Verwaltungsrecht

Abgewiesene Klage im Streit um Zuerkennung von Flüchtlings- und subsidiärem Schutz

Aktenzeichen  M 32 K 18.32760

Datum:
24.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55935
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da die Beklagtenseite ordnungsgemäß geladen worden war (die Beklagte hat mit allgemeiner Prozesserklärung auf die Einhaltung der Ladungsfrist und die förmliche Ladung gegen Empfangsbekenntnis verzichtet) und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 27. Juni 2018 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Die Klage ist im Haupt- und in den Hilfsanträgen unbegründet. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG liegen nicht vor; es besteht auch kein Anspruch auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Rechtmäßig ist auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 AufenthG). Das Gericht folgt den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus:
1. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft besteht für die Klägerin nicht.
a) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich
1. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2. außerhalb des Landes befindet
a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen
b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will
und kein Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 bis 4 AsylG vorliegt.
Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- und Schutzakteuren und der sog. inländischen Fluchtalternative regeln die §§ 3a bis e AsylG. Dabei gilt für die Verfolgungsprognose der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; entscheidend ist, ob aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Betroffenen nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (BVerwG, U.v. 01.06.2011 – 10 C 25.10 – juris Rn. 22; BVerwG, B.v. 07.02.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37). Der Vorverfolgte wird dabei privilegiert durch die – durch stichhaltige Gründe widerlegbare – Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (BVerwG; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – juris Rn. 23).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – juris Rn. 14; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Gemessen an diesen Kriterien liegen die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor. Es besteht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG droht.
Soweit die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria „Angst vor dem alten Mann“, den sie vor ihrem jetzigen Mann (zwangsweise) geheiratet habe, geltend macht, ist schon nicht nachvollziehbar, welche Befürchtungen die Klägerin haben könnte, zumal diese Ehe nach Angabe der Klägerin wirksam aufgelöst ist, das Brautgeld zurückgegeben wurde und die Klägerin zudem unter dem faktischen Schutz ihres gegenwärtigen Ehemanns steht. Abgesehen davon ist insoweit schon kein möglicher Verfolgungsgrund i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG, keine Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG und kein Verfolgungsakteur i.S.v. § 3c AsylG ersichtlich und zudem steht der Staat als Schutzakteur i.S.v. § 3d Abs. 1 AsylG zur Verfügung.
Aber auch soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass in Nigeria traditionell die weibliche Genitalverstümmelung nach wie vor verbreitet sei und sie eine zwangsweise Beschneidung fürchte, ergibt sich kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Zwar stellt eine drohende Genitalverstümmelung grundsätzlich eine im Rahmen der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG zu berücksichtigende, an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung – insbesondere im Sinne von § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylG – dar (vgl. VG München, U.v. 19.2.2019 – M 13 K 18.30616 – noch nicht veröffentlicht; VG Würzburg, U.v. 21.12.2018 – W 10 K 18.31682 – juris Rn. 35 f; VG Augsburg, U.v. 13.12.2017 – Au 7 K 17.30060 – juris Rn. 55; VG Regensburg, U.v. 28.3.2017 – RN 5 K 16.32429 – juris Rn. 17; VG Gelsenkirchen, B.v. 22.11.2017 – 9a K 5898/17.A – juris Rn. 17; VG Düsseldorf, U.v. 15.5.2018 – 27 K 10646/17.A – juris Rn. 24 ff. m.w.N.). Mit § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG a.E. wurde klargestellt, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch vorliegen kann, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft. Dadurch sollten gerade auch Sachverhaltskonstellationen wie eine drohende Genitalverstümmelung erfasst werden (vgl. VG Stuttgart, U.v. 20.8.2015 – A 7 K 1575/14 – juris; VG Düsseldorf, U.v. 15.5.2018 – 27 K 10646/17.A – juris Rn. 28). Das Gericht geht nach den vorliegenden, auf zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln beruhenden Erkenntnissen davon aus, dass die Genitalverstümmelung von Mädchen und jungen Frauen in Nigeria nach wie vor praktiziert wird und verbreitet ist, auch wenn sie im Mai 2015 vom damaligen Präsidenten Nigerias verboten wurde, in einigen Bundesstaaten inzwischen unter Strafe gestellt wurde, verschiedene Aufklärungskampagnen versuchen, einen Bewusstseinswandel einzuleiten und die Tendenz zur Beschneidung über die Generationen hinweg rückläufig ist (vgl. zum Ganzen z.B. ACCORD vom 21.6.2011 – Nigeria: Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, S. 6 ff.; Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria vom 10.12.2018, S. 5, 15; EASO Country of Origin Information Report, Nigeria Country Focus, S. 37 ff., abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_Country_Focus_Nigeria_June2017.pdf; UK Home Office, Country Policy and Information Note – Nigeria: Female Genital Mutilation, Stand Februar 2017; “28toomany“, Country Profile: FGM in Nigeria, Stand Oktober 2016; IRB – Immigration and Refugee Board of Canada – Nigeria, Prevalence of female genital mutilation, Stand September 2016; IRB – Nigeria, Whether parents can refuse female genital mutilation for their daughters, Stand November 2012; VG Augsburg, U.v. 21.6.2017 – Au 7 K 16.31586 – juris Rn. 54). Obgleich die Schätzungen zur Verbreitung auseinandergehen, dürften aktuell etwa 25% der Frauen zwischen 15 und 49 beschnitten sein, wobei die Tendenz rückläufig ist (vgl. EASO Country of Origin Information Report, Nigeria Country Focus, S. 37 ff., abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_Country_ Focus_Nigeria_June2017.pdf). Das Beschneidungsalter variiert dabei von kurz nach der Geburt bis zum Erwachsenenalter und ist abhängig von der jeweiligen Ethnie (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.6.2017 – Au 7 K 16.31586 – juris Rn. 55). Hinsichtlich der Beschneidungspraxis bestehen insgesamt große Unterschiede je nach Region, Volksgruppe und Bildungsstand sowie zwischen Stadt und Land. Beschneidungen finden regelmäßig auf Veranlassung, jedenfalls aber mit Einverständnis der Eltern bzw. des insoweit meist maßgeblichen Vaters statt. Regelmäßig können die Eltern eine Genitalverstümmelung von Töchtern gegen den Willen der Eltern auch verhindern, wenngleich dies mit erheblichen innerfamiliären Auseinandersetzungen bis hin zur Ausgrenzung aus dem familiären Verband einhergehen kann, weil der soziale Druck der Großfamilie zur Durchführung einer Genitalverstümmelung mit Blick auf traditionelle Überlieferungen und Erwartungen, etwa bezüglich der „Heiratsfähigkeit“ junger Frauen sehr groß sein kann. Letztlich kann aber auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass in Einzelfällen auch gegen den Willen der Eltern auf Veranlassung von Verwandten eine Beschneidung durchgeführt wird. Dieses verbleibende Risiko kann aber – bei Ablehnung einer Genitalverstümmelung durch die Eltern – jedenfalls dann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn sich die betreffende Familie fernab der Großfamilien, von denen die Gefahr einer Beschneidung von Töchtern ausgehen könnte (oft ist dies nur die Familie väterlicherseits), niederlässt, wenngleich dies dann einen völligen Bruch mit der jeweiligen Herkunftsfamilie bedeutet.
Im konkreten Fall konnte die Klägerin nicht glaubhaft machen, dass ihr im Fall einer Rückkehr nach Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Genitalverstümmelung droht.
Nach den Angaben der Klägerin bei der Anhörung vor dem Bundesamt vom 15. September 2017 muss nach der Tradition ihrer Volksgruppe, der Igbo, eine Frau beschnitten werden, bevor sie heiratet oder wenn sie nach der Heirat schwanger ist. Die Klägerin war vor ihrer derzeitigen traditionellen Heirat bereits mit einem alten Mann verheiratet und hat mit ihrem derzeitigen Ehemann einen gemeinsamen Sohn. Nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung vom 6. Juni 2018 ist sie nicht beschnitten; es gibt nach dem Untersuchungsbericht auch sonst keine Hinweise auf eine Verstümmelung der weiblichen Genitalien (Mutiation). Offensichtlich führte – entgegen der von der Klägerin behaupteten Tradition – weder ihre erste, noch ihre zweite Hochzeit zu einer zwangsweisen Beschneidung der Klägerin; auch ihre Schwangerschaft wurde nicht zum Anlass für eine zwangsweise Beschneidung genommen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht plausibel, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria nunmehr eine Beschneidung zu befürchten haben soll, zumal die Klägerin nicht einmal angeben kann, wer gerade jetzt ein Interesse haben soll, dass sie nunmehr beschnitten wird. Ihre diesbezügliche Angabe „eine von meinen Verwandten zum Beispiel meine Tante“ erscheint hierfür viel zu vage, zumal die Klägerin nicht einmal angeben kann, ob überhaupt ihre Stiefmutter und ihre Tante beschnitten sind. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren Vortrag nunmehr geändert und angegeben hat, dass nach der Tradition ihres Volksstamms eine Frau erst nach der Geburt des ersten Kindes beschnitten oder das Kind den Göttern geopfert wird, ist ihr nicht näher ausgeführter Vortrag nicht überzeugend, da er nur pauschal gehalten ist, unrealistisch wirkt, in dieser Version erst sehr spät (erstmals mit Schriftsatz vom 19. Juni 2019) ins Verfahren eingebracht wurde und allein aus asyltaktischen Gründen an die tatsächlichen Gegebenheiten angepasst erscheint. Als bloße Schutzbehauptung vermag er eine Verfolgungsgefahr im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG nicht glaubhaft zu machen.
Abgesehen davon muss sich die Klägerin mit ihrer Familie darauf verweisen lassen, nach einer Rückkehr nach Nigeria nicht in ihren Heimatort, sondern in einen davon entfernten anderen Ort bzw. Landesteil und insbesondere in eine nigerianische Großstadt zu ziehen, um dort internen Schutz i.S.d. § 3e AsylG zu finden (sog. inländische Fluchtalternative) und insoweit hinreichend sicher vor künftiger Verfolgung zu sein.
Nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn ihm keine landesweite Verfolgung droht, er also in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG gegeben sind. Die Beantwortung der Frage des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative hängt damit wesentlich von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Klägers ab, vgl. § 3e Abs. 2 AsylG i.V.m. Art. 4 RL 2011/95/EU (vgl. BayVGH, B.v. 25.2.2019 – 13a ZB 18.32487 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Wie sich aus dem aktuellen Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – des Auswärtigen Amts vom 10. Dezember 2018 (Stand: Oktober 2018), S. 16 f. ergibt, besteht grundsätzlich in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil Nigerias und in eine der nigerianischen Millionenstädte wie z.B. Lagos, Ibadan, Benin-Stadt, Port Harcourt, Kaduna, Aba oder Abuja auszuweichen. Es wurde demgegenüber von Klägerseite nicht glaubhaft gemacht, dass und weshalb trotzdem bei einer unterstellten nunmehrigen Rückkehr der Klägerin in ihr Herkunftsland, in dem kein funktionierendes Meldesystem (vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 21. Januar 2018, Stand: September 2017, S. 27) und auch kein zentrales Fahndungssystem (vgl. VG Düsseldorf, U.v. 27.11.2017 – 27 K 8651/17.A – juris Rn. 34 m.w.N.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Nigeria, Gesamtaktualisierung am 7.8.2017, S.61) existieren, die Möglichkeit und hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen soll, dass sie mit ihrer Familie – trotz des seit ihrer Ausreise aus Nigeria bereits verstrichenen Zeitraums von über 5 Jahren – von ihrem ehemaligen Ehemann bzw. von Verwandten auch bei einer Niederlassung in einer der großen und anonymen Städte Nigerias nach wie vor aufgefunden werden könnte. Insbesondere wenn sich die Klägerin mit ihrer Familie in einer der anonymen Millionenstädte Nigerias außerhalb der Region ihres letzten Aufenthalts niederlässt, ist es aufgrund des nicht vorhandenen Meldewesens nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sie mit ihrer Familie dort aufgefunden werden wird. Hierzu hat sich die Klägerin auch nicht detailliert geäußert. So hat sie lediglich angegeben, dass auch in Großstädten kein tatsächlicher Schutz gewährleitet sei – Zwangsbeschneidungen würden auch in städtischen Gebieten durchgeführt. Diese Behauptung ist aber nicht überzeugend, da sie sehr pauschal gehalten ist und keinerlei Belege hierfür aufgeführt wurden; abgesehen davon ist nicht nachvollziehbar, welcher Personenkreis dort Kenntnis davon erlangen könnte, dass die Klägerin nicht beschnitten ist und wer dort an ihrer Beschneidung ein Interesse haben könnte. Diese wohl eher aus asyltaktischen Gründen vorgebrachte Befürchtung ist daher für das Gericht nicht nachvollziehbar und somit nicht glaubhaft.
Auch kann von der Klägerin und ihrer Familie vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich nicht in ihrem Heimatort, sondern in einem anderen Ort, in einem anderen Landesteil Nigerias bzw. in einer der Millionenstädte niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 a.E. AsylG). Von einem Ausländer kann „vernünftigerweise erwartet werden“, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, wenn am Ort des internen Schutzes seine Existenzsicherung gewährleistet ist. Dieser Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 20, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11.07 – juris Rn. 35; OVG NW, U.v. 26.8.2014 – 13 A 2998/11.A – – juris Rn. 190 ff.; VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – juris Rn. 83 ff).
Ein verfolgungssicherer Ort bietet erwerbsfähigen Personen eine zumutbare Schutzalternative etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können. Zu den danach zumutbaren Arbeiten gehören auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keinerlei besondere Fähigkeiten erfordern, und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im Bausektor, ausgeübt werden können. Nicht zumutbar ist hingegen jedenfalls die entgeltliche Erwerbstätigkeit für eine kriminelle Organisation, die in der fortgesetzten Begehung von oder Teilnahme an Verbrechen besteht. Ein verfolgungssicherer Ort, an dem selbst das Existenzminimum nur durch derartiges kriminelles Handeln erlangt werden kann, bietet keinen internen Schutz (vgl. OVG NW, B.v. 6.6.2016 – 13 A 1882/15.A – juris Rn. 9 m.w.N.).
Zwar wird im Lagebericht des Auswärtigen Amts (vgl. Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria – Lagebericht – des Auswärtigen Amts vom 10. Dezember 2018, Stand: Oktober 2018, S. 16) ausgeführt, dass ein Ausweichen in andere Landesteile mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein könne, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung groß-familiärer Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft sei es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen bestehe zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten. Die möglicherweise für die Klägerin und ihre Familie bestehende schwierigere wirtschaftliche Situation außerhalb ihres früheren Lebensumfelds in einer anderen nigerianischen Großstadt oder in einem anderen Landesteil steht hier der Zumutbarkeit aber nicht entgegen. Das Gericht geht davon aus, dass auch dort die Existenzgrundlage für die Bevölkerung, somit auch für die Klägerin und ihre Familie, sicherzustellen ist. Es ist damit hinreichend sicher, dass die Klägerin als erwachsene, junge und nach ihrem in der mündlichen Verhandlung hinterlassenen Eindruck durchaus arbeitsfähige Frau im Fall einer Rückkehr nach Nigeria zusammen mit ihrem Sohn und ihrem Ehemann – gegebenenfalls aber sogar ohne ihren Ehemann – auch in einer nigerianischen Großstadt bzw. in einem anderen Landesteil in der Lage sein wird, durch Arbeitsaufnahme jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das Existenzminimum für sich und ihre Familie selbst sicherzustellen (vgl. zu den Anforderungen an die Sicherung des Existenzminimums auch BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11).
2. Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG besteht für die Klägerin ebenfalls nicht.
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei neben der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Dabei muss die Art der Behandlung oder Bestrafung eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen daran hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Im Herkunftsstaat erlitt sie keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Weshalb ihr bei der Rückkehr eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG drohen würde, ist unter keinem Gesichtspunkt auch nur ansatzweise erkennbar geworden. Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) oder eine drohende Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) hat die Klägerin weder geltend gemacht, noch liegen Anhaltspunkte hierfür vor. Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) liegen nicht vor. Denn in Nigeria liegt gegenwärtig kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt vor (vgl. VG München, U.v. 2.2.2018 – M 9 K 17.39325 – juris Rn. 29).
Unabhängig davon gilt die inländische Fluchtalternative auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes (§ 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG).
3. Es besteht für die Klägerin auch kein Anspruch auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 25).
aa) Unter dem Begriff der unmenschlichen Behandlung ist die vorsätzliche und beständige Verursachung körperlicher Verletzungen oder physischen oder psychischen Leids zu verstehen, während bei einer erniedrigenden Behandlung nicht die Zufügung von Schmerzen, sondern die Demütigung im Vordergrund steht.
Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 26). Dies ist immer dann anzunehmen, wenn diese Verhältnisse ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger nichtstaatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, beruhen, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will (EGMR, Urteile vom 21.01.2011 – 30696/09 – (M.S.S./Belgien und Griechenland), NVwZ 2011, 413 und vom 28.06.2011 – 8319/07 und 11449/07 – (Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich), NVwZ 2012, 681). Aber auch dann, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, weil es an einem verantwortlichen Akteur fehlt und „nichtstaatliche“ Gefahren für Leib und Leben im Zielgebiet aufgrund prekärer Lebensbedingungen vorliegen, können schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet dennoch in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung zu qualifizieren sein (BVerwG, U.v. 13.06.2013 – 10 C 13.12 – Rn. 24 f.; VGH B​W, U.v. 24.07.2013 – A 11 S 697/13 – juris Rn. 79 ff.).
Außergewöhnliche individuelle Umstände bzw. Merkmale können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, die Träger des gleichen Merkmals sind bzw. sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden. Dies folgt aus den wiederholten ausdrücklichen Hinweisen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf die allgemeinen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung, auf deren Hintergrund die besondere Lage des Betroffenen zu beurteilen ist. Auch in einem solchen Fall kann ausnahmsweise ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu bejahen sein, wenn die Abschiebung zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte.
Dabei können Ausländer aber grundsätzlich kein Recht aus der Konvention auf Verbleib in einem Konventionsstaat geltend machen, um dort weiter medizinische, soziale oder andere Hilfe und Unterstützung zu erhalten. Der Umstand, dass im Fall einer Aufenthaltsbeendigung die Lage des Betroffenen einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, reicht nach dieser Rechtsprechung allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Denn Art. 3 EMRK verpflichtet die Staaten nicht, Unterschiede im Fortschritt in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23). (Nur) in ganz außergewöhnlichen Fällen können auch schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 25), wie z.B. im Fall einer tödlichen Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium, wenn im Zielstaat keine Unterstützung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 23 ff.).
bb) Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist – wie im Rahmen von §§ 3 ff. und § 4 Asylgesetz – der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Auch im Rahmen des Art. 3 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, aber auch ausreichend, d.h. es muss eine ausreichende reale, nicht nur auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss danach aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein.
Es ist allerdings keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 11). Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen. Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167) macht letztlich deutlich, dass bei „nichtstaatlichen“ Gefahren für Leib und Leben ein sehr hohes Gefahrenniveau erforderlich ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2018 – 13a B 18.30632 – juris Rn. 27 m.w.N.).
cc) Des Weiteren ist für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die – wie hier – nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 26). Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK kann nur beanspruchen, wem prinzipiell im gesamten Zielstaat der Abschiebung die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung landesweit droht; es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative bestehen.
Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) – vgl. zu den Überschneidungen des Art. 3 EMRK mit dem internen Schutz nach § 3e AsylG (aber auch zu den Unterschieden) ausführlich Marx, ZAR 2017, 304) – Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen.
dd) Ausgangspunkt für die Gefahrenprognose ist eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation. Erforderlich ist eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte (darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll) und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat.
Bei der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr des Asylbewerbers mit seinen Familienangehörigen auszugehen, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit Ihnen als Familie zusammen lebt (vgl. BVerwG, B.v. 12.4.2001 – 1 B 124.01 – juris Rn. 2). Eine gemeinsame Rückkehr mit Familienangehörigen, die aufgrund rechtskräftiger Feststellung als politisch Verfolgte anerkannt sind oder denen rechtskräftig Abschiebungsschutz zuerkannt worden ist, kann hingegen im Regelfall nicht angenommen werden (zum Ganzen vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 – 9 C 9.90 – juris Rn. 9f; U.v. 8.9.1992 – 9 C 8.91 – juris Rn. 14; U.v. 16.8.93 – 9 C 7.93 – juris Rn. 10; U.v. 21.9.1999 – 9 C 12.99 – juris Rn. 11 m.w.N.).
ee) Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin und ihr Sohn in Deutschland mit dem Vater ihres Sohns zusammen leben. Denn unabhängig davon, ob von einer Rückkehr nur der Klägerin mit ihrem Sohn oder der Klägerin mit ihrem Sohn und dem Vater ihres Sohns auszugehen ist, bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für eine ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung der Klägerin – auch unter Berücksichtigung ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei Rückkehr nach Nigeria – nicht vorliegen.
Zwar sind die allgemeinen Lebensbedingungen in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas mit ca. 200 Millionen Einwohnern, schwierig. Es besteht aber dennoch für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit, ökonomisch eigenständig zu leben und ohne Hilfe Dritter zu überleben. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen ca. 70% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 10.12.2018, S. 8, 21), der größte Teil der Bevölkerung hat nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Wasser und Strom, es existiert kein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Bedürftige und Leistungen der allgemeinen Kranken- und Rentenversicherung kommen nur Beschäftigen im formellen Sektor und damit schätzungsweise nur 10% der Bevölkerung zugute. Die medizinische Versorgung ist zudem gerade auf dem Land mangelhaft und liegt auch in den Großstädten in der Regel unter europäischem Standard (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 10.12.2018, S. 22). Darüber hinaus werden die Rechte des Kindes in Nigeria nur unzureichend gewährleistet; zwei Drittel der Kinder werden nicht richtig oder unterernährt. Die staatlichen Schulen sind im Allgemeinen in einem schlechten Zustand und Gewalt und sexuelle Übergriffe gegenüber Schülerinnen und Schülern sind an den meisten Schulen Alltag. Schließlich besuchen nur gut 60% der Kinder die Primarschule und nur 40% die Sekundarstufe. Kinderarbeit und -prostitution, Vernachlässigung und Aussetzung von Kindern sind verbreitet (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 21.1.2018, S. 15 sowie vom 10.12.2018, S. 14). Noch immer verbreitet ist auch – allerdings mit erheblichen regionalen Diskrepanzen – die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung, insbesondere in einigen meist ländlichen Regionen im Südwesten, im Südosten und in der Region Süd-Süd, im Norden v.a. im Bundesstaat Borno, ansonsten eher weniger (Auswärtiges Amt, a.a.O., 10.12.2018, S. 15). In einigen Bundesstaaten ist die Genitalverstümmelung unter Strafe gestellt. Ferner ist die Situation für alleinstehende Frauen in Nigeria – und damit auch für deren Kinder – nach den vorliegenden Erkenntnismitteln besonders schwierig. So ist davon auszugehen, dass sie trotz der in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung von Mann und Frau in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden. Vor allem im Norden Nigerias sind Kinderehen weit verbreitet, die oft zu Schwangerschaften in jungem Alter mit gesundheitlichen Schädigungen sowie zu vorzeitigem Abbruch der Schulbildung führen. Darüber hinaus können viele Frauen im Norden keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen. Da es in Nigeria keine staatliche finanzielle oder soziale Unterstützung gibt, sind alleinstehende Frauen meist von finanziellen Zuwendungen durch die (Groß-)Familie, Nachbarn oder Freunde abhängig. Jedoch ist es auch für den Personenkreis der alleinstehenden Frauen nicht unmöglich bzw. ausgeschlossen, sich selbst eine wirtschaftliche Grundexistenz zu schaffen und ohne Hilfe Dritter zu überleben, so etwa im Südwesten des Landes und in den Städten, in denen alleinstehende Frauen eher akzeptiert werden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 21.1.2018, S. 16 f. sowie vom 10.12.2018, S. 15; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Situation alleinstehender Frauen vom 14.7.2010; Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation, Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung vom 21.6.2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria: Update vom 12.4.2010). Auch insoweit kann deshalb nur in besonders gelagerten Einzelfällen ein Abschiebungsverbot bestehen (vgl. VG Aachen, U.v. 24.5.2012 – 2 K 2051/10.A – juris Rn. 32).
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass bei der Klägerin kein außergewöhnlicher Fall vorliegt, bei dem die humanitären Gründe gegen die Abschiebung zwingend sind. Die Voraussetzungen für eine solche ganz ausnahmsweise auf die allgemein schwierigen Lebensbedingungen im Herkunftsland gestützte Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung der Klägerin – auch unter Berücksichtigung ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei Rückkehr nach Nigeria – liegen nicht vor. Es sind keine durchgreifenden Gründe glaubhaft gemacht oder erkennbar, die dagegen sprechen würden, dass die Klägerin im Fall einer Rückkehr in der Lage sein werde, etwa durch eine Arbeitsaufnahme ein Einkommen zu erzielen, um damit den Lebensunterhalt für sich und ihren Sohn – gegebenenfalls auch mit Unterstützung ihres Ehemanns – zu finanzieren. Die Klägerin ist jung und nach dem von ihr in der mündlichen Verhandlung hinterlassenen Eindruck durchaus erwerbsfähig. Daraus ist zu schließen, dass ihr auch in Nigeria die Wiederaufnahme einer praktischen beruflichen Tätigkeit möglich sein wird, mit der sie das in Art. 3 EMRK geschützte Existenzminimum für sich und ihren Sohn – gegebenenfalls zusammen mit ihrem Ehemann – erwirtschaften kann.
Der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin sich derzeit im Bundesgebiet aufhält und sein Asylverfahren möglicherweise noch nicht bestandskräftig abgeschlossen ist, führt ebenfalls nicht zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Ob sich hieraus ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ergibt, liegt in der ausländerbehördlichen Prüfungszuständigkeit.
Insgesamt liegen daher die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht vor.
b) Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind aus den im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführten Gründen, auf die Bezug genommen wird (§ 77 Abs. 2 AsylG), nicht ersichtlich. Ergänzend ist folgendes auszuführen:
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht. Unerheblich ist dabei, von wem die Gefahr ausgeht und auf welchen Umständen sie beruht.
aa) Vom Tatbestand des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG werden existentielle Gefahren wie Tötung, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung umfasst sowie insbesondere auch solche auf Grund von Krankheit. Dabei reicht es entsprechend dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht aus, wenn eine Verfolgung oder sonstige Rechtsgutverletzung im Bereich des Möglichen liegt. Vielmehr muss sie bei zusammenfassender Bewertung des Sachverhalts und verständiger Würdigung aller objektiven Umstände dahingehend vorliegen, dass bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen eine ernsthafte Furcht vor der Rechtsgutverletzung gerechtfertigt ist, die für eine Rechtsgutverletzung sprechenden Umstände also größeres Gewicht haben als die dagegen sprechenden Tatsachen, wobei auch die Zumutbarkeit eines mit der Rückkehr verbundenen Risikos und der Rang des gefährdeten Rechtsguts von Bedeutung sind.
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt dabei gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Die Verhältnisse im Zielstaat müssen also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, etwa eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes erwarten lassen. Eine vorhandene Erkrankung eines Ausländers muss sich aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmern, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht, weil etwa die Behandlungsmöglichkeiten im Heimatland unzureichend sind oder die zwar grundsätzlich verfügbare medizinische Versorgung dem Betroffenen aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zur Verfügung steht (vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 12.07.2015 – 1 B 84.16 – Rn. 4 m.w.N.). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4). Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/7538, S. 18) wird davon ausgegangen, dass lediglich lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, die Abschiebung des Ausländers hinderten. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist also nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2015 – 11 ZB 15.30054 – juris Rn. 10). Der Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient damit nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Diese Vorschrift begründet insbesondere keinen Anspruch auf Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Standard in der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ein Ausländer muss sich vielmehr auf den Standard der Gesundheitsversorgung im Heimatland verweisen lassen, auch wenn dieser dem entsprechenden Niveau in Deutschland nicht entspricht.
Hiervon ausgehend vermag das Gericht keine erhebliche individuelle Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit der Klägerin i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatland zu erkennen. Der Vortrag der Klägerin, sie habe ein „Hüftproblem“, ist nicht geeignet, das Bestehen eines Abschiebungshindernisses wegen einer Erkrankung darzulegen, weil er nicht durch ein ärztliches Attest glaubhaft gemacht wurde und auch nicht ersichtlich ist, dass der Klägerin in Nigeria eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht.
Die Anforderungen an ein ärztliches Attest gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG sind auf die Substantiierung der Voraussetzungen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu übertragen (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2018 – 10 ZB 18.30105 – juris Rn. 7). Gemäß § 60a Abs. 2c AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (Satz 1); der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (Satz 2). Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (Satz 3). Ergänzend zu den in § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG genannten Anforderungen an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung sind auch weiterhin die Kriterien heranzuziehen, die das Bundesverwaltungsgericht als Mindestanforderungen an ein qualifiziertes fachärztliches Attest herausgearbeitet hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251 ff. – juris Rn. 15). Danach muss sich aus dem fachärztlichen Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, etwa mit Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden, deren Behandlungsbedürftigkeit, der bisherige Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) sowie im Fall einer auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützten PTBS, deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, in der Regel auch eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde.
Diese hohen gesetzlichen Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen sind vorliegend schon mangels Vorlage eines ärztlichen Attests nicht erfüllt. Im Übrigen ist nicht einmal dem Vortrag der Klägerin der von § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG für die Bejahung einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen geforderte Schweregrad der Erkrankung, nämlich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, zu entnehmen.
bb) Neben den genannten individuellen Gefahren für Leib und Leben können unter bestimmten Voraussetzungen ausnahmsweise auch die generell herrschenden Lebensbedingungen im Zielstaat ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen.
Zwar sind allgemeine Gefahren – also auch die die Bevölkerung insgesamt treffenden (schlechten) Lebensbedingungen in einem Land – gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen zur vorübergehenden Aussetzung von Abschiebungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen und begründen demnach grundsätzlich auch dann kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie den Einzelnen konkret und individualisierbar zu treffen drohen. Eine Ausnahme liegt aber bei einer extremen Gefahrenlage vor, welche sich wiederum auch aus den den Ausländer erwartenden Lebensbedingungen ergeben kann. So können die im Zielstaat herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage einen Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise begründen, wenn bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine extreme Gefahrenlage vorläge. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden.
cc) Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der eine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, U.v. 31.01.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
dd) Hiervon ausgehend gewährt § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage keinen weitergehenden Schutz, als es § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK tut. Liegen also – wie hier – die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus.
5. Die auf die Ablehnung des Asylantrags beruhende Ausreiseaufforderung und gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung nach § 34 Abs. 1 Asylgesetz i.V.m. § 59 AufenthG sind nicht zu beanstanden; es bestehen auch keine Bedenken gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt (§ 75 Nr. 12 AufenthG) nach § 11 Abs. 1 AufenthG). Die familiären Bindungen der Klägerin im Bundesgebiet sind wie oben bereits erwähnt ausländerbehördlich zu würdigen (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, AsylG, § 38 Rn. 4; Pietzsch in Beck-Online Kommentar, Ausländerrecht, AsylG, § 38 Rn. 5).
Die Klage war daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 83b AsylG.
Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat seine Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

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