IT- und Medienrecht

Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen

Aktenzeichen  6 St 1/19

Datum:
24.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2020, 1852
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 20 Abs. 3

 

Leitsatz

Aus dem Rechtstaatsprinzip resultiert eine verfassungsunmittelbare Pflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen; möglichen Gefährdungen von Persönlichkeitsrechten ist durch Anonymisierungen Rechnung zu tragen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

StB 2/20 2020-02-04 Bes BGH BGH Karlsruhe

Tenor

Eine anonymisierte Fassung des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 27. November 2019, Az. 6 St 1/19, wird zur Veröffentlichung freigegeben.

Gründe

I. Der Verlag C. H. Beck hat die Übermittlung der o. g. Entscheidung zur Veröffentlichung in einer Online-Datenbank oder in juristischen Fachzeitschriften beantragt.
Von den Verfahrensbeteiligten hat im Rahmen ihrer Anhörung lediglich der Generalbundesanwalt dahingehend Stellung genommen, gegen eine antragsgemäße Überlassung der Entscheidung bestünden keine Bedenken, und darauf hingewiesen, dem besonderen Schutzbedürfnis des zum Tatzeitpunkt noch jugendlichen Verurteilten solle bei der Ausgestaltung der Anonymisierung dadurch Rechnung getragen werden, dass personenbezogene Daten, die für das Verständnis der Entscheidung nicht unabdingbar seien, von der Übermittlung gänzlich ausgenommen blieben.
II. Dem Antrag auf Freigabe einer anonymisierten Fassung des Beschlusses zur Veröffentlichung war stattzugeben.
Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur besteht eine Rechtspflicht zur Publikation veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen. Dabei handelt es sich um eine verfassungsunmittelbare Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt, die jedes Gericht einschließlich der Instanzgerichte trifft. Diese Pflicht resultiert aus dem Rechtsstaatsprinzip samt der Justizgewährungspflicht, dem Demokratieprinzip und dem Grundsatz der Gewaltenteilung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2015 – 1 BvR 857/15 – NJW 2015, 3708; BVerwG, Urteil vom 26.02.1997 – 6 C 3/96 – NJW 1997, 2694; OVG Lüneburg, Urteil vom 19.12.1996 – 10 L 5059/93 – CR 1996, 622).
Zu veröffentlichen sind alle Entscheidungen, an denen ein tatsächliches oder mutmaßliches öffentliches Interesse besteht. Ein solches kann sich zum einen aus der medialen Berichterstattung ergeben, zum anderen aus entsprechenden Anfragen aus der Öffentlichkeit (BVerwG a.a.O., NJW 1997,2694, 2695). Hierunter fallen auch beabsichtigte Publikationen in der juristischen Fachöffentlichkeit (Putzke / Zenthöfer, NJW 2015, 1777, 1778).
Schutzwürdige Interessen von Verfahrensbeteiligten stehen einer Veröffentlichung nur entgegen, soweit sie höher zu bewerten sind als das Interesse der Öffentlichkeit (Albrecht, CR 1998, 373, 375). Bei der vorzunehmenden Abwägung überwiegen schutzwürdige Persönlichkeitsrechte gegenüber dem Informationsrecht der Öffentlichkeit nur in Ausnahmefällen, wenn besonders sensible Daten und damit der Kernbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung betroffen sind (Putzke / Zenthöfer, a.a.O.).
Vorliegend ergibt sich das wissenschaftliche Interesse der Fachöffentlichkeit an der Veröffentlichung eindeutig daraus, dass es sich um die Ausgangsentscheidung für den grundlegenden Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4. Februar 2020 – StB 2/20 – handelt, mit dem eine unter den Oberlandesgerichten jahrelang umstrittene Rechtsfrage letztinstanzlich entschieden wurde.
Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte zum Tatzeitpunkt noch Jugendlicher war. Dem Schutz seiner Persönlichkeitsrechte wird jedoch durch die vollständige Anonymisierung des Beschlusses Rechnung getragen, soweit „personenbezogene Daten“ i. S. des Art. 4 Nr. 1 DSGVO betroffen sind, d. h. hinsichtlich sämtlicher Angaben zum Inhalt des Ausgangsverfahrens.

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