der fehlenden Einladung zu einem Vorstellungsgespräch mit Schriftsatz vom 24. August 2015. Das lag auch deutlich vor der Klageerhebung zum Arbeitsgericht am 20. November 2015.
c) Die Vertreter des Beklagten haben zu Recht erklärt, dass eine Einstellung für die ausgeschriebene Stelle eines Gewerbeaufsichtsbeamten der dritten Qualifikationsebene nicht unter Fortsetzung des bereits bestehenden Beamtenverhältnisses des Klägers beim Beklagten möglich ist. Denn die streitgegenständliche Ausschreibung sieht zunächst eine Ausbildung in einem Arbeitsverhältnis vor mit einer – nach erfolgreicher Ausbildung erfolgenden – Übernahme in ein Beamtenverhältnis auf Probe. Ein solches Arbeitsverhältnis kann der Kläger nicht in einem Beamtenverhältnis der zweiten Qualifikationsebene in einer anderen Laufbahn (Polizei und Verfassungsschutz, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen/Leistungslaufbahngesetz [LlbG]) absolvieren. Erst recht ist es im vorgegebenen rechtlichen Rahmen nicht möglich, dem Kläger im bestehenden Beamtenverhältnis der zweiten Qualifikationsebene in der Laufbahn Polizei und Verfassungsschutz als Polizeiobermeister (Besoldungsgruppe A 8) ein Amt der Besoldungsgruppe A 9 in der Laufbahn Naturwissenschaft und Technik (Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 LlbG) zu übertragen. Der Kläger kann dieses Amt nur nach Beendigung des bestehenden Beamtenverhältnisses (zweite Qualifikationsebene Polizei und Verfassungsschutz) unter Neubegründung eines Beamtenverhältnisses der dritten Qualifikationsebene erhalten. Hierbei ist aber die Altersgrenze des Art. 23 Abs. 1 des Bayerischen Beamtengesetzes (BayBG) zu beachten. Danach darf in das Beamtenverhältnis nicht berufen werden, wer das 45. Lebensjahr vollendet hat.
Soweit die Klagepartei darauf verweist, dass die Höchstaltersgrenze nicht ausnahmslos gelte (Art. 23 Abs. 1 Satz 2 BayBG), ist dem entgegen zu halten, dass bereits keine Anhaltspunkte für eine solche – auch nur in engem Rahmen mögliche (vgl. Zängl in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2015, Art. 23 BayBG Rn. 25) – Ausnahme vorliegen. Auch der Gesichtspunkt, dass in Einzelfällen eine Ausnahme vom Verbot der Einstellung über der Höchstaltersgrenze von 45 Jahren rechtlich möglich ist, ändert nichts daran, dass im vorliegenden Fall die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers für die Nichteinladung zum Bewerbungsgespräch nicht ausschlaggebend war.
d) Soweit die Klagepartei vorträgt, dass die Altersgrenze von 45 Jahren in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 BayBG eine unzulässige Altersdiskriminierung darstelle, ist dieser Grund für den vorliegend geltend gemachten Entschädigungsanspruch nicht inner-halb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht worden. Vielmehr wird diese Argumentation erstmals im Klageschriftsatz vom 20. November 2015 angebracht. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Entschädigungsregelung und der kurzen Frist zur Geltendmachung (§ 15 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 AGG), innerhalb einer kurzen Zeitspanne Rechtssicherheit und Rechtsklarheit herbeizuführen (BGH, U.v. 23.7.2015 – III ZR 4/15 – NVwZ 2016, 90, juris Rn. 14), ist der konkrete Benachteiligungsgrund (§ 15 Abs. 1 i. V. m. § 7 Abs. 1 AGG), auf den der Anspruch gestützt wird, ebenfalls innerhalb der Frist geltend zu machen.
Im Übrigen schließt sich das Gericht der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 19.2.2009 – 2 C 18.07 – BVerwGE 133, 143/146 ff.) an, dass die Festlegung von Höchstaltersgrenzen für die Einstellung von Beamten keine – auch europarechtlich – unzulässige Form der Altersdiskriminierung darstellt. Soweit die Klagepartei auf die Ausführungen von Kühling/Bertelsmann (NVwZ 2010, 87) verweist, die sich Kritisch mit der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2009 (2 C 18.07, a. a. O.) auseinandersetzen, können diese Darstellungen die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Zweifel ziehen (so auch Zängl in: Weiss/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: November 2015, Art. 23 BayBG Rn. 14 f.). Insbesondere einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof bedarf es daher nicht (vgl. Art. 267Abs. 2 des Vertrags über die Arbeits-weise der Europäischen Union [AEUV]). Es bestehen keine Auslegungs- oder Gültigkeitszweifel (vgl. Rennert in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 94 Rn. 18) hinsichtlich der Vereinbarkeit der Höchstaltersgrenze in Art. 23 Abs. 1 BayBG mit der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000 (ABl EG L 303/16).
2. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Befristeter Arbeitsvertrag – Regelungen und Ansprüche

Dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einem befristeten Vertrag eingestellt werden, ist längst keine Seltenheit mehr. Häufig taucht der Arbeitsvertrag auf Zeit bei jungen Mitarbeitenden auf. Über die wichtigsten Regelungen und Ansprüche informieren wir Sie.
Mehr lesen

Krankschreibung – was darf ich?

Winterzeit heißt Grippezeit. Sie liegen krank im Bett und fragen sich, was Sie während ihrer Krankschreibung tun dürfen und was nicht? Abends ein Konzert besuchen? Schnell ein paar Lebensmittel einkaufen? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Regeln.
Mehr lesen