Baurecht

Verkürzung der Abstandsflächen in vorhabenbezogenem Bebauungsplan

Aktenzeichen  W 5 S 20.705

Datum:
15.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14405
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BayBO Art. 6 Abs. 7 Nr. 2, Art. 60, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 33

 

Leitsatz

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine Baugenehmigung Rechte eines Nachbarn verletzt, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung. Lediglich nach diesem Zeitpunkt eintretende Tatsachen- oder Rechtsänderungen zu Gunsten des jeweiligen Bauherrn bleiben bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung berücksichtigungsfähig. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für den Nachbarschutz im Anwendungsbereich des § 33 BauGB gelten dieselben Grundsätze wie für den Nachbarschutz im Geltungsbereich eines bereits in Kraft gesetzten Bebauungsplans. Nur soweit die künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans drittschützende Wirkung haben, kann sich der Nachbar gegen deren Missachtung zur Wehr setzen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ungeachtet des weiten Ermessensspielraums der Gemeinden bei der Aufstellung einer Abstandsflächensatzung nach Art. 6 Abs. 7 BayBO bestehen Einschränkungen durch höherrangiges Recht, die umso schwerer zu überwinden sind, je kleiner der Teil des Gemeindegebiets ist, auf den sich der Geltungsbereich der Satzung erstreckt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird für ein spezielles Bauvorhaben eine Verkürzung der Abstandsflächen unter dem Regime der Experimentierklausel des Art. 6 Abs. 7 BayBO vorgenommen, trifft die planende Gemeinde eine gesteigerte Verpflichtung, in der Begründung zum Bebauungsplan hinsichtlich der Regelung des Art. 6 Abs. 7 BayBO die städtebaulichen Gründe und planungsrechtlichen Vorgaben detailliert darzulegen, die nachbarlichen Belange zu eruieren und dies in einem rechtsförmlichen Verfahren zu dokumentieren. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 16. Januar 2020 gegen die Baugenehmigung des Landratsamts Würzburg vom 17. Dezember 2019 (Az. W 5 K 20.133) wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Der Streitwert wird auf 6.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 17. Dezember 2019 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines SB-Marktes auf den Grundstücken mit den Fl.Nrn. …4, …4/3 und …5 der Gemarkung …
1. Der Antragsteller ist Eigentümer der nordöstlich angrenzenden Grundstücke Fl.Nrn. …2 und …3 der Gemarkung … Die Grundstücke sind überwiegend unbebaut. Im westlichen Teil des Grundstücks Fl.Nr. …3 befinden sich Bestandsgebäude, für die zuletzt im Jahr 2017 ein Vorbescheid zur Nutzungsänderung des bestehenden Stalles und der Scheune in gewerbliche Nutzung erteilt wurde. Für den Bereich der Grundstücke Fl.Nrn. …2 und …3 existiert kein Bebauungsplan. Der Flächennutzungsplan …- … (4. Gesamtänderung i.d.F. vom 4.3.2005) weist hier eine Wohnbaufläche aus. Die Grundstücke Fl.Nrn. …2 und …3 liegen zum größten Teil im amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Pleichach. Das direkt an das Bauvorhaben angrenzende Grundstück Fl.Nr. …3 wird zum überwiegenden Teil landwirtschaftlich genutzt.
Für das Bauvorhaben gibt es einen in Aufstellung befindlichen vorhabenbezogenen Bebauungsplan Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ des Marktes … i.d.F. vom 12. Dezember 2019 (Satzungsbeschluss des Marktgemeinderats … vom 12.12.2019 über den Bebauungsplan i.d.F. vom 5. September 2019). Der Bebauungsplan trifft unter Ziffer 1.2.2. („Abstandsflächen“) die Regelung, dass bei allen zu errichtenden Gebäuden gemäß Art. 6 Abs. 7 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) Abstandsflächen von 0,4 H, mindestens jedoch drei Meter einzuhalten sind.
Mit Bauantrag vom 15. Februar 2019 beantragte die Beigeladene die Baugenehmigung für den Neubau eines SB-Marktes. Dieser Antrag wurde durch einen Bauantrag vom 27. September 2019, gerichtet auf Errichtung eines SB-Marktes inkl. Backshop mit Gastplätzen, ersetzt, welcher am 22. Oktober 2019 beim Landratsamt Würzburg eingegangen ist.
2. Mit Bescheid vom 17. Dezember 2019 erteilte das Landratsamt Würzburg der Beigeladenen die Baugenehmigung für den Neubau eines SB-Marktes inklusive Backshop mit 50 Gastplätzen auf den Grundstücken mit den Fl.Nrn. …4, …4/3 und …5 der Gemarkung … (…- …-Str., …). Von den Festsetzungen des Bebauungsplans wurden Befreiungen bezüglich der Höheneinstellung, der Dachform (Anbauten), der privaten Grünfläche und der Art der Dacheindeckung erteilt. In den Auflagen zur Baugenehmigung findet sich unter Ziffer „5. Auflagen“ u.a. die Regelung, dass an den auf dem Grundstück Fl.Nr. …3 gelegenen Immissionsorten die Beurteilungspegel infolge des regulären Betriebs des SB-Marktes mit Backshop die gemäß TA Lärm an WA-Gebieten geltenden Immissionsrichtwerte von tagsüber 55 dB(A) und nachts 40 dB(A) nicht überschreiten dürfen. Nach Ziffer 5.1.3 ist das Gutachten des TÜV Hessen vom 18. Dezember 2018 (Gutachten Nr. T 1276 über die zu erwartende Geräuschbelastung durch einen geplanten …-Markt in der …- …-Straße in 9… …) nach den Festsetzungen des (vorhabenbezogenen Bebauungsplans) mit Ergänzung des Gutachtens vom 11. Dezember 2019 Bestandteil der Genehmigung.
3. Gegen die Baugenehmigung vom 17. Dezember 2019 ließ der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten am 16. Januar 2020 bei Gericht Klage erheben (Az. W 5 K 20.133). Mit Schriftsatz vom 20. Mai 2020, eingegangen bei Gericht am 25. Mai 2020, ließ er beantragen:
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 17.12.2019, Aktenzeichen: …, wird angeordnet.
Zur Begründung ließ der Antragsteller im Wesentlichen Folgendes vortragen: Die aufschiebende Wirkung für die im Januar 2020 erhobene Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung sei anzuordnen, da kein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bestehe und überdies die Klage Aussicht auf Erfolg habe, da die Baugenehmigung rechtswidrig sei und die Rechte des Antragstellers verletze. Im vorhabenbezogenen Bebauungsplan „großflächiger Einzelhandel“ habe der Markt … gemäß Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO die Tiefe der Abstandsflächen auf 0,4 H, mindestens 3 m, verringert. Die Anwendung der 0,4 H-Regelung in Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO führe dazu, dass die etwa 30 m lange Außenwand des geplanten Einkaufsmarktes, die dem Grundstück des Antragstellers Fl.Nr. …3 zugewandt sei, lediglich einen Abstand von ca. 4,50 m zum Grundstück des Antragstellers einhalte. Unter Berücksichtigung der Gebäudehöhe von ca. 10 m und des Umstandes, dass das Gelände des Grundstücks des Antragstellers in Richtung Nord-Osten zur Pleichach abfalle, führe dies zu einer erheblichen Verschattung des Grundstücks des Antragstellers. Dies habe sowohl negative Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Nutzung als auch für eine Wohnnutzung des Grundstücks. Der Lichteinfall und die Besonnung des Grundstücks des Antragstellers würden durch die auf ca. 4,5 m herangerückte, außerordentlich lange und hohe Gebäudeaußenwand auf der Südwestseite und damit Lichtseite des Grundstücks des Antragstellers deutlich verringert. Diese Umstände hätte der Markt … bei Beschluss des vorhabenbezogenen Bebauungsplans entsprechend Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO berücksichtigen müssen. Danach dürften ausreichende Belichtung und Belüftung bei der Zulassung von geringeren Tiefen der Abstandsfläche nicht beeinträchtigt werden. Die Gemeinde habe die konkret betroffenen Interessen abzuwägen und für einen angemessenen Interessenausgleich zu sorgen. In Ziffer 6.1. der Begründung zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan rechtfertige der Markt … die Reduzierung der Abstandsfläche auf 0,4 H damit, dass die reduzierten Abstandsflächen sich auf die nordwestliche und nordöstliche Grenze des Baugebiets bezögen, wo – so wörtlich – entweder „landwirtschaftliche Flächen oder das Überschwemmungsgebiet der Pleichach angrenzten“, somit „Flächen, die für eine Bebauung nicht zur Verfügung stünden“. Diese Rechtfertigung sei aber im Hinblick auf den Flächennutzungsplan, der das Grundstück Fl.Nr. …3 des Antragstellers weiterhin als W-Fläche für Wohnbebauung ausweise, nicht zutreffend. Der Markt … sehe vielmehr vor, von den sich im Eigentum des Antragstellers befindlichen Grundstücken Fl.Nrn. …2 und …3 für die Hochwasserfreilegung „…“ Grundfläche von insgesamt 2.000 m² zu beanspruchen. Nach durchgeführter Hochwasserfreilegung befinde sich das Grundstück Fl.Nr. …3 komplett außerhalb des HQ100-Hochwasserbereichs und sei für die Bebauung geeignet. Die Festsetzung unter Ziffer 1.2.2. im vorhabenbezogenen Bebauungsplan Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ zur Verringerung der Abstandsfläche auf 0,4 H sei daher nicht rechtmäßig, da sie sich aus einer nicht zutreffenden Begründung herleite und überdies die Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO nicht berücksichtige. Sie könne bei der erteilten Baugenehmigung keine Beachtung finden, so dass es bei dem Abstand von 1 H verbleiben müsse.
Überdies werde der Anspruch des Antragstellers auf Wahrung der gebotenen Rücksichtnahme gegenüber seinem Grundstück Fl.Nr. …3 verletzt. Die Bebauung mit einem Gebäude, das eine Außenwand mit einer Länge von ca. 30 m aufweise und eine Traufhöhe von ca. 10 m habe, dabei aber nur einen Abstand von ca. 4,50 m zum Grundstück des Antragstellers einhalte, erweise sich als ein Vorhaben, das das Maß dessen übersteige, was einem Nachbarn billigerweise zuzumuten sei. Dies gelte umso mehr, als weiterhin eine Wohnbebauung auf dem Grundstück des Antragstellers möglich sei und auch vom Markt … so bestätigt werde. Der geringe Abstand des massiven Bauwerks auf der Südwestseite zum Grundstück Fl.Nr. …3 führe zu einer Verschattung und der Beeinträchtigung der Lichtzufuhr möglicher Wohnräume. Auch die landwirtschaftliche Nutzung sei durch das Heranrücken des massiven Gebäudes erheblich beeinträchtigt. Die geplante Ausbildung der Böschung auf weit über 30 m Länge bis an die Grenzlinie bringe es weiter mit sich, dass ein Randstreifen des Grundstücks von mindestens 1 m dauerhaft nicht bzw. nicht ohne Einschränkung angebaut werden könne.
Dem Antragsteller sei nicht an einer Verhinderung des geplanten Marktes gelegen. Es gehe ihm ausschließlich darum, dass seine nachbarlichen Belange auf ausreichende Belichtung und Besonnung seines Grundstücks sowohl für eine landwirtschaftliche Nutzung als auch für eine mögliche Wohnbebauung berücksichtigt würden.
4. Das Landratsamt W. stellte für den Antragsgegner den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei nicht begründet, da die erteilte Baugenehmigung rechtmäßig sei und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletze. Das streitgegenständliche Vorhaben halte die Vorgaben des Bebauungsplans Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ ein; die Befreiungen seien rechtmäßig erteilt worden. Darüber hinaus liege weder ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht vor noch ein Abwägungsmangel im zugrundeliegenden Bauleitplanverfahren sowie kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Die im Bebauungsplan nach Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO festgesetzten Abstandsflächen von 0,4 H, mindestens 3 m, seien durch das streitgegenständliche Vorhaben eingehalten. Der Bebauungsplan sei abwägungsfehlerfrei zustande gekommen und berücksichtige die nachbarlichen Belange des Antragstellers in ausreichender Weise. Ausweislich Nummer 6.1 der Begründung zum Bebauungsplan wolle die Gemeinde durch die Reduzierung des Abstandsflächenmaßes eine optimale Ausnutzung der Baugrundstücke und damit einen sparsamen Umgang mit Grund und Boden gewährleisten. Hierbei handele es sich um einen Belang, der ausdrücklich in § 1a BauGB benannt sei. Hinsichtlich der vom Antragsteller gerügten Bezugnahme der Begründung des Bebauungsplans auf eine fehlende Bebaubarkeit der Grundstücke des Antragstellers werde darauf hingewiesen, dass nach der aktuellen Sach- und Rechtslage die beiden Grundstücke im amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Pleichach lägen. Inwieweit eine mögliche, zukünftige Hochwasserfreilegung zu einer Verschiebung bzw. Verkleinerung des Bereiches des Überschwemmungsgebiets führe, könne aktuell nicht beurteilt werden. Einer Bebaubarkeit stehe damit bereits die Lage im Überschwemmungsgebiet entgegen. Höchst hilfsweise werde zudem darauf hingewiesen, dass die Grundstücke des Antragstellers bauplanungsrechtlich selbst dann immer noch im Außenbereich lägen. Beim Flächennutzungsplan handele es sich lediglich um einen vorbereitenden Bauleitplan, der auch mit der Darstellung von Wohnbauflächen noch kein unmittelbares Baurecht schaffe. Auch im Übrigen seien bezüglich des reduzierten Abstandsflächenmaßes keine Abwägungsfehler ersichtlich. Selbst wenn eine Bebaubarkeit der Grundstücke des Antragstellers gegeben wäre, müssten die dort zu errichtenden (Wohn-)Gebäude selbst wiederum eine Abstandsfläche von 1 H einhalten, was zu den 0,4 H (= 4,5 m) des streitgegenständlichen Bauvorhabens hinzukomme. Dem Sinn und Zweck des Abstandsflächenrechts, nämlich ausreichender Belichtung und Belüftung, sei damit durch eine ausreichende Abstandsfläche zwischen den baurechtlich zulässigen Gebäuden Rechnung getragen. Der Antragsteller werde durch die Reduzierung der Abstandsflächen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ nicht in der Bebaubarkeit seines Grundstücks eingeschränkt. Die vom Antragsteller angesprochene Übertragung des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO auf die bauleitplanerische Abwägung sei nur begrenzt möglich, da gerade keine planwidrige Regelungslücke bestehe. Der Gesetzgeber habe bewusst davon abgesehen, die Abstandsflächenverkürzung mittels gemeindlicher Satzung an spezielle inhaltliche Vorgaben zu binden, sondern sie in die kommunale Planungshoheit überführt. Zu bedenken sei zudem, dass es sich vorliegend um ein Sondergebiet für einen großflächigen Einzelhandelsbetrieb i.S.v. § 11 BauNVO handele. Bei einem Gewerbegebiet, zu dem ein Einzelhandelsbetrieb eine gewisse Nähe aufweise, lasse der Gesetzgeber nach Art. 6 Abs. 5 BayBO sogar eine Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,25 H zu. Insofern habe die Gemeinde in ihrer Abwägung auch den vom Antragsteller angesprochenen abstandsflächenrechtlichen Wertungen des Gesetzgebers Rechnung getragen. Inwieweit das streitgegenständliche Vorhaben daneben in unzumutbarer Weise zu einer Verletzung der Rechte des Antragstellers bezüglich Belichtung, Besonnung und Belüftung führen solle, sei nicht in substantiierter Weise vorgetragen worden.
Auch das Gebot der Rücksichtnahme werde durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht verletzt. Unabhängig davon, dass eine sachgerechte Umsetzung des Gebots der Rücksichtnahme im Bebauungsplanbereich regelmäßig bereits in der den einzelnen Festsetzungen zu Grunde liegenden Abwägung i.S.v. § 1 Abs. 7 BauGB enthalten sei und ein Rückgriff auf das Rücksichtnahmegebot zur Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren nur in Ausnahmefällen in Betracht komme, liege hier keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots vor. Das Nachbargrundstück des Antragstellers sei nicht mit einem Gebäude bebaut. Im Übrigen sei weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, wie bei der Höhe des Bauvorhabens von etwa 9 m gegenüber dem natürlichen Gelände und einem Grenzabstand von 4,5 m – auch bei einer entsprechenden Länge des Gebäudes – eine erdrückende Wirkung bestehen solle, zumal sie nur eine Grundstücksseite des Anwesens des Antragstellers betreffe und die zugrundezulegenden Abstandsflächen eingehalten seien.
Zudem sei nicht ersichtlich, wie der Antragsteller durch das streitgegenständliche Vorhaben in der Bewirtschaftung eines 1 m breiten Randstreifen seiner Grenze zum Baugrundstück eingeschränkt werde und eine entsprechende Nutzung verhindert werde. Die Böschungen in Richtung Norden zum Grundstück Fl.Nr. …3 seien nach Einwendungen des Antragstellers im Zuge der Umplanung und der letztlich genehmigten Planung abgeändert worden. Die Auffüllungshöhe sei auf maximal 1,5 m reduziert worden. Es werde zur nördlichen Grenze hin abgeböscht mit einem maximalen Böschungswinkel von ca. 34,5°. Weiterhin würden die Böschungen gemäß des Freiflächenplans vom 22. November 2019 gegen Abrutschen gesichert, wie bereits im Bebauungsplan gefordert. Baurechtliche Gründe, warum die Böschung nicht bis an die Grundstücksgrenze gezogen werden dürfe, seien nicht ersichtlich.
5. Die Beigeladene äußerte sich nicht.
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Drittanfechtungsklage des Antragstellers im Verfahren W 5 K 20.133 (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil er sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wendet (§ 212a BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
2. Der Antrag ist darüber hinaus begründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 89 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung des Landratsamts Würzburg vom 17. Dezember 2019 voraussichtlich Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid den Antragsteller in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Das Landratsamt Würzburg ist in zutreffender Weise vom regulären Genehmigungsverfahren des Art. 60 BayBO ausgegangen, da ein Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 Nr. 4 BayBO vorliegt.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
2.1. Nach einer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung der Rechtslage kann die Kammer keinen beachtlichen Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorgaben erkennen (Art. 60 Satz 1 Nr. 1 BayBO).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens der Beigeladenen beurteilt sich nach § 33 BauGB in Verbindung mit den Festsetzungen des Bebauungsplanentwurfs „Sondergebiet ‚großflächiger Einzelhandel‘“ des Marktes … Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung, nämlich der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung am 17. Dezember 2019, war der Bebauungsplan noch nicht in Kraft getreten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob eine Baugenehmigung Rechte eines Nachbarn verletzt, ist dabei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der jeweiligen Baugenehmigung. Lediglich nach diesem Zeitpunkt eintretende Tatsachen- oder Rechtsänderungen zu Gunsten des jeweiligen Bauherrn bleiben bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung berücksichtigungsfähig (vgl. BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – NVwZ 1998, 1179 f.; BayVGH, B.v. 25.8.2009 – 1 CS 09.287 – juris Rn. 28).
Zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung waren die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BauGB gegeben. So ist insbesondere vom Vorliegen der formellen Planreife i.S.v. § 33 Abs. 1 Nr. 1 BauGB auszugehen. Hiernach ist erforderlich, dass die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 2 und § 4a Abs. 2 bis 5 BauGB durchgeführt worden ist. Formelle Planreife bedeutet das Erreichen des in § 33 BauGB bestimmten Standes des Verfahrens zur Aufstellung des Bebauungsplanes (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Okt. 2019, § 33 Rn. 31). Diesen Verfahrensstand hatte der Bebauungsplan „Sondergebiet ‚großflächiger Einzelhandel‘“ zum maßgeblichen Genehmigungszeitpunkt am 17. Dezember 2019 erreicht. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ist weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit von Vorhaben während der Planaufstellung, dass die Planungsarbeiten einen Stand erreicht haben, der die Annahme rechtfertigt, dass das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegenstehen wird (materielle Planreife). Die Planung muss dafür inhaltlich und zeitlich so weit fortgeschritten sein, dass ein unverändertes Inkrafttreten des Bebauungsplans insgesamt hinreichend sicher voraussehbar ist (vgl. Reich in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 33 Rn. 9 m.w.N.). Hiervon ist aufgrund des Standes der Planung im Dezember 2019 auszugehen. Letztlich kann eine detaillierte Überprüfung der Kriterien des § 33 BauGB aber offenbleiben, da selbst für den Fall, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 BauGB objektiv rechtswidrig sein sollte, die Nachbarklage nur dann erfolgreich wäre, wenn der Nachbar durch die Baugenehmigung in eigenen Rechten verletzt würde. § 33 BauGB vermittelt nämlich selbst unmittelbar keinen Nachbarschutz. Für den Nachbarschutz im Anwendungsbereich des § 33 BauGB gelten dieselben Grundsätze wie für den Nachbarschutz im Geltungsbereich eines bereits in Kraft gesetzten Bebauungsplans. Nur soweit die künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans drittschützende Wirkung haben, kann sich der Nachbar gegen deren Missachtung zur Wehr setzen (VG München, U.v. 29.1.2019 – M 1 K 18.3705 – juris Rn. 27 m.w.N.).
Die erteilte Baugenehmigung steht im Einklang mit der künftigen Festsetzung zu der Art der baulichen Nutzung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, soweit der vorhabenbezogene Bebauungsplan die Festsetzung gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO („großflächige Einzelhandelbetriebe“) trifft.
Darüber hinaus ist ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot wegen unzumutbarer Lärmimmissionen nicht anzunehmen. Aufgrund der Schallpegelprognose des TÜV Hessen vom 18. Dezember 2018 (Bl. 36 ff. der Bauplanmappe im Verfahren „Tektur BG-2019-218“; im Folgenden „d.A.“) mit der Ergänzung vom 10. Dezember 2019 (Bl. 59 ff. d.A.), der fachtechnischen Stellungnahme des Technischen Immissionsschutzes vom 11. Dezember 2019 (Bl. 256 f. d.A.) sowie den Auflagen in der Baugenehmigung vom 17. Dezember 2019 erscheint eine Unterschreitung der Lärmgrenzwerte auch an den den Antragsteller betreffenden Immissionsorten als sichergestellt.
2.2. Allerdings ist eine Verletzung des Bauordnungsrechts (Art. 60 Satz 1 Nr. 2 BayBO) zu verzeichnen, da das Bauvorhaben die nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück des Antragstellers nicht einhält. Damit sind die Rechte des Antragstellers verletzt.
2.2.1. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Diese müssen auf dem Grundstück selbst liegen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsflächen grundsätzlich 1 H, mindestens 3 m. Nach Satz 2 genügt in Gewerbe- und Industriegebieten eine Tiefe von 0,25 H, mindestens aber 3 m. Diese Privilegierung gilt jedoch bereits ausweislich des Wortlauts nur für die dort genannten Gebiete, so dass sie in einem Sondergebiet „großflächiger Einzelhandel“ (vgl. § 11 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO), welches hier durch vorhabenbezogenen Bebauungsplan festgesetzt ist, keine Anwendung findet.
Für das Bauvorhaben greift infolgedessen die Grundregel des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO (Abstand 1 H) ein, so dass es zum nordöstlich gelegenen Grundstück des Antragstellers (Fl.Nr. …3) einen Abstand von 9,18 m einhalten müsste. Eingehalten wird tatsächlich aber nur ein Abstand von ca. 4,50 m (vgl. Abstandsflächenplan; Bl. 328 d.A.).
2.2.2. Eine Verkürzung der gesetzlichen Abstandsflächen kommt vorliegend auch nicht kraft planerischer Festsetzung des Bebauungsplans unter Ziffer 1.2.2. in Betracht, vgl. Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO. Nach der Regelung im vorhabenbezogenen Bebauungsplan, die ausdrücklich auf Art. 6 Abs. 7 BayBO Bezug nimmt, sind bei allen zu errichtenden Gebäuden Abstandsflächen von 0,4 H, mindestens drei Meter einzuhalten. Die Kammer hat nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgten summarischen Prüfung der Rechtslage erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Regelung, wodurch die Wirksamkeit der Verkürzung der Abstandsflächen im vorhabenbezogenen Bebauungsplan in Frage steht.
Gemäß Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO kann die Gemeinde durch Satzung, die auch im Rahmen eines Bebauungsplans erlassen werden kann (Art. 81 Abs. 2 BayBO), abweichend von Art. 6 Abs. 4 Sätze 3 und 4, Abs. 5 Sätze 1 und 2 sowie Abs. 6 BayBO für ihr Gemeindegebiet oder Teile ihres Gemeindegebiets vorsehen, dass die Tiefe der Abstandsfläche 0,4 H, mindestens jedoch 3 m beträgt. Nach ganz h.M. handelt es sich hierbei um ein vom Gesetzgeber geregeltes alternatives staatliches System zum Abstandsflächenrecht im Sinne einer Experimentierklausel für die Gemeinden (so Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand: Mai 2019, Art. 6 Rn. 200). Der Gesetzgeber hat damit eine gesetzliche Planungsentscheidung getroffen, bezüglich deren Übernahme durch Erlass einer entsprechenden Satzung für die Gemeinden ein weites Ermessen besteht (BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 15 CS 12.2425 – BeckRS 2013, 49680 Rn. 17). Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 6 Abs. 7 BayBO normiert daher auch keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer derartigen Satzung (BayVGH, U.v. 15.12.2008 – 22 B 07.143 – juris Rn. 24). Dem Antragsgegner ist hier daher insofern zuzustimmen, dass zumindest in den Fällen, in denen eine Abstandsflächensatzung für das gesamte Gemeindegebiet erlassen wird, der Gesetzgeber eine Abwägung der Interessen von Bauherr und Gemeinwohl bzw. Nachbar quasi allgemein vorweggenommen hat und daher eine nochmalige Abwägung durch die Gemeinde bei Satzungserlass entbehrlich ist (BeckOK, BayBO, Stand: Nov. 2019, Art. 6 Rn. 195).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat jedoch im Falle einer Abstandsflächensatzung mit – wie hier – „räumlich begrenztem Geltungsbereich“ festgestellt, dass trotz des weiten Ermessensspielraums der Gemeinden bei Aufstellung einer Abstandsflächensatzung nach Art. 6 Abs. 7 BayBO Einschränkungen durch höherrangiges Recht bestehen, die umso schwerer zu überwinden sind, je kleiner der Teil des Gemeindegebiets ist, auf den sich der Geltungsbereich der Satzung erstreckt (BayVGH, U.v. 15.12.2008 – 22 B 07.143 – juris Rn. 26). Die Gemeinde kann zwar – auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 14 Abs. 1 GG – aufgrund der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung Teile ihres Gemeindegebiets abstandsflächenrechtlich anders behandeln, wobei eine Schlechterstellung der betroffenen Nachbarn in Kauf genommen wird. Dies darf aber nur unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 118 Abs. 1 BV) und des Rechtsstaatsgebots (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) geschehen, was sachgerecht zu begründen ist (BayVGH a.a.O.; BeckOK, BayBO, Stand: Nov. 2019, Art. 6 Rn. 195; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand: Mai 2019, Art. 6 Rn. 214).
An eben einer solchen sachgerechten Begründung fehlt es im vorliegenden Fall.
Die Regelung der Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,4 H in Ziffer 1.2.2. des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „Sondergebiet ‚großflächiger Einzelhandel‘“ bezieht sich auf einen eng begrenzten Teil des Gemeindegebiets für „ein“ Vorhaben, welches zudem auf Teilflächen von nur drei Grundstücken im bisherigen Außenbereich der Gemeinde verwirklicht werden soll. Es handelt sich mithin nicht um einen Teil der Gemeinde von einigem Gewicht, der sich durch besondere Strukturen von anderen Gemeindeteilen abhebt und für den die Gemeinde eine grundlegende Neuordnung des Abstandsflächenrechts anstrebt. Vielmehr wird für ein spezielles Bauvorhaben eine Verkürzung der Abstandsflächen unter dem Regime der Experimentierklausel des Art. 6 Abs. 7 BayBO vorgenommen. Angesichts dieser Tatsache trifft die planende Gemeinde eine gesteigerte Verpflichtung, in der Begründung zum Bebauungsplan hinsichtlich der Regelung des Art. 6 Abs. 7 BayBO die städtebaulichen Gründe und planungsrechtlichen Vorgaben detailliert darzulegen, die nachbarlichen Belange zu eruieren und dies in einem rechtsförmlichen Verfahren zu dokumentieren.
In der Begründung zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan „Sondergebiet ‚großflächiger Einzelhandel‘“ in der Endfassung vom 12. Dezember 2019 findet sich unter Ziffer „6.1. Bebauung“ (vgl. S. 5 der Begründung) ebenso wie in den Vorgängerfassungen lediglich die Feststellung, dass durch die Reduzierung der Abstandsflächen auf 0,4 H, mindestens 3 m, eine optimale Ausnutzung der Grundstücke und ein sparsamer Umgang mit Grund und Boden gewährleistet werden solle. Die reduzierten Abstandsflächen bezögen sich auf die „nordwestliche und nordöstliche Grenze des Baugebiets, wo entweder landwirtschaftliche Flächen oder das Überschwemmungsgebiet der Pleichach angrenzen, somit Flächen, die für eine Bebauung nicht zur Verfügung stehen“. Im Übrigen würden zum Ortsrand und zur Kreisstraße hin aufgrund der festgesetzten Baugrenzen ohnehin größere Abstandsflächen realisiert.
Das Landratsamt Würzburg hatte im Aufstellungsverfahren zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan mehrmals darauf hingewiesen, dass die Anforderungen an eine Begründung der Verkürzung der nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen nicht erfüllt sind. Zuletzt hat das Landratsamt Würzburg dies in einem Schreiben vom 25. Oktober 2019 zum Ausdruck gebracht, indem eine detailliertere Abwägung der betroffenen Belange angemahnt wurde (vgl. Verfahrensakte des Marktes … zur Aufstellung des Bebauungsplans, Beteiligung der Träger öffentlicher Belange, Abschnitt 19). Bereits in dem vorhergehenden Beteiligungsverfahren hat das Landratsamt Würzburg mit Schreiben vom 24. April 2019 auf die erforderliche Ergänzung der Begründung hingewiesen (vgl. Verfahrensakte des Marktes … zur Aufstellung des Bebauungsplans, Abschnitt 13). Erst daraufhin hat überhaupt erst eine Begründung in den Entwurf des Bebauungsplans vom 5. September 2019 Eingang gefunden (Verfahrensakte des Marktes … zur Aufstellung des Bebauungsplans, Abschnitt 18).
Diese Begründung ist auch im Hinblick auf die Einwendungen des Antragstellers (vgl. Schreiben vom 17. Oktober 2019, 18. März 2019 und 5. März 2018) im Aufstellungsverfahren nicht mehr ergänzt bzw. überarbeitet worden. Vielmehr wurde seitens des Marktes … jeweils auf die Einhaltung der Abstandsflächen im Bebauungsplan und die oben zitierte Begründung unter Ziffer 6.1. verwiesen. Aus den vorgelegten Unterlagen zum Planaufstellungsverfahren ergibt sich nicht, dass weitere Aspekte diskutiert worden sind und in den Entscheidungs- und Abwägungsprozess Eingang gefunden haben.
Die vom Markt … gegebene Begründung genügt den Anforderungen an eine fehlerfreie Ausübung des Ermessens im Rahmen des Art. 6 Abs. 7 Nr. 2 BayBO nicht. Angesichts der Tatsache, dass die Verkürzung der Abstandsflächen quasi vorhabenbezogen auf einen kleinen Teil des Gemeindegebiets erfolgt, sind die Anforderungen an eine Darlegung der Gründe hierfür angesichts der Wahrung des Gleichbehandlungs- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erhöht. Die städtebaulichen Gründe „optimale Ausnutzung der Grundstücke“ und „sparsamer Umgang mit Grund und Boden“ stellen keine nur diesen Sonderfall betreffenden Argumente dar, sondern vielmehr generell zu beachtende, bei allen Planungsentscheidungen geltende Zielvorgaben (vgl. etwa § 1a Abs. 2 BauGB). Warum gerade für diesen Bereich der Gemeinde städtebauliche Besonderheiten aufgrund der Grundstückssituation gelten sollten, kommt damit nicht zum Ausdruck. Auch ist weder dargetan noch ersichtlich, dass eine gleichartige Situation nicht auch in anderen Teilen des Gemeindegebiets bestehen kann, womit auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung schwerwiegende Bedenken bestehen.
Eine Würdigung der Nachbarbelange ist zwar mit Hinweis auf die landwirtschaftliche Nutzung der angrenzenden Grundstücke im Nordwesten und Nordosten, deren Belegenheit im festgesetzten Überschwemmungsgebiet der Pleichach sowie deren erschwerte Bebaubarkeit erfolgt. Doch erscheint auch diese Würdigung fragwürdig, da die Gemeinde gleichzeitig eine Wohnbaufläche im Flächennutzungsplan insbesondere auf dem Grundstück Fl.Nr. …3 der Gemarkung … dargestellt hat. Darüber hinaus bleibt die Darlegung der besonderen Gründe der Nachbarschaft, die eine Abstandsflächenverkürzung rechtfertigen könnten, an der Oberfläche. Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, da jedenfalls insgesamt davon auszugehen ist, dass die planaufstellende Gemeinde eine die Abstandsflächenverkürzung auf einer derart kleinen Fläche rechtfertigende Sondersituation aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse bzw. der besonderen baulichen Situation nicht hinreichend geprüft und begründet hat. Zudem erweist sich die Begründung mit Blick auf Art. 6 Abs. 7 BayBO insoweit als in sich inkonsequent und unschlüssig, als ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan unter Ziffer 6.1. eine Reduktion der Abstandsflächen lediglich hinsichtlich der nordöstlichen und nordwestlichen Grenze des Bebauungsplangebiets erkannt wird, im Übrigen („zum Ortsrand und zur Kreisstraße hin“) aber aufgrund der festgesetzten Baugrenzen von größeren Abständen ausgegangen wird. Das bedeutet, dass eben gerade nicht für den Sonderfall des Plangebiets insgesamt eine generelle Verkürzung der Abstandsflächen vorgenommen werden soll und hierfür besondere städtebauliche Gründe vorliegen. Vielmehr geht es dem Planersteller darum, nur für die Grenze im Nordosten und Nordwesten und damit quasi „einzelfallbezogen“ – insbesondere zum Grundstück Fl.Nr. …3 – die Abstandsflächen zu verkürzen. Dies widerspricht der Intention des Gesetzgebers, mit Art. 6 Abs. 7 BayBO ein alternatives staatliches System zum Abstandsflächenrecht allgemein zur Verfügung zu stellen, von dem die Gemeinde für ihr Gemeindegebiet Gebrauch machen kann.
Angesichts dessen unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von den ähnlich gelagerten, bereits entschiedenen Fällen, in welchen der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Stellung zu den Anforderungen des Art. 6 Abs. 7 BayBO genommen hat. In der Entscheidung vom 15. Dezember 2008 (22 B 07.143 – juris) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zwar dargelegt, dass besondere örtliche Situationen in einer Gemeinde es auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtfertigen können, eine Abstandsflächensatzung auf eine relativ kleine Fläche zu beschränken. In dem dort streitgegenständlichen Fall hat die Gemeinde jedoch die örtliche Sondersituation – einerseits alteingesessener Betrieb im Außenbereich und dessen Erweiterung, Modernisierung, wirtschaftlicher Fortbestand sowie die Erhaltung der Arbeitsplätze, andererseits keine realisierbaren Bebauungsabsichten und minimaler Rückgang der Ertragsfähigkeit auf den Nachbargrundstücken – ausführlich erwogen (vgl. BayVGH a.a.O. Rn. 27). Gleiches gilt für die der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Februar 2020 (15 ZB 17.149 – juris), die ein Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg bestätigt (U.v. 26. Juli 2016 – n.v.). Auch dort hatte die planende Gemeinde in der Abstandsflächensatzung ihre städtebaulichen Gründe für die Verkürzung der Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 7 BayBO umfassend dargelegt und dokumentiert. Das Verwaltungsgericht hat hierbei festgestellt, dass die die beklagte Stadt im Hinblick auf den Umgriff der Satzung und den räumlichen Geltungsbereich mit den Besonderheiten des Bauquartiers in Abgrenzung zu benachbarten Gebieten eine hinreichende Begründung geliefert hat (Festsetzung von Sanierungszielen in diesem Bereich, besonderer Grundstückszuschnitt, Zulassung einer innenstadttypischen Karreebebauung, Grundsatz der Innenverdichtung).
Im vorliegenden Fall findet sich eine solche, auf die spezielle örtliche Situation zugeschnittene Argumentation weder in der Begründung zu dem in Aufstellung befindlichen vorhabenbezogenen Bebauungsplan noch in den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Behördenakten. Es spricht daher – vorbehaltlich einer vertieften Überprüfung im Hauptsacheverfahren – vieles dafür, dass die Aufnahme der Regelung Ziffer 1.2.2. (Verkürzung der Abstandsflächen auf 0,4 H) in den Bebauungsplan nicht wirksam ist.
Damit verbleibt es bei der Erforderlichkeit eines Abstands von 1 H nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO. Da dieser Abstand – wie bereits dargelegt – nicht eingehalten ist, werden Nachbarrechte des Antragstellers verletzt, ohne dass es darüber hinaus der Feststellung eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot bedarf.
3. Nachdem die Klage des Antragstellers nach allem voraussichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird, überwiegt sein Interesse an der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage das Interesse der Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung. Zudem erscheint die Aussetzung der Vollziehbarkeit der Baugenehmigung trotz § 212a Abs. 1 BauGB angezeigt, um die Schaffung vollendeter Tatsachen zu vermeiden (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 11.1.2005 – 14 CS 04.2921 – BeckRS 2005, 15777). Das Interesse des Antragstellers, dass vor Unanfechtbarkeit der Baugenehmigung keine kaum mehr rückgängig zu machenden Tatsachen geschaffen werden, ist gegenüber dem Interesse der Beigeladenen am Sofortvollzug der Baugenehmigung deutlich gewichtiger.
Dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt hat, ist sie nicht an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen (§ 154 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache einen Streitwert von 12.500,00 EUR als angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).

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