Arbeitsrecht

Höhe einer Sozialplanabfindung – Einzelfallentscheidung

Aktenzeichen  1 AZR 765/14

Datum:
13.10.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2015:131015.U.1AZR765.14.0
Normen:
§ 77 Abs 4 S 1 BetrVG
§ 112 Abs 1 S 3 BetrVG
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Düsseldorf, 7. März 2014, Az: 3 Ca 5798/13, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 20. Oktober 2014, Az: 9 Sa 244/14, Urteil

Tenor

1. Die Revisionen der Beklagten und der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20. Oktober 2014 – 9 Sa 244/14 – werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin zu 3/100 und die Beklagte zu 97/100 zu tragen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Berechnung einer Sozialplanleistung.
2
Die am 27. Februar 1973 geborene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin begründete zunächst ein Arbeitsverhältnis mit der Nokia Telecommunications GmbH (NTG). In ihrem Anstellungsvertrag war bestimmt, dass alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Vertrag und dessen Beendigung verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten, gerechnet vom Zeitpunkt ihrer Fälligkeit an, gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Zuletzt war die Klägerin – unter Anrechnung ihrer Betriebszugehörigkeit bei der NTG seit dem 15. November 1997 – bei der Beklagten in deren Betriebsstätte in Düsseldorf beschäftigt.
3
Die Klägerin beanspruchte nach den Geburten ihrer Söhne am 6. Juli 2008 und am 8. März 2012 jeweils Elternzeit. Sie informierte die Beklagte über die Geburt ihrer Kinder und legte Geburtsurkunden vor.
4
Bei der Beklagten ist der für den Betrieb Düsseldorf zuständige Betriebsrat Region West gebildet. Mit diesem vereinbarte die Beklagte, welche bis zum 11. September 2013 unter Nokia Siemens Networks GmbH & Co. KG (NSN) firmierte, am 13. August 2012 anlässlich einer Restrukturierungsmaßnahme einen Sozialplan (SP 2012). Dieser sieht den Übergang der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in die NSN Transfergesellschaft mbH (NSN TG) vor und lautet im Übrigen:
        
„…    
        
§ 5     
        
MINDESTBEDINGUNGEN DER TRANSFERARBEITSVERHÄLTNISSE
        
Der Übertritt in die Transfergesellschaft erfolgt auf Basis eines dreiseitigen Vertrages (= drei Vertragsparteien), der die Beendigung des mit NSN bestehenden Arbeitsvertrages und die Begründung eines befristeten Transferarbeitsverhältnisses bei der NSN Transfergesellschaft mbH beinhaltet.
        
Wesentliche Bestandteile dieses dreiseitigen Vertrages sind:
        
…       
        
        
(3)     
Die Beschäftigten erhalten innerhalb der BeE – unter Anrechnung der Zahlungen der Agentur für Arbeit – ein BeE-Monatsentgelt von monatlich 75 Prozent ihres Bruttomonatseinkommens. Das Bruttomonatseinkommen umfasst alle tariflichen sowie alle sonstigen individuellen monatlichen Entgeltbestandteile. Es ist das 13,5-fache des bisherigen Bruttomonatsgehaltes dividiert durch zwölf.
        
…       
        
        
(8)     
Die vermögenswirksamen Leistungen (AVWL) werden in der beE fortgeführt.
        
…       
        
        
(15)   
In dem Dreiseitigen Vertrag ist der Anspruch auf die Abfindung und deren Fälligkeit festzuhalten.
        
…       
        
§ 7     
        
ABFINDUNG
        
(1)     
Alle vom Geltungsbereich dieses Sozialplanes erfassten Beschäftigten haben mit Unterzeichnung des dreiseitigen Vertrages (Zustimmung zum Eintritt in die beE) einen Anspruch auf eine aus dem individuellen Bruttomonatsentgelt errechnete Abfindung.
        
(2)     
Abfindung = Abfindungsbetrag X 0,7
           
        
        
Der errechnete Abfindungsbetrag wird mit dem Faktor 0,7 multipliziert. Der Faktor von 0,7 ergibt sich aus dem Angebot einer Transfergesellschaft mit den in § 5 des Sozialplans geregelten Konditionen.
        
        
Abfindungsbetrag =
        
        
        
Anzahl der Beschäftigungsjahre (Dienstjahre) x Bruttomonatseinkommen x Faktor
        
        
(2.1) Der Faktor ergibt sich aus Lebensalter und Dienstalter:
        
        
        
…       
        
        
Stichtag für die Ermittlung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit ist das Austrittsdatum aus NSN. Es gelten die bis zu diesem Zeitpunkt vollendeten Jahre.
        
        
Unter Bruttomonatseinkommen sind feste regelmäßige monatliche Einkommensbestandteile auf Basis der vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit zu verstehen. Ausgenommen sind Teile, die Aufwandsersatz darstellen, Einmalzahlungen sowie Mehrarbeitsvergütungen.
        
        
Bei Mitarbeitern, die Anspruch auf ein Incentive gem. der NSN GBV 2011/18 haben, wird der Bruttomonatsverdienst zusätzlich um 1/12 der zu beanspruchenden Incentives (BRM=1,0, Zielerreichung 100%) erhöht.
        
        
(2.2) Zuschlag pro Kind: Mitarbeiter mit unterhaltsberechtigten Kindern erhalten zusätzlich zu der Abfindung für jedes unterhaltsberechtigte Kind einen Betrag von 2.500,00 € brutto. Maßgeblich sind die bei NSN zum 31.08.2012 aufgrund der Angaben auf der Lohnsteuerkarte bekannten oder bis dahin vom Mitarbeiter mitgeteilten und nachgewiesenen Unterhaltsberechtigungen. Alleinerziehende erhalten einen zusätzlichen Betrag von einmalig 5.000,00 € brutto.
        
        
Sofern beide Ehepartner betroffen sind, wird der Zuschlag nur einmal fällig.
        
        
(2.3) Zuschlag für Schwerbehinderte: Zum Zeitpunkt der Kündigung oder des Abschlusses eines dreiseitigen Vertrages schwerbehinderte Menschen sowie schwerbehinderten Menschen Gleichgestellte (gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX), erhalten bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises einen Zuschlag von 750,00 Euro brutto je 10 Grad der Behinderung.
        
        
(2.4) Mitarbeiter ab dem 35. bis zum 46. Lebensjahr erhalten zusätzlich einen Zuschlag in Höhe von 3.000,00 €; ab dem 47. Lebensjahr einen Zuschlag von 6.000,00 € brutto.
        
(3)     
Die Abfindung ist mit dem Ausscheiden aus der beE zur Zahlung fällig. Die Auszahlung erfolgt mit der Entgeltabrechnung im Monat nach dem Ausscheiden aus der beE.
        
(4)     
Beschäftigte können abweichend davon die Zahlung der Abfindung bereits mit Ausscheiden aus der NSN verlangen.
        
(5)     
Abfindungsansprüche sind nach dem Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und vor Fälligkeit vererbbar, jedoch nicht abtretbar.
        
(6)     
Der Anspruch auf Abfindung und deren Fälligkeit ist in den dreiseitigen Vertrag aufzunehmen.
        
(7)     
Ein Anspruch auf Abfindung besteht nicht, wenn …“
5
Unter den Daten 24./28. August 2012 vereinbarten die Parteien und die NSN TG einen „dreiseitigen Vertrag“, nach dem das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Ablauf des 30. September 2012 endete und sie zum 1. Oktober 2012 in die NSN TG eintrat. Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 26. September 2012 beantragte die Klägerin die Auszahlung der Abfindung „bereits zum Eintritt in die“ NSN TG.
6
Die Beklagte ermittelte die Sozialplanleistung nach der Rechenoperation:
        
Anzahl der Beschäftigungsjahre (Dienstjahre) x Bruttomonatseinkommen x individueller (Matrix-)Faktor nach § 7 (2.1) SP = Abfindungsbetrag;
        
(Abfindungsbetrag + Zuschlag nach § 7 [2.4] SP 2012) x 0,7 = Zahlbetrag.
7
Bei der Höhe des in die Rechnung eingestellten Bruttomonatseinkommens berücksichtigte die Beklagte die Zuschüsse zur Vermögensbildung (vermögenswirksame Leistungen) nicht. Außerdem brachte sie – ausgewiesen in dem Entgeltnachweis für den Monat Oktober 2012, auf dem unter „Kinderfreibeträge“ „0,0“ eingetragen ist – keine (Kinder-)Zuschläge nach § 7 (2.2) SP 2012 in Ansatz.
8
Mit ihrer Klage hat die Klägerin nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 28. März 2013 die Zahlung der Differenz geltend gemacht, die sich ergibt, wenn bei der Bemessung der Abfindung von einem höheren Bruttomonatseinkommen – unter Berücksichtigung der vermögenswirksamen Leistungen – ausgegangen wird und entgegen der Berechnung der Beklagten der Zuschlag des § 7 (2.4) SP 2012 nicht mit dem Faktor 0,7 multipliziert wird sowie für zwei Kinder weitere Zuschläge nach § 7 (2.2) SP 2012 ungekürzt berücksichtigt werden.
9
Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß – soweit für die Revision noch von Interesse – beantragt,
        
die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.082,39 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2012 zu zahlen.
10
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, ihre Berechnung der Abfindung folge zwingend aus den Regelungen des Sozialplans. Bei der Ermittlung der Leistung seien die vermögenswirksamen Leistungen nicht zu berücksichtigen. Zuschläge iSd. § 7 (2.2) SP 2012 – die im Übrigen ebenso wie die Abfindung und der Zuschlag des § 7 (2.4) SP 2012 der Kürzung um den Faktor 0,7 unterlägen – stünden der Klägerin nicht zu. Die Unterhaltspflichten seien nicht iSd. § 7 (2.2) Satz 2 SP 2012 bis zum 31. August 2012 aufgrund der Angaben auf der Lohnsteuerkarte bekannt gewesen oder mitgeteilt und nachgewiesen worden. Etwaige Ansprüche seien ohnehin nach der vertraglichen Ausschlussfrist verfallen.
11
Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 5.899,98 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2012 – unter Berücksichtigung der geltend gemachten Zuschläge in ungekürzter Höhe – stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat sowohl die Berufung der Beklagten als auch die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihren Revisionen verfolgen beide Parteien ihre bisherigen Anträge weiter.

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