Baurecht

Aufhebung der Ausschreibung bei Kostenüberschreitung

Aktenzeichen  21 VK-3194/42/15

Datum:
15.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZfBR – 2016, 622
Gerichtsart:
Vergabekammer
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VOB/A-EG VOB/A-EG § 17 Abs. 1 Nr. 3
GWB GWB aF § 97 Abs. 7, § 99 Abs. 3, § 114 Abs. 2 S. 2
GWB GWB § 97 Abs. 6, § § 103 Abs. 3, § 168 Abs. 2 S. 2
BGB BGB § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der öffentliche Auftraggeber kann die Ausschreibung für einen öffentlichen Bauauftrag nur wirksam gemäß § 17 Abs. 1 VOB/A-EG wegen deutlicher Überschreitung des vertretbar geschätzten Auftragswertes widerrufen, wenn der Angebotspreis des mindestnehmenden Bieters die Kostenschätzung um mindestens 20 % übersteigt (ebenso OLG München BeckRS 2014, 18506). (redaktioneller Leitsatz)
2 Der mindestnehmende Bieter hat im Falle einer rechtswidrigen Aufhebung der Ausschreibung keinen Anspruch auf Erteilung eines der Ausschreibung entsprechenden Auftrags. Der öffentliche Auftraggeber ist ihm gegenüber jedoch gegebenenfalls schadensersatzpflichtig (ebenso BGH BeckRS 2014, 07310 Rn. 20 f.). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Aufhebung der Ausschreibung die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
2. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag abgelehnt.
3. Die Vergabestelle trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin.
4. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin war notwendig.
5. Die Gebühr für dieses Verfahren beträgt 5.250,- €.
Auslagen sind nicht angefallen.
Die Vergabestelle ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe

Begründung:
1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a) Die Vergabekammer Nordbayern ist für das Nachprüfverfahren nach § 1 Abs. 2 und § 2 Abs. 2 Satz 2 BayNpV sachlich und örtlich zuständig.
b) Bei dem ausgeschriebenen Vertrag handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von § 99 Abs. 3 GWB.
c) Die VSt ist öffentlicher Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 GWB.
d) Die Gesamtprojektkosten für den Neubau der Stadthalle C. übersteigen den Schwellenwert von 5,186 Mio. € (§ 2 Abs. 1 VgV).
Die hier streitgegenständlichen Rohbauarbeiten mit einem geschätzten Auftragswert von über 4 Mio. € sind ein Fachlos dieser Maßnahme. Dementsprechend hat die VSt die Ausschreibung als Offenes Verfahren im Amtsblatt der EU bekannt gemacht. Damit ist der rechtliche Rahmen für eine Nachprüfung nach §§ 102 ff GWB festgelegt.
e) Der Zuschlag wurde noch nicht erteilt (§ 114 Abs. 2 Satz 1 GWB).
f) Die ASt ist antragsbefugt. Sie hatte als beteiligte Bieterin ein Interesse am Auftrag und schlüssig dargetan, dass ihr durch die behauptete Rechtsverletzung ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (§ 107 Abs. 2 GWB).
Auch wenn ein öffentlicher Auftraggeber die Ausschreibung für einen öffentlichen Bauauftrag bereits aufgehoben hat, kann ein Bewerber noch in zulässiger Weise die Vergabekammer anrufen und geltend machen, durch Nichtbeachtung der die Aufhebung der Ausschreibung betreffenden Vergabevorschrift in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt zu sein (BGH v. 18.02.2003 – X ZB 43/02). Der Bieter kann im Falle einer nicht unter die einschlägigen Tatbestände fallenden Aufhebung die Feststellung beantragen, dass er durch das Verfahren in seinen Rechten verletzt ist (BGH v. 20.03.2014 – X ZB 18/13 unter Verweis auf § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB).
Ein Antrag, der lediglich die Feststellung eines vergaberechtswidrigen Verhaltens des Auftraggebers zum Ziel hat, ist grundsätzlich unzulässig. Von diesem Grundsatz kennt das GWB nur eine Ausnahme. Nach § 114 Abs. 1 GWB kann ein Verfahrensbeteiligter anstelle seines ursprünglichen Verfahrensziels die Feststellung beantragen, ob eine Rechtsverletzung vorlag, wenn sich das Nachprüfungsverfahren „durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise“ erledigt.
Dies ist vorliegend der Fall.
Die VSt hat in der mündlichen Verhandlung nochmals bestätigt, dass der Zuschlag mit einer „abgespeckten“ Leistung mittlerweile erteilt worden sei. Damit ist die Zulässigkeit eines Feststellungsantrags gegeben.
g) Die ASt hat am 08.10.2015 unverzüglich gerügt, nachdem ihr die Aufhebung der Ausschreibung am gleichen Tag mitgeteilt worden war.
2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.
Die Antragstellerin wird durch die rechtswirksame, aber rechtswidrige Aufhebung der Ausschreibung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
a) Die VSt hat die Ausschreibung rechtswirksam beendet.
Die Bieter müssen die Aufhebung eines Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in den einschlägigen Bestimmungen der Vergabeverordnung aufgeführten Gründe gedeckt und deswegen von vornherein rechtmäßig ist, sondern auch, wenn kein solcher anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt (BGH v. 20.03.2014 – X ZB 18/13, Rdnr. 20). Der Auftraggeber ist aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts nicht gezwungen, einen der Ausschreibung entsprechenden Auftrag zu erteilen. Dies gilt auch dann, wenn er nach den maßgeblichen Vergabevorschriften keinen Grund zur Aufhebung der Ausschreibung hat.
Der Auftraggeber kann die Ausschreibung wirksam aufheben, wenn er sich dafür auf einen sachlichen Grund berufen kann (Herrmann in Kommentar Vergaberecht, Ziekow/Völlink, 2. Auflage, Rdnr. 15 zu Vor § 17 VOB/A). Einen „einklagbaren“ Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens hat ein Antragsteller nur bei einer Scheinaufhebung, in einem solchen Fall muss der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren nachweisen, dass der Aufhebungsgrund nur vorgeschoben ist (Summa in juris PraxisKommentar Vergaberecht, Heiermann Zeis, 4. Auflage, Rdnr. 26 ff zu § 17 EG VOB/A).
Im vorliegenden Fall ist ein Ansatzpunkt für eine Scheinaufhebung weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Die VSt hat mittlerweile das Projekt erneut im offenen Verfahren ausgeschrieben. Damit haben alle Bieter gleichermaßen die Chance erhalten, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die VSt ein bestimmtes Unternehmen benachteiligen oder bevorzugen will. Die Aufhebung wird zwar auf einen sachlichen Grund gestützt, dieser führt jedoch nicht zur Rechtmäßigkeit einer schadensersatzfreien Aufhebung im Sinne von § 17 EG Abs. 1 VOB/A.
b) Die Aufhebung der Ausschreibung verletzt die ASt in ihren Rechten, da ein Grund für eine sanktionsfreie Aufhebung nach § 17 Abs. 1 EG VOB/A nicht vorliegt.
aa) Zwischen dem Auftraggeber und einem am Auftrag interessierten Unternehmen entsteht spätestens mit der Anforderung der Vergabeunterlagen ein auf eine mögliche Auftragserteilung gerichtetes vorvertragliches Vertrauensverhältnis, dessen Verletzung den Auftraggeber nach den §§ 280, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig macht. Der Wettbewerbsteilnehmer darf davon ausgehen, dass seine Chance auf eine Amortisation der oft erheblichen Aufwendungen zur Ausarbeitung eines Angebots nicht dadurch zunichte gemacht wird, dass die Auftragsvergabe an ihn allein an Umständen scheitert, die weder mit seiner Person noch mit seinem Angebot zu tun haben. Deshalb kann auch eine Aufhebung der Ausschreibung einen Schadensersatzanspruch begründen (Summa a. a. O. Rdnr. 51 zu § 17 VOB/A).
Wann die Aufhebung einer Ausschreibung wegen „deutlicher“ Überschreitung des vertretbar geschätzten Auftragswerts rechtmäßig ist, ist aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung zu entscheiden, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, dass einerseits den öffentlichen Auftraggebern nicht das Risiko einer deutlich überhöhten Preisbildung zugewiesen wird, andererseits die Aufhebung aber auch kein Instrument zur Korrektur der in Ausschreibungen erzielten Submissionsergebnisse sein darf (BGH v. 20.11.2012 – X ZR 108/10). Bei der Frage, ob das Vergabeverfahren wegen einer beträchtlichen Abweichung des Angebots von einer vertretbaren Schätzung aufgehoben werden darf, kann auf die Grundsätze, ob ein den Ausschluss eines Angebotes rechtfertigendes Missverhältnis zwischen Leistung und Angebot vorliegt, zurückgegriffen werden. Erst ab einem Abstand von 20% liegt ein Missverhältnis zwischen dem Wert der Leistung bzw. der Kostenschätzung und dem Angebot nahe (OLG München v. 12.12.2013 – 1 U 498/13).
Bei einer Bezugnahme auf diesen Abstand reicht im vorliegenden Fall die prozentuale Differenz zwischen dem Angebot der ASt weder zur Kostenberechnung der VSt vom April 2015 von ca. 12% noch zum Schätzpreis des Leistungsverzeichnisses von rd. 18,5% für die Feststellung eines unangemessenen Preises nicht aus. Für die Vergabekammer sind auch keine weiteren durchgreifenden Gründe ersichtlich, die die Einstufung als ganz beträchtlichen Abstand zwischen Kostenschätzung und Angebotspreis der ASt rechtfertigen könnte. Letztlich kann aber dahinstehen, ob schon wegen der Differenz von weniger als 20% von einem unangemessen hohen Preis nicht ausgegangen werden kann.
bb) Die Aufhebung findet keine Stütze in § 17 EG Abs. 1 VOB/A, weil das Leistungsverzeichnis wegen der Nachlässigkeit der VSt geändert werden muss.
Liegen die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EG VOB/A nicht vor, ist eine dennoch erfolgte Aufhebung rechtswidrig, mit der Folge, dass der Auftraggeber schadensersatzpflichtig ist (Summa a. a. O., Rdnr. 24 zu § 17 EG VOB/A). Schadensersatzfrei ist eine Aufhebung für den Auftraggeber nur dann, wenn er den Aufhebungsgrund nicht zu verantworten hat. Bei der Prüfung eines zur schadensersatzfreien Aufhebung berechtigenden schwerwiegenden Grundes sind strenge Maßstäbe anzulegen. Ein zur Aufhebung der Ausschreibung anlassgebendes Fehlverhalten der Vergabestelle kann schon deshalb nicht als schwerwiegender Grund genügen, weil es die Vergabestelle andernfalls in der Hand hätte, nach freier Entscheidung durch Verstöße gegen das Vergaberecht den bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehenden Bindungen zu entgehen (BGH a. a. O., Rdnr. 25). Eine nicht unter § 17 EG Abs. 1 VOB/A fallende Aufhebung liegt vor, wenn die Notwendigkeit für eine grundlegende Überarbeitung der Vergabeunterlagen besteht, um eine kostengünstigere Lösung der Ausschreibung zu erzielen (Summa a. a. O. Rdnr. 30 zu § 17 EG VOB/A).
Dies ist hier der Fall. Nach der Stellungnahme der VSt vom 02.12.2015 wurde ein Objektplaner beauftragt, eine umfassende Überarbeitung des Leistungsverzeichnisses der Rohbauarbeiten mit dem Ziel einer signifikanten Kosteneinsparung durchzuführen. Dies soll mit einer abgeminderten Qualität bzw. einer Änderung der Leistungen erreicht werden. So sollen die Rohbaukosten durch eine Reduzierung der Sichtbetonqualitäten, eine Änderung von Rohbauteilleistungen, eine Abminderung und eine Änderung der Betonfertigteile, Entfall von vorgehängten Fassaden-Betonfertigteilen und des eingefärbten Betons usw. verringert werden. Somit diente die Aufhebung der Ausschreibung letztendlich der Korrektur eines im Leistungsverzeichnis festgelegten zu hohen Standards. Die Festlegung der Leistungen liegt in der Zuständigkeit der VSt, deshalb muss sich die VSt eine Überarbeitung des Leistungsverzeichnisses zurechnen lassen. Die nachträgliche Korrektur des Leistungsverzeichnisses darf nicht zulasten der ASt gehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 128 GWB.
a) Die VSt hat die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der ASt zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 128 Abs. 3 Satz 1 GWB). Zwar hat die ASt nur mit dem Hilfsantrag obsiegt. Der Hauptantrag war aber trotz minimaler Erfolgsaussichten notwendigerweise zu stellen, da andernfalls der isolierte Feststellungsantrag unzulässig gewesen wäre. Der Hilfsantrag trat an dessen Stelle und war erfolgreich.
b) Die Kostenerstattungspflicht gegenüber der ASt ergibt sich aus § 128 Abs. 4 Satz 1 GWB.
c) Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten war für die ASt notwendig (§ 128 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG entspr.).
Es handelt sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht einfach gelagerten Fall, so dass es der ASt nicht zuzumuten war, das Verfahren vor der Vergabekammer selbst zu führen.
d) Die Gebühr war nach § 128 Abs. 2 GWB festzusetzen.
Im Hinblick auf die Bruttoangebotssumme der ASt von 4.825.788,70 € und unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen personellen und sachlichen Aufwands der Vergabekammer errechnet sich entsprechend der Tabelle des Bundeskartellamtes eine Gebühr in Höhe von 5.750,- €. Da das Nachprüfungsverfahren ohne Beiladung durchgeführt werden konnte, wurde die Gebühr um 500,- € auf 5.250,- € reduziert.
e) Die VSt ist von der Zahlung der Gebühr befreit (§ 128 Abs. 1 Satz 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG in der Fassung vom 14.08.2013).
f) Der geleistete Kostenvorschuss von 2.500,- € wird nach Bestandskraft dieser Entscheidung an die ASt zurück überwiesen.

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