Verwaltungsrecht

minderjähriges Kind, GdB von 50

Aktenzeichen  25 S 21.1984

Datum:
20.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 51864
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG § 34
AufenthG § 25 Abs. 4

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerinnen haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid mit dem der Antrag auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse abgelehnt wurde.
Die Antragstellerin zu 1 ist s. Staatsangehörige und Mutter der Antragstellerin zu 2. Sie reiste am 23. November 2010 in die Bundesrepublik ein und stellte am 1. Dezember 2010 durch ihre Eltern einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid vom 3. Januar 2011 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. In der Folgezeit erhielt die Antragstellerin Grenzübertrittbescheinigungen und Duldungen. Am 15. Dezember 2013 wurde der Antragstellerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG, gültig bis zum 15. Januar 2015, ausgestellt. Nach Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis war die Antragstellerin im Besitz von Fiktionsbescheinigungen und ab dem 16. Oktober 2017 im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 32 Abs. 1 AufenthG. Dieser war für die Dauer von einem Jahr gültig. Am 16. Oktober 2018 beantragte die Antragstellerin die Verlängerung Ihres Aufenthaltstitels bei dem Antragsgegner.
Am …2019 wurde die Antragstellerin zu 1 volljährig. Am … … 2019 wurde die Antragstellerin zu 2 geboren, welche ebenfalls die serbische Staatsangehörigkeit hat. Der Vater der Antragstellerin zu 2 ist ebenfalls serbischer Staatsangehöriger und lebt in S.. Zurzeit befindet sich der Vater der Antragstellerin zu 2 in Untersuchungshaft in der Bundesrepublik wegen eines Strafverfahrens wegen illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet.
Mit Bescheid vom 11. März 2021 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 1), zog die ausgehändigte Fiktionsbescheinigung ein (Ziffer 2), forderte die Antragstellerinnen zur Ausreise binnen eines Monats auf (Ziffer 3) und drohte die Abschiebung nach S. an (Ziffer 4).
Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass der Lebensunterhalt der Antragstellerin nicht ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert sei. Ferner seien die besonderen Tatbestandsmerkmale der in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen (§§ 32, 34, 36, 25, 19c, 7, 33) nicht erfüllt. Im Besonderen führte der Antragsgegner aus, dass kein besonderer Härtefall vorliege.
Mit Schreiben vom 10. April 2021 erhob die Bevollmächtigte der Antragstellerinnen Klage gegen den Bescheid und auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (M 25 K 21.1983). Zusätzlich beantragte sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin zu 1 nicht in der Lage war, ihren Lebensunterhalt zu sichern, da sie sich einerseits um die Antragstellerin zu 2 habe kümmern müssen und andererseits die Corona-Pandemie sowohl den Arbeitsmarkt als auch die Verfügbarkeit von Kinderbetreuung negativ beeinflusst habe. Weiterhin habe die Antragstellerin zu 1 eine Lernschwäche und ein Grad der Behinderung von 50 sei festgestellt worden.
Mit Schreiben vom 20. Mai 2021 legte der Antragsgegner die Behördenakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verwies er auf den streitgegenständlichen Bescheid. Weiterhin führte er aus, dass die Antragstellerin zu 1 nach Vollendung des 1. Lebensjahres der Antragstellerin zu 2 in der Lage gewesen sei, einen Arbeitsplatz zu suchen. Die Betreuung der Antragstellerin zu 2 hätte durch die in der gemeinsamen Wohnung lebenden Großeltern der Antragstellerin zu 2 erfolgen können. Da die Antragstellerin zu 1 Leistungen des Jobcenters nach dem SGB II erhalte, sei davon auszugehen, dass sie dem Arbeitsmarkt trotz der geistigen Entwicklungsstörung zur Verfügung stehe. Im Ergebnis sei es der Antragstellerin zu 1 möglich, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu sichern.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in dem Verfahren M 25 K 21.1983 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis (Ziffer 1) statthaft, da auf Grund der Ablehnung des Antrages auf Verlängerung des Aufenthaltstitels die Klage von Gesetzes wegen gem. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung hat. Obwohl in der Hauptsache die Verpflichtungsklage auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis die richtige Klageart wäre und damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein Antrag nach § 123 VwGO zu stellen wäre, ist trotz der Regelung des § 113 Abs. 5 VwGO ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft. Die Versagung der Aufenthaltserlaubnis führt zum Erlöschen der Fiktionswirkung des Verlängerungsantrags. Die Antragstellerinnen sind auf Grund der Versagung der Aufenthaltserlaubnis vollziehbar ausreisepflichtig nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Die Ablehnung stellt damit für die Antragstellerinnen eine belastende Regelung dar.
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung (Ziffer 4) ist der Antrag ebenfalls statthaft, weil dies eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung ist und die Klage daher keine aufschiebende Wirkung entfaltet, Art. 21a BayVwZVG.
2. Der Antrag bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerwG, U.v. 1.1.2009 – 1 C 32/08 – juris) überwiegt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Interesse der Antragstellerinnen an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob die Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen (§ 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, § 21a Bay VwZG) oder die, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessensabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – juris). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden, summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Recht erfolgt (§ 113 Abs. 1 VwGO). Insbesondere steht den Antragstellerinnen derzeit kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht vorliegen.
a) Die Verlängerung des Aufenthaltstitels scheitert bereits am Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG, da der Lebensunterhalt der Antragstellerin nicht ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG). Die Antragstellerinnen beziehen Leistung der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II. Wie von dem Antragsgegner ausgeführt, ergibt sich aus dem Leistungsbezug die grundsätzliche Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin zu 1 trotz einem Grad der Behinderung von 50.
Soweit ein Absehen von der Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG möglich ist, steht dies im Ermessen des Antragsgegners. Die Ermessensentscheidung des Antragsgegners ist gerichtlich nicht zu beanstanden (§ 114 VwGO). Die Entscheidung verhält sich in den gesetzlichen Grenzen des Ermessens und Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Soweit die Antragstellerin zu 1 ihre Behinderung im Klageverfahren vorgebracht und belegt hat, hat der Antragsgegner seine Ermessenserwägungen diesbezüglich ergänzt.
b) Ergänzend liegen auch die speziellen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nicht vor.
(1) Ein Anspruch der Antragstellerin zu 1 nach § 32 AufenthG scheidet auf Grund der inzwischen eingetretenen Volljährigkeit aus.
(2) § 34 Abs. 2 AufenthG bewirkt lediglich, dass ein bestehendes Aufenthaltsrecht fortwirkt. Einen Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begründet § 34 Abs. 2 AufenthG jedoch nicht (vgl. OVG Münster B.v. 21.6.2006 – 18 B 1580/05, BeckRS 2006, 24276, m.w.N.). Ein Anspruch auf Verlängerung kann sich jedoch aus § 34 Abs. 1 i.V.m. § 37 AufenthG ergeben. Allerdings setzt dies auch u.a. eine Sicherung des Lebensunterhalts voraus, die gerade nicht gegeben ist (s.o.).
(3) Die Antragstellerin zu 1 hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 18ff. AufenthG, da sie keiner Beschäftigung nachgeht und auch kein konkretes Anstellungsangebot hat.
(4) Ferner besteht kein Anspruch der Antragstellerinnen auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG. Voraussetzung für eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ist, dass aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Eine außergewöhnliche Härte kann erst bei einer exzeptionellen Ausnahmesituation als gegeben angesehen werden. Die Beendigung des Aufenthalts in D. muss für den Ausländer mit Nachteilen verbunden sein, die ihn deutlich härter treffen als andere Ausländer in einer vergleichbaren Situation; sie muss für den Ausländer bei dieser Vergleichsbetrachtung unzumutbar sein (BeckOK AuslR/Maaßen/Kluth, 28. Ed. 1.1.2021, AufenthG § 25 Rn. 85; mit weiteren Nachweisen). Eine derartige außergewöhnliche Härte liegt, auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK, nicht vor. Die Antragstellerin zu 1 wurde in S. geboren und hat dort auch ihre Kindheit verbracht. Der Aufenthalt der Antragstellerin zu 1 in D. war für die Mehrheit der Zeit nur gestattet oder geduldet. Der Vater der Antragstellerin zu 2 lebt grundsätzlich, auch wenn er sich zurzeit in Untersuchungshaft in D. befindet, in S.. Eine besondere Betreuungsbedürftigkeit oder Abhängigkeit von Familienangehörigen wurde nicht dargelegt oder nachgewiesen. Eine solche ist auch auf Grund der Volljährigkeit der Antragstellerin zu 1 und der Tatsache, dass ihre Eltern in B. leben, nicht ersichtlich. Auch in Bezug auf die Eltern des Vaters der Antragstellerin zu 2, bei denen die Antragstellerinnen leben, ist eine solche nicht gegeben. Auch aus der Behinderung der Antragstellerin zu 1 und dem jungen Alter der Antragstellerin zu 2 ergibt sich keine besondere Härte. Eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der Antragstellerin zu 1 wurde nicht nachgewiesen und erscheint im Lichte des Bezugs von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende auch nicht möglich (s.o.). Die Antragstellerin zu 2 kann grundsätzlich fremdbetreut werden. Andere Gründe, die die Annahme einer außergewöhnlichen Härte rechtfertigen würden sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen. Den Antragstellerinnen ist eine Rückkehr nach S. möglich und zumutbar. Folglich besteht kein Anspruch nach § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG.
(5) Bezüglich möglicher Aufenthaltstitel nach §§ 36, 25 Abs. 5, 7 und 33 kann auf die Ausführungen des Antragsgegners verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO). Soweit es sich um Ermessensentscheidungen handelt, sind diese nicht gerichtlich zu beanstanden (§ 114 VwGO).
3. Keinen Bedenken begegnet die Ausreisefrist von einem Monat (Ziffer 3). Die Frist befindet sich im gesetzlichen Rahmen (§ 59 AufenthG). Ermessensfehler in der Bestimmung der Frist sind nicht ersichtlich. Unter Berücksichtigung der Bindungen der Antragstellerinnen nach Deutschland, ihrer Aufenthaltsdauer in D. und dem (Nicht-)Bestehen von (arbeits-)vertraglichen Verpflichtungen erscheint die Frist von einem Monat nicht unverhältnismäßig. Ebenso wenig begegnet die Abschiebungsandrohung Bedenken (Ziffer 4).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.3, 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen