Aktenzeichen AN 4 K 19.02404
Leitsatz
Tenor
1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 21.11.2019 die Beschäftigungserlaubnis bei … als Helfer zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der beantragten Beschäftigungserlaubnis durch den Bescheid der Beklagten vom 21. November 2019 ist rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und der Kläger hat einen entsprechenden Anspruch (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
A.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Beschäftigungserlaubnis aus § 61 Abs. 2 S. 5, Abs. 1 S. 2 AsylG. Dabei ist § 61 Abs. 2 S. 5 AsylG so auszulegen, dass der genannte Anspruch auch nach der Dauer der Pflicht des Ausländers, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, besteht (dazu nachfolgend 1.). Die Voraussetzung dieses Anspruches aus § 61 Abs. 1 S. 2 AsylG liegen vor (dazu nachfolgend 2.).
1. Nach Auffassung der Kammer ist die Vorschrift des § 61 Abs. 2 S. 5 AsylG in der ab 21. August 2019 geltenden (und in den hier maßgeblichen Aspekten seitdem fortbestehenden) Fassung dahingehend auszulegen, dass Asylbewerbern, die nicht mehr verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und die übrigen Voraussetzungen der § 61 Abs. 2 und Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 AsylG erfüllen, ein Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zusteht.
Diese Auslegung ist in der Rechtsprechung noch stark umstritten (vgl. insoweit mit Überblick über den Meinungsstand mit abweichender Einschätzung VG Potsdam, U.v. 16.03.2021 – 8 K 3117/19.A -, Rn. 30, juris). Die Kammer hält jedoch die für die Annahme eines solchen Anspruches sprechenden Gründe für gewichtiger.
a. Der Wortlaut des § 61 Abs. 2 S. 5 AsylG („Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt“) ist dabei nicht eindeutig, weshalb die Kammer mit dem VG Potsdam (a.a.O., Rn. 33) davon überzeugt ist, dass dem Gesetzgeber eine entsprechende Klarstellung leicht möglich gewesen wäre. Auch ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht hinreichend das vom Gesetzgeber (subjektiv) verfolgte Ziel (vgl. zutreffend VG Potsdam, a.a.O., Rn. 34; VG München, U.v. 23.10.2019 – M 9 K 19.4677 -, Rn. 28, juris).
b. Allerdings sieht die Kammer Sinn und Zweck der Vorschrift, ebenso wie auch die vom Gesetzgeber gewählte Systematik darin, dass mit den zum 21. August 2019 in Kraft getretenen Änderungen ein Anspruch begründet wurde.
Dies ergibt sich zunächst daraus, dass mit der Gesetzesänderung die Vorgaben des Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180 S. 96) (nachfolgend RL 2013/33/EU) umgesetzt wurden und sich aus dieser Vorschrift keinerlei Differenzierung nach einer Pflicht zum Wohnen in einer Aufnahmeeinrichtung ergibt. Wenn man nämlich berücksichtigt, dass in der bis zum 20. August 2019 geltenden Fassung nur ein Verbot der Beschäftigung für die Dauer der Wohnverpflichtung in Absatz 1 enthalten war und Absatz 2 die Möglichkeit einer Beschäftigungserlaubnis vorsah, zeigt sich eine Privilegierung derjenigen Ausländer, die – regelmäßig wegen längerer Aufenthaltsdauer – nach Abs. 2 im Ermessenswege eine Beschäftigungserlaubnis erhalten konnten. Durch die gleichzeitige Anfügung des Satzes 2 an Abs. 1 und des Satzes 5 an Abs. 2 zeigt sich eine gleichzeitige Erweiterung der Rechtsposition betroffener Ausländer, wobei kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich wird, warum die vorher besser gestellte Gruppe gegenüber den noch zur Wohnung in der Aufnahmeeinrichtung Verpflichteten plötzlich schlechter gestellt werden sollte. Dem steht keinesfalls entgegen, dass die Gewährung eines gebundenen Anspruchs zur Umsetzung der Richtlinie als nicht erforderlich angesehen wird und der Gesetzgeber einen gewissen Ausgleich dafür geschaffen hat, dass ansonsten das Beschäftigungsverbot wegen längerer Unterbringungsmöglichkeit in den Aufnahmeeinrichtungen sehr weit ausgedehnt worden wäre (VG Potsdam, a.a.O., Rn. 35 f.).
Vielmehr ist die Kammer der Auffassung, dass es an Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Gesetzgeber mit der Umsetzung von Art. 15 Abs. 1 RL 2013/33/EU eine „gespaltene“, abhängig von der Wohnverpflichtung stehende, Lösung schaffen wollte; stattdessen liegt es nahe, dass der Gesetzgeber die neue, durch die Richtlinie vorgegebene Rechtslage insoweit undifferenziert umgesetzt hat, die entsprechende Problematik aber nur deshalb entstanden ist, weil zugleich daneben die vorherigen Regelungen möglichst weitergelten sollten.
Daneben fehlt es aus Sicht der Kammer an Anhaltspunkten dafür, dass die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Anspruchswege lediglich einen Ausgleich für die Verlängerung der maximalen Dauer der Wohnverpflichtung bezwecken soll (VG Potsdam, a.a.O., Rn. 36).
Dass die von der Kammer zugrunde gelegte Rechtsauffassung mit der vom BMI geäußerten Auffassung (Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat zum Gesetz über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung (BGBl. I 2019, S. 1021) vom 20. Dezember 2019, Ziff. 61.2 AsylG) übereinstimmt, spielt bei der Auslegung der Vorschrift naturgemäß keine Rolle, weil es nur auf die Absicht des Gesetzgebers und nicht des nur mittelbar eingebundenen Ministeriums ankommen kann. Für die Kammer ist diese Auffassung allerdings ein – schon nicht mehr entscheidungserhebliches – Indiz, dass eine derartige undifferenzierte Schaffung eines Anspruchs auch damals zugrunde gelegen haben könnte.
2. Die Voraussetzungen der beantragten Beschäftigungserlaubnis aus § 61 Abs. 2 S. 5, Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 AsylG liegen vor. Der Kläger hält sich seit mehr als drei Monaten gestattet im Bundesgebiet auf und unterliegt nicht mehr der Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, sein Asylverfahren ist mehr als neun Monate nach der Stellung seines Asylantrags am 10. Juni 2016 noch nicht unanfechtbar abgeschlossen, nachdem das Klageverfahren gegen den ablehnenden Bundesamtsbescheid vom 30. Januar 2017 weiterhin ausgesetzt ist. Ausweislich des streitgegenständlichen Bescheides (dort Ziffer 1.2) hat die Bundesagentur für Arbeit der Beschäftigung zugestimmt. Der Kläger ist als iranischer Staatsangehöriger nicht Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates i.S.d. § 29a AsylG und der Asylantrag wurde nicht als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt.
B.
Nachdem es sich um ein Verfahren nach dem AsylG handelt, kommt nach § 78 Abs. 2 AsylG eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung durch das Verwaltungsgericht selbst – wie bei § 124a Abs. 1 Nr. 1 VwGO – von vornherein nicht in Betracht.
C.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG, weil es sich vorliegend um eine Streitigkeit nach dem AsylG handelt.
D.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 2 VwGO.