Aktenzeichen 6 AZR 731/10
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Nordhausen, 2. Dezember 2008, Az: 1 Ca 1200/06, Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht, 9. September 2010, Az: 6 Sa 16/10, Urteil
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 9. September 2010 – 6 Sa 16/10 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten zur Rückzahlung von Arbeitsvergütung aufgrund einer Insolvenzanfechtung.
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Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem mit Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen am 14. Oktober 2004 (- 8 IN 424/04 -) über das Vermögen des W (Schuldner) eröffneten Insolvenzverfahren. Dem Eröffnungsbeschluss liegt ein am 4. August 2004 beim Amtsgericht Mühlhausen eingegangener Gläubigerantrag vom 2. August 2004 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugrunde. Der Schuldner betrieb ein Elektroanlagenbauunternehmen mit ca. 40 Arbeitnehmern. Der Beklagte war bei ihm von 1990 bis zum 16. August 2004 beschäftigt. Der Schuldner setzte ihn sowohl als Elektromonteur auf Baustellen als auch im Lager seines Betriebs ein, wo der Beklagte Waren entgegengenommen und ausgegeben hat. Ab Oktober 2003 geriet der Schuldner mit den Lohn- und Gehaltszahlungen zunehmend in Rückstand. Er war spätestens ab Mai 2004 zahlungsunfähig. Am 2. Mai 2004 bestanden Verbindlichkeiten des Schuldners iHv. 1.171.955,28 Euro. Die Lohn- und Gehaltsverbindlichkeiten betrugen am 14. Mai 2004 159.803,79 Euro, Ende Juli 2004 270.948,52 Euro und Anfang August 2004 236.251,22 Euro. Die Lokalpresse berichtete ua. am 3., 10. und 11. Juni 2004 über den Streit des Schuldners mit einer Stiftung, für die der Schuldner anlässlich eines Krankenhausneubaus Aufträge ausgeführt hatte und von der er wegen Überschreitung der Bauzeit Schadensersatz iHv. ca. einer Million Euro verlangte.
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Der Beklagte erhielt am 1. April 2004 mit der Zahlung von 750,00 Euro einen Teil seines Lohns für Oktober 2003, der am 15. November 2003 fällig war. Mitte Mai, Ende Juni, Ende Juli und Anfang August 2004 erfolgte die Zahlung rückständiger Arbeitsvergütung an verschiedene Arbeitnehmer des Schuldners. Am 14. Mai 2004 zahlte der Schuldner dem Beklagten den Restlohn für Oktober 2003 iHv. 806,39 Euro, Lohn für November 2003 iHv. 1.412,51 Euro sowie Lohn für Dezember 2003 iHv. 1.592,82 Euro und am 5. August 2004 Lohn für Januar 2004 iHv. 1.535,05 Euro sowie Lohn für Februar 2004 iHv. 1.443,37 Euro. Weitere Lohnzahlungen an den Beklagten für die Zeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 16. August 2004 erfolgten nicht. Für die Zeit vom 1. März 2004 bis zum 16. Mai 2004 wurden Lohnansprüche des Beklagten iHv. 4.992,23 Euro zur Insolvenztabelle festgestellt. Für die Zeit vom 17. Mai 2004 bis zum 16. August 2004 wurde dem Beklagten Insolvenzgeld bewilligt.
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Der Rechtsvorgänger des Klägers im Amt des Insolvenzverwalters focht mit Schreiben vom 7. Dezember 2005 die dem Beklagten vom Schuldner am 14. Mai 2004 und am 5. August 2004 geleisteten Lohnzahlungen an und forderte den Beklagten zugleich ohne Erfolg auf, diese Zahlungen zur Insolvenzmasse zurückzuerstatten.
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Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagte habe der Insolvenzmasse den ihm am 14. Mai 2004 und am 5. August 2004 gezahlten Lohn iHv. insgesamt 6.790,14 Euro gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO iVm. § 130 Abs. 1 InsO zurückzugewähren. Diese Zahlungen des Schuldners seien nach § 129 Abs. 1 InsO als Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden seien und die die Insolvenzgläubiger benachteiligten, anfechtbar. Beide Zahlungen seien nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geleistet worden. Die Lohnzahlung am 14. Mai 2004 sei in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden. Die Lohnzahlung am 5. August 2004 sei nach dem am 4. August 2004 beim Amtsgericht Mühlhausen eingegangenen Gläubigerantrag vom 2. August 2004 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Der Beklagte habe bei der Entgegennahme der Zahlungen positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit gehabt, so dass die Anfechtungsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 InsO erfüllt seien. Jedenfalls habe der Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlungen Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen. Diese Kenntnis stehe gemäß § 130 Abs. 2 InsO der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags gleich. Darauf, ob einem Arbeitnehmer regelmäßig die erforderlichen „Insiderinformationen“ zur Beurteilung der Liquidität seines Arbeitgebers fehlen, komme es hier nicht an. Der Anfechtungstatbestand des § 130 Abs. 1 InsO erfasse nicht nur sogenannte Insider, sondern stelle auf die erkennbare Kenntnis des Gläubigers ab. Deshalb sei ohne Bedeutung, dass der Beklagte im Betrieb des Schuldners weder in der Finanzbuchhaltung tätig gewesen sei, noch Leitungsaufgaben im kaufmännischen Bereich wahrgenommen habe. Der Beklagte habe nicht nur seine eigenen erheblichen Lohnforderungen gegen den Schuldner für die zurückliegenden sechs bis sieben Monate und die nicht erfüllten Lohnansprüche seiner Kollegen und Kolleginnen gekannt, sondern auch die erheblichen sonstigen Außenstände des Schuldners. Diese Kenntnis habe der Beklagte ausdrücklich eingeräumt, indem er erklärt habe, der Schuldner habe Anfang des Jahres 2004 die monatelang andauernde „Liquiditätsschwäche“ damit begründet, dass er bei einem größeren Bauvorhaben Vergütungszahlungen nicht erhalte. Ende März 2004 habe der Schuldner nach der Behauptung des Beklagten angekündigt, dass die Lohnzahlungen wieder einsetzen würden, weil die wirtschaftliche „Liquiditätsschwäche“ aufgrund eines durch den Freistaat Thüringen verbürgten, unterstützenden Unternehmenskredits überwunden sei. Trotz dieser Ankündigung des Schuldners sei der Lohnrückstand jedoch zu keinem Zeitpunkt ausgeglichen worden. Zudem habe der Beklagte aufgrund seiner Teilnahme an den wöchentlichen Arbeitsberatungen Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen. In diesen Arbeitsberatungen sei die wirtschaftliche Situation des Schuldners diskutiert worden. Hinzu komme, dass der Schuldner die Außenstände von über einer Million Euro in den Betriebsversammlungen gegenüber den Arbeitnehmern kommuniziert habe. Schließlich sei über die desolate wirtschaftliche Situation des Schuldners auch in der Lokalpresse berichtet worden. Für den Beklagten habe bei der Entgegennahme der beiden Zahlungen kein Anhaltspunkt bestanden, der die Annahme gerechtfertigt hätte, der Schuldner könne seine Liquiditätslücke in kürzester Frist wieder beseitigen. Dies vor allem deshalb nicht, weil die noch ausstehenden Forderungen nicht unbestritten gewesen seien und die eingeschalteten Politiker lediglich eine Teilzahlung in Aussicht gestellt hätten. Dem Beklagten gereiche es nicht zum Vorteil, wenn er den aus den ihm bekannten Umständen einzig möglichen Schluss auf die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht gezogen habe. Der Gesetzgeber habe Arbeitnehmer vor den Folgen des Anfechtungsrechts bewusst nicht verschont.
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Darüber hinaus seien die in § 133 Abs. 1 InsO genannten Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt. Der Schuldner habe nach dem Eintritt seiner ihm bekannten Zahlungsunfähigkeit die beiden streitgegenständlichen Zahlungen an den Beklagten mit dem Vorsatz geleistet, seine übrigen Gläubiger zu benachteiligen. Von dieser Benachteiligungsabsicht habe der Beklagte Kenntnis gehabt. Diese Kenntnis werde nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO vermutet, weil der Beklagte zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen jedenfalls gewusst habe, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gedroht habe und die Lohnzahlungen die Gläubiger benachteiligen würden. Umstände, die die durch die Regelung in § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO begründete Vermutung widerlegen könnten, seien nicht ersichtlich.
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Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.790,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, die Zahlungen des Schuldners am 14. Mai 2004 und am 5. August 2004 seien keine anfechtbaren Rechtshandlungen im Sinne von § 130 Abs. 1 InsO oder von § 133 Abs. 1 InsO. Er habe weder von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners noch von Umständen Kenntnis gehabt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten schließen lassen. Die Höhe seiner eigenen Lohnrückstände habe er gekannt, nicht jedoch den Umfang der ausstehenden Lohnzahlungen an andere Arbeitnehmer. Er sei davon ausgegangen, dass der Schuldner nur einem Teil seiner Kollegen den Lohn verspätet gezahlt habe. So habe zB sein Arbeitskollege H regelmäßig seinen Lohn erhalten. Von der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer habe er keine Kenntnis gehabt. Da er jedoch von seiner Krankenkasse keinerlei Informationen über die Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge erhalten habe, sei er davon ausgegangen, dass der Schuldner die Beiträge entrichtet habe. Der erhebliche Warenumschlag beim Schuldner sei bis zum Bekanntwerden des Insolvenzantrags am 16. oder 18. August 2004 nie ins Stocken geraten. Die Baustellen seien immer mit dem erforderlichen Material bedient worden. Daraus habe er den Schluss gezogen, dass die benötigten Waren eingekauft und bezahlt werden könnten. Er habe keinen Einblick in die finanzielle Situation des Schuldners gehabt. Die vom Kläger behaupteten wöchentlichen Arbeitsberatungen hätten nicht stattgefunden. Er habe jedenfalls an solchen nicht teilgenommen. Ende März 2004 habe der Schuldner angekündigt, die Lohnzahlungen würden wieder einsetzen, weil die wirtschaftliche „Liquiditätsschwäche“ der Firma aufgrund eines unterstützenden, durch den Freistaat Thüringen verbürgten Unternehmenskredits überwunden sei. Dementsprechend sei die Zahlung der rückständigen Löhne auch wieder aufgenommen worden.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.