IT- und Medienrecht

Räum- und Streupflicht – Ansprüche wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten; besondere Überprüfungspflichten auch beim Fußgänger

Aktenzeichen  14 O 634/14

Datum:
16.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 104944
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 254, § 286, § 288, § 823
BayStrWG Art. 2 Nr. 1 lit. b, Art. 9, Art. 47

 

Leitsatz

1. Es ist naheliegend, dass sich bei einer Gemeindeverordnung die Räum- und Streupflicht bei Eckgrundstücken auch auf den Eckbereich bezieht, da ansonsten für diesen Bereich eine Lücke hinsichtlich der Räum- und Streupflicht bestünde. (Rn. 25 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei kalten Witterungsverhältnissen kann einem Fußgänger auch zugemutet werden, dass er eine sorgfältige Überprüfung seiner spiegelglatten Wegstrecke vornimmt. Diese Wegstrecke darf nur mit besonderer Sorgfalt begangen werden, da eine derartige Eisglätte sehr leicht zu Stürzen führen kann, auch wenn entsprechendes Schuhwerk getragen wird. (Rn. 29 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wegen der erheblichen Verletzungen, des langen stationären Krankenhausaufenthalts mit operativer Behandlung, dem Erfordernis einer weiteren operativen Behandlung zur Entfernung eingebrachter Metallteile sowie der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € ausreichend, aber auch angemessen, um das Ausgleichs- und Genugtuungsinteresse zu erfüllen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.970,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.200,59 € seit 06.11.2014 sowie aus weiteren 770,00 € seit 14.02.2015 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50% sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden, der dieser aufgrund des Sturzes vom 04.02.2013 noch entstehen wird zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 50% und der Beklagte 50% zu tragen. Die Klägerin hat 50% der Kosten der Streithelfer zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird festgesetzt wie folgt:
-bis 09.02.2015:15.401,19 €
-ab 10.02.2015: 17.084,19 €

Gründe

A.
Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Schadensersatz wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Form von Räum- und Streupflichten, u.a. aufgrund Mitverschuldens aber nicht in der vollen geltend gemachten Höhe.
I.
Auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin am Morgen des 04.12.2013 wegen Eisglätte an der Stelle stürzte, die auf dem von ihr vorgelegten Lichtbild mit einem Regenschirm markiert ist, den Beklagten für diesen Bereich eine Räum- und Streupflicht bestand und dieser Räum- und Streupflicht an diesem Morgen nicht ausreichend nachgekommen worden war, was den Sturz der Klägerin verursachte.
1.) Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin an der Stelle wegen Eisglätte ausrutschte, die auf dem von der Klägerin vorgelegten Lichtbild mit einem Regenschirm markiert ist.
a.) Die Zeugin gab bei ihrer Vernehmung im Termin vom 06.05.2015 an, die Klägerin sei neben dem Stück, das der Gemeinde gehöre, hingefallen, mehr zum Grundstück M hin. Sie sei dann direkt vor dem Verkehrszeichen gesessen. Das eigentliche Ausrutschen habe sie nicht gesehen. Sie sei gesessen an einer Stelle ungefähr zwischen dem Schirm auf diesem Bild und dem Schild. Bevor sie mit dem Rücken am Schild saß, sei sie noch ein bisschen rüber gerutscht.
Hinsichtlich der Zeugin M war eine kritische Beweiswürdigung vorzunehmen, da eine verwandtschaftliche Beziehung zur Klägerin bestand. Die Ausführungen der Zeugin waren für das Gericht aber überzeugend und nachvollziehbar. Die Zeugin machte ihre Angaben ruhig, sachlich und in sich widerspruchsfrei. Soweit sie Details nicht genau angeben konnte, insbesondere hinsichtlich des eigentlichen Ausrutschens, hat sie dies transparent deutlich gemacht. Die Zeugin zeigte auch kein Belastungseifer zum Nachteil des Beklagten.
Die Klägerin hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung angegeben, sie sei beim ersten Schritt auf dem nicht gestreuten Bereich dagelegen. Es sei mehr auf der Seite zum Anwesen M hin gewesen, da sie nach dem Sturz mit dem Rücken an dem 30er-Schild gelehnt habe. Sie sei mit dem rechten Fuß weggerutscht, der rechte Fuß sei ungefähr da gewesen, wo auf den von ihr vorgelegten Lichtbildern der Schirm zu sehen sei. Die Sturzstelle sei nach der gedachten Mitte des Weges. Der Regenschirm zeige wirklich die Stelle, wo sie mit dem Fuß nach vorne weggerutscht sei. Sie sei mit den Füßen nach vorne weggerutscht und nach hinten gefallen.
Auch die Ausführungen der Klägerin im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung waren für das Gericht überzeugend und nachvollziehbar. Das Gericht hat zwar eine besonders kritische Würdigung durchgeführt, da die Klägerin ein unmittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat. Aus dem Aussageverhalten der Klägerin war aber nicht erkennbar, dass ihre Angaben nicht auf einer tatsächlichen Erinnerung an die damaligen Vorgänge beruhten. Die Schilderungen waren durchwegs konkret und detailreich, insbesondere zeigte sich kein Unterschied zwischen der Schilderung des Begleitgeschehens und des eigentlichen Sturzgeschehens oder zwischen freien Schilderungen der Klägerin und Angaben auf Nachfragen des Gerichts bzw. der Prozessbeteiligten. Die Angaben der Klägerin ließen sich auch gut in Einklang bringen mit den wie bereits dargestellt glaubhaften Angaben der Zeugin M.
c.) Etwas anderes ergab sich auch nicht aus der Aussage des Rettungsassistenten H im Termin vom 06.05.2015. Nach seiner Schilderung saß die Klägerin bereits in einem Pkw, als er an der Unfallstelle ankam. Wo sich dieser Pkw befand, konnte der Zeuge trotz mehrfacher Versuche der Eingrenzung nicht mehr mit genügender Sicherheit angeben. Dies erschien auch vollkommen nachvollziehbar, da für den Zeugen als Rettungsassistent nicht die exakte Positionierung dieses Pkw von Bedeutung war, sondern die Behandlung der schwerverletzten Klägerin.
d.) Eine andere Beweiswürdigung ergab sich auch nicht aus der Aussage der Zeugin F. Die Zeugin F war in hohem Maße unglaubwürdig. Die Zeugin zeigte einen massiven und geradezu penetranten Belastungseifer zum Nachteil der Klägerin bzw. der Zeugin M. Aus ihrem Aussageverhalten war deutlich erkennbar, dass ihre Angaben in aller erster Linie auf diesem Belastungseifer beruhten und nicht auf einer tatsächlichen Erinnerung an die damaligen Vorgänge. Daneben war die Zeugin deutlich ersichtlich noch darum bemüht, jegliche Mitverantwortung für den Sturz der Klägerin von sich abzuweisen. Der vollkommen unsachliche Belastungseifer der Zeugin gipfelte gegen Ende der Sitzung vom 06.05.2015 noch in der ungefragten Ergänzung der Aussage der Zeugin, das .junge Mädchen“, das aus dem Auto ausgestiegen sei, in das sich die Klägerin dann gesetzt habe, sei auf der glatten Oberfläche herumgerutscht und das Ganze habe einen hämischen Eindruck gemacht.
2.) Den Beklagten traf eine Räum- und Streupflicht für die Sturzstelle.
Nach der von den Parteien vorgelegten Verordnung der Gemeinde Nüdlingen erstreckt sich die Räum- und Streupflicht bei Eckgrundstücken auch auf den Eckbereich. Diese Regelung, die dem Gericht auch aus einer Vielzahl von anderen vergleichbaren Satzungen bekannt ist, ist naheliegend, da ansonsten für diesen Bereich eine Lücke hinsichtlich der Räum- und Streupflicht bestünde.
Das Grundstück des Beklagten stellt ein derartiges Eckgrundstück dar. Das Wiesengrundstück neben dem Grundstück des Beklagten ist ein Weg, die entsprechende Widmung wurde von Klägerseite vorgelegt.
Das Gericht teilt auch nicht die Bedenken der Klägerseite hinsichtlich der Wirksamkeit der Satzung. Die Satzung ist ausreichend bestimmt. Die Regelung für die Räum- und Streupflicht hinsichtlich des Eckbereichs von Eckgrundstücken ist naheliegend und auch gut nachvollziehbar. Die zunächst aufgetretene Schwierigkeit, hier den Adressaten der Räum- und Streupflicht konkret zu bestimmen, ist nicht auf die Gestaltung dieser Satzung zurückzuführen, sondern auf den Umstand, dass hier auf den ersten Blick kein Eckgrundstück vorliegt, sondern ein Grundstück mit danebenliegenden schmalen Wiesengrundstück. Dies ändert aber nichts an der Wirksamkeit der Satzung.
3.) Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, er habe die Räum- und Streupflicht wirksam auf die Eheleute F übertragen. Der entsprechende Sachvortrag ist bereits unschlüssig bzw. widersprüchlich. Der Beklagte selbst geht davon aus, dass für die Sturzstelle keine Räum- und Streupflicht bestand bzw. trägt vor, dies sei ihm nicht bekannt gewesen. Dem Gericht erschließt sich dann nicht, warum er die Räum- und Streupflicht für diesen Bereich explizit auf die Eheleute F übertragen haben will. Entsprechend gab er bei seiner informatorischen Anhörung auch nur an, er habe mit den F den Umfang des Winterdienstes nicht näher konkretisiert, für ihn sei klar gewesen, dass vor dem Grundstück gestreut werde.
II.
Die Klägerin muss sich ein Mitverschulden in Höhe von 50% entgegen halten lassen.
Nach den übereinstimmenden Angaben der Klägerin und der Zeugin M sei es am Morgen des 04.12.2013 sehr glatt gewesen. Es sei überall gestreut gewesen, auch vor dem Anwesen K sei gestreut gewesen. Hieraus ergibt sich, dass die Klägerin als Fußgängerin an diesem Morgen ihre Wegstrecke nur mit besonderer Sorgfalt begehen durfte, da eine derartige Eisglätte sehr leicht zu Stürzen führen kann, auch wenn entsprechendes Schuhwerk getragen wird.
Aus der Aussage der Zeugin M geht weiterhin klar hervor, dass deutlich erkennbar war, dass an der Sturzstelle selbst nicht gestreut war. Die Zeugin gab an, vom Anwesen K bis ungefähr zur Mitte des Weges sei mit Salz gestreut gewesen, es seien noch Salzkörner da gelegen. Die Klägerin konnte sich dann im weiteren Verlauf nicht darauf verlassen, dass zum Grundstück des Beklagten hin ebenfalls gestreut worden war, ohne dass Salzkörner und/oder abstumpfendes Material zu erkennen ist. Wenn an einer Stelle noch Salzkörner zu erkennen sind, an einer anderen Stelle aber nicht, darf diese Stelle nur mit erhöhter Sorgfalt betreten werden, da es wahrscheinlicher ist, dass diese Stelle nicht gestreut wurde, als dass ausgebrachtes Streusalz bereits vollständig aufgelöst ist.
Bei derartigen Witterungsverhältnissen kann einem Fußgänger auch zugemutet werden, dass er eine derart sorgfältige Überprüfung seiner Wegstrecke vornimmt.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist das Mitverschulden der Klägerin mit 50% zu bemessen.
III.
Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 €, auf Ersatz von Unkosten und Fahrtkosten in Höhe von 401,19 € bzw. unter Berücksichtigung des Mitverschuldens von 200,59 € sowie auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens von 1.540,00 € bzw. unter Berücksichtigung des Mitverschuldens von 770,00 €.
1.) Ausgehend von der erheblichen Verletzung der Klägerin, dem langen stationären Krankenhausaufenthalt mit operativer Behandlung, dem Erfordernis einer weiteren operativen Behandlung zur Entfernung eingebrachter Metallteile sowie der unstreitigen Minderung der Erwerbsfähigkeit wäre ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € ausreichend, aber auch angemessen, um das Ausgleichs- und Genugtuungsinteresse zu erfüllen, sodass sich unter Berücksichtigung der Umstände, die hinsichtlich der materiellen Schadensersatzansprüche zur Annahme eines Mitverschuldens von 50% führen, ein Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 5.000,00 € ergibt.
2.) Die geltend gemachten Unkosten und Fahrtkosten in Höhe von 401,19 € wurden von Beklagtenseite in der Sache nicht bestritten, sodass sich unter Berücksichtigung des Mitverschuldens von 50% ein Anspruch in Höhe von 200,59 € errechnet.
3.) Hinsichtlich des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens steht auf Grundlage der Aussage des Zeugen G zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Sachvortrag der Klägerin, sie habe vor dem Vorfall die Haushaltstätigkeiten im Wesentlichen alleine erbracht, zutrifft. Die entsprechenden Angaben des Zeugen waren für das Gericht überzeugend und nachvollziehbar, auch wenn ein zumindest mittelbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreites als Ehemann der Klägerin bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen war. Die Ausführungen erfolgten ersichtlich aus einer tatsächlichen Erinnerung heraus an die vom Zeugen erkennbar als ungewohnt empfundene Übernahme von Haushaltstätigkeiten und waren nicht vorbereitet oder zurechtgelegt.
Unter Zugrundelegung der Eckdaten der Haushaltstätigkeit der Klägerin, wie sie vom Zeugen bestätigt wurden, d.h. 2-Personen-Haushalt, Ehemann vollzeitberufstätig, Klägerin in der Rolle einer „klassischen Hausfrau“ schätzt das Gericht den wöchentlichen Aufwand für die Erledigung der auf die Klägerin entfallenden Haushaltstätigkeiten auf 35 Stunden pro Woche.
Der von Klägerseite gewählte Ansatz von 8,00 € je Stunde ist nicht zu beanstanden, zumal vor dem Hintergrund des mittlerweile geltenden Mindestlohnes.
Auf Grundlage der Schilderung des Zeugen G sowie der unstreitigen Entwicklung der Verletzung der Klägerin einschließlich der unstreitigen Entwicklung der Minderung der Erwerbsfähigkeit hält das Gericht es für zutreffend, dass die Klägerin im Dezember nahezu vollständig keine Haushaltstätigkeiten mehr erbringen konnte und in den Monaten Januar und Februar noch eine Einschränkung von jeweils 25% vorlag.
Es errechnet sich somit ein Anspruch für Dezember in Höhe von 35 Stunden x 3,5 Wochen x 8,00 € = 908,00 € sowie für Januar und Februar in Höhe von jeweils 35 Stunden x 4 Wochen x 8,00 € x 25% = 280,00 €, sodass sich ein Anspruch in Höhe von insgesamt 1.540,00 € bzw. unter Berücksichtigung des hälftigen Mitverschuldens von 770,00 € ergibt; der eingeklagte Betrag von 1.680,00 € dürfte auf einem Additionsfehler beruhen.
B.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 286, 288 BGB, 92 1,101 ZPO, 48 GKG.

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