Verwaltungsrecht

Vorsitzendenentscheidung, Zweitbescheid, Ersatzvornahme, Duldungsanordnung, Unmittelbarer Zwang

Aktenzeichen  M 32 S 20.402

Datum:
31.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49648
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 8
SchfHwG § 25 Abs. 4, § 1 Abs. 4 S. 2
VwZVG Art. 21a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf Euro 250,00 festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Januar 2020.
Sie ist zusammen mit Herrn M.H. Eigentümerin des Anwesens A. G., I.
Mit bestandskräftig gewordenem Feuerstättenbescheid des zuständigen Bezirkskaminkehrermeisters vom 25. Juli 2014 wurde die Antragstellerin verpflichtet, in dem von ihr bewohnten Anwesen in regelmäßigen Abständen verschiedene Kehr- und Überprüfungsarbeiten vornehmen zu lassen und die fristgerechte Durchführung der Arbeiten innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach dem letzten Tag, bis zu dem die Schornsteinfegerarbeiten gemäß der Festsetzung spätestens durchzuführen waren, nachzuweisen.
Am 16. Mai 2019 teilte der zuständige Kaminkehrermeister dem Landratsamt mit, dass die Antragstellerin beim letzten Kehrversuch mitgeteilt habe, sie habe einen anderen Kaminkehrer. Mit Schreiben vom 17. Mai 2019 forderte das Landratsamt die Antragstellerin auf, bis zum 28. Mai 2019 eine schriftliche Bestätigung über die Terminvereinbarung für die fachgerechte Reinigung und Überprüfung vorzulegen. Andernfalls werde ein kostenpflichtiger Bescheid erlassen werden.
Mit Zweitbescheid vom 27. Juni 2019 wurde die Antragstellerin verpflichtet, im einzelnen bezeichnete Arbeiten bis spätestens 26. Juli 2019 durchführen zu lassen und bis spätestens 9. August 2019 die ordnungsgemäße Durchführung der Arbeiten mittels eines Formblattes nachzuweisen. Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage des Formblatts wurde der Antragstellerin die Ersatzvornahme für die genannten Arbeiten für den 13. August 2019 angedroht. Der Kostenbetrag der Ersatzvornahme wurde vorläufig veranschlagt. Weiterhin wurde für die Ersatzvornahme angeordnet, dass die Antragstellerin den Zutritt zu den Anlagen zu gestatten und die Durchführung der Arbeiten zu dulden hat. Für den Fall der Zutrittsverweigerung und der Weigerung, die Arbeiten durchführen zu lassen, wurde unmittelbarer Zwang angedroht.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2019 wurde die Antragstellerin verpflichtet, den Zugang zu ihrem Grundstück und zu den betroffenen Räumen bis spätestens zum 26. Juli 2019 zu gestatten, andernfalls werde unmittelbarer Zwang für den 13. August 2019 angedroht. Die für die Durchführung anfallenden Kosten wurden vorläufig beziffert.
Die Antragstellerin lehnte die Durchführung der Kehrarbeiten ab und erhob Klage gegen den Bescheid vom 28. Juni 2019. Seit Klageerhebung ersuchte der als Bevollmächtigter handelnde Herr H.U. das Gericht wiederholt aus Krankheitsgründen um Verlängerung der Klagebegründungsfrist, zuletzt bis 31. Januar 2020. Die angeordneten Arbeiten ließen seine Frau und er nicht durchführen.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2020 drohte das Landratsamt mangels Nachweis der ordnungsgemäßen Durchführung der in Nr. 2 des Bescheids vom 27. Juni 2019 angeordneten Arbeiten die Vornahme der Arbeiten im Wege der Ersatzvornahme durch den zuständigen Bezirksschornsteinfeger für den 31. Januar 2010 an (Nr. 2 des Bescheids). Die für den Fall der Durchführung der Ersatzvornahme anfallenden Kosen wurden beziffert (Nr. 3 des Bescheids). Für den Fall der Durchführung der angeordneten Arbeiten im Weg der Ersatzvornahme wurden die Antragstellerin, der Miteigentümer M.H. und Herr J. E.U. (alias H.U.) zur Zutrittsgestattung und zur Duldung der Arbeiten verpflichtet. Es wurde angeordnet, dass das Anwesen bzw. die Räumlichkeiten am 31. Januar 2020 ab 9 Uhr zugänglich zu halten sind (Nr. 4 des Bescheids). Für den Fall der Zutrittsverweigerung und/oder der Weigerung, die angeordneten Arbeiten durchführen zu lassen, wurde zur Durchsetzung der Ersatzvornahme unmittelbarer Zwang angedroht. (Nr. 5 des Bescheids). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Kehrarbeiten seien nunmehr zur Sicherheit des Gebäudes und der Bewohner unverzüglich durchzuführen; ein weiteres Abwarten sei nicht mehr vertretbar.
Gegen diesen Bescheid wurde am 30. Januar 2020 um 11.52 Uhr von Herrn H.U. für die Antragstellerin Klage erhoben und um 15.19 Uhr beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragte telefonisch, den Antrag abzulehnen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Bescheide und Schreiben verwiesen.
II.
Die Entscheidung ergeht als Vorsitzendenentscheidung gem. § 80 Abs. 8 VwGO, da ein dringender Fall vorliegt. Das Zuwarten bis zum Zusammentreten und zur Entscheidung des Spruchkörpers konnte nicht abgewartet werden, weil dies angesichts der für heute 9 Uhr angedrohten Ersatzvornahme zu einem endgültigen Rechtsverlust für die Antragstellerin führen könnte.
1. Ordnungsgemäße Bevollmächtigung vorausgesetzt ist der Antrag zulässig, da die für die Antragstellerin erhobene Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners keine aufschiebende Wirkung besitzt (hinsichtlich der Ersatzvornahme ergibt sich dies aus § 25 Abs. 4 SchfHwG; hinsichtlich der Duldungsanordnung folgt dies aus § 1 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 25 Abs. 4 SchfHwG; hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs ergibt sich die sofortige Vollziehbarkeit aus Art. 21a VwZVG) und die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen.
2. Der Antrag ist aber unbegründet, da die Klage bei summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten besitzt und bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen das Interesse des Antragsgegners und der Allgemeinheit an einer zügigen Durchführung der erforderlichen Kaminkehrerarbeiten das Interesse der Antragstellerin an einem Unterbleiben der Arbeiten bis zur endgültigen Hauptsacheentscheidung überwiegt.
Ein überwiegendes Interesse eines Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage ist in der Regel anzunehmen, wenn die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene Überprüfung ergibt, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt regelmäßig das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts – wie hier – gesetzlich angeordnet ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr.3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Kann aufgrund der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Überprüfung nicht festgestellt werden, ob der Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig oder offensichtlich rechtswidrig ist, so beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle des Sofortvollzuges des Verwaltungsakts auf die Durchführung einer Interessenabwägung, die je nach Fallkonstellation zugunsten des Antragstellers oder des Antragsgegners ausgehen kann. Das Gericht nimmt – da § 80 Abs. 5 VwGO keinerlei inhaltliche Einschränkungen enthält – die Abwägung in eigener Verantwortung vor. Es prüft eigenständig, ob unter Berücksichtigung und Gewichtung aller für und wider den Sofortvollzug sprechenden Umstände die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes in der Hauptsache oder aus anderen Gründen anzuordnen ist.
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, bleibt der Antrag in der Sache ohne Erfolg.
Der dem Bescheid vom 22. Januar 2020 zu Grunde liegende Zweitbescheid vom 27. Juni 2019 erscheint formell und materiell rechtmäßig. Er hat seine Rechtsgrundlage in § 25 Abs. 2 SchfHwG. Die Voraussetzungen für den Erlass dieses Zweitbescheids lagen bei summarischer Prüfung vor, da die im bestandskräftigen Feuerstättenbescheid vom 25. Juli 2014 angeordneten Arbeiten nicht innerhalb der festgesetzten Zeiträume ausgeführt worden sind bzw. die Ausführung nicht nachgewiesen wurde. Ob die Antragstellerin dem für die Durchführung der Ersatzvornahme bezeichneten zuständigen Bezirksschornsteinfeger ein Hausverbot erteilt hat, spielt für die Rechtmäßigkeit der Anordnung keine Rolle, da insoweit kein Wahlrecht für die Antragstellerin besteht und von der Antragstellerin keinerlei, erst recht keine schwerwiegenden Gründe für die Ablehnung des Bezirksschornsteinfegers genannt wurden.
Da die Antragstellerin die angeordneten Arbeiten auch nach Erlass des Zweitbescheids nicht ausführen ließ, durfte der Antragsgegner mit Bescheid vom 22. Januar 2020 die Ersatzvornahme für den 31. Januar 2020 androhen. Die Androhung der Ersatzvornahme findet ihre Rechtsgrundlage in § 25 Abs. 2 Satz 2 SchfHwG. Da § 25 Abs. 2 Satz 2 SchfHwG ausdrücklich die Ersatzvornahme als zulässiges Zwangsmittel für den Fall der nicht fristgerechten Pflichterfüllung aus dem Feuerstättenbescheid bestimmt, bedarf es hier auch nicht des in Art. 32 VwZVG für die Androhung einer Ersatzvornahme geregelten weitergehenden Erfordernisses, dass eine solche nur zulässig ist, wenn ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt.
Art. 36 Abs. 4 VwZVG, der neben § 25 Abs. 2 Satz 2 SchfHwG Geltung beansprucht, wurde seitens der Behörde beachtet. Nach dieser Bestimmung ist in Fällen, in denen die Handlung durch Ersatzvornahme auf Kosten des Pflichtigen ausgeführt werden soll, in der Androhung der Kostenbetrag vorläufig zu veranschlagen. § 26 Abs. 2 Satz 2 SchfHwG und Art. 36 Abs. 4 Satz 2 VwZVG eröffnen der Behörde darüber hinausgehend die Möglichkeit, in der Androhung zu bestimmen, dass dieser Betrag bereits vor der Durchführung der Ersatzvornahme fällig wird. Diesen gesetzlichen Bestimmungen wurde in Nr. 3 des Bescheides des Antragsgegners vom 22. Januar 2020 ausreichend Rechnung getragen. Die mit der gesetzlichen Bestimmung in Art. 36 Abs. 4 VwZVG verbundene Warnfunktion für den Betroffenen ist in ausreichender Weise Genüge getan worden.
Soweit sich die Antragstellerin gegen die ihr in Nr. 4 des Bescheides auferlegte Verpflichtung, die Ersatzvornahme und das hierfür erforderliche Betreten des Objektes zu dulden, wendet, wird die Klage gleichfalls ohne Erfolg bleiben. Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht (Art. 13 Grundgesetz – GG) genügt für die gesetzliche Regelung einer Verpflichtung, den Zutritt zu einer kehrpflichtigen Anlage zu gestatten, das Bestehen einer abstrakten Gefahr. Der Betrieb von Feuerstätten oder sonstigen Abgasleitungen birgt, wie allgemein bekannt ist und nicht mit Erfolg bestritten werden kann, naturgemäß immerhin abstrakte Gefahren, insbesondere Brand-, Explosions- und Vergiftungsgefahren. Diese abstrakten Gefahren rechtfertigen die in § 1 Abs. 3 SchfHwG ausdrücklich vorgesehenen Eingriffe in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, B.v. 17.2.2000 – 11 A 12019/99 – GewArch 2000, 429 ff.; Niedersächsisches OVG, B.v. 29.1.2003 – 8 LA 182/02 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 22.12.1992 – 14 S 2326/91 – GewArch 1993, 205 ff.).
Schließlich begegnet auch die in Nr. 5 des Bescheides vom 22. Januar 2020 getroffene Androhung unmittelbaren Zwangs für den Fall des verweigerten Zugangs zum Objekt bzw. der verweigerten Durchführung der Ersatzvornahme keinen rechtlichen Bedenken. Dem Bescheid des Antragsgegners vom 22. Januar 2020 liegt ein gemäß Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG, vollstreckungsfähiger Grundverwaltungsakt vor, der, nachdem er auf Duldung eines bestimmten Verhaltens der Antragstellerin gerichtet ist, auch vollstreckungsfähigen Inhalts ist. Der angedrohte unmittelbare Zwang zur Durchsetzung der Ersatzvornahme erfüllt auch die Voraussetzungen des Art. 34 VwZVG, weil angesichts des bisherigen Verhaltens der Antragstellerin zu erwarten ist, dass die sonstigen zulässigen Zwangsmittel nicht zum Ziel führen würden oder ihre Anwendung keinen zweckentsprechenden und rechtzeitigen Erfolg erwarten lassen würde. Auch Art. 36 Abs. 3 Satz 2 VwZVG, der es verbietet, die Anwendung mehrerer Zwangsmittel gleichzeitig anzudrohen, ist nicht verletzt, da sich die Androhung des unmittelbaren Zwangs und der Ersatzvornahme auf unterschiedliche, der Antragstellerin obliegende Rechtspflichten beziehen.
Zusammenfassend erweist sich der von der Antragstellerin angegriffene Bescheid des Antragsgegners als rechtmäßig, weil insbesondere auch die allgemeinen verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Grenzen, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, beachtet wurden. Die Antragstellerin hat durch ihre beharrliche Weigerung wiederholt und eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie nicht bereit ist, die erforderlich werdenden Arbeiten in Auftrag zu geben bzw. den Zutritt zu den überprüfungspflichtigen Anlagen zu ermöglichen bzw. deren Durchführung zu dulden. Die im Schriftverkehr vorgebrachte Behauptung, dem Landratsamt mit Schreiben vom 7. Januar 2020 die Erledigung der notwendigen Kehrarbeiten für die erste Februarwoche angezeigt zu haben, ändert daran nichts, da nach tel. Auskunft ein derartiges Schreiben bei dem Landratsamt nicht eingegangen und die Beauftragung eines anderen Kaminkehrers nicht belegt ist.
Nach allem wird die Klage der Antragstellerin daher voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Es war daher im Rahmen des auf eine summarische Überprüfung von Sach- und Rechtslage beschränkten Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes dem Vollzugsinteresse der Vorrang einzuräumen.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit dem Streitwertkatalog. Da der Bescheid lediglich der behördlichen Durchsetzung des Feuerstättenbescheids dient, erscheint es interessensgerecht, die gesetzliche Wertung des § 14b SchfHwG auch hier anzusetzen und den in der Hauptsache anzusetzenden Streitwert in Höhe von 500,00 Euro im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren.

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