Arbeitsrecht

Betriebsrentenanpassung – Auslegung von Versorgungsbestimmungen – Zusage einer beamtenmäßigen Alters- und Hinterbliebenenversorgung

Aktenzeichen  3 AZR 418/11

Datum:
17.9.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 33 Abs 5 GG
§ 86 Abs 2 BBG
§ 115 Abs 1 BBG vom 18.09.1957
§ 70 BeamtVG
§ 86 Abs 1 BG HE 1946 vom 21.12.1957
§ 121 BG HE
§ 70 BeamtVG HE 2011
§ 16 Abs 1 BetrAVG
§ 16 Abs 2 BetrAVG
§ 17 Abs 3 S 3 BetrAVG
§ 32 BetrAVG
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
§ 256 Abs 1 ZPO
§ 256 Abs 2 ZPO
§ 39 Abs 1 BesG HE
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Gießen, 8. Juli 2010, Az: 1 Ca 164/10, Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 19. Januar 2011, Az: 6 Sa 1142/10, Urteil

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Januar 2011 – 6 Sa 1142/10 – wird zurückgewiesen. Aus Gründen der Klarstellung wird der Tenor des landesarbeitsgerichtlichen Urteils wie folgt gefasst:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 8. Juli 2010 – 1 Ca 164/10 – wird mit der Maßgabe kostenpflichtig zurückgewiesen, dass auf den Antrag zu 1. festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, die der Berechnung der Betriebsrente des Klägers nach der BV 1959 zugrunde liegenden zu dynamisierenden Vergütungsbestandteile auch ab dem 1. Januar 2007 entsprechend den jeweiligen Erhöhungen der Vergütungen der aktiven Arbeitnehmer nach dem AVE-Vergütungstarifvertrag – Gruppe Hessen – fortzuschreiben und seine Betriebsrente entsprechend anzuheben.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten darüber, auf welcher Grundlage und nach welchen Kriterien die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung des Klägers anzupassen sind.
2
Der im Januar 1936 geborene Kläger trat am 1. April 1955 in die Dienste des Zweckverbandes O (im Folgenden: Zweckverband). Der Zweckverband beschäftigte ausschließlich Arbeiter und Angestellte. Im Jahr 1972 gingen die Arbeitsverhältnisse der beim Zweckverband Beschäftigten auf die Beklagte über.
3
Der Zweckverband sicherte dem Kläger mit Schreiben vom 1. April 1967 eine beamtenmäßige Alters- und Hinterbliebenenversorgung auf der Grundlage einer vom Zweckverband am 18. Dezember 1959 geschlossenen Betriebsvereinbarung (BV 1959) zu. Die BV 1959 lautet auszugsweise wie folgt:
        
„1.)   
Mit Zustimmung des engeren Verbandsausschusses wird mit Wirkung vom 1.10.1958 den Betriebsangehörigen, die 10 Jahre ununterbrochen im Dienste des Z stehen und ihm ihre volle Arbeitskraft ausschließlich zur Verfügung gestellt haben, eine beamtenmässige Alters- und Hinterbliebenenversorgung zugesichert.
        
2.)     
Die 10-jährige Wartezeit rechnet vom Beginn des Beschäftigungsverhältnisses beim Z ab, falls nicht ausdrücklich eine andere arbeitsvertragliche Vereinbarung getroffen wird. …
        
3.)     
Für die Berechnung der Hundertsätze der Versorgungs- und Hinterbliebenenbezüge und die Feststellung der ruhegeldfähigen Dienstzeit gelten die landesgesetzlichen Bestimmungen.
        
4.)     
Die Versorgung wird in der Weise gewährt, daß auf die Sätze einer beamtenmässigen Alters- und Hinterbliebenen-Versorgung die dem Inhaber dieser Zusage aus der Sozialversicherung und der Zusatzversorgungskasse der Gemeinden und Gemeindeverbände des Landes Hessen zustehenden Renten voll angerechnet werden. Voraussetzung für eine betriebliche Altersversorgung ist also die Zugehörigkeit zu beiden Versicherungen, wobei die Arbeitgeberanteile in der gleichen Weise wie bisher vom Z übernommen werden. …“
4
Die laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der BV 1959 wurden stets entsprechend der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst angepasst. Bis zum Jahr 1981 wurden die Beamtenbesoldung und die tarifliche Vergütung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes zum gleichen Zeitpunkt und in gleichem Umfang angehoben. Im Jahr 1982 erfolgten die Erhöhungen der Beamtenbesoldung und der tariflichen Vergütungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten, im Jahr 1983 nicht nur zu unterschiedlichen Zeitpunkten, sondern auch in unterschiedlichem Umfang.
5
Im Jahr 1982 entschloss sich die Beklagte, die Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der BV 1959 grundsätzlich an die Entwicklung des Beamtenversorgungsrechts anzulehnen. Die Anpassungen in den Jahren 1982 und 1983 wurden dementsprechend vorgenommen.
6
Mit Schreiben vom 5. Oktober 1983 teilte die Beklagte sämtlichen seinerzeitigen Beziehern von Leistungen nach der BV 1959 mit:
        
„…    
        
Aus einer Reihe von Gründen hatten wir uns im Jahr 1982 dazu entschieden, uns grundsätzlich an die Entwicklung des Beamtenversorgungsrechts anzulehnen. Die Anpassungen der Jahre 1982 und 1983 wurden auch dementsprechend vorgenommen.
        
Zu dieser Entscheidung gab es sehr unterschiedliche Meinungen. Dies hat seine Ursache darin, daß in unserer beamtenmäßigen Alters- und Hinterbliebenenversorgung wesentliche Elemente sowohl aus dem Beamtenrecht als auch aus dem Tarifrecht enthalten sind.
        
Nach sehr eingehenden Überlegungen und Abwägung aller Argumente sind wir zum Ergebnis gekommen, daß die Anpassungen jetzt und künftig nicht nach dem Beamtenrecht, sondern nach dem Tarifrecht vorgenommen werden. Die entsprechende Nachzahlung erhalten Sie mit der Zahlung für den Monat Dezember 1983.…“
7
Bis zum 31. Dezember 1994 passte die Beklagte die Leistungen nach der BV 1959 entsprechend den Tariferhöhungen des BAT und des BMT-G an. Ab dem 1. Januar 1995 fanden bei der Beklagten aufgrund eines Arbeitgeberverbandswechsels anstelle des BAT und des BMT-G die Tarifverträge der Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. (AVE) – Gruppe Hessen – Anwendung. Ab diesem Zeitpunkt erhöhte die Beklagte die laufenden Leistungen nach der BV 1959 entsprechend den jeweiligen Erhöhungen des für die Mitglieder der Gruppe Hessen jeweils geltenden AVE-Vergütungstarifvertrages.
8
Der Kläger schied mit Ablauf des 31. Januar 1999 aus den Diensten der Beklagten aus. Seit dem 1. Februar 1999 bezieht er eine gesetzliche Altersrente und von der Beklagten Leistungen nach der BV 1959.
9
Mit Schreiben vom Januar 2008 teilte die Beklagte sämtlichen Betriebsrentnern – so auch dem Kläger – mit, dass sie beschlossen habe, die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der BV 1959 rückwirkend zum 1. Januar 2007 gemäß den Bestimmungen des Landesbeamtenrechts anzupassen. Entsprechend dieser Ankündigung nahm die Beklagte die Anpassungen der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der BV 1959 rückwirkend ab Januar 2007 nach dem Landesbeamtenrecht vor. Auf die sich ergebenden Erhöhungen rechnete sie die noch aus der Anwendung des AVE-Tarifrechts resultierenden Leistungsanhebungen an, soweit sie nicht mehr als drei Jahre vor dem jeweiligen Anpassungsstichtag des Beamtenrechts erfolgt waren. Mit Wirkung zum 1. Dezember 2007 stieg die tarifliche Vergütung für die bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer um 3,25 % und zum 1. April 2009 um 4 %.
10
Mit seiner Klage hat der Kläger eine Anhebung seiner Betriebsrente entsprechend den Steigerungen begehrt, die die tariflichen Vergütungen der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer nach dem AVE-Vergütungstarifvertrag erfahren haben. Zudem hat er für die Zeit vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Dezember 2009 die Zahlung rückständiger Betriebsrente in unstreitiger Höhe von 5.957,92 Euro verlangt.
11
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Anspruch folge bereits aus der BV 1959. Diese gewähre lediglich eine beamtenähnliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung. Daher sei die Beklagte verpflichtet, seine Betriebsrente in dem Umfang anzupassen, in dem die tariflichen Entgelte der aktiven Mitarbeiter erhöht werden. Im Übrigen habe sich die Beklagte durch ihr Schreiben vom 5. Oktober 1983 gegenüber allen damaligen und künftigen Betriebsrentnern im Wege der Gesamtzusage verpflichtet, die Anpassungen auch in der Zukunft nach dem Tarifrecht und nicht nach dem Beamtenrecht vorzunehmen.
12
Der Kläger hat beantragt,
        
1.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Erhöhungen des O-Zuschusses auch über den 1. Januar 2007 hinaus entsprechend den jeweiligen Erhöhungen des AVE-Vergütungstarifvertrages vorzunehmen,
        
2.    
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.957,92 Euro zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2010 zu zahlen.
13
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der BV 1959 seien entsprechend den jeweiligen Erhöhungen nach dem Landesbeamtenrecht anzupassen. Dies folge bereits aus der BV 1959. Aus ihrem Schreiben vom 5. Oktober 1983 ergebe sich nichts Anderes. Das Schreiben enthalte keine Gesamtzusage. Es habe sich lediglich um eine Information der damaligen Bezieher von Leistungen nach der BV 1959 gehandelt; zudem sei es nicht an die aktiven Arbeitnehmer gerichtet gewesen. Jedenfalls sei eine Gesamtzusage wegen Verstoßes gegen § 17 Abs. 3 Satz 3, § 16 BetrAVG unwirksam. Eine Anpassung entsprechend der Tariferhöhungen sei nicht günstiger als eine Anpassung an den Kaufkraftverlust nach § 16 BetrAVG.
14
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es auf den Klageantrag zu 1. festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Anpassung der Betriebsrente des Klägers (sog. O-Zuschuss) unter Zugrundelegung der jeweiligen tarifvertraglichen Regelung (AVE-Vergütungstarifvertrag) vorzunehmen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Revision.

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