IT- und Medienrecht

Kopfverletzung durch herabfallende Holzfigur

Aktenzeichen  20 U 4602/15

Datum:
6.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 06809
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1
ZPO § 287

 

Leitsatz

1 Die Höhe des Schmerzensgeldes muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände in der Person des Verletzten und des Schädigers und deren Beziehung zueinander festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Nachweis von Folgeschäden der Primärverletzung richtet sich nach dem Maßstab von § 287 ZPO. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

34 O 25803/14 2015-11-09 Urt LGMUENCHENI LG München I

Gründe

Oberlandesgericht München
Az.: 20 U 4602/15
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am 06.04.2016
34 O 25803/14 LG München I
In dem Rechtsstreit

– Klägerin und Berufungsbeklagte –
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt …
gegen

– Beklagte und Berufungsklägerin –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte …
wegen Schadensersatz
erlässt das Oberlandesgericht München – 20. Zivilsenat – durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht …, die Richterin am Oberlandesgericht … und die Richterin am Oberlandesgericht … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.04.2016 folgendes
Endurteil
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 9.11.2015, Az. 34 O 25803/14, abgeändert und – teilweise zur Klarstellung – neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin noch € 2.000,00 Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 7.02.2015 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 3. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt die Klägerin 90%, die Beklagte 10%.
II.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III.
Von den Kosten der Berufung trägt die Klägerin 80%, die Beklagte 20%.
IV.
Soweit die Berufung zurückgewiesen wurde, ist das Urteil des Landgerichts München I vom 9.11.2015, Az. 34 O 25803/14, vorläufig vollstreckbar. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.
VI.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf € 10.000,00 festgesetzt.
Gründe:
I. Die Parteien streiten um Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche.
Am 15. März 2011 fiel aus einem Fenster der im 3. Stock des Anwesens S. Straße 14, M., gelegenen Wohnung der Beklagten eine ca. 1 kg schwere und 25 cm hohe Holzfigur, die die Beklagte auf dem Fenstersims abgestellt hatte. Die Figur traf die vor dem Anwesen stehende Klägerin am Kopf. Die Klägerin erlitt eine Platzwunde und wurde mit einem Krankenwagen in ein Krankenhaus verbracht, wo die Wunde mit mehreren Stichen genäht werden musste. Nach vier Stunden konnte die Klägerin das Krankenhaus wieder verlassen. Die Beklagte zahlte über ihre Haftpflichtversicherung € 1.000,00 Schmerzensgeld an die Klägerin.
Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, sie habe bei dem Unfall ein Schädelhirntrauma Grad I erlitten und nachfolgend unter Geschmacks- und Sehstörungen und einem Lagerungsschwindel gelitten. Letzterer trete nach wie vor etwa ein- bis zweimal pro Jahr auf. Ab 16. August 2011 habe sie die Möglichkeit gehabt, sechs Wochen lang als Szenenbildassistentin zu arbeiten und dabei € 3.000,00 zu verdienen. Dies sei wegen der geschilderten Verletzungsfolgen nicht möglich gewesen, vielmehr sei sie am 16. August 2011 und die sechs Wochen danach nicht arbeitsfähig gewesen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihr diesen Verdienstausfall zu ersetzen sowie Schmerzensgeld zu zahlen, wobei sie € 17.000,00 für angemessen gehalten hat.
Die Beklagte hat fahrlässiges Handeln, den vorgetragenen Verdienstausfall sowie die behaupteten Verletzungsfolgen bestritten und gemeint, ein etwaiges Schmerzensgeld sei jedenfalls erheblich geringer als beantragt anzusetzen.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.
Mit Endurteil vom 9. November 2015 hat das Landgericht der Klägerin über die bereits bezahlten € 1.000,00 weitere € 7.000,00 Schmerzensgeld sowie den behaupteten Verdienstausfall zugesprochen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagten schon deshalb ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen sei, weil sie unter allen Umständen hätte verhindern müssen, dass die Holzfigur aus dem Fenster fällt. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei das Gericht von der unstreitigen Platzwunde sowie dem Vorliegen eines Lagerungsschwindels ausgegangen, dessen Auftreten der Zeuge Dr. S. wegen des von ihm festgestellten Nystagmus, der nicht vorgetäuscht werden könne, bestätigt habe. Aufgrund der Aussage der Zeugin Sch. sei das Landgericht auch von der von der Klägerin behaupteten Verdienstmöglichkeit im August 2011 überzeugt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung erstrebt die Beklagte die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils im Umfang ihrer Verurteilung und die vollständige Abweisung der Klage. Sie macht unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags weiterhin insbesondere geltend, dass das Landgericht zu Unrecht die Haftung dem Grunde nach bejaht habe, da die Figur aufgrund eines unvorhersehbaren Windstoßes aus dem Fenster gefallen sei. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes habe das Landgericht fehlerhaft auch den behaupteten Lagerungsschwindel berücksichtigt – dieser hätte nur durch ein Sachverständigengutachten, nicht mittels Zeugnisses des behandelnden Arztes nachgewiesen werden können. Generell sei das zugesprochene Schmerzensgeld stark überhöht. Der Verdienstausfallschaden habe nicht zugesprochen worden dürfen, da die Dreharbeiten für die von der Klägerin angeführte Serie tatsächlich nicht im August 2011, sondern bereits von Oktober bis Dezember 2010 stattgefunden hätten (B 1).
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung. Zum Verdienstausfall trägt sie nunmehr vor, dass die Dreharbeiten tatsächlich vom 5. Oktober 2011 bis 12. Dezember 2011 durchgeführt worden seien (K 7) – die von der Beklagten im Internet gefundenen Angaben wiesen hinsichtlich der Jahreszahl einen Schreibfehler auf.
Der Senat hat mit Ladungsverfügung vom 18. Februar 2016 darauf hingewiesen, dass er sich hinsichtlich der Haftung dem Grunde nach voraussichtlich den Ausführungen des Landgerichts anschließen werde. Allerdings bestünden Bedenken hinsichtlich des vom Landgericht angenommenen Schadensumfangs.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. April 2016 Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat im tenorierten Umfang Erfolg. Das Urteil des Landgerichts war aufzuheben, soweit die Beklagte zur Zahlung eines über € 2.000,00 hinausgehenden weiteren Schmerzensgeldes und von Schadensersatz verurteilt wurde. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Landgerichts, dass die Beklagte der Klägerin wegen des unstreitigen Schadensfalles grundsätzlich zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB verpflichtet ist. Denn auch den Vortrag der Beklagten unterstellt, ein plötzlicher Windstoß habe zum Zuklappen ihres Fensters und damit zum Hinabfallen der Holzfigur geführt, hatte die Beklagte durch die ungesicherte Positionierung der Figur am offenen Fenster doch eine besondere Gefahrenquelle eröffnet (vgl. Palandt, BGB, § 823 Rn. 46 ff.) und die Verletzung der sich im öffentlichen Straßenraum unterhalb des Fensters befindlichen Klägerin durch das Herabfallen der Figur damit fahrlässig verursacht.
2. Nicht gefolgt werden kann dem Landgericht allerdings bei der Bemessung des Schmerzensgeldes.
a) Das Schmerzensgeld hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine doppelte Funktion: Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten und gleichzeitig soll es ihm Genugtuung für das verschaffen, was ihm angetan wurde (Palandt, BGB, § 253 Rn. 4 m. w. N.).
Die Höhe des Schmerzensgeldes muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände in der Person des Verletzten und des Schädigers und deren Beziehung zueinander festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen. Dabei kommt dem Gedanken, dass für vergleichbare Verletzungen, unabhängig vom Haftungsgrund, ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren ist, besondere Bedeutung zu. Hierbei sind insbesondere die verfügbaren Schmerzensgeldtabellen zu berücksichtigen (zu Vorstehendem Palandt, BGB, § 253 Rn. 15 m. w. N., Rn. 16 ff.).
b) Dass die Klägerin aufgrund des Vorfalls eine Kopfplatzwunde erlitten hat, die genäht werden musste, ist zwischen den Parteien unstreitig. Ohne Rechtsfehler ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch der von der Klägerin vorgetragene Lagerungsschwindel zu berücksichtigen ist.
Zwar weist die Beklagte hier zutreffend darauf hin, dass zum Beweis von Verletzungen und Verletzungsfolgen grundsätzlich ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen ist. Allerdings gehört der von der Klägerin behauptete Lagerungsschwindel zu den Folgeschäden der unstreitigen Erstschädigung, der Kopfverletzung; sein Nachweis ist damit § 287 ZPO zugeordnet. Aufgrund der Aussage des die Klägerin zwei Wochen nach dem Vorfall behandelnden Arztes und seiner auch von der Beklagten nicht angegriffenen Angabe, dass ein Lagerungsschwindel typische Folge einer derartigen Kopfverletzung ist, sowie aufgrund des objektiv bestehenden Nystagmus und der Tatsache, dass die Klägerin bereits kurz nach dem Unfall über das Auftreten des Schwindels klagte, konnte sich das Landgericht ohne Rechtsfehler gemäß § 287 ZPO die Überzeugung bilden, dass der Lagerungsschwindel eine Folge der Primärverletzung darstellt.
c) Für vergleichbare Verletzungen ergibt sich aus der Beck´schen Schmerzensgeldtabelle folgendes Bild: Das OLG Düsseldorf hat für ein Schädelhirntrauma 1. Grades mit HWS-Distorsion und nachfolgenden Schwindelattacken ein Schmerzensgeld von € 2.500,00 für angemessen erachtet (Urteil vom 8. Oktober 2013), das OLG Frankfurt/Main bei einer leichten Gehirnerschütterung mit langandauernden postcommotionalen Störungen, einer Kopfplatzwunde, einem leichten HWS-Syndrom und einer Brustkorbprellung € 2.556,46 zugesprochen (Urteil vom 10. Januar 1996). Die gleiche Summe erhielt eine Klagepartei, die eine Gehirnerschütterung, ein HWS-Syndrom und eine Steißbeinprellung erlitten hatte (OLG Braunschweig, Urteil vom 7. Mai 2002). Das LG Konstanz (Urteil vom 28. Mai 1990) hat bei einer schweren Gehirnerschütterung mit Kopfplatzwunde und diversen Prellungen ein Schmerzensgeld von € 2.045,17 zugesprochen, das AG Bad Segeberg (Urteil vom 14. Februar 2013) € 2.000,00 für eine Gehirnerschütterung, Schädelprellung mit neurologischen Beschwerden, vorübergehenden Sehbeeinträchtigungen, HWS-Syndrom und Prellungen.
d) Vorliegend hält der Senat unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung bisher zugebilligten Schmerzensgeldbeträge für vergleichbare Kopfverletzungen und des auch heute noch vereinzelt auftretenden Lagerungsschwindels sowie der Tatsache, dass hinsichtlich der Verletzten und der Schädigerin keine Besonderheiten bestehen, ein Schmerzensgeld von insgesamt € 3.000,00, mithin – da € 1.000,00 seitens der Versicherung der Beklagten bereits geleistet wurden – von noch € 2.000,00 für angemessen aber auch ausreichend.
3. Ein Schadensersatzanspruch hinsichtlich des behaupteten Verdienstausfalls besteht nicht, da die Klägerin nicht beweisen konnte, dass ihr aufgrund des Vorfalls vom 15. März 2011 ein Verdienstausfall entstanden ist.
Die Klagepartei hat im Berufungsrechtszug eingeräumt, dass die behaupteten Filmarbeiten nicht bereits im August 2011, sondern erst ab Oktober bis Dezember 2011 stattgefunden haben. Für diesen Zeitraum allerdings hat sie ihre Arbeitsunfähigkeit infolge des Unfalls vom März 2011 weder vorgetragen noch unter Beweis gestellt. Erstinstanzlich hat sie lediglich Arbeitsunfähigkeit während eines Zeitraums von sechs Wochen ab Mitte August 2011 behauptet. Auch aus dem Attest des Dr. P. vom 16. November 2011 (K 4) ergibt sich – worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 6. April 2016 hingewiesen hat – hierfür nichts. Denn dieses Attest beschränkt sich auf darauf, einen Lagerungsschwindel zu bestätigen, sagt aber nichts dazu aus, ob die Klägerin damals akut hierunter litt oder ob Dr. P. insoweit eigene Untersuchungen durchgeführt hat. Ausdrücklich stützt sich Dr. P. auf frühere Diagnosen anderer Ärzte, insbesondere die Untersuchung vom August 2011, die aber für den Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit im Oktober 2011 nichts besagt.
4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen; es handelt sich um die Entscheidung eines Einzelfalls.
Der Streitwert entspricht dem Wert der Beschwer der Berufungsführerin.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Gültigkeit von Gutscheinen

Sie erweisen sich immer wieder als beliebtes Geschenk oder werden oft bei Rückgabe von Waren statt Geld ausgezahlt: Gutscheine. Doch wie lange sind Gutscheine eigentlich gültig, ist eine Einlösbarkeit von einem Monat überhaupt rechtmäßig und was passiert, wenn der Gutschein doch einmal verfällt?
Mehr lesen

Kostenloses Streaming – Wann mache ich mich strafbar?

Sicher schauen Sie auch gerne Filme im Internet an. Dort ist die Auswahl mittlerweile so groß, dass das übliche TV-Programm für manch einen fast überflüssig wird. Unseriöse Anbieter sollte man aber lieber meiden. Warum, erfahren Sie in diesem Artikel.
Mehr lesen

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen