Baurecht

Nachbarklage eines Landwirts gegen heranrückende Wohnbebauung

Aktenzeichen  15 ZB 14.2792

Datum:
5.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45493
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BImSchG § 3 Abs. 1
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Ein landwirtschaftlicher Betrieb hat mit keinen Betriebsbeschränkungen durch ein Wohnbauvorhaben zu rechnen, wenn in seinem Einwirkungsbereich schon Wohnbebauung existiert, die mit höheren Lärmimmissionen belastet ist, als das neue Vorhaben. (redaktioneller Leitsatz)
2 Der baurechtliche Nachbarbegriff setzt auch die Eigentümerstellung voraus, wohingegen der immissionsschutzrechtliche Begriff der Nachbarschaft weiter reicht und auf die Eigentümerstellung verzichtet. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

4 K 13.1369 2014-11-12 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie die behauptete Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor oder wurden nicht ausreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts ist nicht ernstlich zweifelhaft.
1.1 Das unter diesem Gesichtspunkt in der Zulassungsbegründung Vorgetragene geht auf einen wesentlichen Gesichtspunkt der Urteilsbegründung nicht ein.
Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen (UA S. 14, Rn. 35 a.E.) eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB) zum Nachteil des Klägers durch die dem Beigeladenen mit Datum vom 8. August 2013 erteilte Genehmigung für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses auf dem Grundstück FlNr. …/… der Gemarkung Schneckenhofen auch unter Hinweis auf eine im Tatbestand (UA S. 9, Rn. 21) näher beschriebene Stellungnahme des Umweltingenieurs des Landratsamts Günzburg vom 11. September 2014 verneint. Danach sind im Einwirkungsbereich des klägerischen Betriebs bereits Wohngebäude [auf den FlNr. … (Süd) und …/…] vorhanden, die mit höheren Lärmimmissionen belastet seien als das verfahrensgegenständliche Wohnhaus, weshalb der Kläger infolge dessen Genehmigung und nachfolgender Errichtung nicht mit Betriebseinschränkungen zu rechnen habe. In der im Urteil ausdrücklich in Bezug genommenen fachlichen Stellungnahme wird das „Austragshaus“ auf FlNr. … (Süd) unter Hinweis auf eine Gerichtsentscheidung (VG Oldenburg, U. v. 26.2.2009 – 5 A 4836/06 – juris) als (weiterer) maßgeblicher Immissionsort bezeichnet. Dieses Haus liegt – nördlich des Dornmäderwegs – rund 30 m näher an der nächstgelegenen, gegenwärtig in erster Linie problematischen Emissionsquelle des klägerischen Betriebs (Belüftungsanlage des Kartoffellagers in der im nördlichen Drittel der FlNr. … befindlichen Halle) als das auf der Südseite des genannten Wegs praktisch gegenüber jenem Wohnhaus geplante streitige Vorhaben.
Die Richtigkeit dieser tragenden und – wie dargestellt – plausiblen Erwägung des Erstgerichts hat der Kläger innerhalb der zweimonatigen Frist zur Begründung seines Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) nicht in Frage gestellt. Der am selben Tag eingegangene Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 6. Januar 2015 geht auf diesen Punkt nicht ein. Hinsichtlich der vom Kläger im Zulassungsverfahren vorgetragenen betrieblichen Erweiterungsinteressen ergibt sich ein vergleichbares Bild. Der auf einem Lageplan vom 24. Dezember 2013 (Bl. 195 der VG-Akte) 40 m südlich der oben erwähnten Maschinenhalle im Grundriss skizzierte neue Masthähnchenstall (40.60 m x 12,80 m) würde bis auf 80 m an das Wohnhaus auf demselben Grundstück heranreichen, wäre jedoch circa 100 m von dem hier streitigen Wohnbauvorhaben entfernt.
1.2 Unabhängig davon bestehen keine ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, weil die Berücksichtigung des „Austragshauses“ auf der FlNr. … (Süd) als Immissionsort rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Dieses auf einem der Betriebsgrundstücke des Klägers befindliche Haus zählt zur Nachbarschaft im Sinn von § 3 Abs. 1 BImSchG. Nachbarn sind jedenfalls solche Nutzer, die nachhaltig und auf Dauer in einer vergleichbaren Weise, wie sie der Wohnort vermittelt, den Einwirkungen aus einer emittierenden Anlage ausgesetzt sind (allg.M., vgl. Thiel in Landmann/Rohmer, Umweltrecht Band III, Stand 1. August 2015, § 3 BImSchG Rn. 22; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 3 Rn. 33-37; Schenk in Birkl, Praxishandbuch des Bauplanungs- und Immissionsschutzrechtes, Stand September 2015, Teil F Rn. 21 bis 24; BVerwG, U. v. 22.10.1982 – 7 C 50/78 – DVBl 1983, 183 = juris Rn. 12/13; U. v. 26.5.2004 – 9 A 6/03 – BVerwGE 121, 57 = juris Rn. 18; VG Oldenburg, U. v. 26.2.2009 – 5 A 4836/06 – juris Rn. 27; BGH, U. v. 15.10.2009 – III ZR 8/09 – BGHZ 182, 370 = juris Rn. 17 bis 19, 27 ff.). Der dem Immissionsschutzrecht zugrunde liegende Begriff der Nachbarschaft reicht weiter als der im Baurecht verwendete. Wegen der Grundstücksbezogenheit des Bauplanungsrechts ist der nachbarschützende Gehalt der einschlägigen Vorschriften auf die Eigentümer der Nachbargrundstücke beschränkt (st. Rspr., vgl. BVerwG, B. v. 20.4.1998 – 2 B 22.98 – BRS 60 Nr. 174 = juris Rn. 7). Für die Einbeziehung in den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen ist die dingliche Berechtigung an im Einwirkungsbereich gelegenen Grundstücken dagegen keine zwingende Voraussetzung (Thiel in Landmann/Rohmer a. a. O. Rn.22). Nachbar in dem zuletzt genannten Sinn ist beispielweise auch der Eigentümer des Betriebsgrundstücks, der nicht zugleich Anlagenbetreiber ist (Jarass, BImSchG a. a. O. Rn. 35 unter Hinweis auf BGHZ 182, 370 Rn. 27 ff.). Dass das Wohnhaus an der Südgrenze des Grundstücks FlNr. … (HsNr. …) kein Teil der emittierenden Anlage ist, ist offenkundig und wurde auch vom Kläger nicht in Frage gestellt.
1.3 Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich schließlich nicht daraus, dass das Verwaltungsgericht nicht auf den vom Kläger vorgebrachten ungeschriebenen Belang der Planungsbedürftigkeit mit drittschützender Wirkung zu seinen Gunsten eingegangen ist. Dazu bietet der Fall keine Veranlassung.
Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 1.8.2002 – 4 C 5/01 – BVerwGE 117, 25 = juris Ls 1 und 2, Rn. 15 bis 31). Der dort entschiedene Sachverhalt ist jedoch in mehreren Punkten mit dem hier zu beurteilenden Fall nicht vergleichbar.
Den Gegenstand dieser Entscheidung sowie – soweit ersichtlich – aller weiteren gerichtlichen Entscheidungen, die sich mit der Planungsbedürftigkeit als einem der Zulassung eines Vorhabens entgegenstehenden Belang befasst haben, bildet die Genehmigung eben gerade des Bauprojekts, von dem im Einzelfall konfliktträchtige Wirkungen ausgehen (vgl. bspw. OVG NW, U. v. 15.7.1982 – 7 B 1009/82 – BRS 39 Nr. 192: durch eine im Außenbereich geplante Kläranlage hervorgerufene Geruchs-, Geräusch- und Schadstoffemissionen), oder das wegen seiner Größe (vgl. etwa BVerwG, U. v. 1.12.1972 – IV C 7.71 – BVerwGE 41, 227 = juris Ls 4 und Rn. 20 bis 25: „Außenbereich im Innenbereich“, Bebauung eines 19.000 m² großen Grundstücks mit zehn Wohnhochhäusern mit bis zu 19 Geschossen; BVerwG, U. v. 26.11.1976 – IV C 69.74 – BayVBl 1977, 704 = juris Rn. 21: 24 Reihenhauseinheiten mit 28 Garagen und 9 Einstellplätzen auf einer Fläche von ca. 6.670 m² im Außenbereich) oder hinzutretender, weiterer Umstände (vgl. BVerwG, U. v. 1.8.2002 – 4 C 5/01 – BVerwGE 117, 25: „Designer-Outlet-Zweibrücken“ im Außenbereich auf einer Fläche von maximal 21.000 m² mit 61 Einzelhandelsbetrieben und zwei Gastronomiebetrieben) einer planerischen Koordination nach Außen oder im Inneren bedarf. Für die Genehmigung eines Einfamilienwohnhauses, das – wie hier – auf einem rund 1.000 m² großen Grundstück im Außenbereich errichtet wurde und dessen Erschließung gesichert ist, besteht – offensichtlich – kein vergleichbarer Koordinationsbedarf.
In dem zuletzt zitierten Fall wurde die Verletzung der Planungshoheit der klagenden Nachbargemeinde deshalb bejaht, weil das mit unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art auf ihr Gemeindegebiet verbundene Großvorhaben unter Missachtung des Planungserfordernisses ohne Berücksichtigung des interkommunalen Abstimmungsgebots gemäß § 2 Abs. 2 BauGB als besonderer Ausprägung des Abwägungsgebots auf der Grundlage des § 35 BauGB genehmigt worden war (BVerwG, U. v. 1.8.2002 – 4 C 5/01 – juris Rn. 21/22). Diese spezielle Rechtslage ist allerdings nur für benachbarte Gebietskörperschaften gegeben; sie ist nicht auf sonstige Nachbarstreitigkeiten übertragbar (so auch: NdsOVG, B. v.24.3.2011 – 1 LA 2/09 – ZfBR 2011, 482 = juris Rn. 20/21). In diesen Fällen bleibt es bei der Regel des § 1 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 BauGB, wonach der Einzelne weder einen Anspruch auf Bauleitplanung noch auf deren Unterlassen hat. Auch das Unterbleiben einer objektiv gebotenen Bauleitplanung (vgl. zur Planungspflicht BVerwG, B. v. 5.6.2012 – 4 BN – 41/11 – ZfBR 2012, 673 = juris Rn. 11; U. v. 17.9.2003 – 4 C 14/01 – BVerwGE 119, 25 = juris Ls 1 und 2, Rn. 13 bis 26 und 30 bis 33) kann daher keine subjektiven Rechte des Klägers verletzen.
2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist.
3. Angesichts der unter 1.3 geschilderten, eindeutigen Rechtslage kommt eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Klärung der Frage, ob der ungeschriebene Belang der Planungsbedürftigkeit in Fällen der vorliegenden Art verletzt sein kann und ob dieser Belang drittschützende Wirkung entfaltet, nicht in Frage.
Ebenso wenig bietet der Fall einen Anlass zur weiteren Klärung der Frage, wann ein betriebliches Erweiterungsinteresse als nicht nur vage zu berücksichtigen ist. Darauf kommt es nicht an, weil der emittierende Betrieb auch im Falle der bisher aktenkundig gewordenen, angedachten Erweiterung bereits auf ein näher gelegenes Wohnhaus Rücksicht nehmen müsste (vgl. oben 1.1).
4. Die behauptete Divergenz von einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (B. v. 5.9.2000 – 4 B 56/00 – NVwZ-RR 2001, 82 = juris Ls und Rn. 7) ist weder ausreichend dargelegt noch ist eine solche ersichtlich. Jedenfalls beruht die erstinstanzliche Entscheidung nicht auf der angeblichen Divergenz. Die Zulassungsbegründung bezeichnet als nicht mit der zitierten Rechtsprechung vereinbaren Satz in der erstinstanzlichen Entscheidung die Erwägung, dass eine Betriebserweiterung nur dann nicht vage sei, wenn klar sei, welche Tierart mit welcher Stückzahl künftig auf dem klägerischen Hof gehalten werden soll.
Diese im Urteil nur als weiterer Grund für die Nichtberücksichtigung der Erweiterungsabsichten des Klägers enthaltenen Ausführungen stehen erkennbar im Zusammenhang damit, dass der Kläger sich auch in der mündlichen Verhandlung noch nicht über nähere Einzelheiten wie etwa die gesamte Größenordnung des künftigen Viehbestands festgelegt hat (UA S. 17 Rn. 38: ca. 75 bis 100 Großvieheinheiten). Daneben wurde das Erweiterungsinteresse des Klägers schon deswegen als nicht gegen die im Streit stehende Genehmigung des Wohnhauses sprechender Umstand angesehen, weil der Kläger den Bauantrag für die Errichtung eines Hähnchenmaststalles erst am 16. Januar 2014 und damit nach der Erteilung der verfahrensgegenständlichen Genehmigung eingereicht hatte.
5. Kosten: §§ 154 Abs. 2, Abs. 3 Halbs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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