Medizinrecht

Erkrankung, Berufung, Versorgung, Behinderung, Revision, Blindheit, Mangel, Gesundheitszustand, Leistungen, Zahnarzt, Diagnose, Widerspruch, Nachweis, Blindengeld, Rechtsprechung des BSG, Grad der Behinderung, Darlegungs und Beweislast, Gutachten

Aktenzeichen  L 15 BL 6/19

Datum:
6.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30531
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

S 15 BL 3/17 2019-07-30 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.07.2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Hingegen bleibt die Berufung der Klägerin ohne Erfolg; sie ist zwar zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin blind oder hochgradig sehbehindert im Sinne des BayBlindG ist und ihr deshalb (bereits) ab dem Monat der Antragstellung Blindengeld zusteht.
Das SG hat einen Anspruch der Klägerin ab 01.09.2018 zu Unrecht bejaht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
A.
Die zulässige (Art. 7 Abs. 3 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG) Berufung des Beklagten ist begründet.
Die Klägerin hat entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf Blindengeld. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 02.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 BayBlindG erhalten blinde und hochgradig sehbehinderte Menschen, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Freistaat Bayern haben oder soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 dies vorsieht, zum Ausgleich der durch diese Behinderungen bedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art. 1 Abs. 2 Satz 1 BayBlindG). Als blind gelten gemäß Art. 1 Abs. 2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 0,02 (1/50) beträgt, 2. bei denen durch Nr. 1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr. 1 gleichzuachten sind.
Hochgradig sehbehindert ist gemäß Art. 1 Abs. 3 BayBlindG, wer nicht blind in diesem Sinne (Art. 1 Abs. 2 BayBlindG) ist und 1. wessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch beidäugig nicht mehr als 0,05 (1/20) beträgt oder 2. wer so schwere Störungen des Sehvermögens hat, dass sie einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) bedingen.
Vorübergehende Sehstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten.
Eine der Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger gleichzusetzende Sehstörung im Sinn des Art. 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BayBlindG liegt, den Richtlinien der DOG folgend, bei folgenden Fallgruppen vor (siehe VG, Teil A Nr. 6): aa) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 30° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, bb) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, cc) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Restgesichtsfelds in keiner Richtung mehr als 7,5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, dd) bei einer Einengung des Gesichtsfelds, auch bei normaler Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeldinsel in keiner Richtung mehr als 5° vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeldreste jenseits von 50° unberücksichtigt bleiben, ee) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50°-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Meridians mehr als die Hälfte ausgefallen ist, ff) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30° Durchmesser besitzt, gg) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokularsehen besteht.
Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. die Urteile vom 26.09.2017 – L 15 BL 8/14 – und vom 20.12.2018 – L 15 BL 6/17) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999 – B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 – B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993 – 9/9a RV 1/92, Beschluss vom 29.01.2018 – B 9 V 39/17 B, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R). Auch dem Vollbeweis können gewisse Zweifel innewohnen; verbleibende Restzweifel sind bei der Überzeugungsbildung unschädlich, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (z.B. BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R, m.w.N.).
Dies gilt ausdrücklich auch für die Verfahren bezüglich des BayBlindG, was das BSG in den Urteilen vom 11.08.2015 (B 9 BL 1/14 R) und 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) klargestellt hat und was auch durch sonstige Argumentationslinien, wie sie etwa in den Schriftsätzen des Bevollmächtigten enthalten sind, vorliegend nicht änderbar ist, weil sich der Senat an die Rechtsprechung des BSG gebunden fühlt. Eine andere Situation hinsichtlich der Beweislast gilt nach der Rechtsprechung nur für den Zweckverfehlungseinwand (siehe hierzu unten).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Blindengeld.
Sie ist zwar wohl blind im Sinne des BayBlindG. Der Beklagte hat jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild der Klägerin blindheitsbedingte Aufwendungen (in ihrer Situation) von vornherein ausschließt.
1. Bei der Klägerin lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Einschränkung aller Sinnesfunktionen aufgrund zerebraler Beeinträchtigung vor. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. bereits die Entscheidungen vom 31.01.1995 – 1 RS 1/93 – und 26.10.2004 – B 7 SF 2/03 R; zuletzt Urteil vom 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R) stehen auch zerebrale Schäden, die – für sich allein oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans – zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führen, der Annahme von Blindheit nicht grundsätzlich entgegen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens war die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung der Sinnesfunktionen hochgradig. Dies folgt eindeutig aus den sämtlich nachvollziehbaren und aussagekräftigen medizinischen Unterlagen, u.a. auch aus dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. D. und den ärztlichen Berichten von Prof. Dr. B., und ist auch zwischen den Beteiligten prinzipiell nicht streitig.
Darauf, ob und inwieweit das visuelle System stärker betroffen ist als die anderen Sinnesmodalitäten, kommt es nicht (mehr) an. Soweit das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung für den Blindengeldanspruch verlangt hatte, dass bei zerebralen Schäden eine spezifische Störung des Sehvermögens vorliegt, hat es in seiner neueren Rechtsprechung (Urteile vom 11.08.2015 – B 9 BL 1/14 R – und 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R) nicht mehr daran festgehalten. Vielmehr ist für den Anspruch auf Blindengeld vielmehr allein entscheidend, ob es insgesamt an der Möglichkeit zur Sinneswahrnehmung „Sehen (optische Reizaufnahme und deren weitere Verarbeitung im Bewusstsein des Menschen) fehlt, ob der behinderte Mensch blind ist“ (BSG, a.a.O.). Der Senat fühlt sich an diese (neuere) Rechtsprechung des BSG gebunden (vgl. bereits das Urteil vom 19.12.2016 – L 15 BL 9/14), was im Übrigen nicht nur hinsichtlich der Blindheitsdefinition, sondern auch der Vorgaben zum Zweckverfehlungseinwand gilt (siehe im Einzelnen unten).
2. Blindheit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 BayBlindG liegt aufgrund der Darlegungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. D. sehr nahe, weil dieser nicht nur die Verarbeitung der optischen Reize im Bewusstsein der Klägerin, sondern auch die Weiterleitung der Reize als „weitgehend aufgehoben“ betrachtet. Hierauf kommt es – offensichtlich entgegen der Auffassung der Klägerseite (s.o.) – an, weil das Sehen und somit die Blindheit vom BSG verbindlich nun einmal im obigen Sinne definiert ist. Letztlich kann die Frage der Blindheit der Klägerin jedoch unbeantwortet bleiben.
2. Ein Anspruch der Klägerin auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht nämlich deshalb nicht, da der Beklagte erfolgreich den Einwand der Zweckverfehlung erhoben hat.
Wie das BSG in dem genannten Urteil vom 14.06.2018 dargelegt hat, stellt die in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG enthaltene Formulierung des Gesetzgebers hinsichtlich des Ausgleichs blindheitsbedingter Mehraufwendungen keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung dar, sondern umschreibt lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelung. Dennoch bleibe, so das BSG (a.a.O.), der Ausgleich blindheitsbedingter Mehraufwendungen ausdrücklich das erklärte Ziel der Regelung, was sich auch an anderer Stelle aus dem Gesetz erschließe. So sehe das BayBlindG Regelungen zur Vermeidung einer Überversorgung des blinden Menschen vor (Art. 4 Abs. 3 BayBlindG). Der Zweck des Blindengelds werde aber, so das BSG in der genannten Entscheidung, auch dann verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbilds des Betroffenen gar nicht erst ent- bzw. bestehen könne. Das BSG hat in der Entscheidung vom 14.06.2018 im Einzelnen Folgendes festgestellt:
„Hieran anknüpfend führt der Senat seine Rechtsprechung fort und räumt der Versorgungsverwaltung den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung ein, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen (auch nicht anteilig) ausgeglichen werden kann. Dies wird am ehesten auf generalisierte Leiden zutreffen können (zB dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma). Das Gesetz geht in Art. 1 Abs. 1 BayBlindG ausdrücklich vom Vorliegen der Blindheit und von bestehenden Mehraufwendungen aus. Es setzt typisierend voraus, dass überhaupt ein „Mehraufwand“ aufgrund der Blindheit bestehen kann. Mit dem Blindengeld soll weniger ein wirtschaftlicher Bedarf gesteuert werden. Das BVerwG hat hierzu zur früheren Blindenhilfe nach § 67 Abs. 1 BSHG bereits ausgeführt, dass Aufwendungen, die einem Blinden durch Kontaktpflege und Teilnahme am kulturellen Leben entstehen, nur einen Teil dessen ausmachen, was ein Blinder bedingt durch sein Leiden im Verhältnis zu einem Sehenden vermehrt aufwenden muss (so BVerwG Urteil vom 4.11.1976 – V C 7.76 – BVerwGE 51, 281, 287). Das Blindengeld dient in erster Linie als Mittel zur Befriedigung laufender blindheitsspezifischer, auch immaterieller Bedürfnisse des Blinden, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, sich trotz Blindheit mit seiner Umgebung vertraut zu machen, mit eigenen Mitteln Kontakt zur Umwelt zu pflegen und am kulturellen Leben teilzunehmen [ …]. Eine Eingliederung blinder Menschen in die Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn ein Ausgleich für die dauernden blindheitsbedingten Mehraufwendungen und Nachteile erfolgt (vgl Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 35), weil diese in der zunehmend visualisierten Umwelt besonderen Beeinträchtigungen unterliegen (vgl Braun, MedSach 3/2016, 134, 135 mwN). So geht der Bayerische Landesgesetzgeber nach wie vor davon aus, dass ua blinde Menschen einen außergewöhnlich großen Bedarf an Assistenzleistungen zur Kommunikation und an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung des Alltags haben und dass finanzielle Ausgleichsleistungen die selbstbestimmte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wesentlich fördern (vgl Bayerisches LSG, aaO; BayLT-Drucks 17/17055 S. 1 zu A und 17/21510 S. 1 zu A).
Orientiert am vorgenannten Regelungszweck des Gesetzes ist es sachgerecht, im Fall eines objektiv nicht möglichen blindheitsbedingten Mehraufwands den Anwendungsbereich für die Blindengeldleistung einzuschränken. Steht fest, dass aufgrund eines bestimmten Krankheitsbildes typischerweise von vornherein kein Mehraufwand im oben genannten Sinne speziell durch die Blindheit entstehen kann, weil etwa ein derart multimorbides oder die Blindheit überlagerndes Krankheitsbild besteht (zB dauerhafte Bewusstlosigkeit), dass aus der Blindheit keinerlei eigenständige Aufwendung in materieller oder immaterieller Hinsicht folgt, kann die gesetzliche Zielsetzung der Blindengeldgewährung nicht erreicht werden. Denn deren Zweck wird verfehlt, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes gar nicht erst ent- bzw bestehen kann.“
Vorliegend hat der Beklagte den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung wirksam erhoben. Der Mangel an Sehvermögen der Klägerin kann krankheitsbedingt durch keine Maßnahmen ausgeglichen werden.
Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere der Auswertung aller vorliegenden einschlägigen medizinischen und pflegerischen Unterlagen. Der Senat beruft sich hier vor allem auch auf die o.g. sachverständigen Feststellungen des beauftragten Facharztes Prof. Dr. D. und macht sich diese nach eigener Prüfung zu eigen. Vor allem die zahlreichen aussagekräftigen ärztlichen (und teilweise gleichzeitig psychologischen) Berichte des Therapiezentrums B-Stadt und auch die Angaben der Klägerseite selbst, auch wenn diese andere Schlussfolgerungen hieraus zieht, zeigen letztlich daneben ebenfalls deutlich, dass aufgrund des Gesundheitszustands der Klägerin ein Ausgleich des Mangels an Sehvermögen nicht möglich ist.
1. Maßgeblich sind die tatsächlichen bei der Klägerin bestehenden Verhältnisse (vgl. bereits die Urteile des Senats vom 12.11.2019 – L 15 BL 1/12 – und 26.11.2019 – L 15 BL 2/19). Auch wenn in dem o.g. Urteil des BSG von einer „näheren Bestimmung aller relevanten Krankheitsbilder …, welche blindheitsbedingte Aufwendungen ausschließen“ die Rede ist, würde es nicht genügen, wenn der Beklagte ab-strakt alle insoweit einschlägigen Krankheitsbilder auflisten würde. Aus naheliegenden Gründen ist ein Verweis auf die jeweilige Diagnose nicht ausreichend, um dem Einzelfall gerecht zu werden (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats vom 17.07.2012 – L 15 BL 11/08, in dem im Einzelnen dargelegt worden ist, dass auch bei der Diagnose eines „vollständigen Apallischen Syndroms“ die individuellen Verhältnisse mit Blick auf die der Feststellung immanenten diagnostischen Unsicherheit und der Begrenztheit medizinischer Erfahrungssätze im Einzelnen untersucht werden müssen); es sind die Voraussetzungen zu überprüfen, ob bei der konkreten Ausprägung des Krankheitsbildes blindheitsbedingte Mehraufwendungen in Betracht kommen (so auch Braun, Die neuen Kriterien für den Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, in: MedSach 3/2019, 94 (97)).
2. Mit dem BSG geht der Senat davon aus, dass der Begriff der blindheitsbedingten Mehraufwendungen weit auszulegen ist (vgl. bereits das Urteil des Senats vom 12.11.2019, a.a.O.). Dies ergibt sich bereits unmittelbar aus den Darlegungen des BSG (s.o.) sowie aus den vom BSG genannten Motiven des Landesgesetzgebers (s.o.) (so auch Braun, a.a.O.). Hingegen bleibt geringfügiger, ggf. singulärer Mehraufwand, der (so gut wie) keine Kosten verursacht außer Betracht (Urteil des Senats vom 28.07.2020 – L 15 BL 2/17). Denn ein solcher „Aufwand“ ist im Sinne von Art. 1 Abs. 1 BayBlindG ohne Bedeutung, weil es tatsächlich nichts auszugleichen gibt (vgl. zur Frage des Rechtsschutzbedürfnisses z.B. BeckOGK/ Bieresborn, 01.09.2019, SGG, § 54, Rn. 126) und weil das BayBlindG (nur) einen spürbaren Aufwand, der durch die betraglich nicht unerhebliche Dauerleistung auszugleichen ist, im Blick hat (Urteil des Senats vom 28.07.2020, a.a.O.).
3. Wie vom Senat ebenfalls bereits entschieden worden ist (Urteil vom 12.11.2019, a.a.O.), stellen entgegen einer in der Literatur geäußerten Auffassung (vgl. Dau, in: jurisPR-SozR 9/2019 Anm. 4) Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar. Der Senat kann der Argumentation (Dau, a.a.O.) nicht folgen, es sei zweifelhaft, ob es einen Fall mit einem anspruchsvernichtenden Zweckverfehlungseinwand im Freistaat Bayern jemals geben werden könne, weil das BayBlindG unter blindheitsbedingten Mehraufwendungen entsprechend den gesetzgeberischen Motiven in erster Linie Aufwendungen für die pflegerische Betreuung verstehe, Wachkomapatienten und zerebral schwerstgeschädigte Menschen jedoch in jedem Fall intensiver pflegerischer Betreuung bedürften, so dass sich der Leistungszweck des BayBlindG bei ihnen deshalb gar nicht verfehlen lasse. Denn zum einen lässt sich aus den Motiven des Gesetzgebers (vgl. Bayer. Landtag, Drs. 13/458, S. 5) eine Verengung auf die – wie auch immer verstandene – pflegerische Betreuung gar nicht ableiten. Zum anderen kann sich der Senat dieser formalen Argumentation auch nicht anschließen, da in den einschlägigen Fällen naheliegenderweise auf blindheitsspezifische Betreuung abzustellen ist. Anderenfalls würden übrigens die Vorgaben des BSG im Wesentlichen ins Leere laufen.
4. Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt nach der Entscheidung des BSG die Behörde die Darlegungs- und die Beweislast. Dabei ist sie verpflichtet, soweit möglich den – wie oben dargelegt individuellen – Sachverhalt zu ermitteln, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass sie die Darlegungs- und Beweispflicht hinsichtlich einer negativen Tatsache trifft, eben hinsichtlich des Nichtvorhandenseins blindheitsbedingter Mehraufwendungen. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen dazu, dass zur Ermittlung daher neben den medizinischen/pflegerischen Unterlagen vor allem die Angaben der Personen heranzuziehen sind, die die Verhältnisse hinsichtlich des betroffenen blinden Menschen aufgrund der Sach- und Ortsnähe zutreffend beurteilen können. Die Antragsteller trifft dabei eine Mitwirkungsobliegenheit. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz; so kann unnötiger Aufwand o.ä. keine Berücksichtigung finden. Entscheidend nach der Rechtsprechung des BSG ist, dass der Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden kann. In der konkreten Situation des Betroffenen objektiv nicht möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand muss außer Betracht bleiben. Dies schließt es auch aus, Aufwendungen zu berücksichtigen, die lediglich in der Hoffnung getätigt werden, sie führten zu einer Besserung des Gesundheitszustands bzw. der Wahrnehmungsfähigkeit etc. des Betroffenen (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 28.07.2020 – L 15 BL 2/17).
5. Es wäre nicht ausreichend, wenn eine Zweckverfehlung des Blindengelds auf der einen oder das Vorliegen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf der anderen Seite aufgrund der schweren zerebralen Schäden der Klägerin, des Besuchs bestimmter Einrichtungen oder der Durchführung von Fördermaßnahmen ohne weitere Prüfung angenommen würde. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aufgrund der vielmehr erforderlichen, im Einzelnen durchgeführten Prüfung der der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten durch den Senat ergibt sich, dass wegen den plausiblen medizinischen Unterlagen und den weiteren vorliegenden, o.g. Angaben davon auszugehen ist, dass es das (schwere) Krankheitsbild ausschließt, den Mangel an Sehvermögen durch spezielle Maßnahmen (teilweise) auszugleichen.
Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht fest, dass bei der Klägerin seit dem vorübergehenden Herz-Kreislaufstillstand (nach Bolusaspiration) eine schwere hypoxische Hirnschädigung mit Bewusstseinsstörung und Tetraspastik besteht. Wie der Beklagte (z.B. im Schriftsatz vom 14.04.2020) zutreffend und prägnant zusammengefasst hat, ist die Klägerin in jeder Hinsicht schwerst pflegebedürftig und in allen Verrichtungen des täglichen Lebens vollständig von fremder Hilfe abhängig. Blindheitsspezifischer Aufwand ist nicht ersichtlich und konnte auch von der Klägerseite nicht dargelegt werden.
a. Im Verfahren ist von Klägerseite der Schwerpunkt der Argumentation auf die Möglichkeit der Klägerin zur Kommunikation mit ihrer Umwelt gelegt worden. Dies ist jedoch in dem erfolgten Ausmaß nicht gerechtfertigt, weil es bezüglich der Frage des Mehrbedarfs vor allem auf die tatsächlichen Aufwendungen ankommt und die Kommunikationsmöglichkeiten nur als ein (wenn auch wichtiger) Aspekt im Rahmen der der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten eine Rolle spielt.
Auch verkennt die Klägerseite die Voraussetzungen für den Zweckverfehlungseinwand. Sie nimmt rechtsirrig wohl an, der Zweckverfehlungseinwand könne nur dann erfolgreich sein, wenn bewiesen sei, dass „die Klägerin dauerhaft im Koma liegt, dauerhaft über keinerlei Bewusstsein verfügt und dauerhaft zu keinerlei Reaktionen fähig ist“. Dem ist jedoch nicht so. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14.06.2018 (B 9 BL 1/17 R) gerade nicht diese Voraussetzungen aufgestellt, sondern nur dargelegt, dass in diesen Fällen auf jeden Fall der Zweckverfehlungseinwand durchgehen dürfte.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich die Klägerin in einem Zustand entsprechend einem Syndrom reaktionsloser Wachheit bzw. phasenweise entsprechend einem Syndrom des minimalen Bewusstseins befindet. Im Einzelnen bestehen dabei nur rudimentäre Funktionen hinsichtlich der einzelnen Sinneswahrnehmungen, wobei der Senat zu Gunsten der Klägerin davon ausgeht, dass doch noch ein subklinisch erhaltenes Bewusstsein gegeben ist.
Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats ohne Weiteres aus dem Gutachten von Prof. Dr. D … Das Gutachten des anerkannten Sachverständigen ist fundiert und plausibel. Der Senat macht sich die sachverständigen Feststellungen des neurologischen Sachverständigen nach eigener Prüfung zu eigen.
Er sieht keinen Anlass, die Feststellungen von Prof. Dr. D. anzuzweifeln. Soweit dies durch den Ehemann der Klägerin erfolgt, weil es für Ärzte schwer sei, bei Menschen mit minimalem Bewusstseinszustand Reaktionen zu erkennen, Bewusstseinsinhalte zu aktivieren und Kommunikation aufzubauen, weil die heutige Wissenschaft bei der Diagnose und Behandlung von Menschen mit veränderten Bewusstseinszuständen „offensichtlich an ihre Grenzen“ stoße und weil die Schulmedizin nicht den ganzheitlichen Menschen als Wesen mit Geist und Seele sehe, sondern ausschließlich das Körperlich-Funktionelle betrachte, ergibt sich daraus nichts anderes. Der Senat teilt die Auffassung der Klägerseite betreffend die Grenzen der medizinischen Wissenschaft bei Diagnose und Therapie und bei sonstigen Erkenntnissen über die Gesundheitsaspekte betreffende Zusammenhänge, gerade eindrucksvoll bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie ersichtlich. Dies entbindet ihn jedoch nicht davon, sich unter Heranziehung von einschlägigen medizinischen Erfahrungssätzen, wie es sie für die vorliegende Thematik durchaus gibt, eine Überzeugung etc. zu bilden, schon weil eine grundlegende Erkenntnisskepsis (auch) auf medizinischem Gebiet „das Ende jeglicher Rechtsprechungstätigkeit“ bedeuten würde (Kater, Das ärztliche Gutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, 2. Aufl. 2012, S. 50). Nach der Rechtsprechung des BSG sind Grundlage (auch für die gegenständlichen Beurteilungen auf dem Gebiet des Sozialen Entschädigungs- bzw. Blindengeldrechts) die Erkenntnisse der von Klägerseite kritisierten Schulmedizin (vgl. die Urteile des BSG vom 27.08.1998 – B 9 VJ 2/97 R – und des Senats vom 02.07.2019 – L 15 VJ 8/17). Gemeint ist damit der allgemein anerkannte Stand der medizinischen Wissenschaft, von dem auszugehen ist (a.a.O.). Für den Senat ist nicht ansatzweise erkennbar, dass der beauftragte Sachverständige eine andere Grundlage herangezogen hätte. Er hat vielmehr diesen aktuellen Stand anschaulich dargestellt und ihn fehlerfrei auf den vorliegenden Fall angewandt. Er ist dabei nicht nur zu plausiblen Ergebnissen gekommen, sondern insbesondere auch zu solchen, die mit der gesamten übrigen Befundlage übereinstimmen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann zwar als aufopferungsvoller Betreuer und Pfleger der Ehefrau durchaus langjährige, vielfältige und intensive Erfahrung mit dem Zustand der Klägerin hat, jedoch im Hinblick auf seine theoretischen wissenschaftlichen Darstellungen als Laie argumentiert, auch wenn er sich – ersichtlich auch an den vorgelegten Veröffentlichungen – wohl in die Thematik eingearbeitet hat.
Zu weiteren Ermittlungen zum Gesundheitszustand im weiteren Sinne etc. der Klägerin bestand daher kein Anlass. Insbesondere ist es nicht Sinn eines Gerichtsverfahrens, lediglich die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft voranzutreiben oder in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen Position zu beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1997 – 1 RK 28/95; Urteil des erkennenden Senats vom 11.07.2017 – L 15 VJ 6/14).
Weitere Ermittlungen waren insbesondere auch nicht etwa deshalb veranlasst, weil der Ehemann der Klägerin dargelegt hat, dass entgegen den Feststellungen des Sachverständigen Schmerzreaktionen und insbesondere die entsprechenden Schreckreaktionen aufgrund täglicher Beobachtungen bei der Klägerin durchaus noch ersichtlich seien. Denn gerade die vom Ehemann der Klägerin hervorgehobenen Schreckreaktionen sind kein Beleg für eine Reizverarbeitung auf höherer Ebene. Wie der Senat unter Berücksichtigung der Literatur und gutachterlicher Darlegungen in früheren Verfahren längst entschieden hat, lassen sich z.B. mit sog. Startle-Reaktionen (im Sinne einer raschen, schützenden Reflexantwort der Muskulatur auf überraschende Reize) keine Anhaltspunkte für das Funktionieren eines Sinns finden; es kann eine „visuelle“ Schreckreflexreaktion selbst bei blinden Personen ausgelöst werden (vgl. hierzu z.B. die Entscheidungen des Senats vom 01.08.2006 – L 15 BL 13/05, 17.07.2012 – L 15 BL 11/08 – und vom 27.03.2014 – L 15 BL 5/11). Startle-Reaktionen dürfen nicht als reizspezifische Antworten bzw. willkürliche motorische Reaktionen fehlgedeutet werden. Wahrnehmung umfasst nämlich alle Aktivitäten der Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung, einschließlich der daran beteiligten kognitiven, motorischen und emotionalen Komponenten. Wahrnehmen findet nicht unabhängig von den anderen kognitiven Funktionssystemen (Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit etc.), sondern „im Konzert“ mit diesen statt (vgl. näher Braun/Zihl, Der Blindheitsnachweis bei zerebralen Funktionsstörungen, MedSach 2015, 81 ff.).
Auch im Übrigen kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin (gegebenenfalls vereinzelt bzw. phasenweise) entsprechend der Kritik ihres Ehemanns am Gutachten und den vorgelegten Bescheinigungen noch zu nennenswerten auditiven und sensiblen Funktionen in der Lage ist, weil sich selbst bei der Annahme, dass dies zutreffend wäre, an dem Gesamtergebnis des Verfahrens nichts ändern würde. Denn der Senat ist davon überzeugt, dass selbst eine im beschriebenen Umfang zugestandene Funktionsfähigkeit auditiver und sensibler Sinnesmodalitäten der Klägerin nicht ausreichen würde, um einen blindheitsbedingten Mehrbedarf begründen zu können (siehe unten).
Vor allem aber sieht der Senat keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen, weil das Gutachten von Prof. Dr. D. plausibel ist.
Die von der Klägerseite vorgetragenen Beobachtungen und vorgelegten Bescheinigungen hinsichtlich des Zustands der Klägerin können an der Überzeugung des Senats nichts ändern.
Der Senat hat bereits Zweifel hinsichtlich der in den zahlreichen vorgelegten Bescheinigungen enthaltenen Beschreibungen des Zustands der Klägerin. Die – in Teilen beinahe wortgleichen – Bescheinigungen sind erkennbar von dem Bemühen getragen, der Klägerin im gegenständlichen Verfahren zum Erfolg zu verhelfen. Es fällt auf, dass sie nicht lediglich objektiv beschreiben, wie sich der Zustand der Klägerin darstellt, sondern unter Verwendung auch der einschlägigen Fachterminologie des BSG und des Senats Schlüsse ziehen, wie der Klägerin die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben etc. zu ermöglichen sei. So thematisiert der Zahnarzt der Klägerin in der oben genannten Stellungnahme nicht nur die mögliche Kommunikation mit der Klägerin, sondern nimmt – fachfremd – zu pflegerischen Aspekten, nämlich sogar dazu, was vom Pflegepersonal aus Zeitgründen bei der Klägerin nicht leistbar sei, Stellung. Hinzu kommt das vom Sachverständigen Prof. Dr. D. beschriebene und dem Senat aufgrund der zahlreichen gleich gelagerten Verfahren ebenfalls bereits bekannte Phänomen, dass auch lange in die Behandlung einbezogene Therapeuten gezielte Reaktionen und aktive Verhaltensweise der Betroffenen beschreiben, die ärztlicherseits und von nur kurzzeitig tätigen Therapeuten nicht gesehen werden.
Vor allem aber gilt Folgendes: Die von den Behandlern und vom Ehemann der Klägerin beschriebenen Reaktionen Letzterer lassen sich zwar durchaus auch mit dem Syndrom minimalen Bewusstseins vereinbaren; wie bereits dargelegt geht auch der Senat davon aus, dass zumindest teilweise noch ein subklinisch vorhandenes Bewusstsein gegeben ist. Daraus folgt aber nicht, dass sich die Klägerin in einem weniger ernsten bzw. einem solchen Zustand befinden würde, dass der Mangel (auch) ihres Sehvermögens durch spezielle Maßnahmen ausgeglichen werden könnte.
Selbst die vom Ehemann im Einzelnen geschilderten Verhaltensweisen der Klägerin sind keine Belege dafür, dass die Klägerin entgegen der Auffassung des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mehr als nur in ganz untergeordneten zeitlichen Umfang – der Ehemann der Klägerin spricht in seiner ausführlichen Darstellung vom 19.04.2020 selbst von einer vielleicht nur phasenweisen Möglichkeit – zu einer sinngebenden Kommunikation in der Lage wäre und Inhalte erfassen und verstehen könnte. Davon abgesehen, dass mitunter, würde man den Schilderungen und Schlussfolgerungen des Ehemanns der Klägerin in vollem Umfang folgen, sogar ein (vom klägerischen Vortrag ausgeschlossenes) Sehen der Klägerin nahe läge, wenn etwa dargestellt wird, dass die Klägerin ihren Ehemann und dessen Eltern „ausgehbereit vor der Wohnungstür“ wahrgenommen habe, lassen die Beschreibungen nicht den Schluss zu, dass die Klägerin zu Inhaltserfassungen etc. in der Lage wäre. So ist aus Sicht des Senats etwa in keiner Weise auszuschließen, dass in dem betreffenden geschilderten Beispiel die Klägerin ihre Atmung deshalb zu einem sehr störenden Geräusch verändert hat, weil sie sich während der Vorstellung unwohl gefühlt hat – z.B. wegen der Lautstärke der (laut dem Ehemann „mit zu viel Klamauk dargebotenen“) Revue – und nicht weil sie ihr Missfallen über die dramaturgische und sonstige künstlerische Gestaltung zum Ausdruck gebracht hat. Auch die anderen Schilderungen beinhalten keine überzeugenden Hinweise auf die Funktionsfähigkeit der Wahrnehmungsfunktionen einschließlich der Verarbeitung im Bewusstsein der Klägerin. Dass im Übrigen gerade Musik sich günstig auf das Wohlbefinden komatöser Patienten (oder ungeborener Kinder) auswirkt und von diesen – auf welcher Bewusstseinsebene auch immer – als wohltuend empfunden wird, ist offenkundig und ebenfalls kein Beleg dafür, dass die Klägerin im Sinne eines Verstehens zur Beurteilung der Musik etc. in der Lage wäre.
Selbstverständlich kann der Senat nicht völlig ausschließen, dass die der Klägerin verbliebenen Möglichkeiten doch umfangreicher sein könnten. Nach Überzeugung des Senats kann hiervon jedoch nicht ausgegangen werden. Soweit im Verfahren von der Klägerseite – wie vom Bevollmächtigten am 27.05.2020 – ausgeführt worden ist, dass nie gänzlich auszuschließen ist, dass nach außen reaktionslose Menschen auch Sinneseindrücke wahrnehmen können, teilt der Senat diese Auffassung. Diese entfernte Möglichkeit stellt jedoch nur einen Restzweifel im oben dargestellten Sinn dar, der nicht gewichtig ist hinsichtlich der Überzeugung des Senats, dass eine sinngebende Kommunikation mit der Klägerin nicht möglich ist und dass diese Inhalte etc. im herkömmlichen Sinn nicht erfassen kann. Dem entspricht im Übrigen auch die überaus vorsichtige Formulierung des Ehemanns der Klägerin bzw. die von diesem zitierte Überzeugung des behandelnden Arztes Prof. Dr. B., „immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen“, dass im nach außen scheinbar reaktionslosen Körper ein sich bewusster Mensch mit Geist, Seele, Empfindungen und Gefühlen stecke.
b. Entscheidend ist schließlich vor allem, dass keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen gegeben sind.
Es besteht keine Nachweispflicht des Betroffenen, welche blindheitsbedingten Mehraufwendungen im Einzelnen entstanden sind. Dies folgt aus Sicht des Senats aufgrund der vom BSG vorgenommenen Beweislastverteilung, an die er sich ebenfalls gebunden fühlt. Vorliegend ist jedoch zur Überzeugung des Senats, die dieser nach dem eben Dargelegten und insbesondere aufgrund der plausiblen und fundierten medizinischen Befunde gewonnen hat, ausgeschlossen, dass ein möglicher blindheitsbedingter Mehraufwand bei der Klägerin im Hinblick auf ihr schweres Behinderungsbild besteht, da die Klägerin keine Mehraufwendungen haben kann, „die aufgrund der Unfähigkeit, selbst etwas in gleicher Weise zu tun, wie bei vorhandenem Sehvermögen, entstehen, so dass entweder die Tätigkeiten von Anderen ausgeführt werden müssen oder die Unterstützung durch Andere notwendig ist bzw. spezielle Hilfsmittel eingesetzt werden müssen“ (vgl. Braun, a.a.O., S. 97, mit Verweis auf Demmel, Die Entwicklung und Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Blindengeldleistung als Sozialleistung, 2003, S. 239). Insbesondere die „klassischen“ Assistenzleistungen (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 12.11.2019 – L 15 BL 1/12) kommen nicht in Betracht, darüber hinaus jedoch auch keine weiteren Maßnahmen des Ausgleichs mangelnden bzw. aufgehobenen Sehvermögens (vgl. Demmel, a.a.O.).
Der gesamte sich aus den Unterlagen ergebende und sehr naheliegende im Hinblick auf die unzweifelhaft schwere Pflegebedürftigkeit bestehende Aufwand stellt allgemeinen Pflegeaufwand (pflegerische Leistungen) dar, der durch das sehr schwere Krankheitsbild der Klägerin verursacht worden ist. Dieses hat die Störung ihres Sehvermögens bei weitem überlagert. Zusätzliche quantifizierbare Erschwernisse durch Letztere haben nicht bestanden.
Auch die Klägerseite vermochte letztlich keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen darzulegen, was aufgrund der Beweislastverteilung (siehe oben) nicht von entscheidender Bedeutung, jedoch logische Konsequenz der schwersten Behinderung der Klägerin ist und die Auffassung des Senats unterstreicht.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite genügen nämlich das vom Ehemann der Klägerin angeführte Vorlesen, die Schilderung der Umgebung der Klägerin, das Telefonieren und der Besuch von Konzerten nicht, um das Entstehen von blindheitsbedingten Mehraufwendungen annehmen zu können, wie nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 26.11.2019 – L 15 BL 2/19) auch die Möglichkeit nicht ausreicht, dass eine externe Vorlesekraft tätig wird, die finanziellen Aufwand erzeugt. Dies wäre mit den Vorgaben des BSG im Urteil vom 14.06.2018 nicht vereinbar. So sind der Einsatz entsprechender Geräte, Utensilien etc. oder einer Vorlesekraft (z.B. auch zur Entlastung von Betreuungspersonen) zur direkten Betreuung des Betroffenen hinsichtlich jeder Behinderung und Erkrankung denkbar; somit könnte der Einwand der Zweckverfehlung nie erhoben werden. Zum anderen handelt es sich hinsichtlich des Telefons, gegebenenfalls weiterer Geräte (z.B. einer speziellen Uhr) sowie der Abgabe von genaueren Informationen über die Umgebung der Klägerin (Umgebungsbeschreibung) im vorliegenden Fall gerade nicht um blindheitsbedingten Mehrbedarf, weil der Betrieb bzw. die Leistungen auch allgemein im Falle ernsthaft erkrankter bzw. anderweitig behinderter Menschen sinnvoll und gegebenenfalls notwendig ist. Dass im Falle schwer kranker oder verletzter, jedenfalls in der Bewegungsmöglichkeit extrem eingeschränkter Menschen – zu denken wäre etwa an Patienten, bei denen die Sehfähigkeit gegeben ist, die jedoch „außer der weißen Decke des Krankenzimmers“ nichts sehen können – eine Umgebungsbeschreibung dringend erforderlich ist, um diese aus ihrer „Isolation“ zu befreien und an der Umwelt (wenigstens minimal) „teilhaben“ zu lassen, liegt nahe. Soweit es um inhaltliche Informationen geht, wäre die Vermittlung dieser Informationen etc. durch Ton bei der Klägerin ohnehin nicht wegen der Sehbehinderung, sondern wegen der allgemeinen behinderungsbedingten Leseunfähigkeit erforderlich. Die Abgabe von Informationen spielt hier aber wohl ohnehin wegen der geistigen Behinderung bzw. der nicht möglichen Inhaltserfassung (s.o.) keine Rolle. Soweit es um die Herstellung von Beruhigung etc. der Klägerin geht – also um das Hören von Stimmen bzw. Musik ohne „inhaltliche Informationen“ -, reicht dies auch unter Berücksichtigung mangelnden Sehvermögens nicht aus. Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. die Urteile vom 27.11.2013 – L 15 BL 4/12 – und 28.07.2020 – L 15 BL 2/17), stellen Maßnahmen nur des psychischen Beistands o.ä. keinen blindheitsbedingten Aufwand dar, da insoweit keine (auch weit verstandenen) Betreuungsleistungen betroffen sind. Gleiches gilt auch für die Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeitsangst im weiteren Sinne. Schließlich gleicht auch die Herstellung von Nähe etc. keine blindheitsspezifischen Nachteile aus (vgl. die therapeutisch empfohlene Ansprache bewusstloser Menschen) (so auch die Senatsurteile vom 26.11.2019 – L 15 BL 2/19 – und 28.07.2020 – L 15 BL 2/17).
Die genannten Maßnahmen (ferner eine sicherlich anzunehmende allgemeine zeitintensive Beschäftigung) sind, was sich als offensichtlich darstellt, vielmehr der allgemeinen Problematik der schwersten Beeinträchtigung der Klägerin, nicht jedoch einer Blindheit geschuldet.
Zusätzliche abschätzbare, auch nur ansatzweise quantifizierbare und den Senat sachlich überzeugende Erschwernisse durch die Sehstörung der Klägerin kommen nicht hinzu und konnten denn auch von der Klägerseite nicht benannt werden. Dass die Klägerin mit Blick auf ihr Sehvermögen nicht in der Lage sein dürfte, „zum Zeitvertreib“ Bilder, Filme o.ä. anzusehen, um dabei „unterhalten“ zu werden, wäre übrigens nicht von Relevanz, da dies wegen der wie oben dargelegt nicht möglichen Inhaltserfassung keine Rolle spielen würde.
Die Berufung des Beklagten hat somit Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zahlung von Blindengeld durch den Beklagten. Das Urteil des SG ist aufzuheben und die Klage gegen die o.g. Verwaltungsentscheidungen des Beklagten ist abzuweisen.
B.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Berufung der Klägerin ohne Erfolg bleiben musste. Sie ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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