Medizinrecht

Versammlungsrecht, Eilrechtsschutz gegen Allgemeinverfügung, Antragsbefugnis, Gefahrprognose, Landkreis Traunstein

Aktenzeichen  M 33 S 22.422

Datum:
28.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6500
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVersG Art. 15
BayIfSMV § 9 15.
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 25. Januar 2022 gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. Dezember 2021, zuletzt in der Fassung vom 21. Januar 2022, wird angeordnet, soweit die Allgemeinverfügung über die in Nr. II genannten Versammlungen hinausgeht.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsteller und der Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt Rechtsschutz gegen eine versammlungsrechtliche Allgemeinverfügung des Landratsamts Traunstein.
1. Das Landratsamt Traunstein gab am 30. Dezember 2021 durch Veröffentlichung im Amtsblatt für den Landkreis Traunstein eine auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG, § 9 15. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung – BayIfSMV) gestützte Allgemeinverfügung vom gleichen Tag bekannt: 3 „I. Nicht angemeldete Versammlungen nach Art. 8 des Grundgesetzes im Landkreis Traunstein werden nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 15. BayIfSMV wie folgt beschränkt:
1. Zwischen den Versammlungsteilnehmern ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.
2. Die Versammlungsteilnehmer sind während der Versammlung durchgängig zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (FFP2-Maske) verpflichtet. Die Maske darf lediglich zu Identifikationszwecken sowie bei zwingenden Gründen (z.B. für Redebeiträge im Rahmen der Ausübung des Versammlungsrechts) abgenommen werden.
Von der Maskenpflicht befreit sind Kinder bis zum sechsten Geburtstag sowie Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer Maske aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund einer Behinderung nicht möglich oder unzumutbar ist, solange dies vor Ort sofort insbesondere durch Vorlage eines schriftlichen ärztlichen Zeugnisses im Original nachgewiesen werden kann, das den vollständigen Namen, das Geburtsdatum und konkrete Angaben zum Grund der Befreiung enthalten muss.
3. Die Versammlungen sind ausschließlich ortsfest zulässig.
4. Von Nr. 1-3 kann vor Ort durch Entscheidung des Einsatzleiters der Polizei abgewichen werden, sofern dies im Einzelfall vertretbar erscheint.
II. Die Ziffer I gilt insbesondere nach derzeitigen Erkenntnissen der Polizei für die in den sozialen Netzwerken angekündigten Versammlungen in der
a. Gemeinde Altenmarkt, montags voraussichtlich ab 19 Uhr
b. Gemeinde Tacherting, donnerstags voraussichtlich ab 17 Uhr
c. Stadt Trostberg am Brunnen vor dem Rathaus, montags ab 18 Uhr
d. Stadt Traunreut auf dem Rathausplatz, montags ab 18 Uhr
e. Gemeinde Grassau auf dem Rathausplatz, montags ab 17 Uhr
f. Stadt Traunstein am Stadtplatz, Montag, Dienstag, Donnerstag und Samstag jeweils ab 18 Uhr
g. Gemeinde Siegsdorf, montags ab 19 Uhr
h. Gemeinde Bergen, freitags ab 14 Uhr
i. Gemeinde Inzell, montags ab 18 Uhr
j. Diese Beschränkungen gelten auch für Ersatzversammlungen der o.g. Versammlungen bei unwesentlichen Änderungen oder offenkundig nur vorgeschobenen Änderungen des Versammlungszwecks oder auch der Versammlungszeit.
III. Diese Allgemeinverfügung tritt am Tage nach ihrer Bekanntgabe in Kraft und mit Ablauf des 31. Januar 2022 außer Kraft.“
In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
Aufgrund anonymer Anrufe in den sozialen Medien hätten an den in der Allgemeinverfügung genannten Wochentagen unangemeldete Versammlungen in Gestalt von „Spaziergängen“ gegen die Corona-Regelungen, die Corona-Schutzimpfungen und die damit verbundenen Maßnahmen in den genannten Kommunen stattgefunden. Die Teilnehmerzahl habe zwischen 20 und 100 variiert. Eine erste Versammlung habe am 20. Dezember 2021 in der Stadt Traunreut noch größtenteils störungsfrei stattgefunden. Es müsse aber damit gerechnet werden, dass die Ansammlungen regelmäßig und bis auf weiteres durchgeführt würden, auch mit einer größeren Anzahl an Teilnehmern. In der Stadt Trostberg habe am 27. Dezember 2021 ein unangemeldeter Spaziergang mit rund 100 Teilnehmern stattgefunden. Der gesetzliche Mindestabstand von 1,5 m sei nicht immer eingehalten worden, auch Masken seien nur vereinzelt getragen worden. Die Polizei habe nur in einem Fall bei einer Veranstaltung in der Stadt Traunreut zweifelsfrei einen Veranstalter feststellen können, im Übrigen hätten die Spaziergänge ohne Veranstalter oder Versammlungsleiter stattgefunden. Es sei in Erfahrung gebracht worden, dass diese Art von Spaziergängen künftig an jedem Montag bzw. den in der Allgemeinverfügung angegebenen Wochentagen geplant sei. Die Polizeiinspektionen rechneten mit weiterem Zulauf und einer höheren Teilnehmerzahl. Aufgrund der Frequentierung der bisherigen Versammlungsörtlichkeiten, der aufgrund der bislang fehlenden Abstimmungsmöglichkeit mit den anonymen Initiatoren schwer einschätzbaren Situation sowie der polizeilichen Feststellungen bei den vorangegangenen Versammlungen mit zum Teil aggressiven Versammlungsteilnehmern und einer aufgeheizten Stimmung werde es für erforderlich und auch verhältnismäßig erachtet, Anordnungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG in Form der Allgemeinverfügung zu treffen. Die Allgemeinverfügung werde aus sicherheitsrechtlichen (Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 BayVersG) und infektionsschutzrechtlichen (§ 9 Abs. 1 15. BayIfSMV) Gründen erlassen. Da davon auszugehen sei, dass zu den in den einschlägigen Chatgruppen auch für die weiteren Montage/Wochentage aufgerufenen Spaziergänge erneut keine Versammlungsanzeigen erfolgen würden und weiterhin eine Kooperationsabstimmung mit den bislang anonym agierenden Initiatoren mit der Versammlungsbehörde nicht möglich sei, seien wichtige Eckpunkte über den Versammlungsablauf und das Ausmaß der Versammlung nicht bekannt. Es sei nach Einschätzung der Polizei mit einem weiteren Zuwachs an Teilnehmern zu rechnen, die sich erneut unter dem Vorwand eines „Spaziergangs“ zu einer Versammlung zusammenschließen könnten. Das Entstehen von spontanen Gegendemonstrationen, die Missachtung der infektionsschutzrechtlichen Verhaltensregeln und ein mögliches Ausschreiten der Lage könne nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund einer immer noch hohen 7-Tages-Inzidenz und Intensivbettenauslastung im Bereich Traunstein blieben die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren ohne Auflagen nicht auf ein vertretbares Maß beschränkt. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie seien die Anordnungen erforderlich, geeignet und auch angemessen, um die Versammlung trotz derzeitigem Infektionsgeschehen dennoch stattfinden lassen zu können und hierbei das Infektionsrisiko auf ein vertretbares Maß zu minimieren. Die Regelung in Ziffer I.1. sei nur deklaratorisch. Die Verpflichtung zur Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 m zwischen den Versammlungsteilnehmern ergebe sich bereits aus § 9 Abs. 1 Satz 1 15.BayIfSMV. Die Anordnung der Maskenpflicht in Ziffer I.2. ergebe sich aus § 9 Abs. 1 Satz 2 15.BayIfSMV und sei ebenfalls aus Gründen des Infektionsschutzes erforderlich. Aufgrund der erwarteten hohen Teilnehmerzahlen, der Frequentierung der Versammlungssorte und der Erfahrung, dass die Mindestabstände im Rahmen der vergangenen Versammlungen überwiegend nicht eingehalten worden seien, bestehe die Gefahr, dass Mindestabstände auch im Rahmen weiterer unangemeldeter Versammlungen nicht eingehalten würden bzw. nicht eingehalten werden könnten. Die Beschränkung der Versammlungen in der Gestalt, dass diese ausschließlich ortsfest zulässig seien (Ziffer I.3.), sei geeignet, erforderlich und angemessen, den Infektionsschutz zu gewährleisten und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern. Bei einem Aufzug sei davon auszugehen, dass über ein vertretbares Maß hinaus Infektionsgefahren entstünden. Eine sich bewegende Versammlung habe ein erheblich höheres Risikopotenzial als eine stationäre, denn es handele sich um ein dynamisches Geschehen, in dem die verschiedenen Bewegungen der Passanten und der Versammlungsteilnehmer aufeinanderträfen. Die Ortsfestigkeit und die damit verbundene bessere Überblickbarkeit und Kontrollierbarkeit der Versammlungen dienten dem effektiven Infektionsschutz und sollten insbesondere eine Ausbreitung von SARS-CoV-2 zeitlich und räumlich verlangsamen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Mildere, gleich wirksame Mittel seien nicht ersichtlich. Zudem werde aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen gleichzeitig die Möglichkeit eingeräumt, eine Ausnahme von der Ortsfestigkeit zu beantragen, über die die Polizei vor Ort im Einzelfall und unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen entscheide. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit werde durch die Anordnung in seinem Wesensgehalt nicht angetastet, da die Versammlungsteilnehmer ihr Anliegen innerhalb dieser Beschränkungen angemessen vortragen könnten. Im Übrigen wird inhaltlich auf die Begründung der Allgemeinverfügung vom 30. Dezember 2021 Bezug genommen.
Mit weiterer Allgemeinverfügung des Landratsamts Traunstein vom 7. Januar 2022, bekannt gemacht ebenfalls im Amtsblatt des Landkreises Traunstein am gleichen Tag, wurde Ziffer II. ergänzt. Eine weitere Ergänzung in Ziffer II. erfolgte am 21. Januar 2022 mit Wirkung vom 22. Januar 2022. Auch hierauf wird jeweils Bezug genommen.
2. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 25. Januar 2022, eingegangen bei Gericht am 26. Januar 2022, Klage zum Verwaltungsgericht gegen die Allgemeinverfügung vom 30. Dezember 2021, in der Fassung der Allgemeinverfügung vom 7. Januar 2022 erhoben (M 33 K 22.421). Er beantragt zudem im vorliegenden Verfahren sinngemäß, 24 die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 30. Dezember 2021 in der aktuellen Fassung anzuordnen.
Zur Begründung führt er aus: Er sei von der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung nachteilig betroffen, denn er gehe im Landkreis Traunstein regelmäßig spazieren und habe bereits an Spaziergängen unter Beteiligung einer größeren Anzahl von Menschen teilgenommen. Er beabsichtige, erneut spazieren zu gehen, auch wenn es mehrere Leute geben sollte, die in seine Richtung gehen wollten. Bei solchen Spaziergängen handele es sich nicht um Versammlungen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayVersG. Es fehle bereits an der Zusammenkunft. Die Menschen träfen sich zufällig auf der Straße und sprächen miteinander. Schließlich entschlössen sie sich aufgrund der Kälte, einen Spaziergang durchzuführen, um sich wieder aufzuwärmen. Es fänden keine öffentlichen Reden statt. Es würden keine Plakate o. ä. mitgetragen und auch keine politischen Meinungen öffentlich geäußert. Es handle sich nicht um eine öffentliche Erörterung oder Kundgebung. Es fehle auch an einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Spaziergänge verliefen regelmäßig friedlich und aggressionslos. Es sei nicht erkennbar, dass sich daraus etwas Gewalttätiges entwickeln könnte. Es werde niemand belästigt oder bei seinen Vorhaben behindert. Die Polizei begleitete die Spaziergänge teilweise oder beobachte sie zumindest. Er befürworte dies und fühle sich deshalb gleich sicherer. Dass die Ordnungsbehörde Angst vor Eskalationen habe, sei rein subjektiv begründet und habe keine reale Grundlage. Auch aus gesundheitlichen Gründen ergebe sich keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Die Anordnung der Maskenpflicht im Freien sei auch deswegen rechtswidrig, weil Masken und Abstände im Freien nach zahlreichen Studien und Äußerungen von Sachverständigen sinnlos seien. Ein Grund für eine Beschränkung auf ortsfeste Versammlungen bestehe nicht. Damit sollten lediglich die „Spaziergänge“ insgesamt unterbunden werden. Es dränge sich insgesamt der Verdacht auf, dass das Bemühen des Landratsamtes von dem Bestreben getragen sei, die gemeinsame Fortbewegung von Menschen zu beschränken, die sich kritisch gegen die (auch Corona-) Politik wenden. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Klage- und Antragsbegründung Bezug genommen.
Der Antragsgegner erwiderte mit Schriftsatz vom 27. Januar 2022. Er beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei bereits unzulässig, weil der Antragsteller nicht antragsbefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO sei. Der Antragsteller habe lediglich erklärt, durch die Allgemeinverfügung im regelmäßigen Spazierengehen im Landkreis Traunstein beeinträchtigt zu sein. Es gehe aus der Antragsschrift nicht zweifelsfrei hervor, ob der Antragsteller tatsächlich an Versammlungen teilnehmen wolle. Unabhängig davon sei die angefochtene Allgemeinverfügung rechtmäßig. Aufgrund der in dem streitgegenständlichen Bescheid geschilderten Erfahrungen mit früheren Versammlungen im Geltungsbereich der Allgemeinverfügung sei mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die zu erwartenden nicht angezeigten Versammlungen unmittelbar gefährdet werde, weil es absehbar zu einer Vielzahl von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus komme. Damit bestünden Gefahren für hochrangige Verfassungsgüter wie das Leben und die Gesundheit von Einzelnen sowie für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems. Es sei davon auszugehen, dass die Menschen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen wenden, den allgemeinen Schutzmaßnahmen wie u.a. Abstandsregeln und Maskenpflicht nicht nachkommen. Durch die unkontrollierte Zusammenkunft im Umhergehen würden gerade unbeteiligte Dritte in ihren Rechten auf Gesundheit beeinträchtigt und gefährdet. Diese hätten keine Möglichkeit, bestimmte Bereiche zu meiden und seien gerade an beengten Plätzen wie dem Chiemseeufer und den beengten zentralen Plätzen der Innenstädte und Gemeinden der jeweiligen Ansammlung ohne Abstandsmöglichkeit ausgesetzt. Einzige Möglichkeit zum Schutz Dritter in infektionslogischer Hinsicht sei es daher, unkontrollierte Aufzüge zu untersagen und alternativ feste Plätze für die öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen unter Schutzauflagen zuzuweisen. Anderenfalls könne ein Schutz unbeteiligter Dritter, die an den Versammlungen nicht teilnehmen wollten, nicht gewährleistet werden. Bei der Gefahrenprognose habe sich der Antragsgegner auf Prognosen und Einsatzberichte der Polizeiinspektionen des Landkreises Traunstein gestützt, woraus sich hinreichende Tatsachen und Anhaltspunkte für die angestellte Gefahrprognose ergaben. Diesen Berichten sei zu entnehmen, dass es zu flächendeckenden und systematischen Unterschreitungen der gesetzlichen Mindestabstände bei fehlenden Schutzmasken, aggressiven Reaktionen Betroffener auf polizeiliche Ansprachen bis hin zu körperlichen Angriffen auf Polizeibeamte, sowie immer wieder unkontrollierbare Ausweichbewegungen auf Nebenstraßen und auf öffentlichen Straßen gekommen sei. Die Demonstrierenden hätten in der ganz überwiegenden Mehrheit keinerlei Bereitschaft zu einer geordneten Durchführung einer Versammlung unter Beachtung erforderlicher Hygieneregeln gezeigt. Es werde der Anschein erweckt, dass es den Organisatoren und den Versammlungsteilnehmern gerade nicht um eine Kooperation mit den Behörden im Sinne des Infektionsschutzes gehe. Die Gefahrenprognose habe sich inzwischen bestätigt. Die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis Traunstein betrage am 27. Januar 2022 inzwischen 1050,8 gegenüber 144,2 am 30. Dezember 2021. Es sei mit weiter steigenden Infektionszahlen zu rechnen. Bei den somit aufgrund der Gefahrenprognose für erforderlich erachteten Auflagen und Beschränkungen sei das mildeste Mittel gewählt und bewusst auf die Festlegung eines Versammlungsortes verzichtet worden. Der Antragsgegner habe sämtliche Mittel ausgeschöpft, um die Grundrechte der Betroffenen so wenig wie möglich einzuschränken. Nicht angemeldete Versammlungen seien nicht von vorneherein untersagt worden, sondern lediglich Beschränkungen wie beispielsweise die Ortsfestigkeit festgelegt worden. Eine Beschränkung der Allgemeinverfügung lediglich auf Versammlungen, die sich gegen CoronaMaßnahmen richteten, widerspräche dem Gleichheitsgrundsatz. Daher sei hierauf verzichtet worden. Der Antragsteller werde insgesamt durch die Allgemeinverfügung nicht in seinen Rechten verletzt. Er könne sein Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG jederzeit wahrnehmen. Die beschränkenden Auflagen seien zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich und formell wie materiell rechtmäßig. Der Antragsgegner legt ergänzend eine Stellungnahme der Polizeiinspektion Traunstein vom 27. Januar 2022, sowie einen weiteren Polizeibericht vor. Im Übrigen wird auf den Inhalt der Antragserwiderung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Unterlagen der Behörde verwiesen
II.
Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
1.1. Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist vorliegend statthaft. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache, wenn die Klage – wie hier gemäß Art. 25 BayVersG – kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung anordnen.
1.2. Der Antragsteller ist auch antragsbefugt.
1.2.1. Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage sowie eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO setzt voraus, dass der Antragsteller durch den angegriffenen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt möglicherweise in seinen eigenen Rechten verletzt ist (§ 42 Abs. 2 VwGO). Damit fehlt es an der Antragsbefugnis, wenn nicht hinreichend substantiiert dargelegt wurde, dass der angefochtene Verwaltungsakt (bzw. die Ablehnung oder Unterlassung des beantragten Verwaltungsakts) gerade die Rechtssphäre des Rechtsschutzsuchenden betrifft (Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 379). Zwar ist keine nachhaltige oder mehrfache Betroffenheit von dem angegriffenen Verwaltungsakt zu verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2003 – 3 C 15.03 – juris Rn. 18 f.). Es müssen jedoch die Tatsachen, die eine Rechtsverletzung möglich sein lassen, so substantiiert dargelegt werden, dass es dem Gericht möglich ist zu klären, ob ein subjektives Recht der rechtsschutzsuchenden Person im konkreten Rechtsstreit einschlägig sein kann (Schmidt-Kötters in BeckOK-VwGO, Stand 1.10.2019, § 42 Rn. 210 m.w.N.).
Die vorliegend angegriffene sofort vollziehbare Verwaltungsmaßnahme regelt in Form einer Allgemeinverfügung die Beschränkung „nicht angemeldete[r] Versammlungen nach Art. 8 des Grundgesetzes“. Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG sind örtliche Zusammenkünfte mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – BVerfGE 104,92 – juris Rn. 41).
Gemessen daran hat der Antragsteller dargelegt, dass er durch die Allgemeinverfügung des Antragsgegners in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Der Antragsteller erkennt als juristischer Laie, dass die Versammlungsfreiheit als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend ist, wenn er ausführt, dass die „Spaziergänge“ aufgrund der Bilder der Corona-Proteste einzig und allein für das Ansehen der Regierenden gefährlich würden und die Ablösbarkeit der Regierung zu den Kernelementen der freiheitlichdemokratischen Grundordnung gehöre. In seiner Klage- und Antragsschrift gibt er, wenngleich in durchaus verklausulierter Art und Weise, zu erkennen, diese Freiheit für sich zu beanspruchen, wenn er ausführt, im Landkreis Traunstein an sogenannten „Spaziergängen“ teilgenommen zu haben und in Zukunft teilnehmen zu wollen, mit denen insbesondere auch gegen die Corona-Politik und die Corona-Maßnahmen protestiert wird. Als (möglicher) Teilnehmer derartiger Corona„Spaziergänge“, bei denen es sich entgegen der Darstellung des Antragstellers selbst um Versammlungen nach Art. 2 BayVersG handelt, ist der Antragsteller, weil der Antragsgegner die in Betracht kommenden Versammlungen präventiv beschränkt hat, Adressat der Allgemeinverfügung. Als solcher ist er nach § 42 Abs. 2 VwGO zur Erhebung einer Anfechtungsklage befugt, da er in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG verletzt sein könnte. Die Antragsbefugnis für den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anzuordnen, ergibt sich aus § 42 Abs. 2 VwGO analog.
2. Der Antrag ist aber nur teilweise begründet.
Das Gericht hat im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Bei dieser Abwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache von maßgeblicher Bedeutung, soweit sie bereits überschaubar sind (BayVGH, B.v. 4.6.21 – 10 CS 21.1590 – juris Rn. 14). Dabei muss unter Berücksichtigung der Bedeutung des Versammlungsrechts die Prüfungsdichte im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO umso eingehender sein, als die angegriffenen Maßnahmen Unabänderliches bewirken; die Fragen der Offensichtlichkeit von der Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahmen ist dann – insoweit über die summarische Prüfung hinausgehend – erschöpfend im Sinne einer vollständigen Rechtsprüfung unter – den Umständen nach tatsächlich möglicher – Sachverhaltsaufklärung vom Gericht zu klären (BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – juris Rn. 18; B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE, 69, 315/363 f. = Juris Rn. 96; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 104). Lassen sich die Erfolgsaussichten bei dem hiernach gebotenen Prüfungsmaßstab nicht abschließend beurteilen, hat das Gericht unter Berücksichtigung der Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der behördlichen Verfügung, das private Interesse des Betroffenen und die Interessen Dritter, vorläufig von deren Wirkung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen.
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage des Antragstellers anzuordnen, soweit andere Versammlungen, als die in Ziffer II der Allgemeinverfügung genannten betroffen sind. Das Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung der Allgemeinverfügung verschont zu bleiben, überwiegt insoweit das öffentliche Interesse daran, diese sofort durchzusetzen. Nach der im Eilrechtsschutz gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung hat die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage Aussicht auf Erfolg, nur soweit andere als die in Ziffer II aufgeführten Versammlungen betroffen sind. Die Allgemeinverfügung wird sich voraussichtlich insoweit als rechtswidrig erweisen. Der Antragsteller ist insoweit in seinen Rechten verletzt. Soweit dagegen die in Ziffer II der Allgemeinverfügung genannten Versammlungen betroffen sind, wird sich die Allgemeinverfügung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen.
2.1. Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügung ist vorliegend Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. § 9 Abs. 1 der 15. BayIfSMV. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Der bayerische Verordnungsgeber hat sich mit den Vorgaben der 15. BayIfSMV zu Versammlungen zudem dafür entschieden, die Inhalte der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung über den Begriff der öffentlichen Sicherheit in Art. 15 BayVersG einfließen zu lassen (Esser/Tsambikakis in PandemieStrafR, 1. Aufl. 2020, § 1 Rn. 170). § 9 der 15. BayIfSMV konkretisiert insoweit auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG im Hinblick auf die Zielsetzungen des § 28a IfSG (BayVGH, B.v. 19.9.2020 – 10 CS 20-2103 – juris Rn. 7).
Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst dabei die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, wie etwa Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen und dessen allgemeine Persönlichkeitsrechte, den Bestand staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates sowie die Rechtsordnung als Ganzes, zu der neben den Strafgesetzten auch verwaltungsrechtliche Gebots- und Verbotsnormen gehören (BayVGH, U.v. 22.9.2015 – 10 B 14.2246 – juris Rn. 53; BVerfG B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – BVerfGE 69, 315/352 = juris Rn. 77).
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19 jeweils m.w.N.; BayVGH, B.v. 19.12.2017 – 10 C 17.2156 – juris Rn. 16 m.w.N.). Für diese Gefahrenprognose können durchaus Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (stRspr des BVerfG, vgl. zuletzt B.v. 22.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 11; vgl. auch BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – Rn. 6). Im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt das Gericht, ob die für die Beurteilung der Gefahrenlage herangezogenen Tatsachen unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG in nachvollziehbarer Weise auf eine unmittelbare Gefahr hindeuten; gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde oder den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, so haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen (vgl. BVerfG, B.v. 4.9.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Die von der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin beschränkten Versammlungen unterstehen dem Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit. Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen. Geschützt ist insbesondere die Selbstbestimmung über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt einer Versammlung (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 34/81 – NJW 1985, 2395). Nach Art. 8 Abs. 2 GG kann dieses Recht für Versammlungen unter freiem Himmel durch oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden, wobei solche Beschränkungen im Lichte der grundlegenden Bedeutung des Versammlungsgrundrechts auszulegen sind. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind daher nur zum Schutz gleichrangiger Rechtsgüter und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig (vgl. BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6). Versammlungen unter freiem Himmel sind erlaubnisfrei. Sie müssen zwar nach einfachgesetzlichem Versammlungsrecht bei der Behörde angemeldet bzw. angezeigt werden. Art. 8 Abs. 1 GG schützt jedoch grundsätzlich auch die entgegen der in Art. 13 BayVersG bestimmten Anzeigeverpflichtung durchgeführte Versammlung. Die unterbliebene Anmeldung ist für sich genommen kein Auflösungsgrund. Dies gilt auch für solche Versammlungen, die rechtzeitig hätten angemeldet werden können oder bei denen die Anmeldung aus Nachlässigkeit oder absichtsvoll überhaupt unterlassen worden ist (vgl. BverfG, B.v. 20.6.2014 – 1 BvR 98013 – juris Rn. 17; Kniesel/Poscher in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Teil J. Versammlungsrecht, Rn. 247). Voraussetzung der Auflösung oder Beschränkung bleibt eine unmittelbare, nicht anders abwendbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Der Begriff der Unmittelbarkeit stellt strenge Anforderungen an den darzulegenden Wahrscheinlichkeitsgrad der befürchteten Störungen. Der Eintritt des Schadens für ein der Versammlungsfreiheit gegenüberstehendes Rechtsgut muss mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. Hettich, Versammlungsrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2018 Rn. 146 m.w.N.). Die von der Versammlungsbehörde anzustellende Gefahrenprognose muss sich zudem auf nachgewiesene Tatsachen stützen, die eine solche Gefährdung absehbar machen. Nicht ausreichend sind Verweise auf allgemeine polizeiliche Lagebewertungen, nach denen mit Störungen zu rechnen sei (vgl. Hettich, a.a.O. Rn. 147).
2.2. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe genügt die der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vom 30. Dezember 2021, in der Fassung vom 7. Januar 2022, zu Grunde liegende Gefahrprognose nur hinsichtlich der in Ziffer II genannten, nicht aber hinsichtlich aller anderer von der Allgemeinverfügung erfassten Versammlungen den beschriebenen Anforderungen.
2.2.1. Der bloße Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach Art. 13 Abs. 1 BayVersG und auch die in der Folge erschwerte „Kontrollierbarkeit“ von Versammlungen durch die Versammlungsbehörde bzw. die polizeilichen Einsatzkräfte genügen zunächst für sich gesehen nicht für die Annahme einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Denn trotz der grundsätzlichen Gefahrenträchtigkeit und Störanfälligkeit von Versammlungen unter freiem Himmel hat der Verfassungsgeber eine präventive Kontrolle des Versammlungsgeschehens durch ein vorgeschaltetes Erlaubnisverfahren gerade ausgeschlossen (vgl. Kniesel/Poscher in Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, Teil J. Versammlungsrecht Rn. 142). Auch das Bundesverfassungsgericht hat betont, dass die gesetzliche Anmelde- bzw. Anzeigepflicht für Versammlungen unter freiem Himmel nur als verhältnismäßig angesehen werden kann, soweit ein Verstoß gegen die Anmeldepflicht als solcher nicht schematisch zur Versammlungsauflösung führt (vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 – Brokdorf II, BVerfGE 69, 315-372).
2.2.2. Inhaltlich ist zudem festzustellen, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung eine Beschränkung nicht angemeldeter Versammlungen nicht etwa nur an einzelnen Orten trifft. Denn die Ziffer II trifft insoweit keine echten Einschränkungen. Sie legt lediglich fest, dass die in Ziffer I. geregelten Beschränkungen „insbesondere“ für die in den sozialen Netzwerken angekündigten Versammlungen gelten soll, welche in der Allgemeinverfügung einzeln aufgeführt werden, und bei denen es sich um Versammlungen in Form sogenannter Corona-Spaziergänge bzw. um Proteste gegen Corona-Maßnahmen handelt. Erfasst von der Allgemeinverfügung werden jedoch auch nicht angekündigte Versammlungen an allen anderen Orten des Landkreises.
Weiter betrifft die versammlungsrechtliche Beschränkung durch die Allgemeinverfügung nicht etwa ausschließlich die in der Begründung angeführten unangemeldeten Versammlungen in Gestalt von „Spaziergängen“ gegen die Corona-Regelungen und die Corona-Schutzimpfungen. Die Allgemeinverfügung beschränkt vielmehr alle denkbaren unangemeldeten Versammlungen unabhängig von der Form und dem mit diesen Versammlungen verfolgten Interesse oder Ziel und insbesondere auch unabhängig von vorliegenden Anhaltspunkten für eine von diesen Versammlungen ausgehende unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung.
Schließlich ist die Regelungswirkung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung in zeitlicher Hinsicht nicht auf einen konkreten engen zeitlichen Zusammenhang beschränkt, sondern wurde am 30. Dezember 2021 für einen Zeitraum von insgesamt gut einem Monat durchgehend angeordnet. Auch Ziffer II beschränkt die Allgemeinverfügung nicht in zeitlicher Hinsicht. Sie soll lediglich „insbesondere“ an den dort genannten Wochentagen und Zeiten gelten. Ihrem Regelungsinhalt nach gilt sie aber auch an allen anderen Wochentagen und zu allen anderen Zeiten.
2.2.3. Eine fortbewegende Versammlung ist ein dynamisches Geschehen, weil sie sich nicht gleichmäßig bewegt, sondern es regelmäßig je nach individuellem Gehtempo beziehungsweise Entwicklung der Versammlung zu (unerwarteten) Stockungen, Beschleunigungen und Verschiebungen innerhalb der Gruppe der Versammlungsteilnehmer kommt, weshalb grundsätzlich die Gefahr besteht, dass es zu nicht unerheblichen Unterschreitungen des aus Infektionsschutzgesichtspunkten gebotenen Mindestabstandes kommt (BayVGH B.v. 16.4.2021 – 10 CS 21.1114 – juris Rn. 33). Insofern sind mit Blick auf das Ziel der Abwehr von unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Form der Verhinderung von Gefahren für die Gesundheit der Teilnehmer oder Dritter bei der derzeitigen Infektionslage keine zu hohen Anforderungen an die erforderliche Gefahrenprognose zu stellen, wenn eine Beschränkung einer Versammlung auf eine ortsfeste Veranstaltung anstelle eines Aufzugs erfolgt.
Insofern sieht das Gericht hinsichtlich der in Ziffer II der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung genannten Veranstaltungen in Form von Protesten gegen CoronaMaßnahmen bzw. sogenannter Corona„Spaziergänge“ eine auch durch polizeiliche Erkenntnisse hinterlegte unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Bei diesen Veranstaltungen ist es immer wieder zur Unterschreitung von Abständen und damit zu Gefahren für die Gesundheit der Teilnehmer und von Dritten, sowie auch zu sonstigen Störungen wie einem Übergriff auf einen Polizeibeamten gekommen. (Nur) Insoweit kann demnach die Allgemeinverfügung auf eine ausreichende Gefahrenprognose gestützt werden.
2.2.4. Das Gericht kann demgegenüber weder der Allgemeinverfügung noch dem sonstigen Vortrag des Antragsgegners oder den vorgelegten Unterlagen Erkenntnisse entnehmen, die die Annahme rechtfertigen würden, dass – unabhängig vom jeweiligen Versammlungszwecks bzw. -motto – von jeglicher unangemeldeten Versammlung, gleich welcher Größenordnung und Form, unabhängig an welchem Ort im Landkreis Traunstein sowie unabhängig von der Tageszeit, eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen sollte, die eine versammlungsrechtliche Beschränkung begründen könnte. Es ist zwar aus den Polizeiberichten erkennbar, dass es im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen und sogenannten „Spaziergängen“ zu Unterschreitungen von Abständen und damit zu Gefahren für die Gesundheit der Teilnehmer und möglicher Dritter, sowie auch zu sonstigen Störungen gekommen ist (s.o.). Es kann aber nicht daraus geschlossen werden, dass jede denkbare Versammlung unabhängig des Versammlungsthemas und -zwecks im Geltungsbereich der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung, dem gesamten Landkreis Traunstein, zu solchen unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen wird.
Soweit der Antragsgegner einwendet, eine Beschränkung auf Proteste gegen CoronaMaßnahmen sei mit Blick auf den Gleichheitssatz problematisch, kann dem nicht gefolgt werden. Denn als aktuelles Phänomen versuchen sich gerade die Teilnehmer derartiger „Spaziergänge“ einem geordneten Versammlungsgeschehen unter Anwendung der einschlägigen versammlungsrechtlichen Bestimmungen zu entziehen. Insofern wäre es mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 Bayerische Verfassung) vereinbar und vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vielmehr geboten, unangemeldete Proteste gegen Corona-Maßnahmen im Wege einer Allgemeinverfügung bei Vorliegen entsprechender Erkenntnisse aus vorangegangenem Versammlungsgeschehen etc. anderen Beschränkungen zu unterwerfen als sonstige Versammlungen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Übrigen eine derartige Sonderregelung für gegen die Corona-Maßnahmen gerichtete Proteste zuletzt entsprechend unbeanstandet gelassen (BayVGH, B.v. 19.1.2022 – 10 CS 22.162). Mit einer Beschränkung auf die derzeitigen Corona-Spaziergänge bzw. Corona-Proteste wird überdies nicht auf den Inhalt der beabsichtigten Meinungsäußerung Bezug genommen, sondern konkret an die polizeiliche Erkenntnislage zu diesen unangemeldeten Versammlungen und die Anhaltspunkte für frühere Verstöße gegen erforderliche Auflagen im Rahmen des Infektionsschutzes angeknüpft.
Eine präventive Versammlungsbeschränkung für einen bestimmten räumlichen Bereich in Gestalt einer Allgemeinverfügung erfasst, zumal wenn sie für einen gesamten Monat gilt, typischerweise auch nicht störende Erscheinungs- und Aktionsformen des zu erwartenden Protests. Ein Einschreiten gegen eine störungsfreie Versammlung ist aber nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands möglich. Ein solcher polizeilicher Notstand liegt vor, wenn eine Abwehr der Gefahr beziehungsweise Beseitigung der Störung nur durch Inanspruchnahme des Nichtstörers erreicht werden kann und die Behörde nicht ausreichende eigene oder im Wege der Amts- und Vollzugshilfe ergänzte Kräfte hat, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung effektiv zu schützen (vgl. BeckOK PolR Bayern/M. Müller, 17. Ed. 1.9.2021, BayVersG Art. 15 Rn. 165 mwN.). Die angegriffene Allgemeinverfügung untersagt nicht etwa nur diejenigen Versammlungen, mit denen Aufrufen zu nicht angezeigten „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ gefolgt wird. Sie beansprucht vielmehr Geltung auch für alle anderen Erscheinungsformen des unangemeldeten Protests ohne dass gewährleistet wäre, dass es sich nach Organisatoren- und Teilnehmerkreis tatsächlich um vergleichbare Versammlungen handelt. Damit wird die Versammlungsfreiheit auch dann beschränkt, wenn nicht aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass es zu Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung kommen wird. Dass die für derart weitreichende Beschränkungen der Versammlungsfreiheit auch potenziell nicht störender Versammlungen zu fordernden Voraussetzungen eines polizeilichen Notstandes vorlägen, hat der hierfür darlegungspflichtige Antragsgegner nicht aufgezeigt.
2.3. Soweit damit lediglich mit Blick auf die von Ziffer II umfassten und auch in der Begründung erwähnten Corona-Proteste eine durch ausreichende Erkenntnisse hinterlegte unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG bei deren Durchführung anzunehmen ist, erweist sich die Allgemeinverfügung auch als verhältnismäßig.
Zur hinreichenden Gewährleistung der nach § 9 Abs. 1 Satz 1 15. BayIfSMV erforderlichen Abstände bei der derzeitigen Infektionslage ist es geeignet, erforderlich und im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit des Antragstellers zum Schutz von Leben und Gesundheit von Teilnehmenden, Passanten und Einsatzkräften nach Art. 2 GG sowie im Hinblick auf die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens auch angemessen, eine Fortbewegung zu untersagen und die Versammlungen auf eine ortsfeste Veranstaltung zu beschränken. Ebenfalls erweist sich auch die Pflicht zum Tragen einer (FFP2)-Maske als verhältnismäßig. Das RKI empfiehlt in seiner aktuellen Risikobewertung vom 14. Januar 2022 zur nachhaltigen Senkung der Infektionszahlen unter anderem die Kontaktreduktion und Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln sowie das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen im Alltag; die Verbreitung der Omikronvariante verstärke dabei die Notwendigkeit intensiver kontaktreduzierender Maßnahmen und eine konsequente Einhaltung der zuvor erwähnten Maßnahmen (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html abgerufen am 28.1.22). Die Übertragung von Viren über Aerosole komme im Freien zwar seltener vor, dies gilt nach den fachlichen Einschätzungen des RKI aber nicht bei engem Kontakt, z.B. Gesprächskontakt (vgl. BayVGH, B.v. 20.7.2021 – 25 NE 21.1814 – juris Rn. 23) und in Menschenmengen mit geringen Abständen (vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2021 – 10 CS 21.249 – juris Rn. 33). Im Verhältnis zur eher geringen und zumutbaren Grundrechtseinschränkung ist das Interesse an der Vermeidung zusätzlicher COVID-19-Infektionen höher zu gewichten. Dass die Maskentragepflicht zu demgegenüber schwerwiegenden oder irreparablen Grundrechtseingriffen führen würde, ist nicht erkennbar, zumal die Adressaten der Beschränkung bei Vorliegen medizinischer Gründe von der Pflicht befreit sind 56 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2022 – 10 CS 22.125; 10 CS 22.126). Das Gericht hält aufgrund der vorwegnehmenden Wirkung der Entscheidung eine Anhebung des Streitwerts bis zur Höhe des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens für geboten.

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