Aktenzeichen 053 T 1780/17
Leitsatz
Verfahrensgang
XIV 70/17 2017-05-04 Bes AGLANDSBERG AG Landsberg
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Landsberg am Lech vom 04.05.2017, Az: XIV 70/17 (B) wird festgestellt, dass dieser den Betroffenen bis zur erfolgten Aufhebung mit Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 02.06.2017 in dessen Rechten verletzt hat.
2. Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben.
3. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffenen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Betroffene reiste (seinen eigenen Angaben zufolge) am 15.10.2015 ohne Pass oder Passersatz sowie ohne Aufenthaltstitel und somit unerlaubt auf dem Landweg aus Österreich kommend ins Bundesgebiet ein und stellte am 18.11.2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle München einen Asylantrag. Im Rahmen der gem. § 25 AsylG am 23.11.2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in der Sprachi Dari erfolgten persönlichen Anhörung gab der Betroffene an, zwei Monate vor der Einreise nach Deutschland unterwegs gewesen zu sein und für die Reise (aus eigenen sowie Familienersparnissen finanziert) 6.000,00 US-Dollar aufgewendet zu haben. Dabei hätte der Betroffene sich in den Ländern Iran, Türkei, Griechenland, Balkanroute, Österreich aufgehalten, ohne irgendwo einen Asylantrag gestellt zu haben.
Der Asylantrag des Betroffenen wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.12.2016 (Az.: 6274203-423) abgelehnt. Der Betroffene wurde unter Setzung einer Ausreisefrist von 30 Tagen ab der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung von 30 Tagen ab unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zur Ausreise aufgefordert.
Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht. Gemäß Abschlussmitteilung des BAMF vom 24.02.2017 wurde der Bescheid am 05.01.2017 zugestellt. Klage wurde keine erhoben.
Am 07.03.2017 hat die Zentrale Ausländerbehörde O. die ausländerrechtliche Zuständigkeit für den Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 ZustVAuslR zwecks Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen erneut übernommen. Am 10.03.2017 sprach der Betroffene in Begleitung einer Person als Übersetzungshilfe, die angab, Schwager des Betroffenen zu sein, bei der Zentralen Ausländerbehörde Oberbayern vor. Dem Betroffenen sei seine Ausreisepflicht in sein Herkunftsland Afghanistan dargelegt und dieser auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hingewiesen worden. Die Kontaktdaten der Landeshauptstadt München, Büro für Rückkehrhilfen, seien ihm mitgegeben worden. Der Betroffene habe erklärt, sich darüber informieren zu wollen. Daher wurde dem Betroffenen vorerst eine Grenzübertrittsbescheinigung für die Dauer von zwei Wochen bis zum 24.03.2017 ausgestellt.
Der Betroffene wurde unter anderem hinsichtlich seiner Anzeigepflicht des Wohnortwechsels für länger als drei Tage gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde O. nach § 60a Abs. 2d und § 50 Abs. 4 AufenthG in seiner Muttersprache Dari belehrt. Nach der Vorsprache bei der ZAB O. am 10.03.2017 gab der Betroffene jedoch seinen zugewiesenen Aufenthaltsort in der Unterkunft, A. …, … R., unmittelbar auf. Der Betroffene wurde aus der Unterkunft abgemeldet und ist seit dem 11.03.2017 untergetaucht.
Der Betroffene wurde gemäß § 50 Abs. 6 AufenthG zur Festnahme ausgeschrieben.
Am … 05.2017 abends wurde der Betroffene von der PI L. wegen des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung und Sachbeschädigung in I. am A. festgenommen. Aus dem Fernschreiben des BayLKG ist zu entnehmen, dass das entsprechende Ermittlungsverfahren unter Az. By1213-002631-17/7 geführt wird.
Wegen einer Verletzung am Kopf und gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten unter Alkoholeinfluss geäußerter Suizidabsichten wurde der Betroffene zunächst zur Abklärung in das psychiatrische Krankenhaus L. eingeliefert. Gegenüber den Ärzten des Klinikums hat sich der Betroffene von Suizidabsichten distanziert.
Die Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde – hat mit Schreiben vom … 05.2017 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei Monaten beantragt nebst Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung. Das Amtsgericht Landsberg am Lech hat sodann nach erfolgter Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 04.05.2017 gegen diesen Sicherungshaft bis zur möglichen Abschiebung, längstens jedoch auf die Dauer von 3 Monaten angeordnet sowie die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung ausgesprochen.
Gegen diesen Beschluss hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 15.05.2017 Beschwerde eingelegt und dabei auch beantragt festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Gleichzeitig hat dieser beantragt, dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe unter seiner Beiordnung zu bewilligen.
Unter dem 01.06.2017 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
Die Kammer hat mit Beschluss vom 02.06.2017 den Beschluss des Amtsgerichts vom 04.05.2017 aufgehoben, dabei aber die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit ebenso wie die Kostenentscheidung zurückgestellt.
Mit Schriftsatz vom 15.07.2017 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen erneut beantragt festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Nach erfolgter Einsicht in die Ausländerakte hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen die Beschwerde mit Schriftsatz vom 10.08.2017 begründet. Die Regierung von Oberbayern hat hierzu mit Schreiben vom 26.10.2017 Stellung genommen.
II.
Die gemäß § 58 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§§ 59 ff. FamFG) zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt.
Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.
Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 – XIII ZB 16/19 -, Rn. 7, juris mit Verweis auf die st. Rspr. des BGH).
Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 20. November 2017 nicht, weil er keine ausreichenden Angaben zu einem staatsanwaltschaftlichen Einvernehmen gemäß § 72 Abs. 4 AufenthG betreffend das im Zusammenhang mit der erfolgten Festnahme vom 03.05.2017 gegen den Betroffenen eingeleitete Ermittlungsverfahren enthält.
Nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dem von § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG geforderten Einvernehmen erlangt dieses dann Bedeutung für die Rechtmäßigkeit einer Haftanordnung, wenn sich aus dem Haftantrag oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne Weiteres ein laufendes und nicht offensichtlich zustimmungsfreies Ermittlungsverfahren ergibt. In diesem Fall muss nämlich der Haftrichter auf Grund der Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) erwarten, dass die Behörde den Betroffenen nicht ohne das erforderliche Einvernehmen abschiebt. Der Haftantrag ist dann im Hinblick auf die von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG geforderten Darlegungen zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung nur zulässig, wenn die Behörde dieses mögliche Abschiebungshindernis ausräumt. Dafür genügt es in der Regel, wenn die Behörde darlegt, das Einvernehmen liege vor, sei entbehrlich oder werde bis zum vorgesehenen Abschiebungstermin voraussichtlich vorliegen oder entbehrlich geworden sein (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 – XIII ZB 15/19 -, Rn. 18 – 20, juris). Solche Darlegungen lässt der Haftantrag vom 04.05.2017 vermissen, findet sich darin zu dem im Zusammenhang mit der erfolgten Festnahme vom 03.05.2017 gegen den Betroffenen eingeleiteten Ermittlungsverfahren nichts.
Insbesondere ergibt sich vorliegend aus dem Haftantrag und den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ein laufendes und nicht offensichtlich zustimmungsfreies Ermittlungsverfahren. So ist dem – dem Haftgericht zusammen mit dem Haftantrag vorliegenden – Fernschreiben des BLKA als Anlass der Festnahme des Betroffenen der Verdacht einer aktuell begangenen versuchten gefährlichen Körperverletzung und Sachbeschädigung zu entnehmen, das unter dem Az. BY1213-002631-17/7 geführt wurde. Aufgrund dieses Willensakts der Strafverfolgungsorgane ist bereits zu diesem Zeitpunkt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren i.S. von § 72 Abs. 4 AufenthG eingeleitet gewesen. Maßgeblich für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist dabei nicht die Stärke des Verdachtsgrades, sondern der durch eine bestimmte Maßnahme manifestierte Wille der Strafverfolgungsorgane, dass sich das Verfahren gegen die verdächtige Person als Beschuldigten richtet (vgl. BGHSt 34, 138, 140; 38, 214, 218). Dieser Wille wurde durch die Polizei unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.
Der Mangel des Haftantrags ist auch nicht geheilt worden (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 22. November 2018 – V ZB 54/18 -, Rn. 9 – 11, juris). So hat die beteiligte Behörde ihren Antrag weder schriftlich noch mündlich um die fehlenden Angaben zu dem bekannten Ermittlungsverfahren ergänzt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 S. 1 und S. 2, 430 FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 V EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Freistaat Bayern zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. BGH FGPrax 2010, 212, beckonline). Die zur Antragstellung berechtigte Behörde ist Beteiligter im Sinne von § 81 FamFG. Kostenschuldner ist hierbei die Körperschaft, nicht der Justizfiskus (Weber in Keidel, FamFG, 20. Aufl., § 81 Rn. 30).
Der Gegenstandswert wurde in Anwendung von § 36 GNotKG bestimmt.
Eine Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag ist entbehrlich. Dieser hat sich im Hinblick auf den Kostenerstattungsanspruch gegen den Freistaat Bayern erledigt (vgl. BGH, Beschluss vom 24.03.2020, Az. XIII ZB 222/19, juris).