Verwaltungsrecht

Änderung der politischen Verhältnisse

Aktenzeichen  W 3 K 18.32332

Datum:
11.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 60008
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 71
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren der Klagepartei, die Beklagte zu verpflichten, der Klagepartei die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes vom 8. Mai 2017 insoweit aufzuheben, als er diesem Begehren entgegensteht.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 8. Mai 2017 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht (§ 77 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AsylG) als rechtmäßig und verletzt die Klagepartei nicht in ihren Rechten. Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Vorliegend handelt es sich um ein Folgeverfahren nach § 71 AsylG. Stellt der Ausländer nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn (erstens) sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, (zweitens) neue Beweismittel vorliegen, die eine den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, oder (drittens) Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (vgl. BVerwGE, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 14).
Ist das Bundesamt der Ansicht, dass Wiederaufnahmegründe auf der Grundlage von § 51 VwVfG vorliegen, ist der Folgeantrag inhaltlich daraufhin zu überprüfen, ob die neue Sach- oder Rechtslage tatsächlich zu einer anderen Einschätzung der Gefährdung führt oder ob das neue Beweismittel zu einer insgesamt positiven Glaubwürdigkeitsbeurteilung berechtigt und falls ja, ob nun von einer Gefährdung ausgegangen werden kann (Müller in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 71 AsylG Rn. 48).
So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat das Vorbringen der Klagepartei im Folgeantrag vom 9. Januar 2015 überprüft und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG wegen einer nachträglichen Änderung der Sachlage vorliegen, dies aufgrund weiterer exilpolitischer Tätigkeiten der Klagepartei in Verbindung mit der Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien. Dies beruht auf der (vormaligen) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Würzburg, dass sich die politische Lage in Äthiopien vor allem durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes am 9. Oktober 2016 (und erneut am 16.2.2018, bestätigt durch das Äthiopische Parlament am 2.3.2018) deutlich verschärft hat mit der Folge, dass gemäß entsprechender eingeholter Auskünfte auch exilpolitisch tätige „Mitläufer“ der Gefahr einer politischen Verfolgung ausgesetzt sind, wenn sie Mitglied einer von der äthiopischen Regierung als terroristisch eingestuften Organisation oder einer solchen Organisation nahestehenden Exilorganisation sind und ein Mindestmaß an exilpolitischer Tätigkeit aufweisen (vgl. dazu z.B. U.v. 15.9.2017 – W 3 K 17.31180 – juris).
Allerdings hat das Bundesamt im Rahmen der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrags entschieden, dass die Klagepartei auch aufgrund ihres nunmehrigen Vorbringens keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hat.
Dies ist unter Berücksichtigung der derzeit aktuellen politischen Situation in Äthiopien – maßgeblich ist, wie oben ausgeführt, der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts – nicht zu beanstanden.
Dies ergibt sich aus Folgendem:
Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2250). Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, gemäß § 3 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK -), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung u.a. wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG wird gewährt, wenn dem Schutzsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Rechtsverletzungen aufgrund von Handlungen im Sinne von § 3a AsylG durch einen Akteur im Sinne von § 3c AsylG in seinem Herkunftsland drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BVR 502, 1000, 961/86 – NVwZ 1990, 151 f.; BVerwG, U.v. 29.11.1987 – 1 C 33.71 – BVerwGE 55, 82, 83 m.w.N.).
Die Voraussetzungen von § 3 Abs. 1 AsylG decken sich mit denen nach Art. 16a Abs. 1 GG hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter und des politischen Charakters der Verfolgung, wobei § 3 Abs. 1 AsylG insofern einen weitergehenden Schutz bietet, als auch selbstgeschaffene subjektive Nachfluchtgründe die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen können. Ein Kausalzusammenhang zwischen Verfolgung, Flucht und Asylantrag wird dabei nicht vorausgesetzt (vgl. BVerwG, B.v. 13.8.1990 – 9 B 100/90 – NVwZ-RR 1991, 215; BVerfG, B.v. 26.5.1993 – 2 BVR 20/93 – BayVBl 1993, 623).
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).
Nach diesen Maßstäben hat die Klagepartei keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Klägerin hat sich in ihrem Folgeantrag zunächst auf ihre weitere exilpolitische Tätigkeit gestützt, dies im Zusammenhang mit der oben dargestellten Verschlechterung der politischen Situation in Äthiopien.
Der Klägerin droht im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien allerdings keine politische Verfolgung wegen der von ihr vorgetragenen weiteren exilpolitischen Betätigung in Deutschland. Die Klägerin hat – wie schon im Erstverfahren – nachgewiesen, dass sie aktives Mitglied bei EPRP ist und an diversen Veranstaltungen dieser Organisation bzw. Demonstrationen anderer exilpolitischer Organisationen in Deutschland teilgenommen hat. Zudem hat sie vorgetragen, dass sie für die Regionalgruppe Aschaffenburg als Schatzmeisterin tätig sei und sie einen Artikel in der Zeitschrift M. … veröffentlicht habe. Diese exilpolitische Betätigung ist in Folge der Veränderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine Furcht vor Verfolgung zu begründen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in den Verfahren 8 B 18.30261, 8 B 18.30275, 8 B 17.31645, 8 B 18.30261 (Ue.v. 13.2.2019 – alle juris), 8 B 18.30274, 8 B 18.30252 (Ue.v. 12.3.2019 – beide juris) und 8 B 17.31645 (U.v. 14.3.2019 – juris) auf der Grundlage verschiedener im Rahmen dieser Verfahren eingeholter Auskünfte und Gutachten und weiterer neuester Erkenntnisquellen die politische Situation in Äthiopien neu beurteilt und hierbei die Organisationen Ginbot 7, OLF, ONLF und die ihnen nahe stehenden politischen Organisationen und exilpolitischen Organisationen in den Blick genommen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt im Verfahren 8 B 17.31645 (U.v. 13.2.2019 – juris) u.a. Folgendes aus:
„Die politische Situation in Äthiopien hat sich für Regierungsgegner und Oppositionelle bereits seit Anfang 2018 deutlich entspannt. … Nachdem der Rat der EPRDF … Abiy Ahmed mit 108 von 180 Stimmen zum Premierminister gewählt hatte (vgl. Stiftung Wissenschaft und Politik/Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, SWP-Aktuell von Juni 2018, „Abiy Superstar – Reformer oder Revolutionär“ [im Folgenden: SWP-Aktuell von Juni 2018]; Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia: Political situation and treatment of opposition, September 2018, Deutsche (Teil)-Übersetzung [im Folgenden: The Danish Immigration Service] S. 11), wurde dieser am 2. April 2018 als neuer Premierminister vereidigt. Zwar kommt Abiy Ahmed ebenfalls aus dem Regierungsbündnis der EPRDF, ist aber der Erste in diesem Amt, der in Äthiopien der Ethnie der Oromo angehört (vgl. Amnesty International, Stellungnahme vom 11.7.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 S. 1), der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens, die sich jahrzehntelang gegen wirtschaftliche, kulturelle und politische Marginalisierung wehrte (vgl. Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe-Länderanalyse vom 26.9.2018 zum Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 26.3.2018 [im Folgenden: Schweizerische Flüchtlingshilfe] S. 5).
Seit seinem Amtsantritt hat Premierminister Abiy Ahmed eine Vielzahl tiefgreifender Reformen in Äthiopien umgesetzt. Mitte Mai 2018 wurden das Kabinett umgebildet und altgediente EPRDF-Funktionsträger abgesetzt; die Mehrheit des Kabinetts besteht nun aus Oromo. Die bisher einflussreiche TPLF … (vgl. Auswärtiges Amt, Ad-hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17.10.2018 [im Folgenden: AA, Ad-hoc-Bericht] S. 8), stellt nur noch zwei Minister (vgl. SWP-Aktuell von Juni 2018). Auch der bisherige Nachrichten- und Sicherheitsdienstchef und der Generalstabschef wurden ausgewechselt (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 14.6.2018 S. 1). Die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi wurde zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt (vgl. Republik Österreich, Länderinformationsblatt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Äthiopien vom 8.1.2019 [im Folgenden: BFA Länderinformationsblatt] S. 6). Am 5. Juni 2018 wurde der am 16. Februar 2018 verhängte sechsmonatige Ausnahmezustand vorzeitig beendet. Mit dem benachbarten Eritrea wurde ein Friedensabkommen geschlossen und Oppositionsparteien eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 5 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 10).
Gerade auch für (frühere) Oppositionelle hat sich die Situation deutlich und mit asylrechtlicher Relevanz verbessert. Bereits unmittelbar nach dem Amtsantritt von Premierminister Abiy Ahmed im April 2018 wurde das berüchtigte „Maekelawi-Gefängnis“ in Addis Abeba geschlossen, in dem offenbar insbesondere auch aus politischen Gründen verhaftete Gefangene verhört worden waren (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14; BFA Länderinformationsblatt S. 24; AA, Ad-hoc-Bericht S. 17). … In der ersten Jahreshälfte 2018 sind ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte Personen vorzeitig entlassen worden. Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 politische Gefangene freigelassen worden, darunter führende Oppositionspolitiker …, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten (The Danish Immigration Service S. 13, vgl. AA, Ad-hoc-Bericht S. 9 f., vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 6).
Am 20. Juli 2018 wurde zudem ein allgemeines Amnestiegesetz erlassen, nach welchem Personen, die bis zum 7. Juni 2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze, insbesondere wegen begangener politischer Vergehen, strafrechtlich verfolgt wurden, innerhalb von sechs Monaten einen Antrag auf Amnestie stellen konnten (vgl. Auswärtiges Amt, Stellungnahme an den Verwaltungsgerichtshof vom 7.2.2019 [im Folgenden: AA, Stellungnahme vom 7.2.2019]; AA, Ad-hoc-Bericht S. 11; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; The Danish Immigration Service S. 14).
Weiterhin wurde am 5. Juli 2018 die Einstufung der Untergrund- und Auslands-Oppositionsgruppierungen Ginbot7 …, OLF und ONLF … als terroristische Organisationen durch das Parlament von der Terrorliste gestrichen und die Oppositionsgruppen wurden eingeladen, nach Äthiopien zurückzukehren, um am politischen Diskurs teilzunehmen (vgl. AA, Stellungnahme vom 7.2.2019; AA, Ad-hoc-Bericht S. 18 f.; The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.; VG Bayreuth, U. v. 31.10.2018 – B 7 K 17.32826 – juris Rn. 44 m.w.N.). Daraufhin sind sowohl Vertreter der OLF (Jawar Mohammed) als auch der Ginbot7 (Andargachew Tsige) aus der Diaspora nach Äthiopien zurückgekehrt (vgl. The Danish Immigration Service S. 5, 14 f.). Nach einem Treffen des Gründers und Vorsitzenden der Ginbot7 (Berhanu Nega) mit Premierminister Abiy Ahmed im Mai 2018 hat die Ginbot7 der Gewalt abgeschworen. Die ONLF verkündete am 12. August 2018 einen einseitigen Waffenstillstand (vgl. BFA Länderinformationsblatt S. 22). 1.700 Rebellen der ONLF in Äthiopien haben inzwischen ihre Waffen niedergelegt (vgl. Neue Züricher Zeitung vom 9.2.2019 „Separatisten in Äthiopien legen Waffen nieder“). Am 7. August 2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF in Asmara (Eritrea) ein Versöhnungsabkommen. Am 15. September 2018 wurde in Addis Abeba die Rückkehr der OLF unter der Führung von Dawud Ibsa gefeiert. Die Führung der OLF kündigte an, nach einer Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 17.9.2018 – Äthiopien; Schweizerische Flüchtlingshilfe S. 5; WELT vom 15.9.2018, „Zehntausende begrüßen Rückkehr der Oromo-Rebellen in Äthiopiens Hauptstadt“). In den vergangenen sechs Monaten sind verschiedene herausgehobene äthiopische Exilpolitiker nach Äthiopien zurückgekehrt, die nunmehr teilweise aktive Rollen im politischen Geschehen haben (vgl. AA, Stellungahme vom 7.2.2019). …
Schließlich wurden Verbote für soziale Medien aufgehoben. Im Juni 2018 hat die Regierung beschlossen, eine Reihe von Webseiten, Blogs, Radio- und TV-Sendern zu entsperren, die für die Bevölkerung vorher nicht zugänglich gewesen sind. Dies betraf nach Bericht eines nationalen Beobachters auch die beiden in der Diaspora angesiedelten TV-Sender ESAT und OMN (vgl. The Danish Immigration Service S. 12); die Anklage gegen den Leiter des OMN, Jawar Mohammed, wurde fallengelassen (vgl. BFA Länderinformationsblatt, S. 22).“
Aus dieser Erkenntnislage ergibt sich, dass Personen, die in Äthiopien oder im Ausland für die OLF, Ginbot 7 oder die ONLF bzw. für eine diesen Organisationen nahe stehende Organisation politisch tätig waren, aufgrund dieser oppositionellen Tätigkeit keine Furcht vor Verfolgung bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mehr haben müssen. Die oben dargestellte Veränderung der politischen Verhältnisse hat auch diesbezüglich zu einem grundlegenden Wandel geführt.
Die exilpolitische Betätigung, die die Klagepartei durch die Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen hat, ist infolge der oben dargestellten Veränderungen der politischen Verhältnisse in Äthiopien nicht (mehr) geeignet, eine Furcht vor Verfolgung zu begründen. Es kann (unter Änderung der bisherigen Rechtsprechung, vgl. z.B. VG Würzburg, U.v. 15.9,.2017 – W 3 K 17.31180 – juris) nicht mehr angenommen werden, dass äthiopische Staatsangehörige aufgrund ihrer exilpolitischen Tätigkeit im Fall ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen bedroht sind (BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris Rn. 43 m.w.N.). Insbesondere gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nur prominente Oppositionspolitiker verschont würden, unbekannte Personen, die sich exilpolitisch betätigt hätten, jedoch weiterhin von Verfolgung bedroht seien.
Der diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag 1, der sich mit einer Verfolgung aufgrund exilpolitischer Tätigkeiten beschäftigt, war abzulehnen. Zur Begründung wird auf die in der mündlichen Verhandlung dargestellte und im Protokoll festgehaltene Begründung Bezug genommen. Die entsprechende Gegenvorstellung der Klägerin, mit der geltend gemacht wird, die Erkenntnismittel seien nicht hinreichend aktuell und zudem müsse der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom April 2019 berücksichtigt werden, kann hieran nichts ändern. Sie enthält nichts, was die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Ablehnung des Beweisantrages substantiiert in Frage stellen könne. Im Übrigen geben die angeführten Erkenntnismittel sehr wohl die aktuelle Entwicklung in Äthiopien wieder. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist Sache des Gerichts und einer Beweiserhebung nicht zugänglich.
Die Klagepartei kann sich auch nicht auf die in den letzten Monaten aufgebrochenen ethnischen Konflikte in Äthiopien, die teilweise zu erheblicher Binnenflucht geführt haben, berufen. Hierbei handelt es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen Oppositionelle wegen ihrer politischen Überzeugung, sondern um Vorfälle in der Umbruchsphase des Landes bzw. um Geschehnisse, die sich nicht als Ausdruck willentlicher und zielgerichteter staatlicher Rechtsverletzungen darstellen, sondern als Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Unrechts oder als Abwehr allgemeiner Gefahrensituationen (vgl. hierzu im Einzelnen BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris Rn. 36 bis 38; hierauf wird zur weiteren Begründung Bezug genommen).
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, nunmehr könne sie aufgrund einer Zeugenaussage ihre tatsächliche Identität belegen, kann auch dies nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen. Zum einen hat die Klägerin nicht geltend gemacht, welches in § 3 AsylG genannte Rechtsgut verletzt sein könnte, nähme man die von der Klägerin angegebene Identität an. Unabhängig hiervon stünde der Klägerin zum anderen eine inländische Fluchtalternative in Addis Abeba zur Verfügung (vgl. hierzu die Ausführungen unten).
Damit steht der Klagepartei kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Dass der Klagepartei bei ihrer Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht sie selbst nicht geltend. Ebenso wenig kann angesichts der oben genannten grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien angenommen werden, dass der Klagepartei in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Auch ist nicht erkennbar, dass in Äthiopien ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrschen könnte, der zu einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Klagepartei infolge willkürlicher Gewalt führen könnte. Zwar werden in Äthiopien zunehmend ethnische Konflikte mit Waffengewalt ausgetragen, die erhebliche Binnenvertreibungen zur Folge haben. Es gibt nach der aktuellen Erkenntnislage aber in keiner Region Äthiopiens bürgerkriegsähnliche Zustände (vgl. im Einzelnen BayVGH, U.v. 13.2.2019 – 8 B 17.31645 – juris Rn. 52 bis 53 m.w.N.). Damit besteht kein Anspruch der Klagepartei auf Zuerkennung subsidiären Schutzes.
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen liegen nicht vor.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Vorschrift verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Der sachliche Regelungsbereich dieser Vorschrift ist hinsichtlich der Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung weitgehend identisch mit dem des subsidiären Schutzes und geht, soweit Art. 3 EMRK betroffen ist, nicht darüber hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Klagepartei bei einer Rückkehr nach Äthiopien dort landesweit eine Verletzung von durch die EMRK geschützten Rechten droht, ist nicht ersichtlich.
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).
Derartige erhebliche konkrete Gefahren für die Klagepartei sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Es kann offen bleiben, ob die Klägerin eine falsche Identität angegeben hat oder nicht, und ob damit ihre Angaben zu ihren familiären Verhältnissen von vornherein unglaubhaft sind oder nicht. Selbst wenn man ihren Angaben glauben würde und annehmen würde, sie könne aufgrund der von ihr geschilderten Vorfälle nicht zu ihrer Familie zurückkehren, hat die Klägerin als alleinstehende, gesunde Frau ohne Kind hinreichende Überlebenschancen in Addis Abeba. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin in Deutschland als Reinigungskraft arbeiten möchte (vgl. Verfahren W 3 K 19.30372) und nicht erkennbar ist, warum sie gleiches nicht auch in Addis Abeba tun könnte (vgl. zu dieser Problematik auch die Ausführungen im Urteil des Bayer. Verwaltungsgerichtshofes vom 12.3.2019 – 8 B 18.30274 – juris Rn. 58). Diesbezüglich war Beweisantrag 2, der sich mit den Überlebenschancen einer alleinstehenden Frau in Addis Abeba beschäftigt, in der mündlichen Verhandlung abzulehnen. Auf die im Sitzungsprotokoll enthaltene Begründung wird Bezug genommen. Der hiergegen erhobenen Gegenvorstellung war nicht weiter nachzugehen. Zwar hat der Klägerbevollmächtigte auf insgesamt drei Millionen Binnenvertriebenen in Äthiopien verwiesen, lediglich aber pauschal und nicht nachvollziehbar behauptet, ein großer Teil dieser Menschen halte sich in Addis Abeba auf. Solange die Klägerin für diese Behauptung keinerlei nachvollziehbares Material vorlegt, ist das Gericht schon deswegen nicht gehalten, ihr weiter nachzugehen. Der Sache nach würde es sich um einen Ausforschungsbeweis handeln.
Auch Beweisantrag 3, der sich mit der Identität der Klägerin beschäftigt, hat das Gericht aus den im Sitzungsprotokoll genannten Gründen in der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Hinsichtlich der diesbezüglichen Gegenvorstellung wird auf die Ausführungen zu der Gegenvorstellung zu Beweisantrag 2 Bezug genommen.
Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Die Bezeichnung des Abschiebezielstaates im Bescheid des Bundesamtes genügt den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (BayVGH v. 10.1.2000 – 19 ZB 99.33208 – juris). Es bleibt Sache der für eine Abschiebung zuständigen Behörde, unter Beachtung der im Asylverfahren gewonnenen Erkenntnisse sicherzustellen, dass die Klagepartei nicht in für sie gefährliche Gebiete des Zielstaates abgeschoben wird.
Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehen keine rechtlichen Bedenken.
Aus alledem ergibt sich, dass der Bescheid des Bundesamtes, soweit er angegriffen worden ist, rechtmäßig ist und der Klagepartei die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen, so dass die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen war.

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