Europarecht

Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen

Aktenzeichen  4 C 6124/19

Datum:
13.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18325
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826, § 831
FZV § 5 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Fahrzeughersteller täuscht beim Direktverkauf oder beim Verkauf von Fahrzeugen durch Händler die Käufer vorsätzlich, wenn er eine bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt. Dem Fahrzeughersteller ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung ist, ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Sittenwidrigkeit im Verhältnis zu einem Käufer liegt darin begründet, dass die Herstellerin ihr eigentlich erlaubtes Ziel der Erhöhung des Gewinns durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde erreichen wollte und damit in Kauf nahm, dass jeder Käufer mit negativen Folgen und Schäden rechnen muss und Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt verletzt werden können. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass die Betriebszulassung aufgrund der Abschalteinrichtung entzogen wird. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 38.200,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24.10.2019 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs … Q5 3.0 TDI, ….
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKWs des Klägers, … Q5 3.0.TDI, …, in Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs … Q5 3.0 TDI, FIN: … mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren.
4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 18 % und die Beklagte 82 %.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 46.430,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
1. Der Klageantrag Ziffer 1. ist trotz der dortigen Bezugnahme auf eine noch abzuziehende Nutzungsentschädigung hinreichend bestimmt. In der Sache beantragt die Klagepartei Zahlung von 45.430,00 € abzgl. einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (ebenso OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019 – 24 U 5/19, juris Rn. 19).
2. Auch der Feststellungsantrag Ziffer 3. gegen die Beklagtenpartei ist zulässig.
a) Für den Feststellungsantrag besteht das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse. Die Klagepartei hat ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte, da diese gerade bestritten werden (vgl. Greger in Zöller ZPO, 32. Auflage 2018, § 256 Rn 7). Durch das Bestreiten liegt eine Unsicherheit für etwaige Ansprüche der Klagepartei vor. Das erstrebte Urteil ist geeignet, diese Unsicherheit zu beseitigen.
b) Das Feststellungsinteresse entfällt auch nicht wegen des Vorrangs der Leistungsklage. Zwar scheidet eine Feststellungsklage aus, wenn die Klagepartei ihr Leistungsziel genau benennen und deshalb auf Leistung klagen kann. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung der anspruchsbegründende Sachverhalt bzw. die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und mit (weiteren) Schäden zu rechnen ist (BGH NJW-RR 2010, 750; 2008, 1520). Es kommt daher maßgeblich darauf an, ob die Klagepartei die Schadenshöhe bereits insgesamt endgültig beziffern kann. Zwar sind bereits zum jetzigen Zeitpunkt viele der von der Klagepartei geltend gemachten Schäden bezifferbar (insbes. der ggf. zurückzuzahlende Kaufpreis). Es erscheint allerdings hinreichend wahrscheinlich, dass über die bereits bezifferbaren Schäden hinausgehend noch unbezifferbare Schäden entstehen können (ebenso etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris Rn. 23; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 O 470/18 -, juris Rn. 35; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 73 f.). Es besteht insbesondere die Gefahr, dass sich an dem Fahrzeug vor der tatsächlichen Rückabwicklung weitere Schäden realisieren. So kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass der Klagepartei eine Stilllegungsanordnung durch das Kraftfahrtbundesamt droht. Die Gefahr der Stilllegung ist schon deswegen nicht fernliegend oder theoretisch, weil das Kraftfahrtbundesamt das Software-Update verbindlich vorgeschrieben hat. Auch kann nicht abschließend beurteilt werden, ob es zukünftig zu einem beweisbaren merkantilen Minderwert der betroffenen Fahrzeuge kommen kann. Schließlich ist zu sehen, dass die Klagepartei bis zur tatsächlichen Rückabwicklung unter Umständen noch Aufwendungen auf das Fahrzeug tätigen muss (Service- oder Reparaturmaßnahmen), die von einem etwaigen Schadensersatzanspruch umfasst sein könnten. Die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts auch bei Rückabwicklung des Kaufvertrags ist daher hinreichend gegeben.
3. Der Antrag Ziffer 2. ist ebenfalls als Feststellungsklage zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt sich insoweit aus dem Interesse an einer einfacheren Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die Regelung der §§ 756, 765 ZPO.
II.
Die gegen die Beklagte gerichteten Anträge sind im tenorierten Umfang begründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzgl. einer Nutzungsentschädigung gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs, ein Schadensersatzanspruch, dessen Feststellung begehrt werden kann, und die Feststellung des Annahmeverzugs zu.
1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte aus § 826 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verwendung einer manipulierenden Motorsoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug (ebenso OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 O 470/18 -, juris Rn. 37 ff.; LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 76 ff.; BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19).
Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich einen Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. So liegt der Fall hier.
a) Die schädigende Handlung der Beklagten liegt in dem arglistigen Inverkehrbringen des mangelhaften Fahrzeugs unter Geheimhaltung der bewusst eingebauten Abschalteinrichtung zur Beeinflussung der Emissionswerte auf dem Prüfstand (vgl. LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 79 ff.).
In das Fahrzeug der Klagepartei war zum Zeitpunkt des Verkaufs und der Auslieferung eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, wodurch es sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignete.
Das Fahrzeug ist unstreitig Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes (Rückruf 23X6). Dieser bezieht sich auf eine unzulässige Abschalteinrichtung im Emissionskontrollsystem. In ihrem Schreiben aus Februar 2019 an die Klagepartei (Anlage K 2) gibt die Beklagte an, dass Hintergrund des Rückrufs sei, dass Unregelmäßigkeiten in der Motorsteuerungssoftware der Fahrzeuge im Hinblick auf die Funktionsweise des Emissionsminderungssystems festgestellt worden seien. Diesbezüglich hat die Beklagte im Rahmen des Klageverfahrens weiter ausgeführt, dass der SCR-Katalysator für die Umwandlung von Stickoxiden eine ausreichende Betriebstemperatur benötige, weswegen das Fahrzeug einen sog. Warmlaufmodus aufweise, welcher nichts mit dem Regelbetrieb des Fahrzeugs zu tun habe, und dass die Konditionierung des Warmlaufmodus im Straßenbetrieb nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamts nicht ausreichend sei. In der Rückrufmitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 23.01.2018 (Anlage K 3 und 4) ist angegeben, dass bei den Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen dahingehend nachgewiesen wurden, dass die schadstoffmindernde, sog. schnelle Motoraufwärmfunktion nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringe, im realen Verkehr diese NOx-Schadstoffminderung aber unterbleibe. Diese technische Manipulation im Rahmen des sog. Warmlaufmodus wird von der Beklagten nicht – jedenfalls nicht hinreichend substantiiert – bestritten. Vielmehr werden der Rückruf seitens des Kraftfahrtbundesamtes hinsichtlich des sog. Warmlaufmodus und die dementsprechend verpflichtende Aktualisierung der Motorsoftware eingeräumt.
Legt man diese unstreitigen Umstände zugrunde, ist von einer unzulässigen Abschalteinrichtung des Emissionskontrollsystems gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG auszugehen. Laut Kraftfahrtbundesamt schaltet die Software durch eine nahezu ausschließlich auf dem Prüfstand einsetzende Programmierung der Motorsteuerung in einen sog. Aufwärmmodus mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Straßenbetrieb höher ist als auf dem Prüfstand. Insofern ist zu berücksichtigen, dass eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist. Der Prüfstandmodus muss zwar nicht exakt den realen Fahrbetrieb abbilden, die Motorsteuerung muss aber jedenfalls im Wesentlichen identisch wie dort funktionieren (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 – 11 O 197/18 -, juris Rn. 38; LG Krefeld, Urteil vom 15. Januar 2020 – 2 O 470/18 -, juris Rn. 70). Dies ist hier gerade nicht der Fall, so dass von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist.
Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung weist das Fahrzeug einen erheblichen Mangel auf. Unerheblich ist hierbei, dass die Beklagte angibt, dass das Fahrzeug die Vorgaben der Euro-6-Norm erfüllen würde. Aus dem Umstand, dass das Kraftfahrtbundesamt die Nachbesserung für verpflichtend erklärt hat, kann ohne weiteres geschlussfolgert werden, dass das Fahrzeug ohne Update nicht zulassungsfähig ist, weil es den einschlägigen Abgasnormen nicht entspricht (LG Mönchengladbach, Urteil vom 22. Februar 2019 – 11 O 197/18 -, juris Rn. 42). Die Rückrufaktion der Beklagten ist nicht freiwillig erfolgt oder eine bloße Kulanzmaßnahme, sondern notwendig um den Anforderungen des Kraftfahrtbundesamtes zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu genügen. Den Fahrzeughaltern ist es nicht freigestellt, das Update durchführen zu lassen oder nicht. Da bei Fahrzeugen, die entgegen zwingender unionsrechtlicher Vorschriften installierte Abschalteinrichtungen aufweisen, zur Herstellung ihrer Vorschriftsmäßigkeit eine entsprechende Nachrüstung erforderlich ist, sieht sich der Halter eines solchen Fahrzeugs, solange eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt worden ist, einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV ausgesetzt. Aufgrund der gesetzeswidrigen Manipulation besteht daher zumindest die latente Gefahr, dass im Falle einer noch nicht erfolgten Nachrüstung die EG-Typengenehmigung und die daraus folgende Betriebszulassung widerrufen werden. Diese Gefahr hat aus kaufrechtlicher Sicht zur Folge, dass bei den betroffenen Fahrzeugen die Eignung für die gewöhnliche Verwendung fehlt und damit ein Sachmangel vorliegt. Denn der Käufer eines solchen Fahrzeugs muss damit rechnen, es aufgrund behördlicher Anordnung nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr nutzen zu dürfen. Dies gilt unabhängig davon, ob dem Fahrzeug derzeit eine entsprechende Zulassung entzogen wurde oder ob eine solche zunächst unterblieben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 17 ff.; OLG Nürnberg, Urteil vom 24. April 2018 – 6 U 409/17 -, juris Rn. 38).
Da die unstreitig vorhandene Warmlaufmodus eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt und eine schädigende Handlung der Beklagten begründet, kann im Ergebnis offenbleiben, ob die von der Klagepartei geltend gemachten weiteren Abschalteinrichtungen vorliegen bzw. die Angaben zum CO2-Ausstoß und zum Kraftstoffverbrauch nicht stimmen.
b) Die schädigende Handlung der Beklagten erfolgte sittenwidrig und die Klagepartei ist auch als Gebrauchtwagenkäufer vom Schutzbereich des § 826 BGB umfasst. (BGH, a.a.O.).
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, wobei dies aufgrund einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Zweck und Beweggründen des Handelns zu beurteilen ist. Diese Voraussetzungen sind nicht bei jedem Pflichtverstoß zu bejahen, sondern es muss eine besondere Verwerflichkeit hinzukommen, die im Falle einer Pflichtverletzung durch Unterlassung erfordert, dass das geforderte Handeln einem sittlichen Gebot entsprechen muss. Hierbei ist die Ersatzpflicht eines Schädigers – wie bei allen deliktsrechtlichen Ansprüchen – auf solche Schäden beschränkt, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen. Auf eine derartige Eingrenzung kann, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 BGB nicht verzichtet werden. Ein Verhalten kann daher hinsichtlich bestimmter Personen und Schadensfolgen als sittlich anstößig zu qualifizieren sein, während diese Bewertung für andere ebenfalls adäquat verursachte Schadensfolgen ausscheidet. Die Ersatzpflicht beschränkt sich auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. Geht man von diesen Grundsätzen aus, haftet die Beklagte gegenüber der Klagepartei nach § 826 BGB.
Allein der Einbau der entsprechenden Software bzw. das Inverkehrbringen mit der Software verstößt dabei noch nicht gegen die guten Sitten. Denn etwaige Schäden, die der Klagepartei im Zusammenhang mit dem Gefahrenbereich „EG-Übereinstimmungsbescheinigung“ entstanden sein könnten, sind aus der Haftung nach § 826 BGB auszunehmen. Der Schutzzweck der betreffenden gesetzlichen Regelungen des europäischen und des nationalen Rechts umfasst nicht den von der Klagepartei geltend gemachten Schaden. Es mag sein, dass verfassungsmäßige Vertreter der Beklagten beim Einbau der entsprechenden Software im Verhältnis zur Umwelt, also in Bezug auf Belange des Umweltschutzes, sittenwidrig gehandelt haben. Dass aber daneben auch Sittenwidrigkeit im Verhältnis zu den Endkunden der Beklagten und damit vorliegend der Klagepartei vorliegt, kann insoweit nicht angenommen werden. Der geltend gemachte Schaden in Form des Abschlusses des ungewollten Kaufvertrags liegt außerhalb des Schutzbereichs des Gebots, Fahrzeuge nicht ohne gültige EG-Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr zu bringen.
Soweit die Kammer vor Erlass der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 die Meinung vertrat, dass eine Haftung der Herstellerfirma bei Gebrauchtwagenkäufern nicht gegeben sei, hält die Einzelrichterin angesichts der aktuellen BGH-Entscheidung daran nicht fest (so z.B. Urteil im Verfahren 4 O 6613/18). Auch bei einem Gebrauchtwagenkäufer liegt ein Verstoß gegen die guten Sitten dahingehend vor, als Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt werden (allgemein LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 86 f., nunmehr BGH, a.a.O.). Wer bewusst täuscht, um einen anderen zum Vertragsschluss zu bewegen, handelt in der Regel sittenwidrig (Sprau, in: Palandt, 79. Auflage 2020, § 826 BGB Rn. 20). Der Fahrzeughersteller täuscht beim Direktverkauf oder beim Verkauf von Fahrzeugen durch Händler die Käufer vorsätzlich, wenn er die bewusst eingebaute unzulässige Abschalteinrichtung nicht offenlegt. Die unzulässige Abschalteinrichtung wurde von der Beklagten bewusst eingesetzt, eine fahrlässige Programmierung der Software scheidet aus. Dem Fahrzeughersteller ist ohne weiteres ersichtlich, dass für die Kaufentscheidung eines verständigen Erwerbers der Umstand von zentraler Bedeutung ist, ein den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das vorsätzliche Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung hat der Fahrzeughersteller über diesen zentralen Umstand getäuscht. Das betrügerische Verhalten erweist sich im Verhältnis zum Kunden auch als sittenwidrig. Denn Zweck der Konstruktion war es, die Fahrzeuge für umweltbewusste Käufer interessant zu machen, dadurch eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu verkaufen und höhere Gewinne zu generieren. Ein anderes Motiv für den bewussten Einsatz von unzulässigen Abschalteinrichtungen, die ansonsten keinerlei legitimen Zweck hatten, ist nicht ersichtlich und wurde von der insoweit sekundär darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten auch nicht aufgezeigt. Die Sittenwidrigkeit im Verhältnis zu einem Käufer ist dahingehend begründet, dass die Beklagte ihr eigentlich erlaubtes Ziel der Erhöhung des Gewinns durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde erreichen wollte und damit in Kauf nahm, dass jeder Käufer – sei es bei Erwerb eines Neuwagens, sei es bei Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs – mit negativen Folgen und Schäden rechnen muss und Vorschriften zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt verletzt werden können. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass die Betriebszulassung aufgrund der Abschalteinrichtung entzogen wird. Diese mögliche Folge wurde offensichtlich von den handelnden Personen billigend in Kauf genommen, um weitere Gewinne erzielen zu können. Die Beklagte hat daher nicht nur gegen Vorschriften zum Umweltschutz verstoßen, sondern auch gegenüber Verbrauchern planmäßig das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung verschleiert, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, und so aus Gewinnstreben sittenwidrig gehandelt. Ein solches Handeln verstößt ersichtlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und erfüllt damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB.
c) Die Beklagte hat durch Personen gehandelt, für deren sittenwidrige Schädigung sie gemäß § 31 BGB einzustehen hat. Ein verfassungsmäßige Vertreter der Beklagten hat den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht.
Zwar trifft hierfür grundsätzlich die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings ist es vorliegend der Beklagten ausnahmsweise zuzumuten, nähere Angaben über die zu ihrem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zu ermöglichen, weil sie im Gegensatz zu dem außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs stehenden Kläger die wesentlichen Tatsachen kennt (LG Dortmund, Urteil vom 15. Januar 2019 – 12 O 262/17 -, juris Rn. 89).
Der Vorstand der Beklagten kann sich das Wissen verschaffen, wer die Entscheidung getroffen hat, die unzulässige Abschalteinrichtung zu entwickeln und einzusetzen. Die Klagepartei behauptet, Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten hiervon Kenntnis gehabt. Dies ist nachvollziehbar und lebensnah. Bei dem Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei einem ganzen Fahrzeugtyp handelt sich um eine weitreichende unternehmerische Entscheidung, die von untergeordneten Mitarbeitern grundsätzlich nicht ohne Einbeziehung von Entscheidungsträgern getroffen wird. Auch ist im Hinblick auf die gesetzlichen Vorgaben davon auszugehen, dass bei der Beklagten Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet waren. Hier muss davon ausgegangen werden, dass der Vorstand eines Fahrzeugherstellers sich hinreichende Kenntnis davon verschafft, ob der eingesetzte Motor den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird. Der Vortrag der Klagepartei ist somit als hinreichend substantiiert anzusehen. Vor diesem Hintergrund oblag es der Beklagten im Einzelnen darzulegen, welche Entscheidungsträger wann und in welchem Umfang von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis erlangten und aufgrund welcher Umstände sie gegebenenfalls davon hätten ausgehen können, dass es sich nicht um eine solche handelt. Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen, so dass die betreffende Behauptung der Klagepartei, dass Vorstandsmitglieder Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung und diesen gebilligt hätten, als zugestanden im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO gilt.
Der Annahme einer sekundären Darlegungslast steht hierbei nicht entgegen, dass möglicherweise einzelnen Vertreter der Beklagten ein Schweigerecht im Hinblick auf die Gefahr einer Strafverfolgung zustehen könnte. Der Beklagten als eigenständiger juristischer Person steht ein solches Schweigerecht jedenfalls nicht zu (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris, Rn. 45).
d) Der Klagepartei ist ferner durch das Handeln der betreffenden Personen der Beklagten ein kausaler Schaden entstanden.
Im Rahmen der Haftung nach § 826 BGB liegt ein Schaden auch dann vor, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende „ungewollte“ Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. nur BGH NJW-RR 2015, 275, 276). Entscheidend und ausreichend ist, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.
Diese Voraussetzungen liegen vor (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Januar 2020 – I-13 U 81/19 -, juris Rn. 26 ff.; BGH a.a.O).
aa) Es steht außer Zweifel, dass unter normalen Umständen kein verständiger Autokäufer ein Kraftfahrzeug kauft, welches zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die behördlicherseits gleichwohl erteilte Typengenehmigung durch Manipulationen erschlichen hat. Denn es besteht zumindest die latente Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt eine Betriebsuntersagung ausspricht, wodurch das Fahrzeug zur gewöhnlichen Verwendung überhaupt nicht mehr geeignet wäre. Dass der Käufer das Risiko bewusst eingegangen wäre, ist vorliegend nicht ersichtlich. Soweit das hypothetische Verhalten der Klagepartei bei Vertragsschluss nicht bereits als offenkundig angesehen werden kann, streitet nach der allgemeinen Lebenserfahrung zumindest eine tatsächliche Vermutung im Sinne eines Anscheinsbeweises dafür, dass er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 38). Die so begründete Vermutung wurde seitens der Beklagten zu 2) noch nicht einmal im Ansatz erschüttert.
bb) Zudem besteht kein Zweifel daran, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung für Zwecke der Klagepartei nicht voll brauchbar war. Dies ist bei einer ungewollt eingegangenen Verbindlichkeit als einschränkendes Korrektiv für die weite Fassung des Vermögensschadensbegriffs zu sehen. Die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung darf nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen werden, sondern auch die Verkehrsanschauung muss bei Berücksichtigung der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansehen (BGH DNotZ 1998, 349, 354). Zumindest ex ante bestand die nicht nur theoretische Gefahr einer Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung. Da hiermit der hauptsächliche Verwendungszweck (allgemeine Nutzung im Straßenverkehr) gefährdet ist, begründet bereits dies nach der Verkehrsanschauung eine Nachteiligkeit des Vertrags (vgl. OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 32 f.).
cc) Dem Schaden der Klagepartei stünde auch nicht entgegen, sofern an ihrem Fahrzeug auf Kosten der Beklagten das Softwareupdate durchgeführt würde. Das Update kann nicht im Nachhinein den bereits entstandenen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB beseitigen, selbst wenn hierdurch die Mängel beseitigt sein sollten. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (ebenso OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 34).
e) Die verantwortlichen verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten handelten auch vorsätzlich. Für § 826 BGB ist zu fordern, dass der Täter Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände, des Schadenseintritts und der Kausalität hat. Hierbei reicht das Bewusstsein aus, dass die Schädigung im Bereich des Möglichen liegt und das Schädigungsrisiko billigend in Kauf genommen wird (vgl. Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 826 BGB Rn. 25 ff.). Für die verantwortlichen Personen der Beklagten war ohne weiteres ersichtlich, dass aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung zumindest die latente Gefahr eines Widerrufs der Betriebszulassung bestand und die Kunden ihrer Kaufentscheidung zugrunde legen, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Zulassungsvorgaben entspricht. Auch war ihnen der Zweck des Einbaus der Abschalteinrichtung bewusst. Die betreffenden verfassungsmäßig berufenen Vertreter hatten daher Kenntnis von allen maßgeblichen haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen und handelten vorsätzlich. Auch insoweit kommt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zum Tragen, der diese nicht nachgekommen ist (vgl. auch OLG München, Urteil vom 15. Januar 2020 – 20 U 3219/18 -, juris Rn. 46 ff.).
f. Aufgrund des bestehenden Anspruchs hat die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug zurück zu nehmen und den bezahlten Kaufpreis abzüglich gezogener Nutzungen zu erstatten. Bei Übergabe des PKWs an den Kläger wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von 33.950 km auf, im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand 82.142 km. Die Einzelrichterin schätzt die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs nach § 287 BGB auf 300.000 km (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.01.2020 – I-13 U 81/19 – juris, Rn. 50).
Der Nutzungsersatz bestimmt sich nach der Formel : Bruttokaufpreis × gefahrene Kilometer : Restnutzungsdauer. Dies ergibt einen Betrag von 8.229, 14 € (45.430,- € × 48.192 km : 266.050 km).
g. Der Zahlungsanspruch ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
2. Die Klagepartei hat Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Ein hinreichendes Angebot der Klagepartei liegt in der Klageerhebung, mit der eine Zug-um-Zug Leistung unter Berücksichtigung einer Nutzungsentschädigung geltend gemacht wird.
3. Weiter war festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger etwa noch entstehende Schäden zu ersetzen hat, die aus der Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren.
4. Im übrigen war die Klage abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in § 709 ZPO
Die Einzelrichterin bemisst den Streitwert hinsichtlich des Feststellungsanspruchs auf Zahlung von Schadensersatz pauschal mit 1.000,- €. Ein (weit) höherer Schaden ist nicht zu erwarten, da durch Rückgabe des Fahrzeugs zumindest das Risiko eines geringeren Weiterverkaufspreises nicht besteht. Die Feststellung des Annahmeverzugs ist bei der Streitwertbemessung nicht gesondert zu berücksichtigen.

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