Aktenzeichen L 7 AS 28/16 B PKH
SGG SGG § 73a, § 86a, § 86b
ZPO ZPO § 114
Leitsatz
1. In Eilverfahren ist grundsätzlich auf das erzielte Einkommen ohne Berücksichtigung von Freibeträgen abzustellen im Hinblick auf die Beurteilung, ob eine aktuelle Notlage gegeben ist. (amtlicher Leitsatz)
2. Muss im Rahmen des Eilverfahrens noch geklärt werden, ob das Einkommen ohne Berücksichtigung der Freibeträge dem Leistungsberechtigten tatsächlich als bereite Mittel zur Verfügung steht ist für das Eilverfahren grundsätzlich Prozesskostenhilfe zu gewähren. (amtlicher Leitsatz)
3 Im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes kann ein Anordnungsgrund nur verneint werden, wenn erzieltes Einkommen tatsächlich zufließt, mithin als bereite Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht. Die Freibetragsregelungen des SGB II sind bei dieser prozessualen Betrachtung nicht anzuwenden. (red. LS Andreas Hofmann)
Tenor
Auf die die Beschwerde der Antragsteller und Beschwerdeführer zu 1) bis 3) wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 3. Dezember 2015 aufgehoben, den Antragstellern und Beschwerdeführern zu 1) bis 3) Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Verfahren S 15 AS 1111/15 ER bewilligt und Rechtsanwalt E., A-Stadt, beigeordnet.
Gründe
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) zu 1) bis 3) begehren Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren S 15 AS 1111/15 ER im einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Augsburg (SG), das sich dort bereits erledigt hat.
Die Bf zu 1) erhielt zusammen mit ihrem im Jahr 2005 geborenen Sohn, dem Bf zu 3), zuletzt aufgrund des Bewilligungsbescheides des Antragsgegners (Ag) vom 23.02.2015 Leistungen bis August 2015. Beim Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab 01.09.2015 teilte die Bf zu 1) dem Ag bei Neuantragsstellung Ende Juli 2015 mit, dass sie inzwischen vom Bf zu 2) schwanger sei und dieser auch in die gemeinsame Wohnung der Bf zu 1) und des Bf zu 3) eingezogen sei. Weiter übermittelte die Bf zu 1) dem Ag Unterlagen, wonach der Bf zu 2) in Litauen eine Eigentumswohnung habe, die aber wertlos sei. Die Unterlagen in lettischer Sprache könnten nicht in einer offiziellen Übersetzung vorgelegt werden, da eine Anfrage bei einem Übersetzungsbüro voraussichtliche Kosten in Höhe von ca. 300 Euro ergeben hätten, was die Bedarfsgemeinschaft aktuell nicht aufbringen könne.
Am 12.10.2015 stellten die Bf Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG sowie Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren und Beiordnung von Rechtsanwalt E., A-Stadt. Leistungen aufgrund ihres Weiterbewilligungsantrags für die Zeit ab 01.09.2015 seien bislang nicht erbracht.
Die Bf begründeten ihren Antrag damit, das monatliche schwankende Nettoeinkommen des Bf in Höhe von ca. 1.338,- € (brutto 1.740,- €) decke den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus dem Bf zu 1) bis 3), nicht ab. Nach Abzug aller Freibeträge verblieben lediglich 860,- €. Die Immobilie sei nicht verwertbar. Die schwangere Bf zu 1) benötige im Übrigen Krankenversicherungsschutz.
Gegenüber dem SG nahm der Ag mit Schreiben vom 19.10.2015 dahingehend Stellung, dass über den Fortzahlungsantrag ab September 2015 noch nicht habe entschieden werden können, da Unterlagen fehlten. Aktuell fehlte insbesondere die unterschriebene und vollständig ausgefüllte Anlage VM sowie Verdienstbescheinigungen des Bf zu 2).
Mit Bescheid vom 05.11.2015 bewilligte der Ag den Bf für den Zeitraum vom 01.09.2015 bis 29.02.2016 – wegen des schwankenden Monatseinkommens des Bf zu 2) vorläufig – Leistungen nach dem SGB II, nachdem aus Sicht des Bg inzwischen geklärt war, dass die Eigentumswohnung nichts wert sei. Die Bf zu 1) erhielt für September 2015 100,93 Euro, der Bf zu 2) 90,65 Euro und der Bf zu 3) 11,88 Euro.
Mit Schreiben vom 27.11.2015 erklärten die Bf das Eilverfahren für erledigt und stellten den Antrag, die Kosten des Verfahrens dem Bg aufzuerlegen.
Mit bestandskräftigem Beschluss vom 03.12.2015 entschied das SG, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. Dem Antrag auf Gewährung von gerichtlichem Eilschutz habe von Anfang an der Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit gefehlt.
Der Bedarf der Bf zu 1) bis 3) habe monatlich 1.578,33 € betragen. Dieser Bedarf sei durch das Gesamteinkommen in Höhe von 1.714,- € abgedeckt gewesen, nämlich das Nettoeinkommen des Bf zu 2) in Höhe von 1.338,- € und für den Bf zu 3) 192,- € Unterhaltsvorschuss und 184,- € Kindergeld. Einkommmensfreibeträge seien nach der Rechtsprechung im Eilverfahren nicht zu berücksichtigen.
Die Argumentation, dass die Bf zu 1 und zu 3) teilweise nicht krankenversichert gewesen seien, habe ebenfalls nicht zur Eilbedürftigkeit geführt. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V seien Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hätten und zuletzt gesetzlich krankenversichert gewesen seien, kraft Gesetzes in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Die Bf zu 1) habe trotz fehlender Weiterbewilligung weiterhin über Krankenversicherungsschutz verfügt (LSG NRW, Beschluss vom 15.05.2014, Az.: L 2 AS 775/13 B ER).
Den gleichzeitig mit dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellten Antrag auf PKH vom 12.10.2015 lehnte das SG mit weiterem Beschluss vom 03.12.2015 mit derselben Begründung ab.
Gegen den Beschluss des SG vom 3. Dezember 2015, mit dem der Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt wurde, haben die Bf zu 1) bis 3) Beschwerde zum BayLSG eingelegt.
Zu Unrecht habe das SG im Rahmen eines Eilrechtsverfahrens Einkommensfreibeträge nicht berücksichtigt mit der Folge, dass das Nettoeinkommen des Bf zu 2) mit 1.338,- € angesetzt und es damit aus Sicht des SG zur Bedarfsdeckung gekommen sei. Zum anderen sei es den Bf zu 1) und zu 3) nicht zuzumuten gewesen, die Beiträge nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V i. V. m. 250 Abs. 2 SGB V allein zu tragen und sich gegenüber der Krankenkasse auf § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V zu berufen. Der krankenversicherungsrechtliche Status habe sofort geklärt werden müssen.
Der Ag hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Den Bf zu 1) bis 3) ist für das Eilverfahren vor dem SG nachträglich Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen und antragsgemäß Rechtsanwalt E., A-Stadt, beizuordnen.
Die Bf zu 1) bis 3) sind vermögenslos. Das Einkommen des Bf zu 2) ist so niedrig, dass die Bedarfsgemeinschaft Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat, so dass im Ergebnis auch wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse der Bf zu 1) bis 3) für die Gewährung von Prozesskostenhilfe erfüllt sind.
Soweit das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH mit der Begründung abgelehnt hat, dass der Bedarfsgemeinschaft bedarfsdeckendes Einkommen zur Verfügung gestanden habe, da im Rahmen des Eilrechtschutzes Einkommensfreibeträge nicht zu berücksichtigen seien, greift dies zu kurz. Vielmehr kommt es im Eilverfahren darauf an, was der Bedarfsgemeinschaft momentan tatsächlich an bereiten Mitteln zur Verfügung steht. Dies hätte im Rahmen des Eilverfahrens geklärt werden müssen, so dass hinreichende Erfolgsaussichten nicht von Anfang an verneint werden konnten.
Auf die Frage des Krankenversicherungsschutzes und die Frage der Klärung des Wertes der Eigentumswohnung kommt es daher nicht weiter an.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist für die Beteiligten unanfechtbar, § 73a Sozialgerichtsgesetz i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung.