Aktenzeichen 432 C 19678/18
Leitsatz
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Das streitgegenständliche Mietverhältnis wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.
3. Die Kläger tragen samtverbindlich die Kosten des Rechtsstreits.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert wird auf 7.286,40 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihr inne gehaltenen Wohnung in der … München, aus § 546 Abs. 1 BGB.
Zwar hat die ordentliche Kündigung vom 11.03.2019 das Mietverhältnis beendet, jedoch hat die Beklagte einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß §§ 574, 574 a BGB.
Bis zur Kündigung vom 11.03.2019, die zum 31.12.2019 wirkte, bestand ein Mietverhältnis zwischen den Parteien, weil dieses weder durch die Eigenbedarfskündigung vom 26.01.2018 zum 31.10.2018 noch durch die firistlose, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 07.09.2018 aufgelöst worden war.
Die Eigenbedarfskündigung vom 26.01.2018 war an die Beklagte gerichtet und am selben Tag in ihren Briefkasten geworfen worden. Sie konnte ihr nicht wirksam zugehen, da sie zu dem Zeitpunkt geschäftsunfähig war, § 131 Abs. 1 S. 1 BGB. Das Gutachten des Sachverständigen … bestätigt eindeutig, dass die von der Gutachterin Dr. … am 28.01.2018 während des Aufenthalts der Beklagten in der Klinik attestierte Geschäftsunfähigkeit zutrifft und für Akutzustande zweifellos vorgelegen hat, so eben auch schon am 26.01.2018, da sie sich wegen des Akutzustands seit dem 09.01.2018 wiederum im Klinikum befand (Gutachten Seite 30) Denn das Gutachten ist in diesem Punkt ohne weiteres nachvollziehbar und schlüssig begründet Zwar wird im Erganzungsgutachten ausgeführt, dass für den 26.01.2018 weitergehende Informationen vorliegen mussten, um die Geschäftsfähigkeit zu beurteilen, jedoch übersieht der Sachverständige hier offenbar, dass es sich um ein Datum handelt, an dem sich die Beklagte zweifellos wegen eines Akutzustands in der Klinik aufhielt, sodass Geschäftsunfähigkeit wie oben beschrieben und vom Sachverständigen im Ausgangsgutachten begründet vorgelegen hat. Ein anderweitiger Zugang bei dem damaligen Betreuer der Beklagten wurde nicht behauptet, wie, wo und wann das geschehen sein soll, wird nicht behauptet. Es wird lediglich vorgetragen, dass Frau … den Zugang im Machtbereich der Beklagten bestätigt habe und es wird eine E-Mail vorgelegt, in der diese auf die Punkte Eigenbedarf und Wasserschaden eingeht, ohne allerdings den Zugang einer Kündigung zu bestätigen. Frau … war und ist aber keine gesetzliche Vertreterin der Beklagten.
Die verhaltensbedingte Kündigung vom 07.09.2018 war weder als fristlose noch als fristgerechte wirksam Denn sie führt als Grund die gravierende Störung des Hausfriedens nach §§ 543, 569 Abs. 2 BGB an, welcher nicht vorliegt.
Die Kündigung stützt sich auf ein „Inbrandsetzen der Wohnung“ vom 03.09.2018 Ein Inbrandsetzen der Wohnung hat jedoch nicht stattgefunden, sodass in der Kündigungserklärung schon nicht wahrheitsgemäß vorgetragen wird. Geglimmt bzw. geraucht hat lediglich eine Yogamatte und es wurden bei dem Schwelbrand zwei Parkett-Bretter angeschwärzt. Für eine vorsätzliche Brandlegung wird nichts vorgetragen. Nach der Einlassung der Beklagten löschte sie sofort das Feuer und bemerkte nur nicht ein letztes bisschen Rauch, das dann zu weiterer Rauchentwicklung führte Eine besondere Gefahr bestand durch die bereits nasse und nur rauchende Yogamatte nicht, jedenfalls wird hierzu von Klägerseite nichts vorgetragen, welche im Schriftsatz vom 28.08.2019 das Vorliegen eines Schwelbrands einräumt. Außerdem muss die Störung des Hausfriedens schuldhaft erfolgt sein. Die Beklagte befand sich aber zu den relevanten Daten in einem nicht schuldfähigen Zustand, wozu das eingeholte Gutachten ausführt.
Der kleine Brand/die Rauchentwicklung vom 03.09.2018 stellt überdies keinen Grund zur fristlosen Kündigung dar, weil hierdurch das Eigentum der Kläger nur geringfügig beschädigt und gefährdet wurde.
Selbstverständlich ist ein Mieter zu einem sorgsamen Umgang mit Feuer in der Mietwohnung angehalten. Dennoch können nach menschlichem Ermessen bei normalem Wohnverhalten durchaus Unfälle passieren, egal ob der Mieter krank ist oder nicht. Hier wird in der Kündigung und auch im Prozess noch nicht einmal dargestellt, wie genau das Eigentum der Kläger beschädigt worden sein soll. Die Beklagte spricht von geringfügigen Spuren auf dem Küchenboden, die sie im Laufe des Verfahrens beseitigte Auch die Gründe der Einstellung des diesbezüglichen Ermittlungsverfahrens nach § 153 StPO sprechen, wenn überhaupt, für ein geringfügiges Verschulden.
Ferner bezieht sich die Kündigung auf die Verhaltensweisen der Beklagten, die bereits Gegenstand der Abmahnungen vom 09.02.2018 und 09.07.2018 waren Nachdem die Beklagte wegen dieser Verhaltensweisen abgemahnt wurde, kann auf diese Verhaltensweisen nicht die Kündigung gestützt werden Ferner war die Beklagte zum Zeitpunkt der Abmahnung vom 09.02.2018 geschäftsunfähig aufgrund eines Akutzustands im Klinikum und konnte ihr so die Mahnung nicht zugehen.
Für die fristlose Kündigung wäre zudem eine Abmahnung erforderlich gewesen, § 569 Abs. 3 BGB. Eine Abmahnung wegen unsorgfältigen Umgangs mit Feuer wurde jedoch in den der Kündigung vorangegangen Abmahnungen nicht ausgesprochen. Hinsichtlich der Gefährdung oder Beschädigung des klägerischen Eigentums war lediglich das Offenstehenlassen der Dachfenster im August 2017 Gegenstand der Abmahnung sowie ein angebliches Herausreissen der Gegensprechanlage, wobei zum einen nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte die Dachfenster vorsätzlich oder grob fahrlässig offenließ und zum anderen unklar ist, wie es zum Schaden an der Gegensprechanlage kam Auch ist zu berücksichtigen, dass die Hausratsversicherung der Beklagten an die Kläger einen Betrag von 1.500 € für den wasserbedingten Parkettschaden unstreitig gezahlt hat und weitere Schäden von den Klägern vorrangig über ihre Gebäudeversicherung anzumelden wären. Denn die Beklagte als Mieterin bezahlt diese über die Nebenkosten mit und hat deshalb auch einen Anspruch auf vorrangige Inanspruchnahme derselben Die Beklagte hat also etwas zur Schadensbeseitigung unternommen Die Kläger hatten geschrieben, dass wenn die Beklagte den Parkettschaden nicht binnen einer bestimmten Frist behebt, sie (die Kläger) dies tun würden, taten es aber nicht. Hätten sie es getan, wären eventuelle Mehrkosten ggf ebenso von der eintretenden Versicherung der Beklagten übernommen worden Die Kläger behaupten auch nicht, dass sie eine Reparatur der Gegensprechanlage unternommen hätten Beim tatsächlichen Vorliegen einer gefährlichen Eigentumsbeschädigung hätte aber wohl für die Kläger Anlass bestanden, diese zu beseitigen.
Die Kündigung kann auch nicht auf den Umstand gestützt werden, dass andere Mitmieter oder Miteigentümer in verschiedenen Formen Konsequenzen (Eigenkündigung und Mietminderung seitens der Mieter, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber den Klägern) erwägen, da dies zum einen unsubstantiiert ist und zum anderen in der Zukunft liegende ungewisse Handlungen beschreibt, sodass die Kläger derzeit nicht entsprechend betroffen sind.
Auch für eine ordentliche Kündigung reichen die angeführten Kündigungsgründe (insbesondere eine „Inbrandsetzung der Wohnung“, welche überhaupt nicht stattgefunden hat) nicht aus Ein berechtigtes Interesse der Kläger, sich von der Beklagten als Mieterin zu lösen, wird im Ergebnis nicht wahrheitsgemäß behauptet.
Die Beklagte schuldet auch keine Anwaltskosten aus Schadensersatzgesichtspunkten nach § 280 Abs. 1 BGB, da die Kündigung vom 07.09.2018, wie dargestellt, unwirksam ist.
Die Kündigung vom 11.03.2019, bei der damaligen Betreuerin der Beklagten am 14.03.2019 zugegangen, ist formell und materiell wirksam und beendet damit zum 31.12.2019 das bis dahin bestehende Mietverhältnis.
Sie entspricht dem Schriftformerfordernis und wurde ausreichend mit Eigenbedarf begründet, § 573 Abs. 3 BGB.
Auch der Kündigungsgrund liegt vor, weil sich die Kläger auf ein berechtigtes Interesse nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen können. Der von ihnen geltend gemachte Eigenbedarf an der Wohnung besteht (weiterhin), wie sich das Gericht durch die Beweisaufnahme überzeugen konnte Die Zeugen … und … berichteten glaubhaft übereinstimmend, dass die Kläger, ihre Eltern, die streitgegenständliche Wohnung gekauft hatten, um sie im Alter selbst nutzen zu können Ferner erklärten sie, dass der Kläger zu 1) krank sei und die häufigen Behandlungswege innerhalb Münchens leichter mit dem Taxi und ohne anderweitigen Fahrdienst zu bewältigen seien Ferner wurde bestätigt, dass die Mutter des Klägers zu 1) nicht weit von der streitgegenständlichen Wohnung in der Nähe des … wohne, und diese aufgrund ihres Gesundheitszustands regelmäßig von den Klägern besucht werde. Auch dies wäre von der streitgegenständlichen Wohnung, die überdies über einen Tiefgaragenstellplatz verfügt, leichter, schneller und häufiger machbar. Zwar wussten die Zeugen keine Antwort auf die Frage, was die Kläger dann mit ihrem Haus in … machen würden, wenn ihnen die Wohnung in München zur Verfügung stünde, jedoch ist dies nicht besonders überraschend, dass diesbezüglich noch keine konkreten Pläne bestehen, da angesichts auch des vorangegangenen Rechtsstreits den Klägern bewusst ist, dass sie wegen § 574a BGB ggf gar nicht in die Wohnung kommen, sodass sie die Entscheidung über die Weiterverwendung des Hauses getrost aufschieben durften, ohne dass dies der Überzeugung des Gerichts, dass sie die Wohnung zu Wohnzwecken, ob als Zweit- oder Erstwohnsitz, für sich nutzen würden, Abbruch tun würde. Die Zeugen machten einen aufrichtigen und glaubwürdigen Eindruck und schilderte offen die emotional schwierige Lage der Kläger, die die Wohnung als Alterssitz immer schon nutzen wollten und nun seit Jahren daran gehindert werden.
Das Mietverhältnis ist aufgrund des Härteeinwands der Beklagten nach § 574a BGB fortzusetzen.
Die hier vorzunehmende Interessenabwägung zwischen den Bestandsinteressen der Beklagten und den Erlangungsinteressen der Kläger fällt hier zugunsten der Beklagten aus Nach dem nachvollziehbaren und ausführlichen Gutachten des Sachverständigen … ist die Beklagte schwer krank Die Depression würde sich bei einem Räumungsurteil verschlechtern, sodass ein Suizid wahrscheinlich wäre. Denn die Beklagte gab im persönlichen Untersuchungsgespräch trotz manischer Affektlage an, sich im Fall einer Räumung „definitiv“ umzubringen, was sie wiederholt betonte. Unter diesen Umständen sei aus psychiatrischer Sicht für den Fall einer Räumung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie ihre Ankündigung in die Tat umsetzt, und angesichts der erwähnten Methode (Fenstersprung) bestehe auch die Gefahr eines tödlichen Ausgangs. Die vom Klägervertreter betonten Hilfsmaßnahmen, nämlich die Unterstützung durch das Klinikum, den Sozialpsychiatrischen Dienst und die Betreuungsbehörde, stellten (wie auch Herr Dr. … und die Betreuerin) keine Faktoren dar, durch die das suizidales Verhalten unterbunden werden könne (Gutachten S 33) Im Ergänzungsgutachten wird dann auf Seite 5 ausgeführt: Im Rahmen einer derart schweren psychiatrischen Erkrankung kann niemals prognostiziert werden, dass eine Suizidgefahr unter welchen Umständen auch immer „ein für alle Mal ausgeräumt, im Sinne von eliminiert“ sein könnte. Durch eine Vermeidung der Räumung wäre aber die verstärkte Gefährdung nicht mehr gegeben, die für die Beklagte aus der Belastung einer möglichen Räumung entsteht. Von einer schuldhaften Herbeiführen des Zustands der Zurechnungsunfähigkeit könne nicht gesprochen werden, weil bei schweren Psychosen eine nicht ausreichende Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft häufige Symptome des Krankheitsgeschehens seien (Ergänzungsgutachten S. 7).
Dagegen leben die Kläger in ihrem Eigenheim in … und können von dort aus sowohl die Mutter des Klägers zu 1) besuchen als auch das kulturelle Leben in München genießen, zur Not mit dem Taxi. Es sind auch keine Zwänge auf Seiten der Kläger ersichtlich, die die Nutzung der Münchner Wohnung absolut gebieten würden. Der Arztwechsel nach … hat bereits stattgefunden. Daher ist es den Klägern weiterhin zumutbar, auf die Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung zu verzichten und entweder Abhilfe durch das Anmieten einer anderen Wohnung zu schaffen oder eben weiterhin aus … anzureisen Das Gericht ist sich bewusst, dass diese Entscheidung für die Kläger unbefriedigend sein mag, da seit der letzten entsprechenden Entscheidung des Gerichts vom September 2013 einige Jahre vergangen sind Jedoch ist eben eine Besserung des Zustands der Beklagten bzw. eine Stabilisierung, die ein Raumungsurteil verkraften könnte, derzeit nicht in Sicht, sodass das Mietverhältnis derzeit auf unbestimmte Zeit fortzusetzen ist. Eine zeitliche Befristung der Fortsetzung des Mietverhältnisses kommt nicht in Betracht, da eine Prognose für die Besserung des Gesundheitszustands der Beklagten derzeit nicht abgegeben werden kann.
Das Interesse der Beklagten an der von ihr gemieteten Wohnung ist auch nicht deshalb geringer zu bewerten, weil sie von Zeit zu Zeit stationär im Klinikum unterkommt bzw unterkommen muss. Die Beklagte kann dort nicht zwangsweise eingewiesen werden; es handelt sich nicht um eine alternative Unterkunftsmöglichkeit, die ihr Recht auf ihre eigene Mietwohnung in der Abwägung mit den Interessen der Kläger schmälern würde.
Zwar sind die später eingetretenen Verhaltensauffälligkeiten der Beklagten ebenfalls in die Abwägung einzustellen, § 574 Abs. 3 BGB. Hier ist jedoch zu sehen, dass diese in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Krankheit stehen, was den Mitbewohnern des Hauses nicht verborgen blieb und bleibt Im Rahmen einer Hausgemeinschaft sind krankheits- oder altersbedingte Verhaltensauffälligkeiten in gewissem Maße hinzunehmen, solange die Hausbewohner nicht gefährdet werden. Hier ist tatsächlich die einmalige Entwendung des Feuerlöschers problematisch. Doch die Kläger weisen selbst ständig darauf hin, dass es der Beklagten doch derzeit gut genug gehe mit ihrem Netz an Helfern, sodass sie ausziehen könne In letzter Zeit bewährt sich tatsächlich unstreitig das Helfernetz und führt dazu, dass die Beklagte schon seit Monaten keine gravierenden Auffälligkeiten mehr zeigt Auch dies muss in die Abwägung eingestellt werden, sowie der Umstand, dass die Kläger den Ausspruch einer weiteren verhaltensbedingten fristlosen Kündigung nicht für erforderlich erachteten. Die Kläger können nicht für sich im Rahmen des § 574 Abs. 3 BGB reklamieren, dass die Beklagte randaliere, und andererseits behaupten, der Beklagten gehe es nun schon länger gut genug, dass sie ausziehen oder sich selbst in die Klinik bei Bedarf einweisen könne.
Zum derzeitigen Zeitpunkt wiegt unter Berücksichtigung aller Umstände und nach sorgfältiger Abwägung das Interesse der Beklagten am Erhalt der Wohnung als Lebensmittelpunkt zur Abwehr einer Verschlechterung ihres Zustands, die Suizidgefahr bedeuten würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO Der Streitwert ist die Jahresnettomiete.