Aktenzeichen M 8 K 17.4074
BauVorlV § 3 Nr. 2, § 8 Abs. 2 Nr. 2 lit. c), lit. g)
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere ist Klage als sog. Versagungsgegenklage im Sinne von § 42 Abs. 1 Var. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft. Der am Ende der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag aus der Klageschrift vom … August 2017 ist trotz seiner insoweit nicht ganz korrekten Formulierung („verurteilen“) entsprechend dem erkennbaren Begehren der Klägerin gemäß § 88 VwGO dahingehend zu verstehen, dass neben der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids der Beklagten vom 27. Juli 2017 die Verpflichtung der Beklagten im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO begehrt wird, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung nach Pl.Nr. 2…6- … für die bereits verwirklichte Balkonanlage an der Südfassade des Anwesens F. … straße 40-42 inklusive der die Traufe durchbrechenden, ca. 1,50 m über die südliche Gebäudeaußenwand hinauskragenden mittleren Dachterrasse zu erteilen.
II. Die Klage ist jedoch vollumfänglich unbegründet. Die Ablehnung der beantragten Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Ebenso wenig hat sie einen Anspruch auf Neuverbescheidung ihres Bauantrags vom 24. März 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, d.h. wenn es genehmigungspflichtig und -fähig ist. Die streitgegenständliche Balkonanlage ist zwar genehmigungsbedürftig, jedoch nicht genehmigungsfähig.
1. Die streitgegenständliche Balkonanlage ist gemäß Art. 55 Abs. 1 Halbsatz 1 BayBO baugenehmigungspflichtig, da sie eine Änderung des Gebäudes bzw. der Gebäude in der F. … straße 40 und 42 darstellt. Zudem ist diese Änderung baulicher Anlagen nicht gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 11 a) BayBO verfahrensfrei, da es sich bei Balkonen und Dachterrassen nicht um Bauteile in, d.h. innerhalb der Außenwände von baulichen Anlagen (vgl. Weinmann, in: BeckOK BayBO, Art. 57 Rn. 151 ), handelt.
2. Die streitgegenständliche Balkonanlage ist jedoch nicht genehmigungsfähig, da die eingereichten Bauvorlagen unvollständig sind.
a) Nach der für die vorliegende Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung gehören die Vorschriften des Abstandsflächenrechts unabhängig vom anzuwendenden Genehmigungsverfahren zum Prüfungsumfang im Baugenehmigungsverfahren (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1b, Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO).
aa) Die zwischenzeitlich vollständig errichteten und mit Antrag vom 24. März 2016 in dieser Form zur (Änderungs-)Genehmigung gestellten Balkone an der Südfassade des Anwesens F. … straße 40-42 sind jedenfalls aufgrund ihrer Gesamtbreite von mehr als 13 m (abgegriffen aus dem Plan Nr. 2…6- …, Ansicht Süd, Schnitt) im Umkehrschluss zu Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO keine nur untergeordneten Vorbauten. Sie sind daher abstandsflächenrelevant, d.h. die durch die Umfriedungen der Balkone gebildeten fiktiven vorderen und seitlichen (Balkon-)Außenwände werfen Abstandflächen nach Süden sowie zur Seite nach Westen und Osten.
Da gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO eine Baugenehmigung zu erteilen ist, aber gleichzeitig als gebundene Entscheidung auch nur dann erteilt werden darf, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, setzt die Erteilung einer Baugenehmigung voraus, dass das Bauvorhaben auf der Grundlage des Bauantrags und der Bauvorlagen (Art. 64 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO) am Maßstab der heranzuziehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften geprüft werden kann. Denn Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmt, dass mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Vorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen sind. Art, Umfang und Inhalt der vorzulegenden Bauvorlagen ergeben sich dabei aus der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), Art. 80 Abs. 4 BayBO. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen dabei vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner in: Simon/Busse, BayBO, Art. 64 Rn. 75 ). Ungenauigkeiten und sonstige Unrichtigkeiten in den eingereichten Bauvorlagen gehen aufgrund der Verpflichtung gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO zu Lasten des Bauherrn (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 64 Rn. 80 ). Vor diesem Hintergrund darf, wenn sich bei der Prüfung durch die Behörde herausstellt, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 64 Rn. 80 ; VG München, B.v. 28.11.2017 – M 8 SN 17.4766 – juris Rn. 57; B.v. 16.5.2018 – M 8 E 18.1233 – juris Rn. 32). Ebenso wenig darf die Behörde auf eine Klage des Bauherrn hin zur Erteilung der Baugenehmigung verpflichtet werden, wenn es an einem prüffähigen Bauantrag fehlt (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 64 Rn. 80 ; BayVGH, B.v. 26.9.2002 – 26 ZB 99.1925 – juris Rn. 9).
Hieraus wird deutlich, dass zur Ermöglichung der Prüfung der Vorgaben des Art. 6 BayBO für abstandsflächenrelevante Gebäude bzw. Anlagen in den als Teil der Bauvorlagen einzureichenden Bauzeichnungen gemäß § 3 Nr. 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 c) und g) BauVorlV grundsätzlich jedenfalls die Höhenlage des Erdgeschossfußbodens mit Bezug auf das Höhenbezugssystem und die Wandhöhen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 BayBO, d.h. in Bezug auf Balkone die Höhen der durch die Umfriedungen der Balkone gebildeten fiktiven vorderen und seitlichen (Balkon-)Außenwände, darzustellen sind, den Bauvorlagen dahingehende Angaben zumindest aber eindeutig und vollständig zu entnehmen sein müssen.
bb) Die vorliegend zum Bauantrag vom 24. März 2016 eingereichten Bauvorlagen enthalten jedoch keine expliziten Angaben zur Höhe der durch die streitgegenständliche Balkonanlage gebildeten (fiktiven) Außenwände und keine Angaben zur Geländehöhe des Anwesens F. … straße 40-42 mit Bezug auf das Höhenbezugssystem. Zwar kann die Höhe der streitgegenständlichen Balkonanlage bzw. der von ihr gebildeten fiktiven Außenwände aus einer Zusammenschau von Plan Nr. 2…5- … (Lageplan, Grundrisse, Schnitte, Ansichten) und Plan Nr. 2…6- … (Ansicht Süd, Schnitt) entnommen werden. Dies gilt allerdings nicht für den notwendigen Bezug dieser Höhen zum Höhenbezugssystem (anders z.B. in dem vom BayVGH, B.v. 25.7.2019 – 1 CS 19.821 – BeckRS 2019, 17434 Rn. 14 entschiedenen Fall).
Schließlich sind dahingehende Angaben auch nicht aufgrund des Bebauungsplans Nr. …, in dessen Umgriff das Anwesen F. … straße 40-42 liegt, entbehrlich. Zwar sieht § 8 des Textteils des Bebauungsplans vor, dass sich die Abstandsflächen, soweit bei Verwirklichung der vorgeschlagenen Form der Baukörper und bei Ausnutzung der festgesetzten Bauräume sowie der zugelassenen Höhenentwicklung die nach Art. 6 Bayerische Bauordnung anfallenden Abstandsflächen nicht eingehalten werden können, bis zur Grundstücksgrenze, bis zu dem sich aus dem Plan ergebenden Maß und bis zur Straßenmitte verringern. Hierdurch wird die Abstandflächentiefe gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO aufgrund einer städtebaulichen Satzung (§ 10 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB)) von vornherein begrenzt, so dass es auf die Wahrung der Abstandsflächentiefe gem. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO nicht ankommt und folglich in den Bauvorlagen Angaben hierzu nicht gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO erforderlich sind. Jedoch steht die Abstandsflächenverkürzung nach § 8 des Textteils des Bebauungsplans Nr. … unter dem Vorbehalt, dass die festgesetzten Bauräume ausgenutzt, d.h. eingehalten werden. Die streitgegenständliche Balkonanlage überschreitet jedoch den festgesetzten Bauraum nach Süden, der bereits durch das Bestandsgebäude in der F. … straße 40-42 ohne Balkone vollständig ausgeschöpft war. Davon ist ausweislich der vorangegangenen Baugenehmigungsverfahren auch die Beklagte ausgegangen, indem sie u.a. für die Balkone Befreiungen von der rückwärtigen Baugrenze auf dem Grundstück Fl.Nr. 1…1 erteilt hat. Daher führt § 8 des Bebauungsplan Nr. … nicht dazu, dass vorliegend Angaben für die abstandsflächenrechtliche Beurteilung der streitgegenständlichen Balkonanlage (ausnahmsweise) nicht gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO erforderlich wären.
Insofern sind die von der Klägerin eingereichten Bauvorlagen mangels Prüffähigkeit der Vorgaben von Art. 6 BayBO unvollständig und die Beklagte darf schon aus diesem Grund weder zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung noch zur Neuverbescheidung des Bauantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet werden.
b) Dasselbe folgt auch aus dem Fehlen eines Antrags auf Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Vorgaben des Art. 6 BayBO hinsichtlich der vorliegend streitgegenständlichen Balkonanlage.
Nach den den eingereichten Bauvorlagen, insbesondere den Bauzeichnungen (ohne Bezug zum Höhenbezugssystem) zu entnehmenden Maßen hat die von den südlichen Umwehrungen der mittleren Balkone an der Südfassade des klägerischen Anwesens gebildete fiktive Außenwand aufgrund der Höhe der Brüstung der Dachterrasse eine Höhe von ca. 18,70 m (abgegriffen aus Plan Nr. 2…5- … (Lageplan, Grundrisse, Schnitte, Ansichten) und Plan Nr. 2…6- … (Ansicht Süd, Schnitt). Die von ihr nach Süden geworfene Abstandsfläche hat daher gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO eine Tiefe von 1 H = ca. 18,70 m. Der Fußpunkt dieser fiktiven Außenwand liegt aufgrund des Auskragens der Balkone vor die südliche (tatsächliche) Außenwand des Anwesens 1,50 m vor der tatsächlichen Außenwand. Da der Abstand zwischen der tatsächlichen Außenwand des streitgegenständlichen Anwesens und der südlichen Grundstücksgrenze zu Fl.Nr. 1222 nur ca. 18 m beträgt (abgegriffen aus dem Lageplan), liegt die von der südlichen (fiktiven) Außenwand der mittleren Balkonanlage geworfene Abstandsfläche nicht mehr, wie von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO geboten, vollständig auf dem klägerischen Grundstück Fl.Nr. 1…1. Dasselbe gilt für die von den fiktiven Seitenwänden der mittleren Balkonanlage nach Westen und Osten geworfenen Abstandsflächen. Diese haben aufgrund der Höhe der fiktiven Seitenwände der mittleren Balkonanlage gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO ebenfalls eine Tiefe von 1 H = ca. 18,70 m. Der Abstand der fiktiven westlichen bzw. der fiktiven östlichen Seitenwand der mittleren Balkonanlage zur Grenze zum westlichen Grundstück Fl.Nr. 1…2 bzw. zum östlichen Grundstück Fl.Nr. 1222 beträgt jedoch nur ca. 15,70 m bzw. ca. 18,45 m.
Infolgedessen bedarf die streitgegenständliche Balkonanlage einer Abweichung im Sinn von Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Vorgaben des Art. 6 BayBO. Eine solche Abweichung muss jedoch gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BayBO entsprechend dem gesetzgeberischen Ziel der Stärkung der Eigenverantwortlichkeit des Bauherrn (LT-Drucks 15/7161, S. 65) – im Fall eines baugenehmigungspflichtigen Vorhabens grundsätzlich zusammen mit dem Bauantrag – gesondert schriftlich beantragt und begründet und damit zur Prüfung gestellt werden. Nur im Fall eines Abweichungsantrags zählt das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung einer erforderlichen Abweichung ebenso wie das Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer erforderlichen Abweichung zum Pflichtprüfprogramm gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 bzw. Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO und kann die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen einer Verpflichtungsklage zur Erteilung der (beantragten) Abweichung bzw. zumindest zur Neuverbescheidung des Abweichungsantrags verpflichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2018 – 15 ZB 18.764 – BeckRS 2018, 20030 Rn. 16 ff.). Vorliegend wurde jedoch während des mit Antrag vom 24. März 2016 eingeleiteten Baugenehmigungsverfahrens kein Antrag auf Erteilung einer Abweichung von den Vorgaben des Art. 6 BayBO für die streitgegenständliche Balkonanlage gestellt. Ein solcher konnte auch nicht gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) in der mündlichen Verhandlung vom 30. September 2018 nachgeholt werden. Zwar kann ein Bauantrag gem. Art. 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BayVwVfG grundsätzlich bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Art. 64 Rn. 11 ), woraus man ableiten könnte, dass dies erst Recht für einen Antrag auf Erteilung einer Abweichung im Sinne von Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO gelten müsse. Allerdings besteht auch die Möglichkeit zur Nachholung eines wirksamen Bauantrags nur, soweit die Änderung gegenüber dem bisherigen Antrag nicht so erheblich ist, dass sie Anlass zur erneuten Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens bietet (vgl. BayVGH, B.v. 25.8.1989 – 14 B 87.03332 – juris Orientierungssatz 2; U.v. 14.2.2001 – 2 B 99.933 – juris Rn. 19). Übertragen auf die Möglichkeit der Nachholung eines Antrags auf Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayBO bedeutet dies, dass eine Nachholung erst im gerichtlichen Verfahren regelmäßig ausscheidet, da die Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Behörde steht und das Gericht nicht befugt ist, diese Ermessensentscheidung an Stelle der Behörde zu treffen; das Gericht kann insoweit grundsätzlich vielmehr lediglich eine bereits erfolgte Ermessensentscheidung auf der gerichtlichen Überprüfung unterliegende Fehler prüfen (§ 114 Satz 1 VwGO). Wenn aber das Gericht grundsätzlich – und mangels fehlender Ermessensreduzierung auf Null auch vorliegend – nicht befugt ist, erstmals zu entscheiden, ob die erforderliche Abweichung erteilt wird, sondern ein dahingehender Antrag vielmehr einer vorgängigen Prüfung und erstmaligen Entscheidung der zuständigen Behörde bedarf, kann ein Antrag auf Erteilung einer Abweichung grundsätzlich nicht erst im gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden. Vorliegend kommt hinzu, dass ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag auf Erteilung einer Abweichung von den Vorgaben des Art. 6 BayBO hinsichtlich der streitgegenständlichen Balkonanlage schon aufgrund der Unvollständigkeit der Bauvorlagen – auch von der vorrangig zur Prüfung und Entscheidung verpflichteten Beklagten – nicht prüf- und damit entscheidungsfähig gewesen wäre. Daher ist die vorliegende Klage auch aufgrund des Fehlens eines Antrags auf Erteilung einer Abweichung von den Vorschriften des Art. 6 BayBO vollumfänglich unbegründet.
Ohne Entscheidungserheblichkeit wird in diesem Zusammenhang ergänzend auf Folgendes hingewiesen: Nach der bisherigen Rechtsprechung setzt die Zulassung einer Abweichung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an geschützten Nachbarrechtspositionen im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Denn der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, wird regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit grundsätzlich jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, muss es sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht ausreichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2002 – 2 CS 01.1506 – juris Rn. 16; B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8; B.v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris Rn. 2; B.v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – juris Rn. 24; B.v. 11.1.2007 – 14 B 03.572 – juris Rn. 22; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16 m.w.N.; B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U.v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 3; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es müssen insofern rechtlich erhebliche Unterschiede vorliegen, die das Vorhaben als einen sich von der Regel unterscheidenden atypischen Fall erscheinen lassen und dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 15 CS 14.1710 – juris Rn. 19). Diese können sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – juris Rn. 4; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 4; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. Hingegen begründen allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, noch keine Atypik, da Modernisierungsmaßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3). Zwar wollte der Gesetzgeber durch die Einfügung des neuen Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO das von der Rechtsprechung entwickelte Erfordernis einer Atypik für eine Abweichung von den Vorgaben des Art. 6 BayBO abschaffen (vgl. LT-Drucks. 17/21574, S. 13). Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO angesichts seines Wortlauts und seiner systematischen Einordnung dahingehend ausgelegt werden kann. Sofern eine Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO nach wie vor nur in atypischen Fallkonstellationen erteilt werden darf, was das Gericht im vorliegenden Fall nicht entscheiden muss, ist eine solche wohl nicht gegeben, insbesondere weil im Dachgeschoss des klägerischen Anwesens, wie die der Klägerin für das streitgegenständliche Anwesen in der Vergangenheit erteilten Baugenehmigungen und die an der westlichen und östlichen Seite der Südfassade verwirklichten reinen Dacheinschnittbalkone verdeutlichen, auch abstandsflächenrechtlich irrelevante bzw. jedenfalls weniger relevante Balkone verwirklicht werden können.
c) Aufgrund der unvollständigen Bauvorlagen bzw. des Fehlens eines Antrags auf Zulassung einer Abweichung kann vorliegend dahinstehen, ob die gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 3 bzw. Art. 60 Satz 1 Nr. 3 BayBO i.V.m. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 BayBO im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfenden denkmalschutzrechtlichen Anforderungen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Bayerisches Denkmalschutzgesetz (BayDSchG) für die streitgegenständliche Balkonanlage vorliegen.
Daher wird auch insoweit ohne Entscheidungserheblichkeit nur auf Folgendes hingewiesen: Es ist zutreffend, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit der Veränderung eines Ensembles gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 BayDSchG (zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayDSchG vgl. BayVGH, U.v. 3.1.2008 – 2 BV 07.760 – juris Rn. 16; B.v. 12.12.2012 – 15 ZB 11.736 – juris Rn. 5; U.v. 22.4.2016 – 1 B 12.2353 – juris Rn. 27; B.v 20.12.2016 – 2 ZB 15.1869 – juris Rn. 3; B.v. 28.8.2019 – 2 ZB 18.528 – juris Rn. 4; VG München, U.v. 1.10.2013 – M 1 K 13.3099 – juris Rn. 16) bei großen Ensemblebereichen wie dem Ensemble „…“ auf den näheren Umgriff abzustellen ist (vgl. BayVGH, U.v. 11.1.2011 – 15 B 10.212 – juris Rn. 31; B.v. 29.7.2013 – 14 ZB 11.398 – juris Rn. 3; U.v. 22.4.2016 – 1 B 12.2353 – juris Rn. 30; B.v 20.12.2016 – 2 ZB 15.1869 – juris Rn. 4; VG München, U.v. 16.10.2017 – M 8 K 15.1186 – juris Rn. 144). Bezogen hierauf ist im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayDSchG konkret herauszuarbeiten und zu prüfen, ob und, falls ja, welche Merkmale des Ensembles in diesem Nahbereich – d.h. vorliegend gerade auch im Bereich der hofseitigen Bebauung im Nahbereich des Anwesens F. … straße 40-42 – noch ablesbar sind (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – juris Rn. 35, 40). Maßgebend ist insoweit das überlieferte Erscheinungsbild des Baudenkmals „Ensemble“ und nicht der teilweise durch Bausünden vorbelastete Zustand (vgl. BayVGH, B.v. 29.2.2016 – 9 ZB 15.1146 – juris Rn. 10). Der Ensembleschutz des Art. 1 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1 BayDSchG zielt darauf ab, gerade die ensembleprägenden Bestandteile, auch wenn sie keine Baudenkmäler sind, grundsätzlich zu erhalten (vgl. BayVGH, U.v. 3.8.2000 – 2 B 97.1119 – juris Rn. 20, 22; U.v. 3.1.2008 – 2 BV 07.760 – juris Rn. 18; B.v. 29.7.2013 – 14 ZB 11.398 – juris Rn. 3; U.v. 22.4.2016 – 1 B 12.2353 – juris Rn. 16; B.v. 20.12.2016 – 2 ZB 15.1869 – juris Rn. 3), wobei der Schutzanspruch des Ensembles das überlieferte Erscheinungsbild, das die Bedeutung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 BayDSchG vermittelt und in seiner Anschaulichkeit zu wahren ist, stärker und vorrangiger im Blick hat als derjenige eines Einzelbaudenkmals (vgl. BayVGH, U.v. 3.1.2008 – 2 BV 07.760 – juris Rn. 18; B.v. 29.7.2013 – 14 ZB 11.398 – juris Rn. 3; U.v. 22.4.2016 – 1 B 12.2353 – juris Rn. 16; B.v. 14.2.2018 – 2 ZB 16.1842 – juris Rn. 11; U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – juris Rn. 39; B.v. 28.8.2019 – 2 ZB 18.528 – juris Rn. 9). Aus den allgemeinen Feststellungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Juli 2017, dass die Gestaltung der Dachlandschaft und die Ausbildung der Trauflinien als Übergangsbereich von aufgehendem Mauerwerk zum geneigten Dach wesentliche Aspekte der Denkmalpflege seien, im ensemblegeschützten Altstadtbereich eine traditionelle Anmutung mit geneigten Dächern überwiege, in Bereichen traditioneller, geneigter Dachformen der homogene Kontext zu wahren und die Dachlandschaft zu respektieren und weiterzutragen sei und für das Altstadtensemble eine klare Trennung zwischen aufgehendem Mauerwerk und Dachfläche wichtig sei, geht nicht hervor, was die ensembleprägenden Bestandteile gerade des maßgeblichen Nahbereichs um das streitgegenständliche Vorhaben sind. Dieses Defizit wurde erst im Rahmen der Klageerwiderung zu korrigieren versucht.
Im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 BayDSchG ist zu berücksichtigen, dass – wie bei Einzelbaudenkmälern – auch im Ensemble in der Regel gewichtige Gründe für die unveränderte Beibehaltung des bisherigen Zustands sprechen (vgl. BayVGH, U.v. 27.9.2007 – 1 B 00.2474 – juris Rn. 70; B.v. 31.10.2012 – 2 ZB 11.1575 – juris Rn. 4; B.v. 20.12.2016 – 2 ZB 15.1869 – juris Rn. 5; U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – juris Rn. 39) und dem Bauwerk hierzu keine gesteigerte Bedeutung für das Ensemble zukommen muss (vgl. BayVGH, U.v. 2.8.2018 – 2 B 18.742 – juris Rn. 39). Soweit gewichtige Gründe des Denkmalschutzes für die unveränderte Beibehaltung des (näheren Umgriffs des) Ensembles sprechen, dürfte es eine zulässige Ermessenerwägung darstellen, dass die in den Anwesen R. … straße 41, 43 und 45 vorzufindenden, über die Traufe hochgezogenen Fenster mit einem die Trauflinie durchbrechenden Balkon, der zudem über die Außenfassade des Anwesens hinauskragt, nicht vergleichbar sind und ein solcher ein Dach bzw. die Trennung von Dach und Außenwand deutlich mehr verunklärt als die im westlichen und östlichen Teil der südlichen Dachfläche des streitgegenständlichen Anwesens verwirklichten und mit Bescheiden vom 18. Januar 2006, 10. Juli 2006 und 17. September 2007 genehmigten „reinen“ Einschnittbalkone bzw. -terrassen oberhalb der Trauflinie. Ebenfalls nicht zu beanstanden dürfte die Erwägung sein, dass die Verunklärung des Dachs durch die Kombination von unterschiedlichen Formen von Dachterrassen bzw. -balkonen, die zudem auf unterschiedlichen Höhen des Daches ansetzen, schwerer ins Gewicht fällt als eine Verunklärung ausschließlich durch die Trauflinie nicht berührende Einschnittbalkone auf einer Höhe, wie sie mit Bescheiden vom 18. Januar 2006, 10. Juli 2006 und 17. September 2007 genehmigt wurden. Ferner dürfte es keinen justiziablen Ermessenfehler darstellen, auf die Erforderlichkeit von Balkonen zur Schaffung eines zeitgemäßen Wohnstandards und die Möglichkeit bzw. die bereits erfolgte Realisierung denkmalverträglicherer reiner Einschnittdachterrassen bzw. -balkone abzustellen und vor demselben Hintergrund die Durchbrechung der Trauflinie durch die beiden Aufzugsanlagen als weniger gravierend als diejenige durch Traufbalkone anzusehen. Schließlich ist es nicht fehlerhaft, wenn die Beklagte in ihrer Abwägungsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BayDSchG den finanziellen Aufwand der Klägerin für den Rückbau der streitgegenständlichen Balkonanlage auf eine der genehmigten Formen nicht berücksichtigt. Denn die Klägerin hat insoweit ohne erforderliche vorherige Genehmigung und folglich auf eigenes Risiko investiert (vgl. VGH Mannheim, U.v. 10.6.2010 – 1 S 585/10 – juris Rn. 25).
Zudem wird klarstellend darauf hingewiesen, dass die denkmalschutzrechtliche Erlaubnisfähigkeit der streitgegenständlichen Balkonanlage gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 BayDSchG wegen ihrer Nähe insbesondere zu den unmittelbar westlich angrenzenden Einzelbaudenkmälern in der F. … straße 34, 36 und 38 von der Beklagten bislang unzureichend geprüft wurde, was wohl auf der fehlenden Entscheidungserheblichkeit dieses Aspekts im Rahmen des Bescheids vom 27. Juli 2017 beruht. Insbesondere wurde seitens der Beklagten (noch) keine dem Zweck von Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG entsprechende Ermessensentscheidung (Art. 40 BayVwVfG), die von den Voraussetzungen der Genehmigungspflicht gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayDSchG (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2005 – 14 B 04.2285 – Rn. 19 ff.) sowie von denjenigen einer Ermessensentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 6; B.v. 20.5.2015 – 22 ZB 14.2827 – juris Rn. 13, 15; B.v. 13.5.2015 – 1 ZB 13.1334 – juris Rn. 8; B.v. 12.6.2019 – 2 ZB 17.67 – juris Rn. 12), getroffen. Auch im Rahmen einer Ermessensentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayDSchG dürfte jedoch der der Klageerwiderung zu entnehmende Aspekt der Vermeidung einer negativen Bezugsfallwirkung grundsätzlich eine zulässige Ermessenserwägung darstellen.
III. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO ab-zuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung er-folgt gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).