Aktenzeichen 3 C 297/16
Leitsatz
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 947,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 26.02.2016 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin ab 01.12.2015 keine um 61,00 € erhöhte Vorauszahlung auf Heizkosten schuldet.
3. Die Widerklage wird abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 3.785,55 € festgesetzt,
Gründe
I.
Die zulässige Klage war auch begründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 947,87 € aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.
Im streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum ergab sich für die Klägerin ein Guthaben von zumindest 1.228,34 €, von diesem Guthaben hat die Beklagte an die Klägerin 947,87 € zu bezahlen, § 308 ZPO.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beklagte nicht verpflichtet, die Abrechnung nach § 7 Abs. 1 Satz 3 HKVO in Verbindung mit der Richtlinie VDI 2077 vorzunehmen. Einer unmittelbaren Anwendbarkeit steht schon entgegen, dass die Leitungen in dem Anwesen nicht freiliegend, d.h. sichtbar sind, sondern in den Wohnungen im Fußboden verlegt sind. Eine analoge Anwendung auf überwiegend ungedämmte, aber nicht freiliegende Leitungen der Wärmeverteilung kommt nach der Rechtsprechung des BGH nicht in Betracht, da nicht festgestellt werden kann, dass die insoweit geschaffene Regelungslücke auch planwidrig ist (ausführlich hierzu: BGH, Urteil vom 15.03.2017, VIII ZR 5/16).
b) Die Beklagte war im Streitfall aber verpflichtet, die angefallenen Heizkosten allein nach dem Anteil der Wohnfläche umzulegen, denn die Vorschrift des § 7 HKVO war nach Auffassung des Gerichts auf die streitgegenständliche Abrechnung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 1 c) HKVO nicht anzuwenden.
Nach dieser Vorschrift sind die §§ 3 bis 7 der Heizkostenverordnung, soweit sie sich auf die Versorgung mit Wärme beziehen, nicht anzuwenden auf Räume, die vor dem 1. Juli 1981 bezugsfertig geworden sind und in denen der Nutzer den Wärmeverbrauch nicht beeinflussen kann.
Das Anwesen ist im Jahr 1974 erstellt worden.
Die Verbrauchserfassungsrate liegt in dem streitgegenständlichen Anwesen bei nur 5,98 %.
Es ist ferner davon auszugehen, dass diese extrem niedrige Verbrauchserfassungsrate auf überhöhte Rohrwärmeverluste zurückzuführen sind. Die Beklagte hat den Vortrag der Klägerin zu der Erwärmung der Fußböden in ihrer Wohnung und der Erwärmung des Treppenhauses zwar bestritten. Aus der vorgelegten Gesamtabrechnung der Energie- und Heizkosten ergibt sich aber, dass die erfassten Heizungsverbrauchseinheiten zahlreicher Nutzer etwa der Nutzer 0002 (771,78 Einheiten), 0003 (894,64 Einheiten), 0004 (0,00 Einheiten), 0005 (393,31 Einheiten), 0006 (153,45 Einheiten), 0008 (78,13 Einheiten), 0010 (2,75 Einheiten), 0011 (179,60 Einheiten), 0012 (245,63 Einheiten), 0014 (136,70 Einheiten), 0015 (494,40 Einheiten), 0016 (21,45 Einheiten), 0017 (92,45 Einheiten), 0019 (35,70 Einheiten) unter Berücksichtigung des üblichen Wärmeverbrauchs pro Quadratmeter extrem niedrig sind. Mit einem sparsamen Heizverhalten lässt sich dies unter Berücksichtigung der Zahl der Nutzer mit extrem niedrigen Verbrauchswerten nicht erklären. Einzig nachvollziehbare Erklärung hierfür ist aus Sicht des Gerichts – in Verbindung mit der niedrigen Verbrauchserfassungsrate – dass es bei diesen Nutzern schon durch die Rohrwärme zu einer Erwärmung der Räumlichkeiten kommt und es seines Einschalten der Heizkörper nicht oder nur in Ausnahmefällen bedarf. Zu berücksichtigen war in diesem Zusammenhang auch, dass auch die Beklagte keine anderen Ursachen für die niedrige Verbrauchserfassungsrate genannt hat.
Das Gericht verkennt nicht, dass die Nutzer in dem streitgegenständlichen Anwesen durch Regulierung der Thermostate an den Heizkörpern den Wärmeverbrauch durchaus zumindest in einem – wenn auch geringen Umfang – regulieren können.
Dennoch kann im Streitfall von einer Beeinflussbarkeit des Wärmeverbrauchs nicht gesprochen werden. Die Verbrauchserfassungsrate der Liegenschaft beläuft sich unstreitig auf nur 5,98 % des gesamten Gasverbrauchs. Der Einwand der Klägerin, in einem solchen Fall sei es bloße Förmelei, von erfassten Verbräuchen zu sprechen, erscheint daher durchaus berechtigt. Auch bedeutet eine Verbrauchserfassungsrate von 5,98 % im Umkehrschluss, dass 94,02 % des Wärmeverbrauchs von den einzelnen Nutzern der Wohneinheiten nicht beeinflusst werden können.
Obwohl es sich bei § 11 Abs. 1 Nr. 1 c) HKVO um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handelt, steht die Beeinflussbarkeit von nur 5,98 % des Verbrauchs einer Anwendung dieser Vorschrift nicht entgegen. Hierfür spricht auch, dass die mit einer verbrauchsabhängigen Abrechnung verfolgten Ziele, eine verursachergerechte Verteilung der Heizkosten zu gewährleisten und die Nutzer zu einem sparsamen und bedarfsgerechten Heizverhalten anzuhalten, in diesem Fall ohnehin nicht erreicht werden können.
Die von der Beklagten vorgenommene Verteilung zu 50 % nach Verbrauch stellt bei einer tatsächlichen Verbrauchserfassungsrate von 5,98 % keine gerechte Verteilung dar, denn der erfasste Verbrauch der Nutzer wird in diesem Fall in der Abrechnung mit einem mehr als 8-fachen Faktor berücksichtigt. Der Heizwärmeverbrauch belief sich auf insgesamt 206.410,89 kWh, davon hat die Beklagte 50 %, d.h. 103.205,44 kWh nach dem Verbrauch umgelegt. Auf die Klägerin, in deren Wohnung 3.775,73 Einheiten von insgesamt 12.345,65 Einheiten erfasst worden sind, sind 30,58 % dieser Einheiten umgelegt worden, d.h. 31.560,22 kWh. Hierbei handelt es sich unter Zugrundelegung der von der Klägerin vorgetragenen und von der Beklagten nicht weiter bestrittenen Basisempfindlichkeit der Heizkostenverteiler von 1,0, um das 8,38-fache des bei den Heizkostenverteilern der Klägerin tatsächlich erfassten Verbrauchs. Dass von einer verursachergerechten Verteilung der Heizkosten hier keine Rede sein kann, wird auch dadurch deutlich, dass es sich bei den durch die Heizkostenverteiler erfassten Einheiten der Klägerin um nur 1,83 % der gesamten Heizenergie handelt, die Klägerin bei einer Verteilung zu 50/50 aber mit 3.045,34 € 18,4 % der sich aus der Abrechnung ergebenden Heizkosten von 16.550,63 € zu tragen hätte.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Nutzer hierdurch zu einem sparsamen Heizverhalten angehalten werden. Auf den an den Heizkostenverteilern nicht erfassten Verbrauch hat der einzelne Nutzer schon keinen Einfluss. Der überproportionalen Berücksichtigung von Verbrauchseinheiten kann der Nutzer ferner nur durch (nahezu) vollständiges Einstellen des Beheizens der Wohnung begegnen, dies ist aber weder im Interesse des Vermieters noch handelt es sich dabei um ein bedarfsgerechtes Heizverhalten.
Der Anwendung von § 11 Abs. 1 Nr. 1 c) HKVO steht im Streitfall auch die Vorschrift von § 7 Abs. 1 Satz 3 HKVO nicht entgegen.
§ 7, Abs. 1 Satz 3 HKVO ist lex specialis zu § 11 HKVO, denn durch Einführung dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass die Heizkostenverordnung grundsätzlich auch in den sogenannten Rohrwärmefällen Anwendung finden soll. Dies gilt selbst dann, wenn die Leitungen wie hier nicht freiliegend, d.h. sichtbar, sondern etwa unter dem Putz oder dem Estrich verlegt sind. Auch wenn in diesem Fall die Vorschrift von § 7 Abs. 1 Satz 3 HKVO nach der Rechtsprechung des BGH keine analoge Anwendung findet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei freiliegenden Leitungen die Heizkostenverordnung unter Berücksichtigung von § 7 Abs. 1 Satz 3 HKVO Anwendung finden sollte, bei nicht frei liegenden Leitungen im Falle einer erhöhten Rohrwärme aber ein Ausnahmefall nach § 11 HKVO eingreifen sollte.
Allerdings ist nach Auffassung des Gerichts auch nach Inkrafttreten von § 7 Abs. 1 Satz 3 HKVO zumindest dann auf die Ausnahmetatbestände des § 11 HKVO zurückzugreifen, wenn die Verbrauchserfassungsrate wie hier extrem niedrige einstellige Werte erreicht (vgl. LG Siegen, Urteil vom 12.05.2015, 1 S 121/11; Wall, jurisPR-MietR 4/2012, Anm. 2; AG Neubrandenburg, Urteil vom 05.06.2012, 6 C 675/11). Dass auch in diesen (Extrem)fällen die Heizkostenverordnung anwendbar bleiben soll, lässt sich nach Auffassung des Gerichts auch § 7 Abs. 1 Satz 3 HKVO nicht entnehmen.
Soweit die Beklagte einwendet, § 11 HKVO entbinde nur den Vermieter von der Pflicht, den Verbrauch zu erfassen und bei Vornahme einer verbrauchsabhängigen Kostenverteilung gebe es keinen Anlass, von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen, folgt das Gericht dem nicht. Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 11 HKVO ist § 7 HKVO, der eine verbrauchsabhängige Abrechnung vorsieht, bei Vorliegen eines Ausnahmetatbestands nicht anzuwenden. Stattdessen gilt bei preisfreiem Wohnraum der rechtsgeschäftlich vereinbarte Umlagemaßstab; liegt ein solcher nicht vor, der Wohnflächenmaßstab nach § 556a Abs. 1 S. 1 BGB (MüKoBGB/Schmid/Zehelein BetrKV § 11 Rn. 16-17, beck-online). Nach den mietvertraglichen Vereinbarungen der Parteien ist die Abrechnung grundsätzlich nach dem Verhältnis der Wohnfläche vorzunehmen (§ 3 Ziffer 2d) des Mietvertrages). Wird der Beklagte eine Bestimmung des Umlagemaßstabs nach billigem Ermessen zugestanden (§ 315 BGB) führt dies zu keinem anderen Ergebnis, denn eine verbrauchsabhängige Abrechnung hat hier keine gerechte Verteilung der Kosten zur Folge, sondern führt vielmehr auch unter Berücksichtigung ihres tatsächlichen erfassten Verbrauchs zu einer nicht hinnehmbaren Belastung einzelner Mieter. Eine solche Kostenverteilung entspricht daher nicht billigem Ermessen.
c) Bei einer Abrechnung der Heizkosten nach der Wohnfläche ergibt sich für die Klägerin im streitgegenständlichen Abrechnungszeitraum ein Guthaben von 1.228,34 €.
Die Heizkosten beliefen sich im Abrechnungszeitraum auf 16.550,63 €, bei einer Gesamtwohnfläche des Anwesens von 1.345,40 qm entspricht dies Heizkosten von 12,22 €/qm. Auf die Wohnung der Klägerin entfallen bei einer Wohnfläche von 84,20 qm insgesamt Heizkosten von 1.028,92 € anstelle der in Rechnung gestellten 3.045,34 €. Unter Abzug der sich daraus ergebenden Differenz von 2.016,42 € von der Klägerin in Rechnung gestellten Gesamtkosten von 5420,08 € belaufen sich die Gesamtkosten der Klägerin auf 3.403,66 €. Von diesem Betrag sind die geleisteten Vorauszahlungen von 4.632,00 € in Abzug zu bringen.
Da sich bereits durch eine Umlage der Heizkosten nach Wohnfläche ein die Klageforderung übersteigendes Guthaben von 1.228,34 € ergibt, war die ebenfalls zwischen den Parteien streitige Frage der Höhe der Abwasser- und Frischwasserkosten nicht entscheidungserheblich.
Von diesem Guthaben hat die Beklagte der Klägerin einen Betrag von 947,87 € zu erstatten, § 308 ZPO.
2. Ein Anspruch auf Erstattung von Verzugszinsen besteht gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB.
3. Daneben war auf den Antrag der Klägerin festzustellen, dass diese ab dem 01.12.2015 keine um 61,00 € erhöhte Vorauszahlung für Heizkosten schuldet. Ein Recht zu einer Anpassung der Heizkostenvorauszahlungen gemäß § 560 Abs. 4 BGB bestand aufgrund des sich ergebenden Guthabens nicht.
II.
Die zulässige Widerklage war unbegründet.
Ein Nachzahlungsanspruch der Beklagten in Höhe von 788,08 € bestand nicht, denn unter Abzug der geleisteten Vorauszahlungen der Klägerin ergab sich ein Guthaben von zumindest 1.228,42 €.
Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Verzinsung.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert beruht auf §§ 3, 9 ZPO. Für die negative Feststellungsklage war gemäß § 9 ZPO der 42-fache monatliche Differenzbetrag anzusetzen, wobei ein Abschlag von 20 % vorzunehmen war.