Verwaltungsrecht

Lediglich subsidiärer Schutz ohne Flüchtlingszuerkennung im sicheren Drittstaat

Aktenzeichen  AN 3 K 15.50096

Datum:
23.2.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 43239
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylVfG § 26a, § 34a, § 38 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 2 S. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ein Asylantrag nach Art. 25 RL 2003/85/EG kann nur dann als unzulässig abgelehnt werden, wenn dem Antragsteller zuvor in einem anderen Mitgliedstaat höher- oder gleichwertiger Status zuerkannt worden ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Ansbach
AN 3 K 15.50096
Im Namen des Volkes
Urteil
23. Februar 2016
3. Kammer
Sachgebiets-Nr.: 0710
Hauptpunkte: Subsidiärer Schutz ohne Flüchtlingszuerkennung im sicheren Drittstaat
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache
…, geb. …
alias …, geb. …1990
alias …, geb. …1989
– Kläger –
bevollmächtigt: Kanzlei …
gegen
Bundesrepublik Deutschland
vertreten durch: Bundesamt …, Referat Außenstelle …
– Beklagte –
wegen Verfahrens nach dem AsylVfG/AsylG
erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach, 3. Kammer, durch die Einzelrichterin … Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Kroh aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23. Februar 2016 am 23. Februar 2016 folgendes
Urteil:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2015 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der am …1993 geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger.
Sein im Jahre 2010 gestellter Asylantrag wurde im Hinblick auf die sich aus Artikel 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung ergebende Zuständigkeit Ungarns als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet.
Am 2.12.2014 beantragte der Kläger die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
Der Kläger hat bereits in Ungarn ein Asylverfahren durchgeführt und dort subsidiären Schutz erhalten (Reisedokument – Fremdenpass – gültig vom 24.2.2014 bis 24.2.2015 sowie ID-Karte vom 20.1.2014, gültig bis 20.1.2024).
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 25.2.2015 wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Ziff. 1) und in Ziff. 2 wurde der Kläger unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist wurde die Abschiebung nach Ungarn angedroht. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Antragsteller nicht nach Afghanistan abgeschoben werden darf.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne aufgrund des in Ungarn gewährten internationalen Schutzes keine weitere Schutzgewährung verlangen. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 17.6.2014, 10 C 7.13, entschieden, dass ein erneutes Anerkennungsverfahren unzulässig sei, wenn dem Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedsstaat internationaler Schutz, also Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei.
Die Unzulässigkeit des Asylantrages ergebe sich hier aus dem Schutzstatus im sicheren Drittstaat, § 26 a AsylVfG. Da der Kläger dorthin abgeschoben werden solle, ordne das Bundesamt nach § 34 a AsylVfG grundsätzlich die Abschiebung an. Eine Abschiebungsandrohung sei allerdings ebenfalls zulässig, da es sich hierbei um das mildere Mittel gegenüber der Androhung handele. Die Ausreisefrist ergebe sich aus § 38 Abs. 1 AsylVfG.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 2.3.2015 ließ der Kläger Klage erheben.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Eine Abschiebung nach Ungarn komme schon wegen der dortigen Verhältnisse nicht in Betracht. Ungarn gewähre kein ordnungsgemäßes Asylverfahren und weise systemische Mängel auf. Ungarn könne deshalb nicht mehr als zuständiger Vertragsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens bezeichnet werden. Des Weiteren wurde auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2015, 1 B 41.15, hingewiesen.
Es wird beantragt:
Der Bescheid der Beklagten vom 25.2.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, beklagt sei vorliegend kein Dublin-Bescheid, sondern ein Drittstaatenbescheid. Insofern komme eine „Übernahme ins nationale Verfahren“ nicht in Frage. Die in Ziff. 1 ausgesprochene Unzulässigkeit sei rechtmäßig und bleibe bestehen, da der Kläger bereits in einem anderen sicheren Drittstaat subsidiären Schutz erhalten habe. Eine Aufhebung der Ziffer 2 komme ebenfalls nicht in Betracht, da vorliegend eine Abschiebungsandrohung erlassen worden sei und sogenannte inlandsbezogene Abschiebungshindernisse (Familientrennung/Art. 6 GG) von der Ausländerbehörde gegebenenfalls zu würdigen seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten, wegen der mündlichen Verhandlung auf deren Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand vorliegender Klage ist der Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 2015, mit welchem der Asylantrag als unzulässig abgelehnt und der Kläger unter Abschiebungsandrohung nach Ungarn zur Ausreise aufgefordert worden ist.
Die als isolierte Anfechtungsklage zulässige Klage (vgl. z. B. BayVGH v. 6.3.2015 – 13 a ZB 15.50000) ist auch begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist infolge dessen, dass dem Kläger in Ungarn (nur) subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, und er mit seinem Asylfolgeantrag (auch) die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, rechtswidrig und verletzt ihn in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Beklagte stützt ihre in Ziffer 1 des Bescheides vom 25. Februar 2015 getroffene Entscheidung auf § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 AufenthG.
Diese Rechtsgrundlage trägt jedoch die streitgegenständliche Entscheidung der Unzulässigkeit des Asylantrages des Klägers nicht.
Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 bis 3 AufenthG darf in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind.
Beruft sich der Ausländer auf ein aus § 60 Abs. 1 AufenthG folgendes Abschiebungsverbot, so hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Ausnahme der in Satz 2 geregelten Fälle in einem Asylverfahren festzustellen, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und infolgedessen dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist.
Ein Ausländer darf gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ebenfalls nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylG bezeichnete ernsthafte Schaden droht.
Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gilt § 60 Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG entsprechend.
Daraus ergibt sich die Unzulässigkeit eines auf Gewährung internationalen Schutzes gerichteten Asylverfahrens bei Zuerkennung von internationalem Schutz im Sinne des Art. 2 b Dublin III-VO i. V. m. Art. 2 h RL 2011/95/EU (Asylverfahrensrichtlinie n. F.).
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 17. Juni 2014, 10 C 7.13 – juris – ausdrücklich entschieden, dass ein Ausländer aufgrund der genannten Regelungen, wenn ihm bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ein Schutzstatus zuerkannt wurde, gleichen oder minderwertigen Schutz nicht erneut in der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen kann.
Diesbezüglich führt es u. a. folgendes aus:
„Die Anerkennung eines Ausländers als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Staat wirkt zwar völkerrechtlich nicht wie eine Statusentscheidung durch deutsche Behörden und hat in diesem Sinne keine umfassende Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland (hierzu auch Marx, InfAuslR 2014, 227 ). Die Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 legt einheitliche Kriterien für die Qualifizierung als Flüchtling fest, sieht aber keine völkerrechtliche Bindung eines Vertragsstaats an die Anerkennungentscheidung eines anderen vor (vgl. BVerwfG, B.v. 14.11.1979 – 1 BvR 654/79 – BVerfGE 52, 391 ; BVerwG, U.v. 29.4.1971 – BVerwG 1 C 42.67 – BVerwGE 38, 87 = Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 2 Seite 4 f.). Eine solche Bindungswirkung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Dieses ermächtigt zwar nach Art. 78 Abs. 2 a und b AEUV zu Gesetzgebungsmaßnahmen, die einen in der ganzen Union gültigen einheitlichen Asylstatus und einen einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Drittstaatsangehörige vorsehen, die maßgebliche Richtlinie 2011/95/EU vom 13. Dezember 2011 sieht eine in der ganzen Union gültige Staatsentscheidung jedoch nicht vor. Die Bundesrepublik Deutschland hat aber von der nach Völker- und Unionsrecht fortbestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch einen nationale Regelung den Anerkennungsentscheidungen anderer Staaten im begrenzten Umfang Rechtswirkungen auch im eigenen Land beizumessen (vgl. etwa die diesbezügliche Empfehlung des UNHCR im Beschluss Nr. 12 seines Exekutivkomitees aus dem Jahre 1978). In Deutschland genießen im Ausland anerkannte Flüchtlinge schon seit Inkrafttreten des Ausländergesetzes von 1990 (dort § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) den gleichen Abschiebungsschutz wie die im Inland Anerkannten, ohne dass ein erneutes Anerkennungsverfahren durchgeführt wird. Durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (n. F.) ordnet das nationale Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an (ähnlich Treiber in: GK-AufenthG, Stand Juli 2011, § 60 Rn. 205.3). Es besteht aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung subsidiären Schutzes (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG n. F.) oder eine hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland. Vielmehr ist das Bundesamt bei Vorliegen einer ausländischen Anerkennungsentscheidung zur Feststellung von subsidiärem Schutz oder der (erneuten) Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Deutschland weder verpflichtet noch berechtigt. Ein gleichwohl gestellter Antrag ist unzulässig. Das hat der Senat bereits zu der bis 30. November 2013 geltenden Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 6 AufenthG (a. F.) entschieden (B.v. 26.10.2010 – BVerwG 10 B 28.C – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 43). Dem entspricht die nunmehr geltende Regelung des § 60 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG. Sie ist jedenfalls bei Zuerkennung internationalen Schutzes durch einen anderen Mitgliedstaat mit Unionsrecht vereinbar. Denn Art. 33 Abs. 2 a der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – eröffnet dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d. h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlich subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2 i der Richtlinie).“
Im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2015, 1 B 51.15, heißt es u. a. wie folgt:
„Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem im angefochtenen Beschluss zitierten Urteil vom 17. Juni 2014 (10 C 7.13 – BVerwGE 150, 29 Rn. 30) entschieden, dass ein Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiären Schutz unzulässig ist, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten i. S.v. § 4 AsylVfG zuerkannt worden ist. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht u. a. damit begründet, dass durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) die Unzulässigkeit eines erneuten Anerkennungsverfahrens nunmehr auch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG erstreckt worden ist (§ 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Damit hat der nationale Gesetzgeber von der von den Mitgliedstaaten in Art. 33 Abs. 2 Buchstabe 1 der Richtlinie 2013/32/EU – Asylverfahrensrichtlinie 2013 – eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu behandeln, wenn dem Ausländer bereits ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt, d. h. ihm entweder die Flüchtlingseigenschaft oder unionsrechtlichen subsidiären Schutz zuerkannt hat (vgl. Art. 2 i der Richtlinie).“
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Beschluss vom 23. Oktober 2015, 1 B 41.15, klarstellend und ergänzend darauf hingewiesen, dass bei Schutzanträgen, die noch unter der Altfassung der Asylverfahrensrichtlinie gestellt worden sind und für welche daher die durch die Asylverfahrensrichtlinie n. F. erweiterten Möglichkeiten der Antragsablehnung als unzulässig noch nicht greifen, die Gewährung (bloßen) subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedsstaat einem „Aufstockungsbegehren“ auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegensteht und eine materielle Prüfung durch die Beklagte nicht ausschließt.
Es führt dazu u. a. folgendes aus:
„Soweit die Beschwerde im Übrigen hinsichtlich des Umfangs der aus § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzuleitenden Unzulässigkeit eines materiellen Prüfverfahrens darauf hinweist, dass die Ablehnung der Durchführung eines erneuten Asylverfahrens wegen der Gewährung subsidiären Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat den unionsrechtlichen Vorgaben, insbesondere Art. 33 Abs. 1 a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 S. 60) – Asylverfahrensrichtlinie n. F. – entspreche, wonach die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Dublin-Bestimmungen einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten dürfen, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat, übersieht sie die Übergangsregelung in Art. 52 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2013/32/EU. Danach wenden die Mitgliedstaaten die in Umsetzung dieser Richtlinie nach Art. 51 Abs. 1 erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf förmlich gestellte Anträge auf internationalen Schutz nach dem 20. Juli 2015 oder früher an; für vor diesem Datum gestellte Anträge gelten die Rechts- und Verwaltungsvorschriften „nach Maßgabe der Richtlinie 2005/85/EG“ (Asylverfahrensrichtlinie a. F.). Zu den dieser Übergangsregelung unterfallenden Bestimmungen zählt auch die Ermächtigung in Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU, die regelt, unter welchen Voraussetzungen die Mitgliedstaaten zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Dublin-Verordnungen ein Antrag nicht geprüft wird, einen Antrag auf internationalen Schutz wegen Unzulässigkeit nicht prüfen müssen. Folglich darf ein – wie hier – vor dem Stichtag (20.7.2015) gestellter Asylantrag nur nach Maßgabe der Regelung in Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG als unzulässig betrachtet werden. Nach Art. 25 Abs. 2 b) der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten einen Asylantrag wegen Schutzgewährung in einem anderen Mitgliedstaat aber nur als unzulässig betrachten, wenn der andere Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Daran fehlt es hier.
Da es sich bei der den Mitgliedstaaten in Art. 33 Abs. 1 a) der Richtlinie 2013/32/EU eingeräumten – und gegenüber der Vorgängerregelung erweiterten – Option um eine den Antragsteller belastende Änderung handelt, ermöglicht auch die Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 der Richtlinie 2013/32/EU keine vorzeitige Anwendung der Änderung auf vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge. Damit steht im vorliegenden Verfahren Unionsrecht der von der Beklagten angenommenen Auslegung des § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG entgegen, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.“
Für vorliegenden Fall der Zuerkennung (lediglich) subsidiären Schutzes in Ungarn und der Asylfolgeantragstellung im Dezember 2014 ergibt sich damit, dass der Anwendung der von der Beklagten herangezogenen Rechtsgrundlage des § 60 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 3 und 4 AufenthG Art. 25 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2005/85/EG entgegensteht.
Die Richtlinie 2013/32/EU ist auf den Fall des Klägers trotz der Umsetzung der in Art. 33 Abs. 2 lit. a) enthaltenen Regelung durch den deutschen Gesetzgeber in § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG bereits zum 1. Dezember 2013 nicht anwendbar wegen Art. 52 UA 1 der Richtlinie 2013/32/EU i. V. m. der Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 dieser Richtlinie.
Diese Regelungen bestimmen, dass die neue Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) nur dann für bereits vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge Geltung beanspruchen kann, wenn es sich nicht um eine den Antragsteller belastende Änderung handelt.
Anders als in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. September 2015 zugrunde liegenden Sachverhalt (der dortige Antragsteller begehrte lediglich subsidiären Schutz), richtet sich vorliegend das Klagebegehren auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Bei Anwendung der neuen Asylverfahrensrichtlinie, hier deren Art. 33 Abs. 1 Satz 2 lit. a), umgesetzt durch § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, würde der Kläger schlechter gestellt als durch die Regelung in Art. 25 Abs. 1 Satz 2 lit. a) der Vorgängerrichtlinie 2005/85/EG, wonach ein Asylantrag nur dann als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein anderer Mitgliedstaat dem Antragsteller bereits die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat.
Findet Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU somit keine Anwendung, sondern vielmehr Art. 25 der Richtlinie 2003/85/EG, liegt mit der Vorschrift des § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, bei Fällen wie dem vorliegenden, ein Verstoß gegen Unionsrecht vor mit der Folge, dass die Vorgängerrichtlinie 2003/85/EG hier unmittelbar anzuwenden ist.
Da dem Kläger in Ungarn subsidiärer Schutz gewährt wurde (welcher nach Auffassung der Beklagten nach Ablauf der befristeten Geltungsdauer in allen Mitgliedstaaten, somit auch in Ungarn, verlängerbar ist, so dass vorliegend dem Umstand, dass die Gültigkeitsdauer des Fremdenpasses des Klägers am Tage vor Erlass des streitgegenständlichen Bundesamtsbescheids geendet hat, keine entscheidungsrelevante Bedeutung beizumessen ist), er mit dem vorliegenden Asylfolgeantrag vom 2. Dezember 2014 auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrt, kommt wegen der Übergangsregelung des Art. 52 Unterabs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU i. V. m. der Günstigkeitsbestimmung des Art. 5 der Richtlinie 2013/32/EU nicht Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU zur Anwendung, sondern Art. 25 der Vorgängerrichtlinie 2003/85/EG.
Danach kann ein Asylantrag nur dann als unzulässig abgelehnt werden, wenn dem Antragsteller zuvor in einem anderen Mitgliedstaat höher- oder gleichwertiger Status zuerkannt worden ist.
Für vorliegenden Fall ergibt sich somit, dass der Asylfolgeantrag des Klägers, mit dem er einen höheren Status (Flüchtlingseigenschaft) als den ihm bereits in Ungarn zuerkannten (subsidiärer Schutz) anstrebt, zu Unrecht als unzulässig abgelehnt worden ist.
2. Eine Aufrechterhaltung von Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids durch Umdeutung in einen Bescheid nach § 71 AsylG scheitert bereits im Hinblick darauf, dass der Bescheid insoweit eine andere (neue) Qualität erhalten würde. Bereits wegen der erforderlichen Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG ist in Folgeverfahren – gleiches gilt im Verfahren nach § 71a AsylG – eine inhaltliche Beurteilung des Asylvorbringens vorzunehmen, wo hingegen mittels der streitgegenständlichen Entscheidung in Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten gerade keinerlei materielle Prüfung erfolgen sollte.
Eine Umdeutung würde des Weiteren auch daran scheitern, dass die Rechtsfolgen einer Entscheidung nach § 71 AsylG für den Kläger ungünstiger wären (vgl. BVerwG v. 16.11.2015 – 1 C 4.15 – juris zur insoweit vergleichbaren Situation des § 71a AsylG), z. B. weil es dabei nicht mehr um die Überstellung in einen Dublin-Staat ginge, sondern er nach Erlass einer Abschiebungsandrohung in jeden aufnahmebereiten Staat abgeschoben werden könnte.
3. Infolge der zur Aufhebung führenden Rechtswidrigkeit der Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids entfällt die Grundlage für die in Ziffer 2 getroffene Regelung, so dass auch Ziffer 2 aufzuheben war, ohne dass es vorliegend eines Eingehens auf die Frage einer möglichen Rechtswidrigkeit der Ziffer 2 durch die Anwendung einer unzutreffenden Rechtsgrundlage bzw. durch das Fehlen einer die getroffene Entscheidung tragenden Rechtsgrundlage ankommt.
Nach alldem war der Klage im Umfange des in der mündlichen Verhandlung gestellten Anfechtungsbegehrens voll umfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
zu beantragen.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
Beschluss:
Der Gegenstandswert beträgt 5.000,00 EUR.
Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG unanfechtbar.

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