Aktenzeichen RN 4 K 19.574
Leitsatz
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung mit Urteil entschieden werden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)).
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Gewährung eines Strafdrittels in Höhe von 3010,12.-€ wegen der Aufwendung von Kosten für eine jugendhilferechtliche Maßnahme für den Zeitraum vom 1.12.2014 bis 9.2.2015 gem. § 89c Abs. 2 des Achten Sozialgesetzbuches (SGB VIII).
§ 89c Abs. 2 SGB VIII gewährt einen pauschalierten Verwaltungskostenzuschlag für den Verwaltungsmehraufwand, der dem ursprünglich zuständig gewesenen Jugendhilfeträger deshalb entstanden ist, weil er Jugendhilfekosten aufgrund eines pflichtwidrigen Handelns des örtlich zuständigen Jugendhilfeträgers aufgewendet hat (siehe hierzu Verwaltungsgericht Würzburg, Urteil vom 29.4.2010, Az.: W 3 K 09.126- juris). Ein an sich örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe handelt pflichtwidrig im Sinne des § 89c Abs. 2 SGB VIII, wenn er seine Zuständigkeit erkennt und dennoch die notwendige und geeignete Hilfeleistung ablehnt, verzögert oder unzureichend gewährt. Das setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Jugendhilfeträger durch ein inkorrektes Verwaltungshandeln die Wahrnehmung seiner Zuständigkeit ablehnt oder verzögert und dadurch die Verpflichtung des erstattungsberechtigten Jugendhilfeträgers ausgelöst wird (BayVGH, Beschluss vom 14.11.2011, Az.: 12 ZB 09.2095- juris). Im Falle einer verzögerten Entscheidung lässt sich dabei eine feste Zeitspanne, ab der eine Pflichtwidrigkeit anzunehmen wäre, zwischen der Kenntnis von den zuständigkeitsbegründenden Tatsachen und der Entscheidung über die Fallübernahme nicht festlegen. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere darauf, ob die Bestimmung der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit rechtlich schwierig gelagert ist (siehe hierzu Verwaltungsgericht Würzburg a.a.O. mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Dies zugrundelegend ist hier nicht von einem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten auszugehen. Dem Beklagten war hier zuzugestehen, dass er zunächst seine örtliche Zuständigkeit eingehend überprüft hat. Im Hinblick darauf, dass die Kindsmutter gegenüber dem Beklagten nach dessen Angaben wiederholt ihre Umzugsabsichten geäußert hat, war die Frage danach, ob sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bereich des Beklagten begründet hat, berechtigt. § 30 Abs. 3 Satz 2 des Ersten Sozialgesetzbuches (SGB I) enthält eine Legaldefinition des gewöhnlichen Aufenthalts, auf die auch für die Begriffsbestimmung nach dem SGB VIII zurückzugreifen ist (siehe hierzu Lange in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 86 SGB VIII RdNr. 30). Demgemäß hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Abzustellen ist darauf, dass sich die Person an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet bis auf weiteres im Sinne eines zukunftsorientierten Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hat. Es kommt nicht auf eine bereits eingetretene oder vorgesehene Dauerhaftigkeit des Aufenthalts an einem bestimmten Ort bzw. in einem bestimmten Gebiet an, sondern auf dessen Zukunftsoffenheit, d.h. darauf, ob der Aufenthalt nicht von vorneherein auf eine zeitlich absehbare Beendigung angelegt ist (siehe hierzu Lange a.a.O. RdNrn. 30 ff). Allein die Tatsachen, dass die Kindsmutter sich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten im Sinne des Meldegesetzes angemeldet und einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt hat, sind aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend, um die Prognose zu tragen, sie habe dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Dem Beklagten war zuzugestehen, die seitens der Kindsmutter ihm gegenüber geäußerten Umzugspläne über einen gewissen Zeitraum zu beobachten und erst dann den Fall in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen. Der Beklagte hat dies gegenüber der Klägerin im Schreiben vom 15.12.2014 auch erläutert und eine Fallübernahme zum 1.2.2015 in Aussicht gestellt. Dass das Ansinnen des Beklagten nicht pflichtwidrig war, zeigt sich auch darin, dass die Klägerin ihrerseits eigene Ermittlungen zum gewöhnlichen Aufenthalt der Kindsmutter aufgenommen hat und deren Ergebnisse dem Beklagten mit Schreiben vom 26.1.2015 mit der Bitte, den Fall bis zum 1.3.2015 zu übernehmen, mitgeteilt hat.
Es stellt auch kein widersprüchliches Verhalten des Beklagten dar, dass er bereits im Schreiben vom 15.12.2014 eine Kostenübernahme zugesichert hat, die eine Annahme der Zuständigkeit des Beklagten impliziert, aber für eine Übernahme des Falles in die eigene Zuständigkeit eine Frist bis zum 1.2.2015 erbeten hat. Hätte sich die Zusage der Kostenübernahme im Nachhinein als rechtswidrig herausgestellt, hätte sie mit geringem Verwaltungsaufwand rückabgewickelt werden können, zumal zu diesem Zeitpunkt noch keine Abrechnungen erfolgt waren. Eine Rückübertragung des Falles in die Zuständigkeit der Klägerin im Falle einer zu Unrecht erfolgten Übernahme durch den Beklagten wäre hingegen sowohl für die Klägerin als auch den Beklagten mit erheblichem Aufwand verbunden gewesen. In diesem Zusammenhang ist auch nochmals darauf hinzuwiesen, dass die Klägerin letztlich selbst im Schreiben vom 26.1.2015 eine Fallübernahme des Beklagten zum 1.3.2015 erbeten hat. Darin zeigt sich, dass auch ihrerseits nicht von einem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten ausgegangen wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 2. HS. VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.