Medizinrecht

Schadensersatz, Behandlungsfehler, Berufung, Versorgung, Krankenhaus, Rechtsanwaltskosten, Staatsanwaltschaft, Ersatzpflicht, Gutachten, Beweislast, Verletzung, Mutter, Oberarzt, Feststellung, grober Behandlungsfehler, Darlegungs und Beweislast, Geburt des Kindes

Aktenzeichen  4 U 145/18

Datum:
21.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 55132
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

34 O 384/14 2018-07-11 LGBAYREUTH LG Bayreuth

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 11.07.2018, Az. 34 O 384/14, wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, den diese wegen der vorgeburtlich im Rahmen der Behandlung im Krankenhaus der Beklagten eingetretenen fetalen Asphyxie erlitten hat bzw. erleiden wird und der Anspruch nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bayreuth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision der Beklagten gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materielle und immaterielle Schäden wegen des Vorwurfs einer fehlerhaften Behandlung im Zusammenhang mit ihrer Geburt am 26.06.2011 im Klinikum der Beklagten.
Die Mutter der Klägerin (künftig nur: Mutter) wurde am 24.06.2011 gegen 2:20 Uhr in der 32. + 4 Schwangerschaftswoche (rechnerischer Entbindungstermin: 14.08.2011) nach kurz vorher erfolgtem Blasensprung im Krankenhaus der Beklagten aufgenommen. Bei der Mutter war in der 17. Schwangerschaftswoche zur Vermeidung einer Frühgeburt eine Cerclage angebracht worden. Nach Aufnahme wurde die Cerclage entfernt sowie eine Lungenreifebehandlung der Klägerin und eine prophylaktische Antibiose eingeleitet. Ferner wurden der Mutter Medikamente zum Zweck der Wehenhemmung (Tokolyse) verabreicht, die jedoch aufgrund einer Unverträglichkeit gegen 5.00 Uhr wieder abgesetzt wurden. Gegen 10.00 Uhr wurde die Mutter durch den Oberarzt Dr. untersucht, wobei sich keine Auffälligkeiten zeigten. Die am 24.06.2011 und am Folgetag aufgezeichneten CTGs waren weitgehend unauffällig. Am frühen Morgen des 26.06.2011 gab die Mutter Wehen an; ein daraufhin durchgeführtes CTG wies Dezelerationen auf, die sich im weiteren Verlauf jedoch nicht wiederholten. Ein weiteres CTG zwischen 7.00 Uhr bis 07.30 Uhr stellte sich unauffällig dar. Nach einer ärztlichen Visite gegen 10.00 Uhr stellte sich die Mutter gegen 13.10 Uhr im Kreißsaal vor, wobei sie von Wehen berichtete, die gegen 11.00 Uhr eingesetzt hatten. Nachdem im anschließend um 13.16 Uhr angelegten CTG keine Herztöne der Klägerin festgestellt werden konnten und ein anschließender Ultraschall eine fetale Bradykardie gezeigt hatte, wurde die Klägerin um 13.37 per Notsectio ohne Atmung und Herztätigkeit entbunden. Die Klägerin wurde reanimiert und bis zum 19.08.2011 auf der neonatologischen Intensivstation weiterbehandelt. Die Klägerin litt (Stand Juli 2012) unter einer schweren Retardierung der geistigen Entwicklung und einer schweren Beeinträchtigung der Hör- und Sehfähigkeit.
Nach dem klägerischen Vorbringen ist der Zustand der Klägerin nach der Geburt darauf zurückzuführen, dass eine frühere Einleitung der Geburt, insbesondere unter Berücksichtung eines mehrfach geäußerten entsprechenden Wunsches der Mutter, behandlungsfehlerhaft nicht erfolgte; spätestens nach Abschluss der Lungenreifebehandlung wäre die Geburt einzuleiten gewesen. Ferner sei die Mutter behandlungsfehlerhaft auch nicht auf die Brisanz muttermundswirksamer Wehen hingewiesen worden, weswegen sie sich beim Einsetzen der Wehen gegen 11.00 Uhr nicht gemeldet habe. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung wäre die vorhersehbare Sauerstoffunterversorgung vermeidbar gewesen.
Die Klägerin verlangt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden anlässlich ihrer Geburt im Krankenhaus der Beklagten, sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Verfahrensgangs in erster Instanz und der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des Ersturteils (Bl. 402 ff. d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 11.07.2018 die Klage zugesprochen, wobei es die in einem (teilweise) parallel gegen den Oberarzt Dr. geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingeholten Sachverständigengutachten auf dem Gebiet der Gynäkologie und Neonatologie verwertet hat sowie ein ergänzendes gynäkologisches Sachverständigengutachten eingeholt und den Sachverständigen persönlich angehört hat; ferner hat es den Oberarzt Dr. als Zeugen vernommen und die Eltern der Klägerin informatorisch angehört. Zur Begründung hat das Landgericht unter Berufung auf den gynäkologischen Sachverständigen im Wesentlichen ausgeführt, dass die Mutter unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Wiederauftreten von Wehen nach einer Tokolyse ein Anzeichen für eines Amnioninfektionssyndrom (das eine unverzügliche Entbindung gebietet) sein kann, dahingehend hätte aufgeklärt werden müssen, dass sie sich bei dem geringsten Anzeichen von Wehen sofort beim Pflegepersonal melden müsse. Eine derartige Aufklärung, für die auch eine Dokumentationspflicht bestanden habe, sei jedoch nicht erfolgt. Das Landgericht bejaht auch eine Kausalität zwischen der unterbliebenen Aufklärung und der bei der Klägerin eingetretenen fetalen Bradykardie und Asphyxie. So sei davon auszugehen, dass sich die Mutter im Falle einer gebotenen Aufklärung unmittelbar nach dem Beginn der Wehen um 11.00 Uhr gemeldet hätte, im Falle von muttermundswirksamen Wehen, die tatsächlich auch vorgelegen haben, hätte alternativlos unmittelbar eine Sectio eingeleitet werden müssen, wodurch die später eingetreten Asphyxie vermieden worden wäre. Darüber hinaus sei die unterlassene Aufklärung auch als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren.
Mit Ergänzungsurteil vom 24.09.2018 (Bl. 450 ff. d.A.) hat das Landgericht auch den im Endurteil vom 11.07.2018 übergangenen Antrag auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten zugesprochen.
Die Beklagten hat mit Schriftsatz vom 13.08.2018 (Bl. 467 f. d.A.) gegen das Endurteil vom 11.07.2018 fristgerecht Berufung eingelegt und mit Schriftsatz vom 15.10.2018 (Bl. 492 ff. d.A.) form- und fristgerecht begründet. Sie begehrt die Abweisung der Klage und begründet dies im Wesentlichen damit, dass der Sachverständige die Notwendigkeit der Aufklärung der Mutter dahingehend, dass diese sich bei dem geringsten Anzeichen von Wehen (als Warnzeichen für ein Amnioninfektionssyndrom) zu melden habe, unter der unzutreffenden Annahme getätigt habe, dass der Mutter während des gesamten Aufenthalts wehenhemmende Medikamente gegeben worden wären, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Ferner habe das Landgericht die Beweislast für die klägerische Behauptung eines Aufklärungsfehlers verkannt, jedenfalls habe die Mutter selbst informatorisch angegeben, sich bei Wehen immer gemeldet zu haben, was für eine entsprechende Aufklärung, die auch durch den Zeugen Dr. bestätigt worden sei, spreche. Die Darstellung des Landgerichts, dass sich um 11.00 Uhr muttermundswirksame Wehen eingestellt hätten, finde keine Grundlage in den festgestellten Tatsachen. Auch habe sich das Landgericht über die Beurteilung des gynäkologischen Gutachtens hinweggesetzt, wonach nicht mehr feststellbar sei, wie sich das Zeitintervall zwischen dem behaupteten Beginn der Wehentätigkeit um 11.00 Uhr und dem Anlegen des CTG um 13.16 Uhr zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt habe. Einen groben Behandlungsfehler habe das Landgericht bejaht, ohne dass der Sachverständige hierzu gehört worden sei.
Die Klägerin verteidigt das angefochtene Endurteil.
Der Senat hat mit Beschluss vom 14.02.2019 (Bl. 537 ff. d.A.) auf seine Bedenken bzgl. der vom Landgericht getroffenen Feststellungen im Hinblick auf die Verletzung einer Aufklärungspflicht und den Kausalitätsbetrachtungen hingewiesen. Mit Beweisbeschluss vom 02.07.2019 (Bl. 591 ff. d.A.) hat der Senat zur Frage der Aufklärungspflicht ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Prof. eingeholt (Bl. 618 ff.), das durch den Sachverständigen Prof. in der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2021 (Protokoll Bl. 686 ff. d.A.) erläutert wurde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das Senatsprotokoll vom 10.05.2021 (Bl. 686 ff.), die vorgenannten Hinweis- und Beweisbeschlüsse sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt den beigefügten Urkunden und sonstigen Anlagen Bezug genommen.
II.
Die statthafte und zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache im Wesentlichen keinen Erfolg.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 611, 280 Abs. 1, 278, 249, 253 Abs. 2 BGB bzw. gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB zu. Dem Feststellungsantrag der Klägerin war daher, mit der aus dem Tenor ersichtlichen Einschränkung, zu entsprechen.
A. Haftungsbegründender Sachverhalt
Der Klägerin ist der Nachweis eines groben Behandlungsfehlers im Rahmen der Behandlung ihrer Mutter im Vorfeld der Geburt gelungen, wobei ein Kausalzusammenhang zwischen diesem Fehler und dem bei der Klägerin eingetretenen Primärschaden, nämlich eine vorgeburtlich eingetretene Asphyxie (Sauerstoffunterversorgung) auch nicht als gänzlich unwahrscheinlich zu qualifizieren ist.
1. Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist die Feststellung des Landgerichts, dass der Beklagten ein Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, weil die Mutter der Klägerin nicht ausreichend darüber aufgeklärt wurde, unter welchen Umständen eine Kontaktaufnahme mit dem Pflegepersonal bzw. der Hebamme erforderlich ist, um einen drohenden Schaden von der Klägerin abzuwenden.
a) Sowohl der erstinstanzlich zu dieser Frage angehörte Sachverständige Prof. , der auch in der zweiten Instanz ein schriftliches Ergänzungsgutachten erstattet hat und der in der zweiten Instanz mit der mündlichen Erörterung des Gutachtens beauftragte Sachverständige Prof. haben dem Grunde nach übereinstimmend ausgeführt, dass es erforderlich war, die Mutter der Klägerin auf die Brisanz von Wehen hinzuweisen. Zwar kann an den Feststellungen des Landgerichts, wonach der Grund für eine entsprechende Aufklärung darin bestünde, dass das Wiederauftreten von Wehen bei vorangegangener Tokolyse ein Anzeichen für die Entwicklung eines Amnioninfektionssyndroms sein kann, auf das schnellstmöglich zu reagieren sei, nicht festgehalten werden. So wird in dem zweitinstanzlich eingeholten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. und in der anschließenden Erläuterung durch Prof. eine entsprechende Aufklärung ausdrücklich zur Vermeidung einer plötzlichen Geburt auf Station und damit zur Sicherstellung einer bestmöglichen Versorgung des Kindes nach der Geburt für erforderlich erachtet, wobei der Sachverständige Prof. im Rahmen seiner mündlichen Anhörung (Protokoll S. 689 d.A.) die vom Landgericht angenommene Zielrichtung der Aufklärung, frühzeitig auch ein Amnioninfektionssyndrom zu erkennen, ausdrücklich verneint hat. Insoweit werde eine entsprechende Kontrolle (nur) durch die labortechnischen Untersuchungen und die regulären dreimal täglich anzusetzenden CTG-Kontrollen gewährleistet, die im vorliegenden Fall auch durchgeführt worden seien. Diesen Ausführungen folgt der Senat, zumal sich letztlich auch aus dem erstinstanzlichen Gutachten und auch aus den erstinstanzlich protokollierten Angaben des Sachverständigen Prof. nicht ergibt, dass dieser – wie aber das Landgericht in seiner Urteilsbegründung – ausschließlich die Möglichkeit der Erkennung eines Amnioninfektionssyndroms als Zweck der Aufklärungsverpflichtung benannt hätte.
Andererseits kann unter Berücksichtigung der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme (anders als die Beklagte meint) nicht davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende Hinweispflicht gegenüber der Kindsmutter, sich nicht nur bei Wehen, sondern auch beim Ziehen oder einem Druck nach unten beim Pflegepersonal zu melden, allein dann zu bejahen wäre, solange die Kindsmutter noch unter einer wehenhemmenden Medikation steht, da (nur) dann das Auftreten von Wehen ein Anzeichen für eine Amnioninfektionssyndrom sein könne. Vielmehr geht der Senat davon aus, wie im schriftlichen Sachverständigengutachten vom 19.12.2019 (Bl. 622 d.A.) ausgeführt und durch den Sachverständigen Prof. im Rahmen der mündlichen Anhörung bestätigt, dass eine Schwangere in der Situation der Mutter der Klägerin darüber aufgeklärt werden muss, dass sie sich frühzeitig – nicht nur bei Wehen und Ziehen, sondern auch bei einem Druck nach unten – beim zuständigen Krankenhauspersonal zu melden hat, um eine Geburt des Kindes auf Station zu vermeiden und damit dessen bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.
b) Eine entsprechende Aufklärung der Kindsmutter hat, wie schon das Landgericht festgestellt hat, auch nach Überzeugung des Senats nicht stattgefunden. Zwar unterlag das Landgericht offensichtlich dem Irrtum, dass bzgl. der Frage, ob und in welcher Form eine therapeutische Aufklärung stattgefunden hat, die Darlegungs- und Beweislast bei der Beklagten liege. Tatsächlich unterliegt die therapeutische Aufklärung dem Behandlungsfehlerregime. Dies hat zur Folge, dass der Patient darlegen und beweisen muss, dass keine ausreichende Sicherungsaufklärung erfolgt ist. (OLG München Beschluss vom 28.5.2013 – 1 U 844/13, BeckRS 2013, 9331; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn. B 104 m.w.N.).
Allerdings hat hier schon die Beklagtenseite nicht behauptet, dass – wie von den Sachverständigen zur Sicherung einer bestmöglichen Versorgung des Kindes verlangt – eine Aufklärung der Mutter dahingehend erfolgt sei, dass sie sich (wie bereits dargestellt) bereits bei dem geringsten Zeichen von Wehen und auch bei einem Ziehen bzw. einem Druck nach unten zu melden habe. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der erstinstanzlichen Aussage des von der Beklagten für die Frage der Aufklärung als Zeugen benannten Oberarztes Dr. . Soweit dieser angegeben hat (Bl. 202), dass „Frauen dahingehend unterrichtet würden“, dass sie sich bei „Wehentätigkeiten“ melden sollen, erfüllt dies bereits unter Berücksichtigung der Darlegungen der Sachverständigen nicht die Anforderungen an die gebotene Information, die zur Sicherung einer bestmöglichen Versorgung erforderlich ist. Schon der Begriff der „Wehe“ erscheint insbesondere gegenüber einer Erstgebährenden zu unscharf, um die aus Behandlersicht gewünschte Objektivierung der mütterlichen Empfindung im Bezug auf deren Intensität und Frequenz im Hinblick auf eine unmittelbar bevorstehende Geburt zu gewährleisten. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang ferner die Aufklärung darüber, welchem Zweck die entsprechende Verhaltensweise dient bzw. welches Risiko konkret vermieden werden soll. Geboten ist, um ein das erwünschte Verhalten der Mutter („Compliance“) insbesondere bei – wie hier – möglichen gravierenden Folgen im Falle der Nichtbeachtung sicherzustellen, auch ein entsprechender klarer und deutlicher Hinweis (OLG Köln, Urteil vom 18. Februar 2015 – 5 U 128/13 -, Rn. 18, juris). Auch insoweit erfolgte kein Vortrag der Beklagten.
Ferner geht der Senat davon aus, dass auch der von der Beklagten behauptete (unzureichende) Hinweis auf eine Meldepflicht bei einsetzender Wehentätigkeit entsprechend dem Vortrag der Klägerin tatsächlich nicht erfolgt ist. Hierfür besteht aufgrund des Fehlens einer entsprechenden Dokumentation eine entsprechende Vermutung (BGH, Urteil vom 14.02.1995, Az. VI ZR 272/93, NJW 1995, 1611, 1612; jetzt §§ 630f Abs. 2, 630h Abs. 3 BGB). So hat der Sachverständige Prof. im Rahmen seiner erstinstanzlichen Anhörung ausgeführt, dass eine entsprechende Dokumentation aus fachärztlicher Sicht eine Selbstverständlichkeit sei. Die Beklagte dringt dagegen auch nicht mit der Behauptung durch, eine solche sei allenfalls aus forensischer Sicht geboten, jedoch nicht zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Behandlung. Das Gegenteil geht schon aus den erstinstanzlichen mündlichen Einlassungen des Sachverständigen Prof. hervor (Bl. 334 d.A.), wonach schon allein aufgrund des im Krankenhaus stattfindenden Schichtwechsels der jeweilige Nachbehandler darüber aufgeklärt sein muss, ob eine hinreichende Aufklärung der Patientin auch über Verhaltensregeln erfolgt ist, zumal eine solche Aufklärung bereits im Zeitpunkt der Aufnahme aufgrund von zeitlichen Schwierigkeiten nicht immer gewährleistet sein kann. Die erstinstanzlichen Angaben des Oberarztes Dr. sind nicht geeignet diese Vermutung zu widerlegen, nachdem er sich an das Gespräch mit der Mutter nicht konkret erinnern konnte und lediglich – gewissermaßen pauschal – angegeben hat, dass „Frauen dahingehend unterrichtet würden“. Nähere Angaben dazu, bei welcher Gelegenheit und durch welches Personal (Hebamme/Arzt) eine entsprechende Aufklärung regelmäßig erfolgen würde, erfolgte nicht. Auch die Kindsmutter hat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung im Senatstermin vom 10.05.2021 erklärt, dass sie weder durch den Oberarzt Dr. noch durch einen sonstigen Mitarbeiter der Beklagten über die erforderlichen Verhaltensmaßregeln im Falle des Eintretens von Wehen informiert worden sei. Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite spricht auch die Tatsache, dass sich die Kindsmutter nach ihren eigenen Angaben in erster Instanz im Falle von Wehen immer gemeldet haben will, nicht dafür, dass eine entsprechende Aufklärung stattgefunden hätte. Vielmehr entspricht diese Reaktion unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Mutter der Klägerin Erstgebährende war und eine Risikoschwangerschaft vorlag, der zu erwartenden Reaktion einer um ihr Kind besorgten Mutter. So hat die Kindsmutter auch plausibel und nachvollziehbar dargelegt, warum sie dann auf das am 26. 06.2011 gegen 11.00 Uhr einsetzende Ziehen (das als eigene Angabe der Mutter auch in der Behandlungsakte dokumentiert ist) nicht reagiert habe; dies nämlich aufgrund der Tatsache, dass sie vorher bei entsprechenden Meldungen immer wieder zurückgeschickt worden sei und daher für sich selber die Schmerzgrenze, ab der sie sich wieder zum Kreißsaal begeben wollte, höher angesetzt hatte.
2. Das Unterlassen der gebotenen Aufklärung war im vorliegenden Fall auch als ein grober Behandlungsfehler zu qualifizieren. Diese Frage hat der Sachverständige Prof. im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens unter Berücksichtigung der in der Fragestellung im Beweisbeschluss vom 02.07.2019 enthaltenen Definition eines groben Fehlers (Bl. 592 d.A.) eindeutig bejaht. Hiergegen hat auch die Beklagtenseite keine substantiellen Einwendungen erhoben.
3. Aufgrund des als grober Behandlungsfehler zu qualifizierenden Unterlassens der gebotenen Aufklärung ist wegen der dadurch eintretenden Beweislastumkehr die als Primärschaden zu qualifizierende bei der Klägerin unstreitig eingetretene vorgeburtliche Asphyxie als deren kausale Folge zu bewerten. Es kann daher auch dahinstehen, ob die Unterlassung der gebotenen Aufklärung als Fehler der therapeutischen Aufklärung oder als Befunderhebungsfehler zu qualifizieren ist (BGH, Urteil vom 26.5.2020, Az. VI ZR 213/19, NJW 2020, 2467).
Die Voraussetzungen für eine Umkehr der Beweislast sind im vorliegenden Fall auch gegeben.
a) Eine solche ist dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden dagegen nicht (BGH, Urteil vom 16. 11. 2004, Az. VI ZR 328/03, NJW 2005, 427, 428). Gegenteilige Anhaltspunkte liegen hier ersichtlich nicht vor.
b) Eine Haftung scheidet auch nicht unter dem Gesichtspunkt aus, dass ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang als äußerst unwahrscheinlich zu bewerten wäre (BGH, a.a.O.). Es ist nicht als gänzlich unwahrscheinlich anzusehen (was im Übrigen von der Beklagten darzulegen und zu beweisen wäre), dass sich die Kindsmutter im Falle eines gebotenen Hinweises bereits zu einem früheren Zeitpunkt bei dem Pflegepersonal gemeldet, hierbei entsprechend frühzeitiger aufgrund eines dann durchgeführten CTG eine Gefährdung des Kindeswohls festgestellt worden wäre und bei dann frühzeitig eingeleiteter Geburt des Kindes die im vorliegenden Fall eingetretene Asphyxie vermieden worden wäre. Dies trotz und gerade auch aufgrund der Tatsache, dass eine konkrete Ursache für die Asphyxie des Kindes letztlich nicht festgestellt werden konnte. Jedenfalls geht auch der Sachverständige Prof. in seinem neonatologischen Gutachten vom 07.07.2015 davon aus, dass das Asphyxieereignis unter Berücksichtigung des klinischen Zustands des Kinds vorgeburtlich zwischen 12:45 Uhr bis 13:00 Uhr stattgefunden hat. Der Sachverständige Prof. hat demgegenüber in seinem schriftlichen Gutachten vom 07.04.2017 (S. 28) ausgeführt, dass die Bradykardie der Klägerin „theoretisch zu jeder Zeit zwischen 07.30 Uhr und 13.16 Uhr“ eingetreten sein kann, wobei eine frühere Kenntnis zu einer früheren therapeutischen Konsequenz geführt hätte, was sich aller Wahrscheinlichkeit positiv ausgewirkt hätte.
c) Ein Kausalzusammenhang ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines fehlenden Schutzzweckzusammenhangs oder deswegen zu verneinen, weil sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 16.06.1981, Az. VI ZR 38/80, NJW 1981, 2513).
aa) In der Rechtsprechung des BGH ist es anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (BGH, Urt. v. 22. 5. 2012, Az. VI ZR 157/11, NJW 2012, 2024, Rn. 14).
Zweifel daran bestehen hier deswegen, weil der Sachverständige Prof. , anders als dies das Landgericht aus den Darstellungen des Sachverständigen Prof. folgert, angegeben hat, dass es Zielrichtung der entsprechenden Aufklärung sei, eine plötzliche Geburt des Kindes – die gerade bei einer Frühgeburt sehr schnell erfolgen könne – auf Station zu vermeiden um eine adäquate Versorgung des Kindes sicherzustellen. Im vorliegenden Fall hat sich dieses Risiko jedoch gerade nicht verwirklicht; die Klägerin wurde nach Feststellung der Bradykardie im Rahmen eines CTG durch eine anschließende Notsectio entwickelt.
Dennoch geht der Senat davon aus, dass im vorliegenden Fall eine entsprechende Haftungsbegrenzung nicht zu erfolgen hat. Dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass – nach den mündlichen Angaben des Sachverständigen Prof. im Termin vom 10.05.2021 – bei einer entsprechenden Kontaktaufnahme durch die Mutter zunächst immer eine CTG-Aufzeichnung geboten ist. Eine primäre Untersuchung des Muttermunds zur Feststellung des Geburtsvorgangs scheide aus, da mit jeder derartigen Untersuchung die Infektionsgefahr aufgrund des vorangegangenen Blasensprungs erhöht werde (insoweit nicht im Sitzungsprotokoll protokolliert). Nachdem durch die geforderte Aufklärung damit letztlich eine Untersuchung in Form der Aufzeichnung eines CTG erreicht werden soll, welches neben der Wehentätigkeit der Mutter gleichzeitig auch die kindlichen Herztöne aufzeichnet, wird damit gleichzeitig bzw. geradezu zwangsläufig auch eine Kontrolle der Herztöne und damit des Wohlbefindens des Kindes ermöglicht, wie dies auch bei den gebotenen regelmäßig durchzuführenden CTG Kontrollen der Fall ist. Aus diesem Grund erscheint es nicht sachgerecht, die Haftung allein auf die Gefahr einer unkontrollierten Geburt zu beschränken. Vielmehr haftet der Behandler auch für diejenigen Gefahren (hier die unzweifelhaft eingetretene Bradykardie), die bei der gebotenen Befunderhebung (CTG-Aufzeichnung), welche durch die entsprechende Aufklärung ermöglicht werden soll, zwangsläufig erkannt werden und deren Abklärung die Befunderhebung im Rahmen der regelmäßig durchzuführenden (CTG-) Kontrollen auch dient.
bb) Aus den vorgenannten Erwägungen ist der Klägerin auch die Beweislastumkehr beim Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers zuzubilligen, auch wenn grundsätzlich für eine Beweislastumkehr dann kein Raum bleibt, wenn feststeht, dass sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 16.06.1981, a.a.O).
cc) Ein der Klägerin zurechenbares Mitverschulden der Kindsmutter aufgrund der Tatsache, dass sie sich auf das um 11.00 Uhr eingetretene Ziehen bzw. Wehen nicht beim Pflegepersonal gemeldet hat, ist mangels einer entsprechenden Aufklärung über die erforderlichen Verhaltenspflichten nicht anzunehmen. Ebenso wenig kann deshalb eine die Beweislastumkehr ausschließende Vereitelung des Behandlungserfolgs (BGH, Urteil vom 16. 11. 2004, a.a.O.) angenommen werden.
B. Feststellungsantrag
Dem Feststellungsantrag war mit der aus dem Tenor erkennbaren Einschränkung zu entsprechen. Die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches der Klägerin liegen vor. Da der Anspruch wegen der nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung auch nur teilweise bezifferbar ist und damit kein Vorrang der Leistungsklage besteht, liegt ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung vor. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 256 ZPO sind, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, erfüllt. Gleichzeitig zu begrenzen und zu konkretisieren war die Feststellung der Ersatzpflicht jedoch auf diejenigen Schäden, welche die Klägerin aufgrund der im Behandlungszeitraum aufgetretenen fetalen Asphyxie erlitten hat. Nur insoweit konnte eine Haftung der Beklagten festgestellt werden.
C. Nebenentscheidungen
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 97, 92 ZPO, wobei die Beklagte gem. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO mit den gesamten Kosten zu belasten war, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Klägerin im Rahmen der Behandlung bei der Beklagten neben der fetalen Asphyxie noch weitere Verletzungen erlitten hat, durch die weitere abgrenzbare Schäden entstanden sein können.
Eine Entscheidung bzgl. des Ergänzungsurteils war nicht veranlasst, da dieses hinsichtlich der Rechtsmittel als selbständiges Urteil anzusehen ist (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 321 ZPO, Rn. 14) und damit nicht von der ausdrücklich nur gegen das Endurteil gerichteten Berufung der Beklagten betroffen wird.
Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO – beschränkt auf den folgenden Problemkreis – zugelassen: Die Frage, ob und inwieweit eine Haftung unter dem Gesichtspunkt eines fehlenden Schutzzweckzusammenhangs einzuschränken ist, hat grundsätzliche Bedeutung.

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