Verwaltungsrecht

Aberglaube begründet keine asylrelevanten Verfolgungs- oder Gefährdungsatbestände

Aktenzeichen  Au 4 S 16.30068

Datum:
2.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3, § 4
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG GG Art. 16a

 

Leitsatz

Im Bereich des Aberglaubens wurzelnde Bedrohungen stellen keine asylrelevanten Verfolgungs- bzw. Gefährdungstatbestände dar (ebenso VG München BeckRS 2014, 53885). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begeht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen eine Abschiebungsandrohung in einem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt).
Der am 10. Januar … in …/Sierra-Leone geborene Antragsteller, Staatsangehöriger Sierra-Leones, reiste, nachdem er sich zuvor in Italien aufgehalten hatte, am 5. Dezember 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 2. Januar 2013 einen Asylantrag.
Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 25. Juni 2015 trug der Antragsteller zu seinem Reiseweg zunächst vor, mit dem Flugzeug Sierra-Leone verlassen zu haben, irgendwo zwischengelandet und anschließend nach Deutschland, vermutlich zum Flughafen München, weitergeflogen zu sein. Auf Nachfrage des Bundesamts räumte er ein, er sei nach Italien geflogen, wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden und befragt worden sei, warum er sein Heimatland verlassen habe. Eine weiße Frau habe ihn und seinen Schleuser mit dem Auto über Österreich nach München gebracht. In Sierra-Leone sei er bei einem Herrn … aufgewachsen, dessen Kuhherde er gehütet habe. Als Lohn habe er im Lauf der Jahre fünf Kühe erhalten. Als sein Ziehvater … 2011 gestorben sei, sei dessen älterer Bruder … als neuer Besitzer der Herde zu ihm gekommen. Dieser sei ein mächtiger und böser Mann, der auch über spirituelle Fähigkeiten verfüge. Er habe den Antragsteller schlecht behandelt. Der Antragsteller habe befürchtet, dass er ihn mit einem Zauber belege. In Sierra-Leone sei der Antragsteller ganz allein und wisse nicht, wie er zu Recht kommen solle. Er habe dort keine Lebenschance. Wegen des weiteren Inhalts der Anhörung des Antragstellers wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift verwiesen.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2016, zur Post gegeben am 13. Januar 2016, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1). Ferner lehnte es den Antrag auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziffer 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Sierra-Leone bzw. in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5). In Ziffer 6 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Am 22. Januar 2015 ließ der Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben (Au 4 K 16.30067). Zugleich beantragte er gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass und weshalb im vorliegenden Fall eine Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet nicht gerechtfertigt sei. Eine Einzelfallprüfung sei vom Bundesamt nicht vorgenommen worden. Dies gelte sowohl hinsichtlich des Vorbringens des Antragstellers, von Zauberei bedroht zu sein, als auch hinsichtlich des von Bundesamt beanstandeten widersprüchlichen Vortrags zu seiner Einreise. Zudem bestünden Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller hilfsweise subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bzw. Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AsylG zu gewähren sei. Der Antragsteller sei vor seiner Ausreise aus Sierra-Leone nicht in der Lage gewesen, für seinen Unterhalt zu sorgen und werde es auch künftig nicht sein. Der Antragsteller gehöre zu einem traditionellen nomadischen Stamm. Bei Nomaden bestehe grundsätzlich das Problem, dass sie von ihrem Stamm verstoßen würden, wenn sie ihn verließen. Der Antragsteller könne nicht dorthin zurückkehren. Zudem bestehe ausweislich aktueller Presseberichte in Sierra-Leone nach wie vor die Gefahr einer Ebola-Infektion. Auf den Schriftsatz der Bevollmächtigten des Antragstellers vom 22. Januar 2016 wird im Einzelnen Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin übermittelte mit Schreiben vom 16. Januar 2016 vorab die Behördenakten, äußerte sich aber in der Sache nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die Akten des Bundesamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des angegriffenen Bescheides, die gemäß § 75 Satz 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung entfaltet, hat keinen Erfolg. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG.
Bei der Überprüfung der Abschiebungsandrohung ist eine über die bloße summarische Prüfung hinausgehende erschöpfende – wenn auch nur für das Eilverfahren verbindliche – Prüfung vorzunehmen, ob das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 25.4.1994 – 2 BvR 2002/93 – juris). Allein diese Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes stellt sicher, dass lediglich derjenige Asylbewerber in Befolgung der ihm vom Bundesamt mitgeteilten Ausreisepflicht das Bundesgebiet verlassen muss, dem das sich aus Art. 16 a Abs. 1 GG in Verbindung mit § 55 Abs. 1 AsylG ergebende vorläufige Bleiberecht – auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung – tatsächlich nicht mehr zusteht und bei dem es daher verantwortet werden kann, ihn das Hauptsacheverfahren ohne weitere persönliche Anwesenheit im Inland betreiben zu lassen. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt nichts anderes.
Die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet kann vor Gericht nur dann Bestand haben, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Auffassung die Abweisung des Begehrens sich dem Gericht geradezu aufdrängt. Aus den Gründen des Bescheides muss sich dabei klar ergeben, weshalb das Bundesamt zu dem Ergebnis kommt, dass der Asylantrag nicht nur schlicht, sondern offensichtlich unbegründet ist und auch, warum keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen (vgl. BVerfG vom 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris m. w. N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Hinsichtlich der gestellten Klageanträge ist zunächst zu bemerken, dass der Antragsteller diejenigen Ziffern des streitgegenständlichen Bescheids, die sich auf die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags beziehen (Ziffern 1 und 2; Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Asylanerkennung) gerade nicht angegriffen hat; der Klageantrag I. bezieht sich ausdrücklich und eindeutig nur auf die Ziffern 3 bis 6 des Bescheids. Die Klage macht daher lediglich Ansprüche auf subsidiären Schutz (§ 4 AsylG), hilfsweise Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geltend (Klageantrag II.).
Ziffern 1 und 2 des Bescheids sind damit, nachdem mittlerweile diesbezüglich die einwöchige Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 Halbs. 2 i. V. m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG verstrichen ist, bestandskräftig geworden (vgl. VG München, B.v. 8.1.2008 – M 2 S 07.60196 – juris Rn. 14; VG Augsburg, B.v. 13.8.2013 – Au 7 S 13.30242 – juris Rn. 18 [zu einer Rücknahme der Klage gegen die entsprechenden Ziffern des Bescheids des Bundesamts]).
Aber auch wenn angenommen wird, dass der Antragsteller gleichwohl das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts noch gerichtlich überprüfen lassen kann, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Das Gericht nimmt zunächst gem. § 77 Abs. 2 AsylG auf die Feststellungen und Begründung des streitgegenständlichen Bescheids Bezug.
Ergänzend gilt folgendes: Es ist im Sinne von § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich, dass die vom Antragsteller – ohnehin nur völlig vage – angeführte Befürchtung, der Bruder seines Ziehvaters werde ihn mit einem Zauber belegen, nicht zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen können. Dies ist derart offenkundig, dass die vom Antragsteller vermisste Einzelfallprüfung nicht angezeigt war, zumal der Antragsteller zwar die Umstände näher erläutert, weshalb er sich durch den Einsatz des von ihm befürchteten Zaubers in Sierra-Leone gefährdet, in Europa aber sicher fühlt, jedoch nicht aufzeigt, weshalb diese Einzelfallprüfung dazu führen müsste, dass eine Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch nur denkbar wäre.
Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt letztlich lediglich private Schwierigkeiten mit dem Bruder seines verstorbenen Ziehvaters angeführt. Dies stellt offenkundig weder eine politische Verfolgung nach Art. 16a GG dar noch sind die Voraussetzungen der §§ 3 ff. AsylG erfüllt. Verfolgungsgründe gem. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG sind nicht dargetan. Ebenso wenig handelt es sich um einen nach § 3c AsylG beachtlichen Akteur; insbesondere ist nichts für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 3c Nr. 3 AsylG erkennbar. Hieran ändert nichts, dass der Antragsteller persönlich eine Bedrohung durch den von ihm befürchteten Zauber für beachtlich hält. Zu Recht hat daher der streitgegenständliche Bescheid auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München Bezug genommen, wonach im Bereich des Aberglaubens wurzelnde Bedrohungen keine asylrelevanten Verfolgungs- bzw. Gefährdungstatbestände darstellen (VG München, B.v. 14.5.2014 – M 21 S 14.30667 – juris Rn. 17).
Im Übrigen hat sich ausweislich des Vorbringens des Antragstellers vor dem Bundesamt bezüglich der Auseinandersetzungen über das Eigentum an den Kühen des Antragstellers bereits eine Lösung abgezeichnet. Dass die gleichwohl bestehende Angst des Antragstellers vor dem Bruder seines Ziehvaters offensichtlich nicht die Asylanerkennung und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt, bedarf keiner näheren Darlegung.
Das Bundesamt hat in Bezug auf das Offensichtlichkeitsurteil ferner zu Recht darauf abgestellt, dass der Antragsteller zu seinem Reiseweg widersprüchliche Angaben gemacht hat und im Laufe seiner Anhörung einräumen musste, dass seine ursprünglichen Angaben offenkundig nicht den Tatsachen entsprechen. Der Antragsteller hat zunächst angegeben, direkt von Sierra-Leone mit dem Flugzeug nach Deutschland gereist zu sein. Die vom Antragsteller angeführte Zwischenlandung stellt die Annahme eines Direktflugs nicht in Frage, da ein direkter Flug ohne Zwischenlandung üblicherweise als „Nonstop“-Flug bezeichnet wird. Am Ende seiner Anhörung hat der Antragsteller auf wiederholtes Nachfragen des Bundesamts zugestanden, nach Italien geflogen und anschließend mit dem Auto nach Deutschland gereist zu sein. Zugunsten des Antragstellers ergibt sich nichts aus seinem Vortrag, auf Vorhalte hin habe er sofort seine Aussagen korrigiert. Dies trifft ausweislich der Anhörungsniederschrift nicht zu. Vielmehr hat der Antragsteller erst dann seinen Reiseweg über Italien eingeräumt, als ihm dieser seitens des Bundesamts mit konkreten Daten vorgehalten wurde und der Antragsteller dies letztlich nur noch bestätigen konnte. Zuvor hatte der Antragsteller trotz mehrerer Fragen diesbezüglich ausweichend oder unwahr geantwortet.
Insofern kommt es auch nicht auf den Vortrag des Antragstellers an, er habe angesichts des Zeitraums zwischen Asylantragstellung und Anhörung durch das Bundesamt nicht mehr zwischen Asylantragstellung (in Italien) und erkennungsdienstlicher Behandlung differenzieren können. Der Reiseweg und die Stellung eines Asylantrags in einem anderen Land sind für die Beurteilung eines in Deutschland gestellten Asylantrags derart wesentlich (vgl. § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylG) und zudem derart wesentliche tatsächliche Ereignisse, dass vom Antragsteller erwartet werden kann und muss, hierzu von sich aus beim Bundesamt – auch nach längerer Zeit – wahre Angaben zu machen. Bei einer solchen Sachlage, in der der Antragsteller zunächst offenbar bewusst einen unzutreffenden, von den Tatsachen in entscheidenden Punkten abweichenden Reiseweg angegeben hat und auf hartnäckige Nachfragen die Unwahrheit dieser Schilderung einräumen musste, kann der Antragsteller nicht verlangen, dass dieser unwahre Vortrag nur zu einer „einfachen“ Bewertung seines Vorbringens als unglaubwürdig führt.
Auch ein Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG besteht für den Antragsteller nicht. Die Angaben des Antragstellers zur der – befürchteten – Bedrohung durch den Bruder seines Ziehvaters reichen nicht im Ansatz für die Annahme, dass dem Antragsteller eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bei einer Rückkehr nach Sierra Leone droht. Auch im Übrigen bestehen nach gegenwärtiger Auskunftslage keine stichhaltigen Gründe dafür, dass dem Antragsteller in Sierra Leone ein ernsthafter Schaden droht, zumal dort seit Ende des Bürgerkriegs im Jahre 2002 stabiler Frieden herrscht. Somit droht dem Kläger auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG). Im Übrigen wird hinsichtlich der Voraussetzungen des § 4 AsylG auf den streitgegenständlichen Bescheid gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen.
Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG bestehen ebenfalls nicht. Auch insoweit nimmt das Gericht zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid gem. § 77 Abs. 2 AsylG Bezug. Das Gericht vermag dem Vortrag des Antragstellers nicht zu folgen, er sei nicht in der Lage, künftig in Sierra-Leone für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Den Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (S. 7) ist beizutreten, dass der Antragsteller gesund und arbeitsfähig ist. Der Antragsteller hat vor dem Bundesamt vorgebracht, in Deutschland arbeiten zu wollen. Er leistet derzeit ein betriebliches Praktikum ab, welches ausweislich des von ihm vorgelegten Praktikumsvertrags die Mitarbeit auf Baustellen im Tiefbau bei einer Wochenarbeitszeit von 41 Stunden umfasst. Daher ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller nicht auch in Sierra-Leone eine Arbeit finden und dadurch seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte. Nicht durchdringen kann der Antragsteller auch mit seinem Vortrag, er könne nicht mehr zu seinem Stamm zurückkehren, weil dieser ihn wegen seiner Flucht verstoßen habe. Der Antragsteller hat selbst angeführt, in den letzten zweieinhalb Jahren in Deutschland viele Freunde gefunden zu haben. Dem entspricht es, dass in der vom Antragsteller vorgelegten Bescheinigung des (schulischen) Leistungsstandes sein Verhalten in der Klassengemeinschaft bestmöglich bewertet worden ist („integrativ und hilfsbereit“). Daher ist davon auszugehen, dass der Antragsteller, selbst wenn er in Sierra-Leone nicht zu seinem früheren Stamm zurückkehren könnte, ohne weiteres wieder ein soziales Umfeld finden würde. Auch vor seiner Reise aus Sierra-Leone hat er im Übrigen, nach dem Tod seines Ziehvaters und dem Entstehen der Probleme mit dessen Bruder, Kontakt zu einer Person gesucht, die ihn bei der Lösung dieser Probleme unterstützt hat. Insgesamt betrachtet ist der Antragsteller damit offenbar auch in ungewohnten Situationen in der Lage, sich zu Recht zu finden, Kontakte zu knüpfen oder zu aktvieren und sein Leben zu organisieren. Im Rahmen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 beachtliche Gefahren sind daher in Bezug auf die Lebenssituation des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Sierra-Leone nicht erkennbar.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ergibt sich auch nicht aus den vom Antragsteller angeführten, allgemein – bislang zwei – bekannten neuen Ebola-Fällen in Sierra-Leone. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (in verfassungskonformer Auslegung, solange und soweit eine politische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 2 AufenthG fehlt) wurden vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof selbst zu dem Zeitpunkt verneint, in dem die Ebola-Epidemie noch grassierte (BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.30457 – juris Rn. 10 ff.). In der derzeitigen Situation, in der – nachdem Sierra-Leone zwischenzeitlich am 7. November 2015 für Ebolafrei erklärt wurde – (erst) zwei neue Fälle bekannt sind und sofortige Maßnahmen ergriffen wurden, gilt dies erst recht.
Der streitgegenständliche Bescheid begegnet auch insoweit keinen ernstlichen Zweifeln als in Ziffer 6 das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet wurde. Auf die Ausführungen des Bescheides wird insoweit ebenfalls Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Eine fehlerhafte Ermessensausübung hinsichtlich der gesetzten Frist, die in der Mitte des in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG geregelten Rahmens von fünf Jahren angesiedelt ist, ist nicht ersichtlich. Die vom Antragsteller angeführten Integrationsleistungen führen nicht zu einer Ermessensfehlerhaftigkeit. In der Sache geht es dem Antragsteller offenbar darum, wegen dieser Leistungen bereits eine Ausreise bzw. Abschiebung zu vermeiden. Dieses Begehren ist jedoch nicht über die Vorschriften des § 11 Abs. 2, Abs. 3 AufenthG zu verfolgen. Auch für eine Ermessensreduzierung dahin gehend, dass die Frist auf „Null“ festzusetzen wäre, ist weder etwas ersichtlich, noch entspräche dies dem Willen des Gesetzgebers.
Nach allem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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