Verwaltungsrecht

Erforderlicher Vortrag bei Bestreiten des Zugangs trotz Postzustellungsurkunde

Aktenzeichen  11 CS 16.310

Datum:
31.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG StVG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3, Abs. 6 S. 3
ZPO ZPO § 180, § 182, § 418
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 3

 

Leitsatz

Die Zustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Zwar ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig, dies erfordert jedoch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierfür muss der Beweispflichtige zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde, darlegen (Anschluss BVerwG NZWehrR 2002, 217). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 15.2504 2016-01-15 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Antragsteller gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 wendet, hat keinen Erfolg. Unabhängig davon, dass die mit Schriftsatz vom 16. Februar 2016 beantragte Aufhebung des angefochtenen Bescheids nur im Hauptsacheverfahren, nicht aber im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO in Betracht käme, lassen die vorgetragenen Gründe nicht erkennen, dass das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu Unrecht entzogen hätte.
Zur Beschwerdebegründung macht der Antragsteller über die nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügende Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen hinaus erstmals geltend, er habe die Verwarnung des Landratsamts gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a. F. vom 12. Juli 2011 nicht erhalten, da unter der Zustellungsadresse keine Geschäftsräume vorhanden gewesen seien und das Schriftstück daher auch nicht – wie in der Postzustellungsurkunde dokumentiert – in einen zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung habe eingelegt werden können. Außerdem habe er das Anwesen bereits zuvor am 5. Juli 2011 veräußert und dem Erwerber die Schlüssel übergeben. „In diesem Zusammenhang“ sei auch der Name vom Briefkasten entfernt worden. Deshalb sei mangels Verwarnung nach altem Recht der Punktestand zu reduzieren (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG).
Aus dieser Begründung, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die erhobene Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 3. Dezember 2015 Aussicht auf Erfolg hätte und deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die gemäß § 4 Abs. 9 StVG sofort vollziehbare Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen und hinsichtlich der im Bescheid angeordneten sofortigen Vollziehung der Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins wiederherzustellen wäre. Zwar setzt die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG voraus, dass zuvor die vorgesehenen Maßnahmen nach dem Stufensystem ordnungsgemäß durchlaufen wurden (§ 4 Abs. 6 StVG) und der Betroffene bei Erreichen der entsprechenden Punktestände ermahnt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und verwarnt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) wurde. Nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 3 StVG führt die Einordnung nach § 65 Abs. 3 Nr. 4 Satz 1 StVG (Umrechnung des früheren Punktestands vor dem 1.5.2014 in Punkte nach dem neuen System und Einordnung in die entsprechende Stufe nach § 4 Abs. 5 StVG) allein nicht zu einer Maßnahme nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem, weshalb es bei ordnungsgemäßer Verwarnung nach altem Recht keiner Ermahnung nach neuem Recht bedarf (vgl. auch BayVGH, B. v. 10.6.2015 – 11 CS 15.814 – juris Rn. 9; B. v 7.1.2015 – 11 CS 14.2653 – juris Rn. 9, B. v. 4.5.2015 – 11 C 15.692 – juris Rn. 7 u. B. v. 8.6.2015 – 11 CS 15.718 – juris Rn. 15).
Das Landratsamt hatte den Antragsteller am 12. Juli 2011 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG a. F. wegen Erreichens von neun Punkten nach dem damaligen Punktesystem ordnungsgemäß darüber unterrichtet, verwarnt und auf die Möglichkeit der Teilnahme an einem Aufbauseminar hingewiesen. Es hat diese Verwarnung per Postzustellungsurkunde zugestellt (Art. 1 Abs. 5, Art. 2 Abs. 3 Satz 1, Art. 3 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG). Aus der Zustellungsurkunde (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG i. V. m. § 182 ZPO) ergibt sich, dass der Postbedienstete das Schriftstück am 13. Juli 2011 um 10:05 Uhr zu übergeben versucht und in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt hat, weil die Übergabe in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht möglich war (§ 178 Abs. 1 Nrn. 1 und 2, § 180 ZPO). Die Zustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Der Gegenbeweis erfordert jedoch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierfür muss der Beweispflichtige zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde, darlegen (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2002 – 2 WDB 15.01 – juris Rn. 6; B. v. 10.11.1993 – 2 B 153.93 – juris Rn. 3; B. v. 5.3.1992 – 2 B 22.92 – juris Rn. 4).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Soweit sie ausführt, bei dem Anwesen seien keine Geschäftsräume vorhanden gewesen, weist die Landesanwaltschaft Bayern zutreffend darauf hin, dass der Antragsteller zur Begründung seiner Klage hat vortragen lassen, im Kfz-Gewerbe selbstständig tätig zu sein. Auch die Veräußerung des Anwesens am 5. Juli 2011 und die Schlüsselübergabe an den Erwerber müssen nicht bedeuten, dass der Antragsteller wenige Tage danach zugestellte Schriftstücke nicht mehr erhalten hat. Vielmehr entspricht es üblichen Gepflogenheiten, dass der Erwerber die nach der Übergabe eingegangene Post aufbewahrt und dem Veräußerer bei entsprechender Gelegenheit aushändigt oder an ihn weiterleitet. Zu welchem Zeitpunkt der Name des Antragstellers vom Briefkasten entfernt wurde, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Wäre er jedoch bereits am 13. Juli 2011 nicht mehr am Briefkasten vorhanden gewesen, hätte der Postbedienstete das Schriftstück nicht mehr – wie beurkundet – gemäß § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten zustellen können. Dass der Antragsteller die Verwarnung tatsächlich auch erhalten hat, ergibt sich aus dem vom Landratsamt übermittelten Kontoauszug, dem zufolge er die Kostenrechnung in Höhe von 20,99 Euro, die der Verwarnung beigefügt war, am 11. August 2011 durch Überweisung beglichen hat. Hätte der Antragsteller die Verwarnung vom 12. Juli 2011 nicht erhalten, wäre auch zu erwarten gewesen, dass er diesen Einwand bereits früher und nicht erst im Beschwerdeverfahren erhoben hätte.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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