Aktenzeichen AN 17 K 19.01716
StVO § 33 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 46 Abs. 2
FStrG § 9 Abs. 3, Abs. 3a
Leitsatz
1. Verpflichtungsklage auf Baugenehmigung für doppelseitige beleuchtete Fremdwerbeanlage im faktischen Mischgebiet (abgelehnt) (Rn. 18 – 28)
2. Vorrang des straßenverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahrens vor dem Baugenehmigungsverfahren nach Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO (verneint) (Rn. 19 – 23)
3. Erkennbare Möglichkeit der Beeinträchtigung eines reibungslosen und ungehinderten Verkehrsablaufs im Rahmen der Prüfung des § 9 Abs. 3a, Abs. 3 FStrG durch eine auf Höhe und in unmittelbarer Nähe einer Fußgängerquerungshilfe geplante Fremdwerbeanlage entlang einer viel befahrenen Bundesstraße (bejaht) (Rn. 26 – 27)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis und dem vorgelagert das Sachbescheidungsinteresse der Klägerin gegeben, da hier der Vorrang der straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung vor der Baugenehmigung nach Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO i.V.m. § 33 Abs. 2 Sätze 1 und 2, § 46 Abs. 2 StVO nicht eingreift. Für die Erteilung der straßenverkehrsrechtlichen Genehmigung wäre nicht die Beklagte, sondern gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b der Verkehrswesen-Zuständigkeitsverordnung (ZustVVerk) die Regierung von Mittelfranken zuständig.
Nach Art. 56 Satz 1 Nr. 5 BayBO bedürfen Werbeanlagen keiner Baugenehmigung, soweit sie einer Ausnahmegenehmigung nach dem Straßenverkehrsrecht unterliegen. Dies ist gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1, § 46 Abs. 2 StVO dann der Fall, wenn Einrichtungen, die Zeichen oder Verkehrseinrichtungen (§§ 36 bis 43 StVO in Verbindung mit den Anlagen 1 bis 4) gleichen, mit ihnen verwechselt werden können oder deren Wirkung beeinträchtigen können, dort angebracht oder sonst verwendet werden, wo sie sich auf den Verkehr auswirken können, § 33 Abs. 2 Satz 1 StVO. Die an beiden Enden der Fußgängerquerungshilfe angebrachten „Rechts vorbei“ Schilder sind Vorschriftszeichen im Sinne des § 39 Abs. 2 Satz 2, § 41 StVO i.V.m. Nr. 10, Zeichen 222 der Anlage 2 zur StVO. Die durch die Klägerin geplante Werbeanlage etwa auf Höhe der Fußgängerquerungshilfe kann deren Wirkung jedoch nicht im Sinne des § 33 Abs. 2 StVO beeinträchtigen. Dafür ist zwar nicht die Feststellung einer konkreten Beeinträchtigung erforderlich, sondern reicht es aus, wenn die jeweiligen Einrichtungen die Wirkung von Verkehrszeichen beeinträchtigen und sich auf den Verkehr auswirken können. Dabei wiederum ist nicht jede theoretische Möglichkeit einer Beeinträchtigung ausreichend, sondern muss eine ernsthafte Beeinträchtigungsgefahr bestehen. § 33 Abs. 2 StVO kann insofern als abstrakter Gefährdungstatbestand bezeichnet werden (BayVGH, B.v. 17.7.2020 – 15 ZB 20.144 – juris Rn. 8; Ritter in Dötsch/Koehl/Krenberger/Türpe, BeckOK Straßenverkehrsrecht, 11. Ed. 15.4.2021, § 33 Rn. 17 ff.).
Eine ernsthafte Beeinträchtigung des „Rechts vorbei“-Vorschriftszeichens, welches laut Nr. 10, Zeichen 222 der Anlage 2 zur StVO das Gebot „Wer ein Fahrzeug führt, muss der vorgeschriebenen Vorbeifahrt folgen“ enthält und der darunter angebrachten Leitbake, kann nicht angenommen werden. Es ist schon davon auszugehen, dass der durchschnittliche Verkehrsteilnehmer auch ohne die an beiden Enden der Fußgängerquerungshilfe angebrachten Vorschriftszeichen an dieser vorbei und nicht auf sie herauf fahren würde, da, wenn man auf den eingezeichneten Fahrspuren der … … in beide Richtungen verbleibt, eine Kollision ausgeschlossen ist. Im Übrigen ist die … … entlang der Fußgängerquerungshilfe in beide Fahrtrichtungen gut einsehbar und verläuft in diesem Bereich nahezu gerade.
Ebenso wenig kommt eine ernsthafte Beeinträchtigung der, stadteinwärts geblickt, auf der linken Fahrbahnseite etwa auf Höhe der Einfahrt zum Vorhabengrundstück angebrachten einstreifigen Bake in Betracht. Diese ist ein besonderes Gefahrzeichen vor Übergängen von Schienenbahnen mit Vorrang gemäß § 39 Abs. 2 Satz 2, § 40 Abs. 7 StVO i.V.m. Nr. 23, Zeichen 162 der Anlage 1 zur StVO, welches etwa 80 m vor einem Bahnübergang anzubringen ist. Deren Beeinträchtigung durch die geplante Werbeanlage kommt schon deshalb nicht ernsthaft in Betracht, weil für die stadteinwärts und auf den Bahnübergang zufahrenden Kraftfahrzeuge vor allem die auf ihrer, der rechten Fahrbahnseite, angebrachte identische einstreifige Bake die Hinweisfunktion auf den nahenden Bahnübergang übernimmt. Dem entspricht auch die gesetzliche Regelung in § 39 Abs. 2 Satz 3 StVO, dass Verkehrszeichen als Schilder regelmäßig rechts stehen. Im Übrigen liegt der Blickwinkel der stadteinwärts fahrenden Fahrzeugführer auf die jenseits der linken Fahrbahnseite angebrachte Bake durch deren Abstand von der geplanten Werbeanlage so, dass sie von dieser nicht optisch beeinträchtigt würde.
Demnach bleibt es beim regulären Baugenehmigungsverfahren für die geplante Errichtung der Werbeanlage durch die Klägerin, weswegen diese nach erfolgter Verweigerung der Baugenehmigung durch die Beklagte ein Rechtsschutzbedürfnis für die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) auf deren Erteilung hat.
2. Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Die Ablehnung der beantragten Baugenehmigung durch die Beklagte mit Bescheid vom 9. August 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Erteilung der begehrten Baugenehmigung.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung ist nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO, dass dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nachdem es sich bei dem Vorhaben der Klägerin um keinen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt und auch keine Verfahrensfreiheit (Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a – g, Abs. 2 Nr. 6 BayBO) oder Genehmigungsfreistellung (Art. 58 BayBO) in Frage kommt, sind vom Prüfungsumfang grundsätzlich nur die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfasst. Allerdings gewährt Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayBO den Bauaufsichtsbehörden eine erweiterte Ablehnungsmöglichkeit, wenn das Vorhaben gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt.
Die geplante Werbeanlage der Klägerin widerspricht der Regelung des § 9 Abs. 3a i.V.m. Abs. 3 FStrG. Die in § 9 Abs. 3 FStrG genannten Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sind gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. § 9 Abs. 3a FStrG auch bei der Erteilung von Baugenehmigungen innerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten von Bundesstraßen zu beachten (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2009 – 14 ZB 08.3159 – juris Rn. 4, B.v. 15.10.2011 – 15 ZB 10.2590 – juris; HessVGH, B.v. 26.3.2007 – 3 UZ 3100/06 – juris). Bei der … Straße handelt es sich im maßgeblichen Bereich ganz offensichtlich um einen innerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teil der Ortsdurchfahrt einer Bundesstraße (§ 9 Abs. 3a i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 FStrG), der B … Der Regelung des § 9 Abs. 3 FStrG liegt nicht der polizeiliche Gefahrenbegriff zugrunde, der ein Eingreifen rechtfertigt, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Schaden eintritt. Eine konkrete Verkehrsgefährdung ist nicht erforderlich. Die Vorschrift geht vielmehr über das Ziel hinaus, eine im Einzelfall bestehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Es kommt nicht allein darauf an, ob Gefahren oder Schäden für die Verkehrsteilnehmer eintreten können; geschützt werden soll auch ein normaler Verkehrsablauf, ohne dass die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss. Der reibungslose und ungehinderte Verkehr soll sichergestellt werden. Es darf nicht nur eine theoretische Möglichkeit, sondern es muss die erkennbare Möglichkeit der Beeinträchtigung eines reibungslosen und ungehinderten Verkehrsablaufs durch die Werbeanlage bestehen (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2011 – 15 ZB 10.2590 – juris Rn. 3).
Nach der gerichtlichen Inaugenscheinnahme stellt sich die B … als stark befahrene Straße dar, was sich mit der durch die Beklagte unwidersprochen vorgetragene Information deckt, dass dort ein durchschnittlicher täglicher Verkehr an Werktagen von 13.950 Fahrzeugen fließt. Die mit ihrer Ansichtsfläche im rechten Winkel zur Fahrbahn geplante Werbeanlage befindet sich auf derselben Höhe wie die Fußgängerquerungshilfe und ist mit der linken Außenwand ihres Gehäuses grenzständig zum sich an das Vorhabengrundstück anschließenden etwa 2,3 m breiten Gehweg errichtet, der wiederum unmittelbar an die … … (B **) anschließt. Zwar mögen Werbeanlagen der Außenwerbung an Ein- und Ausfallstraßen mittlerweile vielerorts und so auch, ausweislich der gefertigten Lichtbilder, an der … … in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks üblich und den Verkehrsteilnehmern vertraut sein, so dass im Regelfall keine die Verkehrssicherheit beeinträchtigende Ablenkung zu befürchten ist (OVG Saarl, U.v. 23.5.2016 – 2 A 5/16 – juris Rn. 27; s.a. BayVGH, B.v. 9.2.2021 – 9 ZB 19.1582 – juris Rn. 20). Allerdings rechtfertigen die besonderen Umstände des hier zu entscheidenden Falles ein Abweichen von dieser Regel. Denn die geplante Werbeanlage befindet sich wie ausgeführt unmittelbar auf Höhe der Fußgängerquerungshilfe, also an einer Stelle, die durch die Querungsmöglichkeit für Fußgänger ein gegenüber dem regulären fließenden Verkehr erhöhtes Risikoprofil für Personenschäden aufweist, insbesondere soweit es die nordwestlich verlaufende Fahrspur stadtauswärts betrifft. Die Kraftfahrzeugführer müssen somit nicht nur den übrigen Kfz-Verkehr im Auge behalten, sondern auch etwa die Straße überquerende Fußgänger. Dadurch, dass die geplante Werbeanlage im direkten Blickfeld der aus südöstlicher Richtung an die Fußgängerquerungshilfe heranfahrenden Kraftfahrzeuge liegt, ist sie in besonderer Weise geeignet ist, die Aufmerksamkeit der in Richtung Nordwesten fahrenden Verkehrsteilnehmer an dieser Stelle auf sich zu ziehen. Dies gilt in verstärktem Maße zur Abend- und Nachtzeit, da es sich um eine beleuchtete Werbeanlage handelt. Damit ergibt sich in der Zusammenschau von Ablenkungsmöglichkeit und erhöhtem Risikoprofil durch die Fußgängerquerungshilfe die nicht nur theoretische, sondern erkennbare Möglichkeit der Beeinträchtigung eines reibungslosen und ungehinderten Verkehrsablaufs durch die Werbeanlage.
Die Beklagte hat sich zwar nicht explizit auf § 9 Abs. 3, Abs. 3a FStrG bezogen, aber inhaltlich die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs speziell in Bezug auf die Fußgängerquerungshilfe bemüht und u.a. daraus die Ablehnung der Erteilung der Baugenehmigung zulässigerweise gestützt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.