Aktenzeichen 10 O 1165/19
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 26.947,48 € festgesetzt.
Gründe
A.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Nürnberg-Fürth sachlich gemäß §§ 23, 71 GVG und örtlich gemäß § 32 ZPO zuständig.
II.
Die Klage ist unbegründet, Ansprüche gemäß §§ 826, 31 BGB, gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bestehen nicht.
1. Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB ist nicht gegeben, da die Klagepartei bereits nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat, dass die Beklagte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung begangen hat. Auf die Frage einer Zurechnung gemäß § 31 BGB kommt es daher nicht an.
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, dass nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (statt vieler BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12). Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel; den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19 m.w.N.).
Eine Sittenwidrigkeit kommt daher nur dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von der Verwendung einer Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19).
b) Bei Auslegung dieses Maßstabes kann eine zumindest vertretbare Auslegung des Gesetzes nicht als besonders verwerfliches Verhalten gewertet werden. Es kommt nicht darauf an, ob eine temperaturabhängige Abgasrückführung eine unzulässige Abschalteeinrichtung darstellt. Erforderlich wäre zumindest, dass dies derart offenkundig ist, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erscheint und deshalb Beweggrund und Zweck des Einbaus einer solchen Funktion eine besondere verwerfliche Gesinnung offenbaren. Davon kann nicht ausgegangen werden, wenn zumindest vertretbar ist, dass es sich bei der temperaturbedingten Abgasbehandlung um keine oder aber eine zulässige Abschalteeinrichtung handelt.
(1) Aus dem Vortrag der Klagepartei zum im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Einsatz kommenden Abgasrückführungssystem, welches unstreitig nicht durchgehend in Betrieb ist, sondern bei Vorliegen bestimmter, zwischen den Parteien im Einzelnen streitiger Parameter abschaltet (sog. Thermofenster), ergibt sich jedoch nicht hinreichend substantiiert, dass die Beklagte das Vorhandensein einer – unterstellt – unzulässigen Abschalteinrichtung, kannte oder zumindest für möglich hielt.
Denn zu der Frage der Zulässigkeit von Abschalteinrichtung werden höchst unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten. Dies ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Parteien im hiesigen Rechtsstreit sowie aus der durch beide Parteien zitierten Rechtsprechung. Deshalb kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beklagte eine unterstellte Unzulässigkeit kannte oder auch nur für möglich hielt.
(2) Bereits auf Grundlage des Wortlauts des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kann nicht eindeutig beantwortet werden, ob es sich bei der von der Klagepartei gerügten Funktion um eine Abschalteinrichtung im Sinne dieser Vorschrift handelt, da die Vorschrift derart unklar formuliert ist, dass es zwingend ihrer Auslegung bedarf.
Bei der von der Klagepartei gerügten Funktion handelt es sich um einen innermotorischen Vorgang, bei dem es sich um eine dynamische Abgasrückführungsrate handelt, die anhand der bestimmter, im Einzelnen zwischen den Parteien streitiger Parameter erfolgt, nicht anhand der Erkennung des NEFZ-Zyklus.
Zwar genügt auch die Anknüpfung an die Temperatur oder anderer Parameter grundsätzlich für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Allerdings ist Ziel der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht, dass die Grenzwerte im NEFZ-Zyklus immer und überall eingehalten werden. Maßgeblich ist allein, dass die Grenzwerte unter den Fahrbedingungen eingehalten werden, die dem NEFZ-Zyklus entsprechen und dies ein realistisches Fahrverhalten des Fahrzeugs bei solchen Bedingungen wiedergibt. Es liegt auf der Hand, dass die Grenzwerte bei höheren oder niedrigeren Geschwindigkeiten über- oder unterschritten werden können. Dasselbe kann für andere Temperaturbereiche gelten.
Anders als bei dem Motor EA 189 der Volkswagen AG, wo gezielt Mittel eingesetzt wurden, um den NEFZ-Zyklus zu erkennen und außerhalb dieses Zyklus, die Abgasrückführung oder -nachbehandlung im Sinne eines Modus „1“ oder „0“ erheblich reduziert wurden, erfolgt vorliegend eine Anpassung der Abgasrückführungsräte anhand der Außentemperatur mit dem Ziel des Motorschutzes. Es ist aber etwas anderes, wenn eine Funktion des Fahrzeugs gezielt erkennt, ob der NEFZ-Zyklus durchfahren wird oder ob die Emissionen bei Temperaturbereichen, in denen der NEFZ-Zyklus durchfahren wird, generell anders ausfallen als bei sehr niedrigen oder hohen Temperaturen.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass eine Funktion, bei der die Abgasrückführungsrate stets abhängig von der Außentemperatur bestimmt wird, eine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellen kann. Jedoch ist der Wortlaut der Norm derart unklar und auslegungsbedürftig, dass es jedenfalls nicht unvertretbar ist, davon auszugehen, dass dies keine Abschalteinrichtung darstellt (ebenso LG Stuttgart, Urt. v. 03.05.2019, Az. 22 O 238/18).
(3) Darüber hinaus ist der Einwand der Beklagten zu berücksichtigen, dass die temperaturabhängige Abgasrückführung zum Motorschutz notwendig sei. Auch insoweit ist nicht unvertretbar, dass dies unter die Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 fällt – auch wenn ein großer Temperaturbereich betroffen wäre.
Lediglich bei einer außerordentlich engen Auslegung des Ausnahmetatbestands dahingehend, dass keine anderen technischen Maßnahmen verfügbar sein dürfen, die Emissionswerte einzuhalten, und dass eine Abschalteinrichtung nur in ganz engen Ausnahmesituationen greifen darf, wäre zu vertreten, dass die vorliegende temperaturabhängige Abgasrückführung unzulässig ist. Für eine derart enge Auslegung finden sich jedoch unter Berücksichtigung des Wortlauts der Vorschrift, ihrer Entstehungsgeschichte und den unterschiedlichen Übersetzungen keine Anhaltspunkte. Hinzu kommt, dass die Vorschriften bei einer solchen Auslegung nur dann hinreichend bestimmt wären, wenn sich ihnen klar entnehmen ließe, wie diese engen Grenzen zu ziehen sind. Stattdessen enthält der Wortlaut der Vorschrift keinerlei Einschränkung außer der Notwendigkeit zum Schutz des Motors vor Beschädigung.
Diese Auslegungsschwierigkeiten machen deutlich, dass es nicht unvertretbar ist, wie die Beklagte davon auszugehen, dass die temperaturabhängige Abgasrückführungsmechanik eine jedenfalls ausnahmsweise zulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18; OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19 Landgericht Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019 – 22 O 238/18).
(4) Eine Kenntnis der Beklagten von einer – unterstellten – Unzulässigkeit der verbauten Abschalteinrichtung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass nach dem klägerischen Vortrag ein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes erfolgt ist. Denn der entsprechende Vortrag wurde von Seiten der Beklagten zum einen gerade bestritten und es wurde von Seiten des Klägers keinerlei Nachweis für den behaupteten behördlichen Rückruf vorgelegt. Zum anderen würde ein rechtskräftiger Bescheid zwar möglicherweise den Nachweis einer unzulässigen Abschalteeinrichtung erbringen, nicht jedoch den Nachweis einer entsprechenden Kenntnis der Beklagten hiervon.
(5) Die Beklagte traf insoweit auch keine sekundäre Darlegungslast. Stattdessen obliegt es der Klagepartei, substantiiert darzulegen, aus welchen Indizien sie auf eine Arglist der Beklagten schließt. Erst wenn sie hierzu hinreichend vorträgt obliegt es der Beklagten, diesen Vortrag zu widerlegen. Es kommt daher auch nicht darauf an, welche Gremien beziehungsweise Funktionsebenen innerhalb der Beklagten in die Entwicklung des Motors und der für die Abschaltung maßgeblichen Software eingebunden waren. Es bleibt nämlich, wie bereits dargelegt, bereits unter Berücksichtigung des Vortrags der Klagepartei die Möglichkeit offen, dass die entscheidenden Personen von einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung in der tatsächlich verwendeten Form ausgingen.
c) Selbst wenn man der Beklagten vorwerfen wollte, dass bessere Technologien verfügbar gewesen wären, die durchgehend niedrigere Emissionsraten ermöglicht hätten, tritt in diesem Verhalten jedenfalls keine Gesinnung zu Tage, die von besonderer Verwerflichkeit geprägt ist. Denn es ist, wie ausgeführt, zumindest vertretbar, die installierte dynamische Abgasrückführungsmechanik nicht als Abschalteinrichtung oder aber als ausnahmsweise zulässige Abschalteinrichtung einzustufen (Landgericht Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019 – 22 O 238/18).
d) Ungeachtet dessen ist in der Rechtsprechung anerkannt; dass eine Haftung nach § 826 BGB ausscheidet, wenn der Handelnde der redlichen Überzeugung war, er dürfe in Verfolgung eines erlaubten Interesses handeln. Dies schließt nämlich die Annahme eines vorsätzlichen Sittenverstoßes aus (BGH, Urteil vom 15.09.1999 – I ZR 98/9). Vor dem Hintergrund der Auslegungsbedürftigkeit der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und der Vertretbarkeit der Auffassung, die temperaturabhängige Abgasregelung falle nicht unter Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, zumindest aber unter die Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 lit. a) der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, kann auf Grundlage des klägerischen Vortrags nicht davon ausgegangen werden, dass ein vorsätzlicher Sittehverstoß zu bejahen ist.
2. Der Anspruch folgt aus den vorgenannten Gründen auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Denn es fehlt jedenfalls an einem Nachweis zur notwendigen Überzeugung des Gerichts, dass ein entsprechender Täuschungsvorsatz gegeben ist. Auch stellt sich hier ebenfalls die Problematik, ob auf Seiten des Klägers überhaupt ein entsprechender Schaden eingetreten ist.
3. Ein klägerischer Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht nicht, da die Vorschriften der EG-FGV keine Rechtsnormen sind, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen sollen, den jeweiligen Erwerber eines Kfz vor jedweden Schäden zu schützen (OLG Koblenz, Urteil vom 21.10.2019 – 12 U 246/19). Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an. Den Erwägungsgründen 2, 4 und 23 zufolge bezweckt diese Richtlinie die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen (Erwägungsgrund 2). Weder an diesen Stellen noch unter den anderen Erwägungsgründen der Richtlinie lässt sich demgegenüber ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (Seite 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 29.11.2017 – 3 O 299/17).
4. Mangels Erfolgs in der Hauptsache sind auch die klägerischen Anträge nach Ziff. 2 und 3 ohne Erfolg.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.