Aktenzeichen B 1 E 21.550
VwGO § 123 Abs. 1, Abs. 5
VwGO § 70 Abs. 1
BayVwZVG Art. 9
VwGO § 121
Leitsatz
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der am … geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T durch Bescheid des Landratsamts … (Landratsamt) vom 4. Dezember 2020.
Das Landratsamt … erhielt am 15. April 2019 eine Mitteilung der Polizeiinspektion … über eine Ermittlung (Nötigung im Straßenverkehr). Der Sachverhaltsdarstellung der Polizei ist Folgendes zu entnehmen: Am 29. März 2019 habe ein Rettungstransportwagen in der Sackgasse auf der Fahrbahn vor der Intensivpflegeeinrichtung geparkt (zum Transport eines Patienten mit einer schweren Hirnschädigung in die Intensivpflegeeinrichtung). Als der Patient in die Einrichtung verbracht worden sei, hätten die Rettungskräfte einen Pkw mit dem Kennzeichen … hinter dem Rettungsfahrzeug bemerkt. Als sie rückwärts aus der Sackgasse hätten fahren wollen, habe der Fahrer des Pkw sie zur Rede gestellt. Als sie geantwortet hätten, dass keine andere Stellplatzmöglichkeit vorhanden gewesen sei und sie jetzt wegfahren wollten, habe der Fahrer die Rettungskräfte gefragt, wie sie rauskommen wollten, da er die Ausfahrt versperrt habe. Der Fahrer habe sich wieder in den Pkw gesetzt und die Rettungskräfte noch 5 Minuten an der Weiterfahrt gehindert. Danach habe er das Fahrzeug zurückgesetzt und am rechten Fahrbahnrand geparkt. Das Rettungsfahrzeug sei zu diesem Zeitpunkt für weitere Einsätze eingeteilt gewesen. Bei der Beschuldigtenvernehmung habe der Antragsteller zugegeben, dass er der Fahrer des Fahrzeugs gewesen sei. Er habe die Ansicht vertreten, dass sich die Rettungskräfte falsch verhalten hätten und ihn an der Wahrnehmung seines Rechts, jederzeit die Grundstückszufahrt zu betreten, gehindert hätten. Die Rettungskräfte hätten noch 10 m weiterfahren können. Dann hätte er auch problemlos in sein Grundstück fahren können. Sie hätten auf den Parkplätzen parken können. Es sei den Rettungskräften möglich, sich 5 m zu bewegen. Auf die Frage, warum er nicht rechts geparkt habe, habe er angegeben, dass er 47,5 Jahre Sozialversicherungsbeiträge gezahlt habe, Steuergelder zahle und deshalb das Recht habe, in seine Garage zu fahren.
In der Akte befindet sich ein Strafbefehl wegen Nötigung (Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu 50 EUR) rechtskräftig seit 25. Juli 2019 mit dem Vermerk „mit Ausnahme der Tagessatzhöhe“. Mit Urteil des Amtsgerichts … vom 25. Juli 2019 wurde der Strafbefehl auf den Einspruch des Angeklagten dahingehend abgeändert, dass die Tagessatzhöhe auf 40 EUR festgesetzt wurde.
Das Landratsamt ordnete mit Schreiben vom 21. Oktober 2019 (zugestellt am 23. Oktober 2019) die Vorlage eines medizinisch – psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf der Grundlage von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV bis zum 30. Dezember 2019 an. Mit Bescheid vom 28. Januar 2020 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T entzogen. Die Straftat, die mit rechtskräftigem Strafbefehl festgestellt worden sei, sei als erheblich einzustufen. Der Kläger habe angesichts eines unbedeutenden Anlasses, ungehindert Zugang zu seiner Grundstückszufahrt zu erhalten, einem Rettungstransportwagen willentlich den Weg zur Weiterfahrt versperrt. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr, ein Augenblickversagen könne ausgeschlossen werden. Eine ähnliche Situation könne im Straßenverkehr jederzeit wieder auftreten. Das Ermessen des § 11 Abs. 3 FeV sei derart reduziert, dass die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens habe eingeholt werden müssen. Nachdem der Kläger das Gutachten nicht beigebracht habe, sei er gem. § 11 Abs. 8 FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen einzuschätzen.
Mit rechtskräftigem Gerichtsbescheid vom 30. April 2020 wurde der Bescheid des Landratsamts vom 28. Januar 2020 vom erkennenden Gericht aufgehoben. Die der Entziehung zugrunde liegende Gutachtensanordnung ist nach den Ausführungen des Gerichts ermessensfehlerhaft gewesen. Die Fahrerlaubnisbehörde muss anhand aller Umstände des konkreten Falls prüfen, ob die sich aus der begangenen (Anlass-)Straftat (sowie ggf. weiteren Umständen) ergebenden Eignungszweifel hinreichend gewichtig sind, um die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu rechtfertigen, und ihre diesbezüglichen Erwägungen auch offenlegen, was bis dato nicht erfolgt war. Die Behörde darf auch nicht außer Acht lassen, dass nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem mit Punkten bewertete Verkehrsverstöße grundsätzlich noch keine Eignungsüberprüfung auslösen. Die Fahrerlaubnisbehörde muss dabei im Einzelnen unter Auswertung aller konkreten Umstände näher begründen, warum sie aus besonderen Gründen im Einzelfall, der sich erheblich vom Normalfall sonstiger Verkehrsteilnehmer mit einem Punktestand abheben muss, aufgrund einer Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Kraftfahrers oder wegen der Art, der Häufigkeit oder des konkreten Hergangs der Verkehrsverstöße Eignungsbedenken hegt (BayVGH, B.v. 7.8.2014 – 11 CS 14.352 – juris Rn. 26 – 28).
Unter dem 2. September 2020 forderte das Landratsamt den Antragsteller erneut gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV auf, bis 10. November 2020 ein medizinisch – psychologisches Gutachten beizubringen. Die Fragestellung lautete:
„Ist trotz der aktenkundigen Straftat im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr zu erwarten, dass er künftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird?“
Dies begründete das Landratsamt mit der rechtskräftigen Verurteilung vom 25. Juli 2019 und mit dem gezeigten Verhaltensmuster durch wiederholte Äußerungen bei Vorsprachen, in Anzeigen und Beschwerden, woraus sich Zweifel an der Kraftfahreignung ergeben würden.
Es habe im Rahmen der Ermittlungen die Aussage im Raum gestanden, dass es dem Antragsteller „scheiß egal“ gewesen sei, dass die Sanitäter rückwärts rausfahren haben wollen. Es sei den weiteren Ermittlungen zu entnehmen, dass der Antragsteller deutlich gemacht habe, dass die Angehörigen des Rettungsdienstes sich falsch verhalten hätten und ihn an der Einfahrt in sein Grundstück gehindert hätten. Trotz der rechtskräftigen Verurteilung wegen Nötigung habe der Antragsteller mehrere Beschwerden und Anzeigen betrieben, durch welche in besonderer Weise dokumentiert werde, dass eine Einsicht seines Fehlverhaltens gerade nicht stattgefunden habe und dies bis zum heutigen Tag in Zweifel stehe. Insbesondere habe er am 7. Februar 2020 angegeben, dass Nötigung kein Parken mit ausreichendem Abstand sei.
Er habe Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde eingelegt, Strafanzeigen gegen Staatsanwälte und die Richterin am Amtsgericht gestellt und sich an das Bayerische Staatsministerium der Justiz und den Bayerischen Landtag gewendet. Dies zeige, dass eine Einsicht gerade nicht stattgefunden habe.
Dieses gesamte Verhalten lasse Verhaltensmuster deutlich werden, welche Zweifel an der Fahreignung eröffneten, sodass jenseits des Punktesystems solche charakterlichen Eignungsmängel vorliegen würden, die ausnahmsweise die Anordnung eines medizinisch – psychologischen Gutachtens rechtfertigen würden. Es könne zur Beurteilung der Erheblichkeit in der Bewehrung mit Punkten eine Schwelle gesehen werden wie es bei einer „normalen“ Nötigung ohne Punktebewehrung anzunehmen wäre. Gerade eine Schwelle darin zu sehen, ob die strafgerichtliche Entscheidung hier zu einem Punkteeintrag geführt habe, würde der vorliegenden besonderen Art der Nötigung sowie der dabei und anschließend gezeigten Verhaltensmuster nicht gerecht.
Im vorliegenden Fall würden besondere Umstände vorliegen, welche die in Abweichung zum Punktesystem ergriffene Maßnahme rechtfertigten. Es handele sich nicht um eine „normale“ Nötigung, sondern der Antragsteller habe trotz eines nur unbedeutenden Anlasses nicht einem „normalen“ Verkehrsteilnehmer, sondern einem Rettungswagen willentlich den Weg versperrt. Ihm sei der Umstand, dass er Steuergelder zahle, wichtiger gewesen als einem Rettungswagen den Weg frei zu machen und habe damit in Kauf genommen, dass ein folgender Einsatz blockiert werde. Ein solches Verhalten sei der Situation völlig unangemessen gewesen und habe deutliche Anhaltspunkte gezeigt, dass er sein Verhalten im Straßenverkehr nicht ausreichend kontrollieren könne und nicht zuletzt bereit sei, Straftaten zu begehen.
Es bestehe wegen der fehlenden Einsichtsfähigkeit auch weiterhin die Gefahr, dass durch rücksichtsloses Interpretieren seiner Freiheiten Rechte (anderer) im Straßenverkehr verletzt werden. Das gezeigte Verhalten im Rahmen der Straftat, aber auch die ergänzende Würdigung der Gesamtpersönlichkeit würden Verhaltensmuster deutlich werden lassen, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken könnten, dass die Verkehrssicherheit gefährdet werden könne. Die Fahrerlaubnisbehörde habe zwischen seinen persönlichen Belangen und dem öffentlichen Interesse der Verkehrssicherheit abzuwägen. Aufgrund der beschriebenen Verhaltensmuster, würden sich die Fahreignungszweifel so verstärken, dass das in § 11 Abs. 3 FeV eingeräumte Ermessen derart reduziert sei, dass sich für die Anordnung entschieden worden sei. Es solle geklärt werden, ob er nunmehr bzw. künftig angemessene Kontrollmechanismen entwickelt habe, damit derartige Verfehlungen nicht mehr vorkämen. Es wurde auf § 11 Abs. 8 FeV hingewiesen.
Der Antragsteller legte ein Gutachten nicht vor.
In der Akte (Bl. 196) findet sich unter anderem ein Brief an den Landrat mit einem Schreiben des Antragstellers vom 22. November 2020 an das Landratsamt …, dort eingegangen am 23. November 2020, in dem er „Widerspruch erstattete“. Dieses wird auf Bl. 184 der Behördenakte nochmal per E-Mail der Regierung … vom 3. Dezember 2020 an das Landratsamt weitergeleitet.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2020 entzog das Landratsamt dem Antragsteller erneut die Fahrerlaubnis der Klassen A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T (Ziffer 1). Der Führerschein sei innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Führerscheinstelle abzugeben (Ziffer 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Ziffer 2 werde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR zur Zahlung fällig (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 werde angeordnet (Ziffer 4). In Ziffer 5 werden dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auferlegt und eine Gebühr in Höhe von 200,00 EUR festgesetzt, sowie Auslagen in Höhe von 4,11 EUR erhoben.
Zur Begründung wird der Sachverhalt der Gutachtensanforderung wiederholt. Der Antragsteller habe das angeordnete Gutachten nicht beigebracht, sodass daraus gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Ungeeignetheit geschlossen werden könne. Die Ablieferungspflicht beruhe auf § 47 Abs. 1 FeV. Die Zwangsgeldandrohung und Kostenentscheidung wurde näher begründet.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge im öffentlichen Interesse. Es sei mit den Belangen der Verkehrssicherheit nicht zu vereinbaren, wenn Personen als Führer von Kraftfahrzeugen am Straßenverkehr teilnehmen, obwohl sie sich hierzu als ungeeignet erwiesen hätten. Das von der Behörde wahrzunehmende Interesse am sofortigen Schutz der übrigen Verkehrsteilnehmer überwiege sein Interesse bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Entzugsverfahrens vorläufig weiter von der entzogenen Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können. Es habe nicht zugelassen werden können, dass eine weitere Teilnahme am Straßenverkehr ermöglicht werde, die zu einer Gefährdung führen könnte.
Am 9. Dezember 2020 erschien der Antragsteller im Landratsamt. Ein dazu gefertigter Aktenvermerk lautet: „Vorsprache von Herrn … am 09.12.2020: Infotheke teilt mit, dass Herr … vor dem LRA steht und Führerschein abgeben möchte. Bei der daraufhin folgenden Vorsprache lehnt Herr … dies jedoch ab. Erklärt, dass er nicht verstehe, weshalb ihm der Führerschein erneut entzogen wird. Zum einen sei der im Bescheid vom 04.12.2020 geschilderte Sachverhalt falsch, zum anderen habe er bereits im Sommer wegen der gleichen Sache vor Gericht Recht bekommen. Des Weiteren habe das LRA hierauf Rechtsmittelverzicht eingelegt. Herr … teilte zudem mit, dass er sich in seinen Grundrechten verletzt sieht, dass er Herrn M. S. kontaktieren und zur Not alle rechtlichen Instanzen ausschöpfen werde.“
Am 10. Dezember 2020 schrieb der Antragsteller an das Bayerische Justiz- und Innenministerium, „stellte Klage und Aufsichtsbeschwerde“ bzw. begehrt „Widerruf wegen nicht nachvollziehbarer grobfahrlässiger Beurteilung eines Sachverhaltes“ und moniert, dass das Landratsamt sich über ein Gerichtsurteil hinwegsetze.
Ausweislich eines Aktenvermerks vom 28. Januar 2021 (Bl. 206 d. Behördenakte) rief der Antragsteller an diesem Tag im Landratsamt an und fragte unter anderem nach, weshalb er eine Mahnung für die Kosten des Entzugsbescheids erhalte; das Gericht habe schließlich schon im Mai 2020 zu seinen Gunsten entschieden.
Unter dem 29. Januar 2021 (Bl. 208) antwortete das Landratsamt unter Beifügung einer Kopie des Entziehungsbescheids vom 4. Dezember 2020 samt Kostenrechnung in Kopie, dass der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen habe. Das Schreiben wurde per Postzustellungsurkunde zugestellt. Die Postzustellungsurkunde mit dem Aktenzeichen* … (Bl. 210 d. Behördenakte) weist aus, dass das Schriftstück in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden sei, weil die Übergabe nicht möglich gewesen sei. Als Tag der Zustellung ist der 30. Januar 2021 vermerkt.
Der Antragsteller wandte sich mit Schreiben vom 1. Februar 2021, eingegangen am 3. Februar 2021, an den Landrat (Bl. 218 d. Behördenakte). Darin erklärt er, dass er vom Landratsamt „mit Führerscheinentzug verfolgt“ werde und hiermit „aus Zeitgründen kurz Widerruf“ stelle. Er verwies auf die Gutachtensanforderung vom 2. September 2020.
Unter dem 9. Februar 2021, zugestellt am 11. Februar 2021, erließ das Landratsamt einen Bescheid, wonach der Antragsteller nochmals aufgefordert werde, den Führerschein der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M, S und T bis zum 19. Februar 2021 in der Führerscheinstelle abzugeben (Ziffer 1). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 des Bescheides vom 4. Dezember 2020 erfolglos geblieben sei und eine weitere keinen Erfolg erwarten lasse.
Mit Schreiben vom 8. März 2021 antwortete das Landratsamt auf das Schreiben an den Landrat. Dieses werde als Widerspruch ausgelegt. Im Bescheid vom 4. Dezember 2020 sei er in der Rechtsbehelfsbelehrung:darauf hingewiesen worden, dass er innerhalb eines Monats schriftlich oder zur Niederschrift beim Landratsamt oder durch qualifiziert signiertes Dokument Widerspruch einlegen oder alternativ Klage erheben könne. Die Vorsprache am 9. Dezember 2020 genüge dem nicht und das Schreiben, das am 3. Februar 2021 eingegangen sei, sei nicht rechtzeitig. Der Widerspruch sei nicht zulässig, jedenfalls nicht begründet.
In einem Aktenvermerk vom 15. März 2021 hält das Landratsamt fest, dass der Antragsteller mitgeteilt habe, dass der als Widerspruch behandelte „Widerruf“ nicht sogleich der Regierung vorgelegt werden solle, sondern die Frist zur angebotenen Rücknahme bis 2. April 2021 abgewartet werden solle.
Am 18. März 2021 wurde der Führerschein von der Polizei sichergestellt.
Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 5. Mai 2021, eingegangen bei Gericht am 6. Mai 2021, erhob der Antragsteller Klage mit dem Antrag:
Es wird festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 04.12.2020, Az.: … (Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers mit Anordnung des Sofortvollzugs) nichtig ist.
Gleichzeitig beantragt er im einstweiligen Rechtsschutz:
Dem Antragsgegner wird aufzuerlegt, den Führerschein des Antragstellers mit den Fahrerlaubnisklassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T, Kartennummer …, an diesen auszuhändigen.
Zur Begründung lässt er vortragen, dass über den vorliegenden Sachverhalt bereits rechtskräftig entschieden worden sei und mithin die Rechtskraft gemäß § 121 VwGO dem erneuten Entzug der Fahrerlaubnis entgegenstehe. Der Entziehungsbescheid sei nichtig, da er das gerichtliche Urteil missachte. Alle Umstände, die nunmehr als Begründung in der Gutachtensanforderung vom 2. September 2020 ausgeführt worden seien, hätten bereits vor dem Zeitpunkt des Gerichtsbescheids vorgelegen und seien bereits Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gewesen. Die von der Antragsgegnerin erneute, auf dem gleichen Sachverhalt beruhende Entscheidung durchbreche nicht nur den demokratischen Grundsatz der Gewaltenteilung, sondern stehe auch im eklatanten Widerspruch zum Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG. Der effektive Rechtsschutz werde ausgehebelt, wenn es den Behörden gestattet werde, nach einer für den Betroffenen positiven gerichtlichen Verurteilung hin einfach den gleichen Bescheid erneut zu erlassen und dies insbesondere mit der Anordnung des Sofortvollzugs zu verbinden. Die Annahme einer bloßen Rechtswidrigkeit gäbe der Behörde die Möglichkeit der ständigen Wiederholung. Durch die aufgrund der Arbeitsbelastung erheblichen Zeitdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren ließe sich ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr erreichen, zumal nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Behörde auch ein drittes oder viertes Mal den Bescheid wiederholen würde. Durch die Missachtung der gerichtlichen Entscheidung sei auch ein objektiv willkürliches Verhalten anzunehmen. An der objektiven Willkürlichkeit ändere sich auch nichts, wenn der Behördenmitarbeiter der subjektiv fehlerhaften Auffassung sei, dass er den Bescheid erneut erlassen dürfe. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen für die Anordnung einer medizinisch – psychologischen Untersuchung nicht vor.
Der Antragsteller habe am 9. Dezember 2020 persönlich Widerspruch einlegen wollen. Zunächst habe man ihn nicht eintreten lassen. Erst als er vorgegeben habe, seinen Führerschein abgeben zu wollen, sei ihm Zutritt gewährt worden.
Sofern das Gericht die Vorsprache vom 9. Dezember 2020 oder eines der Schreiben vom 10. Dezember 2020 als ordnungsgemäße Widerspruchseinlegung ansehe, werde wegen der dann erforderlichen Antragsumstellung um einen zeitnahen rechtlichen Hinweis gebeten. Rechtsgrundlage für die Aushändigung des Führerscheins seien § 2 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2, Abs. 4, Abs. 5 StVG, § 4 Abs. 2 FeV. Nach der summarischen Prüfung der Hauptsache-Erfolgsaussichten stehe dem Antragsteller der Anspruch zu. Es würden sich keine Anhaltspunkte für eine Ungeeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen ergeben. Aufgrund des angeordneten Sofortvollzuges sei ein gesonderter Antrag über die bereits durch den Antragsteller unmittelbar erfolgten Anträge nicht mehr erforderlich gewesen. Ein Abwarten bis zur Hauptsacheentscheidung sei nicht zumutbar. Der Antragsteller könne aktuell nicht am Kraftfahrtstraßenverkehr teilnehmen und werde in seinem Recht auf auch motorisierte Bewegungsfreiheit eingeschränkt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Bescheid vom 4. Dezember 2020 sei dem Antragsteller mangels Rücklauf der Postzustellungsurkunde spätestens am 9. Dezember 2020 bekannt gewesen, da er bei der persönlichen Vorsprache auf den Bescheid Bezug genommen habe (Art. 9 VwZVG). Die Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfes habe mit Ablauf des 11. Januar 2021 geendet. Es wurde auf das Schreiben vom 8. März 2021 verwiesen.
Es werde der Auffassung der Antragstellerseite nicht gefolgt, wonach ein gesonderter Antrag über die bereits durch den Antragsteller unmittelbar erfolgten Anträge nicht mehr erforderlich sei. Der Antrag sei schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu stellen. Ein schriftlicher Antrag sei beim Gericht gestellt worden. Der Antrag nach § 123 VwGO bleibe nur zulässig, solange die Hauptsache nicht rechtskräftig entschieden sei. Die Klage vom 6. Mai 2021 lasse darauf schließen, dass es sich beim Schreiben vom 1. Februar 2021 nicht um einen Widerspruch gehandelt habe, da andernfalls die Klagemöglichkeit nicht gegeben sei. Es könne immer nur entweder Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben werden. Deshalb sei vom Bevollmächtigten des Antragstellers am 7. Mai 2021 auch erklärt worden, dass angesichts der Klage und dem Eilantrag keine Veranlassung einer Reaktion auf die angebotene Rücknahme des „Widerrufs“ gesehen werde.
Da die Hauptsache bestandskräftig entschieden sei, sei der Antrag unzulässig. Die Verwaltung könne zwar ausnahmsweise bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen zur Aussetzung des Vollzugs eines Verwaltungsaktes verpflichtet werden, wenn Rechtsschutz nur durch eine auf verwaltungsbehördliche Aufhebung gerichtete Verpflichtungsklage in Betracht komme (insbesondere bei einer nachträglichen Veränderung der Sach- oder Rechtslage). Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Der Antrag sei jedenfalls unbegründet, da dem Antragsteller kein Anspruch auf Herausgabe zustehe. Es seien die Erwägungen im Gerichtsbescheid aufgegriffen und unter deren Berücksichtigung eine neue Anordnung mit umfassender Würdigung erlassen worden. Der Gerichtsbescheid sei zum Anlass genommen worden, die damaligen Mängel in der Anordnung zu korrigieren. Es sei nun zum Ausdruck gebracht worden, dass der Antragsteller sein Fehlverhalten nicht einsehe. Es handele sich um einen mit dem Gerichtsbescheid nicht identischen Streitgegenstand. Die materielle Rechtskraft der früheren Entscheidung habe deshalb nicht entgegengestanden.
Auch eine Interessenabwägung ergebe, dass es bei der sofortigen Vollziehung bleibe, das öffentliche Interesse überwiege. Der Antragsteller habe die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung weder ausreichend substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht, warum er die Fahrerlaubnis dringend brauche und deshalb eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten des Landratsamts und der Regierung … ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg. Bei der Abgrenzung der verschiedenen Arten einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht die – im Übrigen auch nicht erforderliche – Nennung der einen oder anderen Vorschrift im Antrag, sondern das sachliche Begehren entscheidend (Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 123 Rn. 39). Es begründete einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG, einen Antrag als unzulässig zu bewerten und ihn nicht in Anwendung von § 88 VwGO als Antrag nach § 123 VwGO bzw. umgekehrt nach § 80 Abs. 5 VwGO auszulegen oder zumindest vor einer Entscheidung in Anwendung von § 86 Abs. 3 VwGO einen Hinweis auf mögliche Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des gestellten Antrags zu geben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Rechtsschutzziel klar aus dem Antrag und der Begründung des Antrags zu erkennen ist und dieses Rechtsschutzziel zulässigerweise verfolgt werden kann (BVerfG, B.v. 23.10.2007 – 2 BvR 542/07 – Rn. 15, 17 – juris). Das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen Anträgen wird im Ausgangspunkt durch § 123 Abs. 5 VwGO bestimmt. Hiernach finden die Vorschriften über den Erlass der einstweiligen Anordnung – subsidiär – nur dann Anwendung, wenn vorläufiger Rechtsschutz nicht nach §§ 80, 80a VwGO erreicht werden kann.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Gericht die Erfolgsaussichten umfänglich geprüft.
1. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO scheitert daran, dass der streitgegenständliche Bescheid vom 4. Dezember 2020 bestandskräftig geworden ist, da der Antragsteller nicht innerhalb der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO wirksam Widerspruch eingelegt (bzw. Klage erhoben) hat.
Der Bescheid des Antragsgegners ist mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung:versehen. Danach ist der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift oder mittels qualifiziert signiertem Dokument über den von der Behörde eröffneten Zugang einzulegen. Dies entspricht der Regelung des § 70 Abs. 1 VwGO. Der Bescheid ist dem Antragsteller spätestens am 9. Dezember 2020 bekannt geworden. Zwar fehlt in den Akten eine Postzustellungsurkunde, die vom Landratsamt dem streitgegenständlichen Bescheid zugeordnet wird. Der Antragsteller hat aber am 9. Dezember 2020 persönlich bei der Führerscheinstelle vorgesprochen und laut Aktenvermerk erst erklärt, er möchte den Führerschein abgeben, aber habe dann ausgeführt, dass er nicht verstehe, weshalb ihm die Fahrerlaubnis erneut entzogen werde. Dies wird von der Antragsschrift auch so bestätigt, insbesondere habe der Antragsteller an diesem Tag persönlich gegen den Bescheid Widerspruch einlegen wollen.
Gemäß Art. 9 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) gilt ein Dokument als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, wenn sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen lässt oder es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist. Da der Antragsteller am 9. Dezember 2020 auf die erneute Fahrerlaubnisentziehung Bezug nahm, gilt der Bescheid an diesem Tag als zugestellt, sodass die Widerspruchsfrist am 11. Januar 2021 um 24:00 Uhr abgelaufen ist, § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188, 193 BGB. Innerhalb dieser Frist ist ein formgerechter Widerspruch nicht eingelegt worden.
Eine persönliche Vorsprache genügt den Erfordernissen des § 70 Abs. 1 VwGO nicht.
Der Antragsteller hat am 10. Dezember 2020 zwar auch verschiedene Schreiben an das Bayerische Justiz- und Innenministerium verfasst. Allerdings ist der Widerspruch nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Gewahrt wäre die Frist auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, § 70 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Andere Behörden – auch die höhere Aufsichtsbehörde – sind zur Entgegennahme nicht zuständig. Zwar hat eine unzuständige Behörde, bei der ein (ggf. als solcher auszulegender) Widerspruch eingelegt wurde, den Widerspruch grundsätzlich an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Erfolgt die Weiterleitung jedoch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist, ist die Frist nicht gewahrt (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 70 Rn. 16). Die Abgabe erfolgt auf Risiko des Widerspruchsführers; die Frist ist nur gewahrt, wenn das Widerspruchsschreiben bei der Ausgangsbehörde rechtzeitig eingeht, wobei Verzögerungen keine Wiedereinsetzung begründen (Eyermann/Rennert, 15. Aufl. 2019, VwGO § 70 Rn. 16). Am 13. November 2020 teilte das Bayerische Staatsministerium des Innern mit, dass sich der Antragsteller an sie gewendet habe und wiederholte dies mit E-Mail vom 28. Januar 2021, in der gleichzeitig um Sachstandsmitteilung gebeten wurde. Damit waren – soweit aus den Akten ersichtlich – die Schreiben des Antragstellers vom 10. Dezember 2020 gemeint. Diese wurden nicht innerhalb der Widerspruchsfrist an die zuständigen Behörden weitergeleitet, insbesondere nicht in der E- Mail vom 28. Januar 2021. Jedenfalls aber ist das Schreiben durchaus insbesondere an das Ministerium des Innern nach Adressierung und Inhalt bestimmt gewesen. Es ist deutlich, dass der Antragsteller sich erhoffte, dass das Ministerium gegenüber dem Landratsamt „einschreitet“; indem er bat das Handeln des Landratsamtes „einzustellen“. Dem liegt kein Absendefehler zugrunde, bei dem das Dokument nicht oder nicht rechtzeitig bei der Stelle eingeht, bei dem es nach dem im Dokument selbst zum Ausdruck kommenden Willen des Urhebers hätte eingehen sollen.
Es finden sich zwar auch Schreiben an die Regierung (als zuständige Widerspruchsbehörde) in den Akten, aber diese sind auf den 22. bzw. 24. November 2020 datiert und bei der Regierung bereits am 25. November 2020 eingegangen. Darin wird auf die beigefügte Kopie eines „Widerrufs“ des Antragstellers verwiesen, welcher sich auf die Gutachtensaufforderung vom 2. September 2020 bezieht. Das Schreiben vom 22. November 2020 ist auch beim Landratsamt am 23. November 2020 eingegangen.
Vor Ergehen des Verwaltungsaktes (Entziehungsbescheid) kann ein Widerspruch nicht eingelegt werden, ist demzufolge nicht zulässig und nicht als Widerspruch zu werten. Er wird auch nicht mit dem Ergehen des Verwaltungsaktes, den er betrifft, wirksam und verwandelt sich damit auch nicht nachträglich „von selbst“ in einen zulässigen Widerspruch (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 68 Rn. 2 unter Verweis auf BVerwG Urt. v. 31.8.1966 – V C 42.65 – BeckRS 1966, 30441744, ebenso VG Frankfurt a. M., U.v. 22.1.2021 – 7 K 2365/18.F – BeckRS 2021, 4253 Rn. 22, VG München, U.v. 11.12.2018 – 28 K 18.2828 -BeckRS 2018, 49195 Rn. 30).
Weitere Schreiben des Antragstellers gingen bei der Regierung … nicht ein.
Hinsichtlich des Schreibens vom 1. Februar 2021 ist dieses zwar bei der Ausgangsbehörde (und auch nach Erlass des Bescheids) eingegangen, indes ist die Widerspruchsfrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen. Die nochmalige Zustellung einer Kopie des Bescheids am 29. Januar 2021, zugestellt am 30. Januar 2021, löst keine neue Widerspruchsfrist aus. Bei wiederholter Bekanntgabe des Bescheids ist für den Lauf der Rechtsbehelfsfrist nur die erstmalige Bekanntgabe maßgeblich (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 74 Rn. 4). Darin ist höchstens eine sogenannte wiederholende Verfügung zu sehen, bei der keine neue Sachprüfung stattfindet, sondern lediglich eine bereits getroffene Regelung wiederholt wird. Vorliegend wurde sogar lediglich eine – als solche auch bezeichnete – Kopie erneut zugestellt, ohne dass eine neue Sachprüfung durchgeführt wurde.
2. Da es dem Begehren des Antragstellers entspricht, dass es sich in der Hauptsache um einen anderen Rechtsbehelf als einen Widerspruch oder eine Anfechtungsklage handelt, ist der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Das Gericht hält einen vorherigen Antrag bei der Behörde für entbehrlich, da der Sinn und Zweck – die Behörde mit dem Anliegen zu befassen – vorliegend durch umfangreiche Korrespondenz erreicht wurde und die Wahrscheinlichkeit, dass der Antrag bei der Behörde von dieser rechtzeitig positiv erledigt worden wäre, gering war (vgl. Kopp/Schenke, 25. Aufl. 2019, VwGO § 123 Rn. 22). Der Antrag ist auch nicht unzulässig, weil gegen den Bescheid rechtzeitig kein Rechtsmittel eingelegt worden ist (dazu s.o.), denn ein nichtiger Verwaltungsakt würde nicht in Bestandskraft erwachsen (Kopp/Schenke, 25. Aufl. 2019, VwGO § 43 Rn. 29).
Der Antrag ist aber unbegründet. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus sonstigen Gründen.
Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet wird, i.S.d. § 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft zu machen. In Anbetracht der erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter Dritter, mit der die Zuerkennung einer Fahrberechtigung an einen nicht geeigneten oder befähigten Kraftfahrer einhergeht, setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen der Fahrberechtigung voraus. Sie hat dessen ungeachtet mit Rücksicht auf den gebotenen Schutz von Leben und Gesundheit Dritter zu unterbleiben, wenn überwiegende, besonders gewichtige Gründe einer solchen Interimsregelung entgegenstehen (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2014 – 11 CE 14.1962 – juris Rn. 11).
Der Antragsteller konnte nicht glaubhaft machen, dass er mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache einen Anspruch auf Herausgabe seines Führerscheins hat. Anspruchsgrundlage für die Herausgabe ist § 22 Abs. 3 FeV, wonach die Fahrerlaubnisbehörde den Führerschein ausfertigen zu lassen und auszuhändigen hat, wenn alle Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis vorliegen. Die Vorschrift ist im Abschnitt „Verfahren bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis“ verortet und regelt die Ausfertigungs- und Aushändigungspflicht im Rahmen des Erlaubniserteilungsverfahrens. Ist dem Fahrerlaubnisinhaber bereits ein Führerschein ausgehändigt worden, dieser aber – beispielsweise durch (freiwillige) Abgabe – in den Besitz der Fahrerlaubnisbehörde gelangt, ohne dass die Fahrerlaubnis erloschen ist, besteht jedoch erst Recht ein Anspruch auf Herausgabe (VG Bremen, B.v. 11.2.2021 – 5 V 2934/20 – BeckRS 2021, 1944 Rn. 16 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Der Antragsteller hat die Fahrerlaubnis der Klassen A, A18, A1, B, BE, C1, C1E, L, M und T erworben. Im Zuge dessen ist ihm der Führerschein ausgehändigt worden. Am 18. März 2021 ist sein Führerschein in den Besitz der Fahrerlaubnisbehörde gelangt. Die Fahrerlaubnis ist jedoch erloschen, da der Entziehungsbescheid vom 4. Dezember 2020 nicht nichtig ist.
Ein Fall des Art. 44 Abs. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), sog. absolute Nichtigkeitsgründe, liegt nicht vor und ist vom Antragsteller auch nicht vorgetragen. Gemäß Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt aber generell nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nur ein besonders schwerer Form- oder Inhaltsfehler, der mit der Rechtsordnung unter keinen Umständen vereinbar ist und für einen urteilsfähigen Bürger offensichtlich sein muss, führt zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes (BVerwG, U.v. 7.10.1964 – VI C 59.63 – BeckRS 1964, 30423990). Nichtig sein dürften insbesondere (bewusst) ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Anforderungen getroffene Willkürmaßnahmen zum Nachteil des Adressaten (Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 44 Rn. 106), was dem Vorbringen des Antragstellers entsprechen dürfte.
Ein Verstoß gegen § 121 VwGO liegt jedoch schon nicht vor, sodass es auf die Frage, ob ein solcher überhaupt zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts führen würde, nicht ankommt.
Nach § 121 VwGO binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Streitgegenstand ist der prozessuale Anspruch, der gekennzeichnet ist durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge sowie durch den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll. Die Rechtskraftwirkung in dem in § 121 VwGO umschriebenen Rahmen erfasst auch nachfolgende Verwaltungsakte. Sie soll verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, erneut zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht wird. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage darf die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage gegen denselben Betroffenen nicht einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen erlassen (BVerwG, U.v. 8.12.1992 – 1 C 12/92 – NVwZ 1993, 672). Ein stattgebendes Anfechtungsurteil bedeutet, dass unter den gegebenen Umständen ein Verwaltungsakt dieses Inhalts nicht ergehen durfte (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 121 Rn. 21).
Soweit der Bevollmächtigte des Antragstellers in seinem Schriftsatz vom 5. Mai 2021 (Seite 5 unten) ausführt, dass das erkennende Verwaltungsgericht festgestellt habe, dass aufgrund des vorliegenden Sachverhalts die Anordnung eines Gutachtens nicht rechtmäßig sei, trifft dies in dieser Formulierung nicht zu. Es hat vielmehr seine Entscheidung darauf gestützt, dass eine ordnungsgemäße Ermessensausübung bei der Anordnung des Gutachtens nicht stattgefunden hat.
Die Rechtskraftwirkung bei Anfechtungsklagen beschränkt sich auf die vom Gericht zu prüfenden und die Entscheidung tragenden Aufhebungsgründe, insbesondere bei ermessensfehlerhafter Begründung (wegen einer Ermessensunterschreitung, eines Abwägungsdefizits oder wegen sachfremder Erwägungen) bzw. einem Beurteilungsfehler allein auf diese als ermessens- bzw. beurteilungsfehlerhaft beanstandete Begründung. In dem genannten Fall wird daher die Befugnis der zuständigen Behörde, einen neuen, ggf. inhaltsgleichen Verwaltungsakt bzw. einen Verwaltungsakt in einem fehlerfreien Verfahren bzw. mit ermessens- bzw. beurteilungsfehlerfreier Begründung zu erlassen, nicht berührt (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 121 Rn. 21 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 25.2.2015 – 6 C 37/13 – NVwZ 2015, 1136 Rn. 28, Kilian/Hissnauer in: NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, VwGO § 121 Rn. 72).
War – wie hier – Streitgegenstand einer Anfechtungsklage gegen einen Fahrerlaubnisentziehungsbescheid die Behauptung, eine Anforderung eines medizinischpsychologischen Gutachtens bedürfe einer Auseinandersetzung mit dem Punkte-System, welche nicht erfolgt sei und wird der Entziehungsbescheid rechtskräftig aufgehoben, hindert die materielle Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung die Behörde, bei unveränderter Sach- und Rechtslage einen Entziehungsbescheid auf eine Gutachtensanforderung zu stützen, die den Betroffenen in gleicher Weise (ohne zureichende Ermessensausübung) in seinen Rechten verletzt wie der aufgehobene Entziehungsbescheid. Dem Betroffenen darf daher die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden, indem sich in der Gutachtensanforderung erneut nicht mit dem Verhältnis zum PunkteSystem auseinandergesetzt wird. Die Verwaltung darf aber den dem Verwaltungsakt anhaftenden Fehler unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts beseitigen.
Dem entspricht auch die zum Fahrerlaubnisrecht ergangene Rechtsprechung, die von der Möglichkeit einer neuen Gutachtensanforderung ausgeht (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13/01 – juris Rn. 27 ff.; VG Würzburg, B.v. 14.12.2020 – W 6 S 20.1831 – BeckRS 2020, 39886 Rn. 43; BayVGH, B.v. 24.10.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 60, 66; U.v. 23.2.2010 – 10 S 221/09 – juris Rn. 41, B.v. 16.8.2018 – 11 CS 17.1940 – juris Rn. 21; VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – juris Rn. 57; OVG NRW, B.v. 13.6.2018 – 16 B 1402/17 – juris Rn. 14).
Das Landratsamt hat aber in der Gutachtensanforderung vom 2. September 2020, auf der der Bescheid vom 4. Dezember 2020 beruht, eine Auseinandersetzung mit dem Punkte-System vorgenommen (Seite 3). Ob diese ausreichend ist, bleibt einer Prüfung angesichts der Bestandskraft des Entziehungsbescheids verwehrt. Andere Nichtigkeitsgründe sind nicht ersichtlich.
3. Der Antragsteller hat als unterliegender Beteiligter die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffern 1.5, 46.1, 46.3 und 46.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (s. NVwZ-Beilage 2013, 57).