Verwaltungsrecht

Suizid als nicht-zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  M 17 E 16.30227

Datum:
22.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 71 Abs. 5 S. 2
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwGO VwGO § 123

 

Leitsatz

1 § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG erfasst nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. (redaktioneller Leitsatz)
2 Weder bei einer Suizidgefahr noch einer mangelnden Reisefähigkeit handelt es sich um zielstaatsbezogene, sondern um inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, die nur von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger des Kosovo. Er reiste nach eigenen Angaben am …. März 2013 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 22. März 2013 Asylantrag.
Mit Bescheid vom 26. Juni 2013 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab (Nr. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 2) und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (Nr. 3) nicht vorliegen. Es forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, anderenfalls wurde ihm die Abschiebung nach Kosovo oder in einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 4).
Die hiergegen erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Dezember 2013 als offensichtlich unbegründet abgewiesen (AN 10 K 13.30432).
Mit Schriftsatz vom 11. Februar 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Landratsamt … mitzuteilen, dass bis zur Entscheidung über den Antrag keine Abschiebemaßnahmen erfolgen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller bis zum …. Januar 2016 habe ausreisen sollen. Dieser könne jedoch nicht ausreisen, da er einen Suizidversuch unternommen habe und sofort in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden sei, in welcher er sich seit dem …. Januar 2016 befinde. Der Antragsteller sei absolut nicht reisefähig und es sei insofern für ihn unzumutbar, auszureisen.
Die Antragsgegnerin stellte keinen Antrag,
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antragsteller möchte sinngemäß (vgl. § 88 VwGO) erreichen, dass die Antragsgegnerin vorerst keine Mitteilung an die für den Antragsteller nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG macht bzw. diese Mitteilung widerruft.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ergehen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der zu sichernde Anspruch (Anordnungsanspruch) und dessen Gefährdung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen.
Unabhängig vom Bestehen eines Anordnungsgrundes hat der Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht:
1. Es ist weder vorgetragen noch sonst nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei der Beklagten einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag) im Sinne von § 71 AsylG gestellt hat, so dass eine etwaige Abschiebung auch nicht von der Mitteilung der Beklagten nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG abhängig ist.
2. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass kein vom Bundesamt im Rahmen eines etwaigen Folgeverfahrens gegebenenfalls zu berücksichtigendes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Regelung erfasst zwar nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können. Ein zielstaatbezogenes Abschiebungshindernis kann aber gegeben sein, wenn die Gefahr besteht, dass sich eine vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Dies kann etwa der Fall sein, wenn sich die Krankheit im Heimatstaat aufgrund unzureichender Behandlungsmöglichkeiten verschlimmert oder wenn der betroffene Ausländer die medizinische Versorgung aus sonstigen Umständen tatsächlich nicht erlangen kann (BVerwG, B.v. 17.8.2011 – 10 B 13/11 u.a – juris; BayVGH, U.v. 3.7.2012 – 13a B 11.30064 – juris Rn. 34). Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustands ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56).
Demnach kann hier von einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis nicht ausgegangen werden:
Abgesehen davon, dass keine Atteste oder sonstige Unterlagen im Hinblick auf den Selbstmordversuch des Antragstellers und seine Unterbringung in der Psychiatrie vorgelegt wurden, stellt die Gefahr eines erneuten Selbstmordversuchs ein ungewisses und damit nicht annähernd greifbares und konkretes Ereignis im Sinne der oben genannten Rechtsprechung dar. Zudem wäre die Suizidgefahr hier offensichtlich bereits auf die anstehende Abschiebung bzw. deren Vollzug zurückzuführen, so dass es sich um kein zielstaatsbezogenes, sondern allenfalls um ein inlandsbezogenenes Vollstreckungshindernis handeln würde, das nur von der Ausländerbehörde berücksichtigt werden kann (vgl. OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 84, 86). Gleiches gilt für die geltend gemachte mangelnde Reisefähigkeit des Antragstellers.
Im Übrigen können psychische Erkrankungen im Kosovo behandelt werden. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 9. Dezember 2015 (S. 25ff.) wird die Behandlung von psychischen Erkrankungen im öffentlichen Gesundheitssystem in neun regionalen Gesundheitszentren durchgeführt. Patienten, die einer stationären Behandlung bedürfen, werden in den vier Regionalkrankenhäusern in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie sowie in der Psychiatrischen Klinik der Universitätsklinik … behandelt. In diesen Regionalkrankenhäusern stehen ausreichende Bettenkapazitäten zur Verfügung. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus Deutschland können bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung/Traumatisierung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrerprojekts „URA II“ bzw. Eingliederungshilfen einschließlich Beratungen und psychologische Betreuung durch die Rückkehrerprojekte der NRO „… …“ oder der Arbeiterwohlfahrt in Anspruch nehmen.
Der (gerichtskostenfreie, § 83b AsylG) Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

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