Aktenzeichen 31 O 227/18
Leitsatz
Tenor
I. Der Beklagten wird aufgegeben, das über die Email-Adresse … @tonline.de
angelegte Benutzerkonto der Klägerin auf der Plattform www.f..com für die Klägerin freizuschalten und ihr unbeschränkten Zugriff auf die Funktionen des Kontos zu gewähren, namentlich
– Verwendung des Nachrichtensystems (“Messanger“)
– Einstellen von Beiträgen (Texte, Videos und Bilder) auf der eigenen Seite
– Beitritt zu Gruppen, sofern die Gruppe dies gestattet
– Markieren von anderen Nutzern oder Seiten oder einzelnen Beiträgen, sofern diese anderen Nutzer dies gestatten
– Kommentieren bei anderen Nutzern, sofern diese anderen Nutzer dies gestatten
sowie
alle etwaig gelöschten Beiträge der Klägerin, Freundschaftsbeziehungen und sonstigen Beziehungen wieder herzustellen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.029,35 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.02.2018 zu zahlen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
V. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 30.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
1. Der Klägerin steht ein Anspruch gegenüber der Beklagten auf Freischaltung ihres Benutzerkontos und auf Gewährung des Zugriffs auf die Funktionen des Kontos zu.
Ziffer 4 der Geschäftsbedingungen der Beklagten, denen die Klägerin zugestimmt hat, ist unwirksam. Die Geschäftsbedingungen der Beklagten stellen allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinn des § 305 BGB dar. Ziffer 4 dieser Bedingungen benachteiligt die Klägerin unangemessen; § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. In der Regelung der Ziffer 4 der Bedingungen liegt ein Verstoß gegen § 13 Abs. 6 TMG. Dabei kann dahinstehen, ob § 13 TMG überhaupt abdingbar ist. Jedenfalls steht Ziffer 4 der Geschäftsbedingungen der Beklagten im Widerspruch zur gesetzlichen Wertung des TMG.
Das TMG ist auf die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien anwendbar; § 1 Abs. 1 TMG. Es dient dem Schutz des Nutzers und misst dem Interesse des Nutzers, anonym aufzutreten, hohen Wert bei. Dies kommt zum Ausdruck in § 13 Abs. 6 TMG. Nach dieser Vorschrift muss die Nutzung der angebotenen Dienste anonym ermöglicht werden; soweit dies technisch möglich und zumutbar ist.
Dass diese technische Möglichkeit besteht, steht außer Streit und wird bereits daran erkennbar, dass die Klägerin bis zur Sperrung ihres Nutzerkontos nach außen in dem sozialen Netzwerk F. nicht unter ihrem tatsächlichen Namen auftreten konnte.
Die Bereitstellung einer Anonymisierungs- bzw. Pseudonymisierungsmöglichkeit für ihre Nutzer ist der Beklagten nicht unzumutbar. Dies ergibt sich aus einer Abwägung der insoweit widerstreitenden Interessen der Parteien. Dabei mag es zutreffen, dass, wie die Beklagte vorträgt, die Verwendung von Pseudonymen „Cyber-Mobbing“ und „Hassrede“ zu fördern vermag und dass ein „Redikalisierungseffekt“ bei anonymer Nutzung der Dienste der Beklagten auftreten kann. Auch kann davon ausgegangen werden, dass die von der Beklagten verfolgte „Wahre-Namen-Politik“ derartigen Gefahren entgegenwirken kann.
Demgegenüber steht das Interesse der Nutzer der Dienste der Beklagten, hier also der Klägerin, ihre Meinung nach außen auch anonym äußern zu dürfen und persönlich für andere Nutzer von F. nicht ohne Weiteres identifizierbar zu sein. Auf diese Weise kann das Recht der Klägerin auf Wahrung ihrer Privatsphäre geschützt werden.
Die Interessen der Klägerin überwiegen gegenüber denjenigen der Beklagten. Dies beruht insbesondere darauf, dass der Beklagten regelmäßig der tatsächliche Name der Nutzer der von ihr angebotenen Dienste bekannt ist, dass es der Beklagten also ohne Weiteres möglich ist, jegliche Identität eines anonym oder unter einem Pseudonym auftretenden Nutzers zu ermitteln.
Die Beklagte ist also in der Lage, die von ihr mit ihrer „Wahre-Namen-Politik“ verfolgten Ziele auch dann zu erreichen, wenn die Nutzer auf F. nicht unter ihrem wahren Namen auftreten. Da dies zudem jedem Nutzer von F. bekannt sein muss, stellt bereits die Verpflichtung eines Nutzers, sich bei der Beklagten unter dem wahren Namen anzumelden, deren Berechtigung von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wird, eine Einflussmöglichkeit der Beklagten auf ihre Nutzer im Sinn der von ihr verfolgten Politik dar.
Wegen der somit bestehenden Unwirksamkeit von Ziffer 4 der Geschäftsbedingungen der Beklagten ist die Beklagte aus dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnis verpflichtet, der Klägerin die Nutzung von F. unter dem von der Klägerin gewählten Namen „A. Ir.“ zu ermöglichen.
Ordnungsmaßnahmen nach § 890 Abs. 1 ZPO waren entgegen dem klägerischen Antrag der Beklagten nicht anzudrohen. Die Verurteilung der Beklagten richtet sich nicht auf eine gegenüber der Klägerin geschuldete Unterlassung oder Duldung, sondern auf die Durchführung nicht vertretbarer Handlungen im Sinne des § 888 ZPO. Die Klägerin begehrt von der Beklagten nicht das Unterlassen der Sperrung ihres Nutzerkontos, sondern die Wiederherstellung dieses Kontos. Die Androhung von Zwangsmitteln vor der Vollstreckung einer Verpflichtung auf Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung findet nach § 888 Abs. 2 ZPO nicht statt.
Da eine Rechtsgrundlage für die Sperrung des Nutzerkontos der Klägerin nicht gegeben ist, wäre eine Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses durch die Beklagte nach § 314 Abs. 1 BGB nicht möglich. Auch kann die Beklagte aus diesem Grund gegenüber dem klägerischen Anspruch auf Wiederherstellung ihres Nutzerkontos kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB ausüben.
Schließlich kann wegen des insoweit bestehenden Erfolgs der Klage auch dahinstehen, ob der klägerische Anspruch auf Wiederherstellung des Nutzerkontos auch auf einen etwaigen Verstoß der Beklagten gegen datenschutzrechtliche Vorschriften gestützt werden könnte.
2. Ein klägerischer Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz von täglich 50,00 € seit dem 19.01.2018 besteht nicht.
Ein durch die Sperrung ihres Nutzerkontos durch die Beklagte bei der Klägerin eingetretener vermögensrechtlicher Schaden ist nicht vorgetragen oder gar nachgewiesen. Zwar ist anerkannt, dass auch in Ausnahmefällen ein Schaden nicht vermögensrechtlicher Art einen materiellen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen kann (so bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Deliktsrecht, vgl. Palandt/Sprau, Rn. 83 ff. zu § 823 BGB). Dies setzt jedoch einen erheblichen Eingriff in die Rechte des Verletzten voraus und erfordert eine Interessenabwägung, ob der Bestand einer Schadensersatzpflicht über die Verpflichtung, den Eingriff in die Rechte des Verletzten zu beenden, hinaus erforderlich ist. Im vorliegenden Fall ergibt eine derartige Abwägung, dass, unabhängig von der Rechtsgrundlage eines klägerischen Schadensersatzanspruchs, der Klägerin ein derartiger ersatzfähiger Schaden nicht entstanden ist. Hierzu fehlt es an der Schwere eines möglichen Eingriffs in Rechte der Klägerin. Der Klägerin kann zugemutet werden, bis zur (ggf. vorläufigen) Vollstreckung eines Urteils auf Wiederherstellung ihres Nutzerkontos auf die Nutzung von F. zu verzichten. Dies erschwert zwar die Möglichkeit der Klägerin mit Dritten zu kommunizieren, schließt eine derartige Kommunikation auf anderem Wege aber nicht aus.
3. Die Entscheidung über die klägerischen Nebenforderungen beruht auf §§ 286, 288 BGB. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz für die außergerichtliche Tätigkeit ihres Rechtsanwalts entstandener Kosten errechnet sich aus einem Geschäftswert von 15.000,00 €.
Klägerische Ansprüche auf Ersatz der Kosten der Erholung von Deckungszusagen der klägerischen Rechtsschutzversicherung für die außergerichtliche und gerichtliche Tätigkeit ihres Rechtsanwalts sind nicht bezifferbar. Dem Gericht ist es nicht möglich, zu errechnen, in welcher Höhe sich diese Kosten auf den (erfolgreichen) Klageantrag 1. und auf den (erfolglosen) Klageantrag 2. beziehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wurde auf 30.000,00 € festgesetzt. Dabei folgt das Gericht den klägerischen Ausführungen zum Streitwert des Klageantrags 1. und erachtet insoweit einen Streitwert von 15.000,00 € für angemessen. Ebenso für angemessen erachtet das Gericht einen Streitwert für den Klageantrag 2. von ebenfalls 15.000,00 €. Dabei macht das Gericht von dem ihm nach § 3 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch und orientiert sich nicht nur an der bloßen Addition der mit dem Klageantrag 2. begehrten Zahlungen, sondern auch an den Wertangaben der Klägerin, die ebenfalls in der Klageschrift unter A. III. erfolgten. Dort wurde der Gegenstandswert des Klageantrags 2. augenscheinlich mit 1.500,00 € bemessen. Dies kann rechnerisch nicht einer Summierung der Schadensersatzansprüche nach dem tatsächlich gestellten Klageantrag 2. entsprechen, da die Summe von 1.500,00 € bei Ansatz eines täglichen Schadensersatzanspruches von 50,00 € bereits mit dem Ablauf eines Monats erreicht wäre und eine gerichtliche Entscheidung über den Klageantrag innerhalb dieses Zeitraums bereits wegen der Fristen des § 276 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO nicht erreichbar ist. Aus diesem Grund erscheint für den Klageantrag 2. ebenfalls ein Streitwert von 15.000,00 € angemessen.