Aktenzeichen M 11 K 17.5193
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nrn. 1 u. 7
VwGO § 67 Abs. 2 S. 1, § 113 Abs. 1 S. 1, § 124, § 124 a Abs. 4
RDGEG § 3, § 5
GKG § 52 Abs. 1
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Die mit der Klage angefochtenen Bestimmungen des streitgegenständlichen Bescheids sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin somit nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
a) Für die von der Beseitigungsanordnung umfassten baulichen Anlagen auf dem Grundstück Flurnummer 2574 der Gemarkung … besteht kein Bestandsschutz. Selbst wenn man die vom Beklagten für die Errichtung der Anlagen erteilte „temporäre Gestattung“ als zeitlich befristete Erlaubnis auslegen würde – die BayBO sieht allerdings abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Fall fliegender Bauten (Art. 72 BayBO) eine derart befristete Baugenehmigung nicht vor -, war die festgesetzte Frist zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses abgelaufen, sodass die Klägerin aus dieser „Gestattung“ jedenfalls nicht ableiten kann, dass die streitgegenständlichen baulichen Anlagen formell bestandsgeschützt sind.
b) Die streitgegenständlichen baulichen Anlagen sind auch materiell nicht genehmigungsfähig, sodass anders als durch deren Beseitigung rechtmäßige Zustände nicht hergestellt werden können.
aa) Der nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegende Vorhabenstandort ist dem Außenbereich nach § 35 BauGB zuzuordnen, weil er sich nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nach § 34 Abs. 1 BauGB befindet. Die vom Beklagten im Bescheid angenommene Außenbereichslage wird von der Klägerin nicht infrage gestellt. Der Augenschein hat bestätigt, dass die Einordnung des Beklagten zutreffend ist. Der Vorhabenstandort liegt südlich der Gleise der Bayerischen Zugspitzbahn in einem Bereich, in dem sich relativ weitläufig verstreut einige – auch größere – bauliche Anlagen befinden. Der Vorhabenstandort nimmt bereits an keinem Bebauungszusammenhang im Sinne von § 34 BauGB teil. Ein solcher Bebauungszusammenhang ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. bereits BVerwG, Urteile vom 6. November 1968 – 4 C 2.66 – BVerwGE 31, 20 und vom 1. Dezember 1972 – 4 C 6.71 – BVerwGE 41, 227 ) dann gegeben, wenn und soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. In unmittelbarer Nähe des Vorhabenstandorts befindet sich lediglich nordwestlich angrenzend ein einziges Gebäude, das dem dauernden Aufenthalt von Menschen dient. Nach Angaben der Klägerin befindet sich darin eine Eventagentur. Dieses Gebäude steht praktisch isoliert. Abgesehen von den streitgegenständlichen Anlagen – die für die Beurteilung, ob ein Bebauungszusammenhang vorliegt, außer Betracht bleiben müssen, weil sie nicht genehmigt sind – ist in der Umgebung dieses isoliert stehenden Gebäudes rundum in einem Abstand von 120 m kein anderes, dem dauernden Aufenthalt von Menschen dienendes oder sonst in vergleichbarer Weise hinreichend prägendes Gebäude vorhanden. So sind in südwestlicher Richtung das Vereinsheim der Tennisanlage, die Gaststätte „L* …“ und die „Amerikanische Skischule“ über 120 m entfernt. Die Entfernung zu den im Süden gelegenen Gebäuden der Skischule Garmisch-Partenkirchen und den zur Hausbergbahn gehörenden Gebäuden ist noch größer. Die sonstigen, in geringerer Nähe liegenden Gebäude dienen nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen und haben auch sonst kein ausreichendes Gewicht, um dem Vorhabenstandort eine Lage innerhalb eines Bebauungszusammenhangs zu vermitteln. Insbesondere genügt hierzu das östlich vom Vorhabenstandort gelegene Gebäude nicht, das nach Angaben der Klägerin zu einem Holzbaubetrieb gehört, aber keine Räume beinhaltet, die dem dauernde Aufenthalt von Menschen dienen. Im Übrigen ist für die vorgenannten Gebäude, die um den Parkplatz der Hausbergbahn gruppiert sind (Vereinsheim der Tennisanlage, Gaststätte „L* …“ und „Amerikanische Skischule“ im Südwesten, Anlagen der Skischule Garmisch-Partenkirchen und der Hausbergbahn im Süden, Eventagentur und Gebäude des Holzbaubetriebs im Nordosten) auch die Ortsteileigenschaft zu verneinen. Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist nur ein Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, Urteile vom 6. November 1968 – 4 C 31.66 – BVerwGE 31, 22 und vom 30. Juni 2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 Rn. 11; stRspr). Eine organische Siedlungsstruktur ist hier nach dem Eindruck des Augenscheins nicht zu erkennen.
bb) Das Vorhaben ist nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert. Voraussetzung dieses Privilegierungstatbestandes ist unter anderem, dass ein Vorhaben wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Im vorliegenden Fall ist bereits zweifelhaft, ob das Vorhaben wegen seiner besonderen Anforderungen oder seiner besonderen Zweckbestimmung auf eine Außenbereichslage angewiesen ist. Der Standort ist für das Vorhaben der Klägerin nicht deshalb günstig, weil er sich im Außenbereich befindet, sondern offensichtlich deshalb, weil er an den Parkplatz der Hausbergbahn angrenzt und sich in der Nähe von deren Talstation befindet. Lägen die vorgenannten Anlagen innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, wäre der Standort für das Vorhaben ähnlich günstig. Jedenfalls fehlt es selbst dann, wenn man dem Vorhaben grundsätzlich eine Außenbereichspräferenz zuerkennt, an der weiteren Voraussetzung, dass das Vorhaben im Außenbereich ausgeführt werden „soll“. Diese Tatbestandsvoraussetzung erfordert eine Wertung, ob nach Lage der Dinge die Verwirklichung des Vorhabens im Außenbereich geboten ist (Söfker, in Ernst /Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, § 35 Rn. 55 m. w. N.). Dabei muss beachtet werden, dass der Auffangtatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht zum Einfallstor für eine bauliche Entwicklung des Außenbereichs werden darf und ein Vorhaben nach dieser Vorschrift dann nicht zulässig ist, wenn es nach Gegenstand und Zweck keinen lediglich singulären Charakter besitzt (Söfker, a. a. O., Rn. 55a). Eine solche Situation liegt hier vor. Der Vorhabenstandort ist für die Klägerin offensichtlich deshalb günstig, weil er in der Nähe der Hausberg-Talstation liegt. Dass das Vorhaben der Klägerin nicht singulär ist, folgt bereits daraus, dass sich in der Nähe bereits die Anlagen der Amerikanischen Skischule und insbesondere der Skischule GarmischPartenkirchen befinden, für die die Lage in der Nähe der Hausberg-Talstation ebenfalls sehr günstig ist. Außerdem liegt es nahe, dass sich im Falle einer Genehmigungsfähigkeit nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB insbesondere auf den unbebauten Grundstücken in der Umgebung weitere Unternehmen mit vergleichbarer Zielsetzung ansiedeln könnten. Bei einer Zulassung des klägerischen Vorhabens nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB würde diese Vorschrift zum Einfallstor für die weitere bauliche Entwicklung in der Umgebung der Talstation der Hausbergbahn werden. An dieser Beurteilung kann auch der Umstand nichts ändern, dass die Nähe des Vorhabens zur Bergbahn den Ski- und Gleitschirmsportlern und damit – weil es jedem offen stünde, die Leistungen der Klägerin in Anspruch zu nehmen – jedenfalls in gewisser Weise der „Allgemeinheit“ zugute käme. § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist ein Auffangtatbestand, der eine Zulassung nur für singulär bleibende Vorhaben eröffnet. Wird wie hier, durch Zweck und Gegenstand des Vorhabens diese Grenze überschritten, kann eine Zulassung nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB nicht erfolgen. Nur durch eine planerische Entscheidung der Gemeinde können in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Zulassung geschaffen werden.
cc) Da das Vorhaben somit nicht privilegiert ist, ist es bauplanungsrechtlich an § 35 Abs. 2 BauGB zu messen, wonach es im Einzelfall zugelassen werden kann, wenn seine Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen ebenfalls nicht vor. Das Vorhaben beeinträchtigt öffentliche Belange. Es widerspricht zum einen den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Dieser stellt dem streitgegenständlichen Bescheid zufolge das streitgegenständliche Grundstück als Fläche für die Land- und Forstwirtschaft dar. Diese Darstellung ist, wie man auch dem Luftbild aus dem Bayern Atlas vom 3. Juli 2019 entnehmen kann, nicht dergestalt überholt, dass dem Flächennutzungsplan insoweit keine Bedeutung mehr zugemessen werden könnte. Insbesondere ist im Falle der Entfernung der streitgegenständlichen Anlagen und einer Wiederherstellung des früheren Zustandes eine Grünlandnutzung möglich. Unabhängig davon lässt das Vorhaben die Verfestigung bzw. Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Das Vorhaben hätte im Falle seiner Zulassung ersichtlich eine negative Vorbildwirkung. Es gibt in der näheren Umgebung weitere bisher unbebaute Flächen, bei denen im Falle der Zulassung des vorliegenden Vorhabens ebenfalls Bauwünsche für Vorhaben geäußert werden könnten, bei denen die Nähe zur Hausberg-Talstation ein wichtiges Kriterium für die Standortwahl ist.
c) Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Ausübung des dem Beklagten durch Art. 76 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der Beklagte seine Entscheidung nicht auf fehlerhafte Überlegungen gestützt, indem er davon ausgegangen ist, dass das Vorhaben den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht und die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lässt. Eine Beeinträchtigung dieser öffentlichen Belange liegt vor (siehe oben). Dafür, dass der Klägerin verbindlich zugesichert worden ist, spätestens in drei Jahren einen Standort zugewiesen zu bekommen, ist nichts ersichtlich. Aus den beiden Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 5. August 2015 und 26. August 2015 geht sehr deutlich hervor, dass der Klägerin eine Aufstellung der Anlagen lediglich für die beiden Wintersaisonen 2015/2016 und 2016/2017 zugestanden wurde. Der Klägerin musste bewusst sein, dass es ausschließlich ihr Risiko war, wenn das Bebauungsplanverfahren nicht zu einem für die Klägerin erfolgreichen Abschluss innerhalb von drei Jahren oder überhaupt kommt. Der Einschätzung der Klägerin, dass sie unter Verstoß gegen Treu und Glauben von der Einlegung von Rechtsmitteln abgehalten worden ist, ist nicht zu folgen. Die Klägerin hätte das von ihr eingeleitete Vorbescheidsverfahren ohne weiteres weiterbetreiben können. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn man in der erteilten „temporären Gestattung“ zugleich eine inzwischen bestandskräftig gewordene Ablehnung des Vorbescheidsantrags sieht, ein erneuter Vorbescheids- oder Bauantrag zwar – wie sich aus diesen Entscheidungsgründen ergibt – keinen Erfolg versprochen hätte, ein solcher Antrag aber auch ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage hätte gestellt werden können (vgl. Simon / Busse / Lechner, BayBO, Art. 68 Rn. 125 f.). Anders ist es erst dann, wenn der versagende Bescheid durch ein rechtskräftig gewordenes verwaltungsgerichtliches Urteil bestätigt worden ist (BVerwG, Urteil vom 6. Juni 1975 – IV C 15.73 – juris). Fehlerhaft ist die Ermessensentscheidung auch nicht deshalb, weil der Beklagte der Behauptung der Klägerin beim Augenschein zufolge duldet, dass unmittelbar in der Nähe der Talstation der Hausbergbahn jedes Jahr temporär eine Hütte aufgestellt wird. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Hütte im Hinblick auf ihre Größe oder andere Umstände mit dem Vorhaben der Klägerin vergleichbar ist. Nicht ersichtlich ist ebenfalls, dass sich der Beklagte bei der Ermessensausübung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Schließlich ist die Ermessensausübung im Ergebnis trotz der erheblichen Folgen für die Klägerin nicht unverhältnismäßig. Der Klägerin musste bewusst sein, dass sie ein hohes finanzielles Risiko einging, indem sie die Anlagen, insbesondere das Hauptgebäude, errichtete, obwohl ihr nur eine „temporäre Gestattung“ für zwei Wintersaisonen, aber keine dauerhafte Baugenehmigung erteilt worden war.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.