Aktenzeichen AN 13a D 15.00582
BBG § 42Abs. 1 , § 46Abs. 1 , Abs. 7,§ 77Abs. 2
VwGO VwGO § 52 Nr. 4
Leitsatz
1 Kommt der Ruhestandsbeamte seiner Verpflichtung, einer angeordneten amtsärztlichen Untersuchung (§ 46 Abs. 7 BBG) im Rahmen eines Reaktivierungsverfahrens zu folgen, grob fahrlässig nicht nach, begeht er ein Dienstvergehenn nach § 77 Abs. 2 Nr. 4 BDG, das mit der Kürzung des Ruhegehalts um ein Zehntel für 24 Monate angemessen geahndet ist, wenn keine Schuldminderungsgründe vorliegen. Die Ausschöpfung der Höchstdauer der Kürzung von 30 Monaten ist nicht angemessen, weil sie keine Steigerungsmöglichkeit für weitere, vergleichbare Pflichtverletzungen lässt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Lehnt das Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz gegen die Anordnung der ärztlichen Untersuchung ab, muss der Beamte Vorkehrungen treffen, damit ihn eine Beschwerdeentscheidung des angerufenen Oberverwaltungsgerichts erreicht. Er kann sich in Diszplinarverfahren darauf berufen, er habe von der ebenfalls ablehnenden Entscheidung des OVG keine Kenntnis. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Unter Abänderung der Disziplinarverfügung der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Suhl, vom 4. Dezember 2014 und des Widerspruchsbescheides der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion … vom 26. März 2015 wird gegen den Kläger auf die Disziplinarmaßnahme der Kürzung des Ruhegehalts auf die Dauer von 24 Monaten um 1/10 erkannt.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das behördliche Disziplinarverfahren war notwendig.
Gründe
Über die zulässige Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach als örtlich zuständiges Disziplinargericht zu entscheiden (§ 45 BDG i. V. m. Art. 42 Abs. 2 Nr. 2 BayDG, § 52 Nr. 4 VwGO).
Nach § 52 Nr. 4 VwGO ist für alle Klagen aus einem gegenwärtigen oder früheren Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis und für Streitigkeiten, die sich auf die Entstehung eines solchen Verhältnisses beziehen, das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger oder Beklagte seinen dienstlichen Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Wohnsitz hat. Hat der Kläger oder Beklagte keinen dienstlichen Wohnsitz oder keinen Wohnsitz innerhalb des Zuständigkeitsbereichs der Behörde, die den ursprünglichen Verwaltungsakt erlassen hat, so ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk diese Behörde ihren Sitz hat.
Der Kläger verfügt als Ruhestandsbeamter über keinen dienstlichen Wohnsitz, so dass auf seinen privaten Wohnsitz in … abzustellen ist. Dieser befindet sich auch im Zuständigkeitsbereich der Ausgangsbehörde (…), so dass die Sonderregelung des § 52 Nr. 4 Satz 2 VwGO keine Anwendung findet.
Dies folgt aus Ziffer 7.4 der Anordnung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit über die Übertragung von Befugnissen auf dem Gebiet des Beamten-, Versorgungs- und Disziplinarrechts vom 22.7.2008 (BGBl I 2008, 1405), wonach die Befugnisse aus § 84 BDG auf die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer oder die Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agenturen für Arbeit, die Vorsitzenden der Geschäftsführung der Regionaldirektionen und die Leiterinnen und Leiter der besonderen Dienststellen, soweit sie entsprechend der Nummern 6.1 und 6.2 zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand zuständig waren, übertragen werden. Letzteres trifft für die Dienstelle des Beklagten in … zu, so dass sich die disziplinarrechtlichen Befugnisse des Vorsitzenden der Geschäftsführung der Arbeitsagentur … nach § 84 BDG auch auf den Wohnsitz des Klägers in … erstrecken.
Die Klage hat (nur) mit der Maßgabe Erfolg, dass die zeitliche Dauer der Disziplinarmaßnahme zugunsten des Klägers abgeändert wird.
Das Gericht ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass die gegen den Kläger verfügte Disziplinarmaßnahme der Kürzung der Ruhegehalts um ein Zehntel für die Dauer von 30 Monaten nicht angemessen und die Dauer der Maßnahme auf 24 Monate zu reduzieren ist. Dabei macht das Gericht von der ihm durch § 60 Abs. 3 BDG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, innerhalb der durch die Disziplinarverfügung vorgegebenen Maßnahmenobergrenze in Überprüfung der Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung eine eigene Ermessensentscheidung zur geeigneten Disziplinarmaßnahme zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.12.2005 – 2 A 4/04, juris; BayVGH, B.v. 18.10.2010 – 16a DZ 08.2916).
1. In formeller Hinsicht ist das behördliche Disziplinarverfahren nicht zu beanstanden.
Die Disziplinarbefugnis oblag dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit …, an welcher der Kläger vor seiner Ruhestandsversetzung tätig war (§§ 33 Abs. 4, 84 BDG i. V. m. mit Ziffer 7.4 der Anordnung des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit über die Übertragung von Befugnissen auf dem Gebiet des Beamten-, Versorgungs- und Disziplinarrechts vom 22.7.2008, a. a. O.).
Der Kläger wurde im Disziplinarverfahren ordnungsgemäß belehrt und angehört (§ 20 BDG). Er konnte sich gemäß § 30 BDG abschließend äußern.
Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit … durfte die gemäß § 21 BDG durchzuführenden Ermittlungen einem Ermittlungsführer übertragen (vgl. Ebert, Das aktuelle Disziplinarrecht, 4. A. 2012, Rn. 3.3.2.1).
2. Als Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist die dem Kläger in der Disziplinarverfügung zur Last gelegte Pflichtverletzung zur vollen Überzeugung der Kammer erwiesen. Das Gericht teilt als Ergebnis der mündlichen Verhandlung auch die Auffassung des Beklagten, dass das vom Kläger begangene Dienstvergehen durch eine Kürzung des Ruhegehalts zu ahnden ist.
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und unter Berücksichtigung der im Disziplinarverfahren getroffenen Feststellungen steht für die Kammer fest, dass der Kläger am 12. Dezember 2013 schuldhaft ein Dienstvergehen nach § 77 Abs. 2 Nr. 4 BDG begangen hat, als er den für diesen Tag um 11:00 Uhr beim Gesundheitsamt in … anberaumten ärztlichen Untersuchungstermin nicht wahrgenommen und damit gegen die Verpflichtung aus § 46 Abs. 7 BBG verstoßen hat.
Gemäß § 46 Abs. 1 BBG sind Beamtinnen und Beamte, die wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt wurden, verpflichtet, einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis Folge zu leisten, wenn ihnen im Dienstbereich ihres früheren Dienstherrn ein Amt ihrer früheren oder einer anderen Laufbahn mit mindestens demselben Endgrundgehalt übertragen werden soll und zu erwarten ist, dass sie den gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes genügen. Der Dienstherr ist verpflichtet, in regelmäßigen Abständen das Vorliegen der Voraussetzungen für die Dienstunfähigkeit zu überprüfen, es sei denn, nach den Umständen des Einzelfalls kommt eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nicht in Betracht.
Nach § 46 Abs. 7 BBG sind Beamtinnen und Beamte verpflichtet, sich zur Prüfung ihrer Dienstfähigkeit nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen zu lassen.
Die Beklagte hat gestützt auf § 46 Abs. 7 BBG unter dem 19. November 2013 gegenüber dem Kläger eine Untersuchungsanordnung für den 12. Dezember 2013 erlassen, welche dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers wirksam bekanntgegeben wurde. Der Kläger behauptet auch selbst nicht, die Anordnung nicht erhalten zu haben.
An der Rechtmäßigkeit der Anordnung bestehen für die Kammer keine Zweifel. Sie schließt sich der zutreffenden rechtlichen Bewertung durch das Verwaltungsgericht Meiningen (Beschluss vom 11.12.2013 – 2 EO 769/13) und des Thüringer OVG (Beschluss vom 11.12.2013 – 2 EO 769/13) an. Der Kläger kann sich insbesondere nicht darauf berufen, die Anordnung sei unzulässig gewesen, weil nach den Umständen des Einzelfalls eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nicht in Betracht gekommen sei (§ 46 Abs. 1 BBG). Wie das Verwaltungsgericht Meiningen im Beschluss vom 11. Dezember 2013 zutreffend ausführt, wurde in den Stellungnahmen des ärztlichen Dienstes der Beklagten vom … 2003, … 2004 und vom … 2005 festgestellt, dass dem Kläger eine vollschichtige Ausübung der Tätigkeit möglich und lediglich die Bewältigung des Fahrtweges bei Nutzung eines Kfz zeitlich begrenzt sei.
Im Hinblick auf diese ärztlichen Bewertungen war der Beklagte gesetzlich verpflichtet, eine Reaktivierung zu prüfen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 BBG) und berechtigt, gemäß § 46 Abs. 7 BBG eine ärztliche Untersuchung des Ruhestandsbeamten anzuordnen (vgl. auch § 29 Abs. 5 BeamtStG).
Durch die Nichtbefolgung der Anordnung nach § 46 Abs. 7 BBG hat der Kläger schuldhaft ein Dienstvergehen nach § 77 Abs. 2 Nr. 4 BBG begangen.
Er kann sich nicht darauf berufen, dass er geglaubt habe, er müsse vor Kenntniserlangung der Beschwerdeentscheidung des Thüringer OVG der Anordnung nicht Folge leisten.
Das Verwaltungsgericht Meiningen hatte mit Beschluss vom 11.12.2013 – 2 EO 769/13 den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag des Klägers auf Feststellung, der Untersuchungsanordnung vom 19. November 2013 nicht Folge leisten zu müssen, mit ausführlicher Begründung abgelehnt. Der Kläger, der von diesem Beschluss Kenntnis hatte, hätte deshalb durch entsprechende Vorkehrungen (Vereinbarungen mit seinem damaligen Bevollmächtigten) sicherstellen müssen, dass er von einer eventuell abweichenden Beschwerdeentscheidung unverzüglich nach deren Bekanntgabe an den Bevollmächtigten informiert wird. Diese wäre auch ohne weiteres rechtzeitig möglich gewesen. Ausweislich der Eintragungen im Empfangsbekenntnis erhielt der Bevollmächtigte den Beschluss des Thüringer OVG am 11. Dezember 2013 am späten Abend (21.23 Uhr) zugestellt. Selbst wenn sich der Bevollmächtigte des Klägers zu dieser Zeit entgegen der telefonisch durch das Beschwerdegericht geäußerten Bitte nicht mehr im Büro befunden habe sollte (wogegen das bestätigte Empfangsdatum „11.12.2013“ spricht), hätte am 12. Dezember 2013 vor dem Untersuchungstermin ausreichend Zeit bestanden, sich bei dem Bevollmächtigten nach dem Sachstand zu erkundigen. Dieser war – wie die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses am 12. Dezember 2013 um 8:13 Uhr zeigt – auch telefonisch erreichbar.
Dass der Kläger nach eigenen Angaben – trotz der von ihm behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen – weder über einen Festnetzanschluss noch ein Mobiltelefon verfügt, entlastet ihn nicht. Wie bereits ausgeführt hätte der Kläger durch geeignete Vorkehrungen sicherstellen müssen, dass er von der zu erwartenden Beschwerdeentscheidung umgehend in Kenntnis gesetzt wird, so z. B. durch einen Anruf aus einer Telefonzelle bei seinem Bevollmächtigten am Morgen des 12. Dezember 2013. Soweit der Kläger – weiterhin – die Auffassung vertritt, er habe selbst nicht aktiv werden müssen, ihn treffe deshalb kein Verschulden, liegt ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor, der das Verschulden des Klägers nicht entfallen lässt (vgl. GKÖD Band I., § 77 BBG Rn. 15).
Soweit der Kläger erstmals im Widerspruchsverfahren durch Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 24. November 2014 hat vortragen lassen, er sei am 12. Dezember 2013 aus gesundheitlichen Gründen überhaupt nicht in der Lage gewesen, seine Wohnung zu verlassen, führt dies zu keiner anderen rechtlichen Bewertung.
Sowohl bei der Sachverhaltsaufklärung, also bei der Frage, ob überhaupt eine Dienstpflichtverletzung vorliegt, als auch in Bezug auf bemessungsrelevante Gesichtspunkte, die nach erschöpfender gerichtlicher Sachaufklärung im Ungewissen bleiben, findet der Grundsatz Anwendung, dass im Zweifel zugunsten des Beamten zu entscheiden ist („in dubio pro reo“). Danach dürfen nur solche belastenden Umstände bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, an denen nach der gerichtlichen Überzeugung kein vernünftiger Zweifel besteht. Dies bedeutet, dass ein bemessungsrelevanter Gesichtspunkt, der die Beamtin bzw. den Beamten belastet, mit dem für sie bzw. ihn günstigsten Sachverhalt in die Gesamtwürdigung einzustellen ist, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Zum einen muss das Gericht die Möglichkeiten der Sachaufklärung erschöpft haben, ohne zu der Überzeugung zu gelangen, dass eine Sachverhaltsvariante zutrifft (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 28.2.2013 – 2 C 3/12, BVerwGE 146, 98 = NVwZ 2013, 1087 jeweils Rn. 22). Zum anderen müssen für die der Beamtin bzw. dem Beamten günstigste Variante hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte sprechen. Entlastungsgründe sind nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (vgl. BT-Drs 14/4659, 35 – zu § 3 BDG) bereits dann einzubeziehen, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen sprechen (BVerwG, U.v. 23.2.2012 – 2 C 38/10; NVwZ-RR 2012, 479, Rn. 15; zum Ganzen: BeckOK Beamtenrecht Bund/Thomas § 77 BBG, Rn. 32.1).
Eine weitere Sachverhaltsaufklärung zu der Richtigkeit der Behauptung des Klägers, er habe am 12. Dezember 2013 seine Wohnung ausgesundheitlichen Gründen nicht verlassen können, ist nicht möglich. Der Kläger hat kein ärztliches Attest vorgelegt, die seine Angaben bestätigen, insbesondere enthält das Attest von Frau Dr. med. … vom … 2014 keine Aussagen zum konkreten Gesundheitszustand des Klägers am 12. Dezember 2013.
Zur Überzeugung der Kammer bestehen auch keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte, dass der Kläger am 12. Dezember 2013 tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, seine Wohnung zu verlassen, um aus einer Telefonzelle Kontakt mit seinem Bevollmächtigten aufzunehmen und anschließend den Untersuchungstermin wahrzunehmen. Denn anderenfalls hätte der Kläger nach Wiederherstellung der Gehfähigkeit unverzüglich die Beklagte (und seinen Bevollmächtigten) über die krankheitsbedingte Nichtwahrnehmung des Untersuchungstermins informieren müssen. Die Beklagte hat den Kläger mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 aufgefordert, die Gründe für die Nichtwahrnehmung des Termins dazulegen. Hierauf hat der Kläger nicht reagiert.
Auch der späte, erstmals fast ein Jahr nach der vorgesehenen Untersuchung erfolgte Vortrag zur angeblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers am 12. Dezember 2013 spricht eindeutig gegen die Richtigkeit der Behauptung des Klägers.
Die Kammer ist deshalb zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger schuldhaft, nämlich zumindest grob fahrlässig, gegen seine Verpflichtung aus § 46 Abs. 7 BBG verstoßen hat, der Untersuchungsanordnung für den 12. Dezember 2013 nachzukommen.
Anhaltspunkte für das Vorliegen von Schuldminderungs- oder Schuldausschließungsgründen sind nicht ersichtlich.
Gemäß § 13 BDG ist die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist somit die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 – 2 C 59/07, juris Rn. 13).
Hiervon ausgehend teilt die Kammer die rechtliche Einschätzung der Disziplinarbehörde zur Erforderlichkeit einer Kürzung des Ruhegehaltes des Klägers. Auf die entsprechenden Ausführungen in der Disziplinarverfügung vom 4. Dezember 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2015 wird gemäß § BDG i. V. m. § 117 Abs. 5 VwGO Bezug genommen.
§ 77 Abs. 2 BBG, der eine erschöpfende Aufzählung derjenigen Handlungen enthält, die im Ruhestand als Dienstpflichtverletzung gelten, führt in Nr. 4 Verstöße gegen Pflichten auf, die als Nachwirkungen des aktiven Dienstes bestehen und in § 46 BBG kodifiziert sind (vgl. GKÖD, Band I, Rn. 14 zu § 77 BBG).
Die Möglichkeit, die schuldhafte Nichtbefolgung einer auf § 46 Abs. 7 BBG gestützte Untersuchungsanordnung disziplinarisch zu ahnden, wurde erstmals mit Wirkung vom 11. Juli 2013 durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Familienpflegezeit und zum flexibleren Eintritt in den Ruhestand für Beamtinnen und Beamte des Bundes vom 3. Juli 2013, BGBl I, S. 1978, geschaffen.
Ausweislich der amtliches Begründung zum Gesetzesentwurf (BT-Drs. 17/12356 vom 14.2.2013, S. 12) waren die Pflichten aus dem § 46 Abs. 4 und 7 BBG bisher nicht Teil des Katalogs nach § 77 Abs. 2 BBG und konnten demzufolge auch nicht disziplinarisch verfolgt werden. Sowohl die Teilnahme an Rehabilitationsmaßnahmen als auch die ärztliche Untersuchung zur Prüfung der Dienstfähigkeit stünden in einem sehr engen Zusammenhang zu der Pflicht, einer erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis nachzukommen, die ihrerseits disziplinarisch geahndet werden könne. Eine Nichtbefolgung dieser Pflichten führe faktisch dazu, eine erneute Berufung in das Beamtenverhältnis zu vereiteln, so dass diese Vorschrift ergänzt werde.
Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 77 Abs. 2 BBG erfolgte in der Kenntnis, dass das Bundesdisziplinargesetz gegen Ruhestandsbeamte nur die Disziplinarmaßnahmen der Kürzung und der Aberkennung des Ruhegehaltes vorsieht (§ 5 Abs. 2 BDG). Mit der Aufnahme des § 77 Abs. 2 Nr. 4 BBG hat der Gesetzgeber deshalb deutlich gemacht, dass die schuldhafte Verletzung der Pflicht zur Befolgung einer Untersuchungsanordnung ein schweres Dienstvergehen darstellt, das mit einer Kürzung des Ruhegehaltes geahndet werden kann. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht sogar bei aktiven Beamten – bei welchen eine deutlich größere Bandbreite möglicher Disziplinarmaßnahmen besteht (vgl. § 5 Abs. 1 BDG) – davon aus, dass die Missachtung einer Weisung zu einer ärztlichen Untersuchung einen gravierenden Pflichtenverstoß darstellt, der bereits eine Gehaltskürzung rechtfertigen kann (B.v. 18.10.2010 – 16a DZ 08.2916, juris Rn. 26). Dies muss nach dem oben Gesagten erst Recht für Ruhestandsbeamte gelten, die sich einer solchen Untersuchungsanordnung im Rahmen eines Reaktivierungsverfahrens widersetzen.
Das von dem Kläger begangene Dienstvergehen rechtfertigt und gebietet eine spürbare Pflichtenmahnung in Form der Kürzung des Ruhegehalts gemäß § 11 BDG.
Diese Bestimmung ermöglicht die Kürzung um höchstens ein Fünftel auf längstens drei Jahre.
Während für die Festlegung des – das monatlich verfügbare Einkommen mindernden – Kürzungsbruchteils ausschließlich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten maßgebend sind, wird die Dauer der Ruhegehaltskürzung durch die nach den Kriterien des § 13 Abs. 1 BDG einzuschätzenden Schwere des Dienstvergehens bestimmt (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2001 – 1 D 29/00, NVwZ-RR 2001, 768 m. w. Nachw.).
Die Rechtsprechung legt im Interesse einer einheitlichen und praktikablen Rechtsanwendung bei durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Beamten als Kürzungsquote einen Regelkürzungssatz zugrunde. Das BVerwG hat mit Urteil vom 21. März 2001, a. a. O., wegen der nicht proportionalen Auswirkungen dieses Einheitssatzes im Verhältnis zur Disziplinarmaßnahme der Degradierung (Zurückstufung) und zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein nach den Laufbahngruppen abgestuftes System von Regelkürzungssätzen entwickelt. Danach ist regelmäßig der Kürzungsbruchteil bei Beamten des einfachen Dienstes auf ein Fünfundzwanzigstel, bei Beamten des mittleren Dienstes auf ein Zwanzigstel und bei Beamten des gehobenen und höheren Dienstes bis einschließlich Besoldungsgruppe A 16 auf ein Zehntel festzusetzen. An dieser Rechtsprechung hat das BVerwG auch nach Inkrafttreten des Bundesdisziplinargesetzes festgehalten (vgl. BVerwG, U.v. 14.02.2007 – 1 D 12/05, juris).
Die Regelkürzungssätze entbinden Behörde oder Gericht nicht von der Pflicht, im Rahmen der Ermessensentscheidung (vgl. § 13 Abs. 1 S. 1 BDG) den Umständen des Einzelfalls im Zeitpunkt der Entscheidung gerecht zu werden und eine geringere oder höhere Quote festzusetzen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die wirtschaftliche Situation des Beamten erheblich von der unterstellten durchschnittlichen finanziellen Leistungsfähigkeit abweicht. Der Alimentationsgrundsatz (Art. 33 Abs. 5 GG) verbietet es dabei, die individuelle Kürzungsquote so hoch anzusetzen, dass der Beamte und unterhaltsberechtigte Familienmitglieder in eine unzumutbare Notlage geraten würden. Die Vermögensverhältnisse sind, wenn sie nicht aktenkundig sind, nach Maßgabe der §§ 20 Abs. 1 S. 3, 21 Abs. 1 S. 1 u. 2 BDG zu ermitteln. Es besteht eine Obliegenheit des Beamten, auf außergewöhnliche Belastungen (z. B. durch Schulden, Unterhaltsverpflichtungen, Ausbildungskosten, Krankheitskosten, finanzielle Folgen der Verurteilung in einem sachgleichen Strafverfahren) oder besonders günstige finanzielle Verhältnisse hinzuweisen Bei der Bestimmung der Kürzungsquote sind dagegen die Pfändungsgrenzen nicht zu beachten, da die Minderung des Einkommens nicht einer Pfändung gleichsteht und eine ihre Berücksichtigung anordnende ausdrückliche Regelung fehlt (zum Ganzen: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 1. Auflage 2011, Rn. 6 f. zu § 8).
Hiervon ausgehend ist vorliegend der gebotenen Kürzung des Ruhegehalts der Regelkürzungssatz von ein Zehntel für Beamte des gehobenen Dienstes zugrunde zu legen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers gebieten keine Reduzierung des Kürzungssatzes.
Der Kläger verfügt ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Entgeltabrechnung vom 19. Januar 2016 über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.365,16 EUR. Trotz gerichtlicher Aufforderung hat der Kläger die Höhe seiner monatlichen Belastungen nicht offengelegt.
Es ist deshalb davon auszugehen, dass keine außergewöhnlicher finanziellen Belastungen vorliegen, die ein Abweichen vom Regelkürzungssatz rechtfertigen würden und der Alimentationsgrundsatz bei einem Kürzungssatz von ein Zehntel gewahrt wird.
Für die Bestimmung der Kürzungsdauer sind wie auch sonst bei der Maßnahmebemessung gem. § 13 Abs. 1 BDG die Schwere des Dienstvergehens, das Persönlichkeitsbild des Beamten sowie die Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt voraus, dass diese Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht letztlich auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot). Danach muss die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 14.02.2007 – 1 D 12/05, juris, unter Bezugnahme auf BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 2 C 12/04, NVwZ 2006, 469). Die vorgenannten Kriterien eröffnen für die zu treffende Ermessensentscheidung über die Kürzungsdauer beträchtliche Wertungsspielräume, zumal in die Entscheidung auch das durch das Dienstvergehen zutage getretene Erziehungsbedürfnis und die „Erziehungsempfindlichkeit“ des Beamten eingestellt werden müssen (vgl. BVerwG, U.v. 7.12.1983 – 1 D 51/83, ZBR 1984, 276). Die Höchstdauer von drei Jahren ermöglicht eine flexible, tat- und schuldangemessene Reaktion auf Pflichtverletzungen, die nach dem Steigerungsgrundsatz auch zur wiederholten Anwendung dieser Maßnahme und zur Ausschöpfung des zeitlichen Höchstrahmens führen kann und sollte (vgl. BVerwG, DokBer. 1989, 21, 27 f.; 1989, 79; 1993, 91; zum Ganzen: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, a. a. O., Rn. 9 zu § 8 BDG).
Hiervon ausgehend ist die von der Beklagten verfügte Dauer der Kürzung des Ruhegehaltes von 30 Monaten auf 24 Monaten zu reduzieren.
Die Kammer ist zum einen der Überzeugung, dass das vom Kläger begangene Dienstvergehen eine (finanziell) deutlich spürbare Pflichtenmahnung erforderlich macht. Um den Steigerungsgrundsatz bei einer eventuellen weiteren, vergleichbaren Dienstpflichtverletzung des Klägers Rechnung tragen zu können (Ausschöpfung des zeitlichen Höchstrahmens des § 11 BDG) war jedoch eine Reduzierung der Dauer der Kürzung des Ruhegehalts auf 24 Monate geboten.
Hierdurch wird auch dem Schuldprinzip und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen.
Eine weitere Reduzierung des Kürzungszeitraums im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachte lange Dauer des behördlichen Disziplinarverfahrens war nicht geboten.
Zwar nahm das behördliche Disziplinarverfahren einen Zeitraum von knapp 10 Monaten in Anspruch, während § 62 Abs. 1 BDG davon ausgeht, das ein Disziplinarverfahren innerhalb von sechs Monaten seit der Einleitung abgeschlossen wird.
Die Überschreitung ist jedoch als geringfügig anzusehen, zumal dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers antragsgemäß eine Verlängerung der Frist zur Abgabe der ersten Stellungnahme bis zum 16. Mai 2014 und der abschließenden Stellungnahme um zwei Wochen bis zum 24. November 2014 eingeräumt wurde.
Bei der Entscheidung über die disziplinarrechtlich gebotene Pflichtenmahnung des Klägers hat auch die Kammer zu dessen Gunsten berücksichtigt, dass der Kläger bisher weder disziplinarrechtlich noch strafrechtlich in Erscheinung getreten ist.
Die Disziplinarverfügung vom 4. Dezember 2014 erweist sich damit in dem – wie tenoriert – abgeänderten Umfang als rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG, § 78 Satz 2 BDG i. V. m. § 155 Abs. 1 Satz 2 VwGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das behördliche Disziplinarverfahren war antragsgemäß für notwendig zu erklären (§ 70 Abs. 4 BDG i. V. m. §§ 44 Abs. 4 und 37 Abs. 4 BDG; vgl. BVerwG, B.v. 28.4.2011 – 2 A 5/09, juris und VGH Mannheim, B.v. 28.1.2013 – DB 13 S 2055/12).