Aktenzeichen 8 C 3/20
Leitsatz
Besondere Verhältnisse nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG sind vorübergehende Sondersituationen, die eine außerbetriebliche Ursache haben. Sie dürfen nicht vom Arbeitgeber selbst geschaffen sein.
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 11. Dezember 2019, Az: 4 A 738/18, Urteilvorgehend VG Düsseldorf, 15. Januar 2018, Az: 29 K 8347/15, Urteil
Tenor
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Kosten des Revisionsverfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Tatbestand
1
Die Beigeladene ist die Tochtergesellschaft eines Online-Versandhändlers. Sie ist mit der Ausführung der auf dessen Webseite eingehenden Bestellungen betraut. Im November 2015 beantragte sie bei dem Beklagten eine Bewilligung zur Beschäftigung von jeweils 800 Arbeitnehmern an zwei Adventssonntagen am 13. und 20. Dezember 2015 nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG. Im Zeitraum 1. bis 24. Dezember 2015 sei mit einem gegenüber dem regulären Betrieb deutlich erhöhten Bestelleingang zu rechnen, der durch die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte, die Erhöhung der Schichtarbeitszeit und eine Verlagerung der Abwicklung der Bestellungen auf andere Tochterunternehmen nicht vollständig aufgefangen werden könne. Ohne die beantragte Sonntagsarbeit werde die Zahl der unbearbeiteten Bestellungen bis Weihnachten 2015 voraussichtlich auf 500 000 anwachsen. Dem Unternehmen drohe dadurch ein unverhältnismäßig hoher wirtschaftlicher Schaden. Kunden würden sich abwenden. Entschädigungen wegen nicht eingehaltener Lieferzusagen müssten geleistet werden. Außerdem müssten Schadensersatzansprüche von Lieferanten und Dritten befriedigt werden, wenn Waren wegen voller Lager nicht abgenommen werden könnten.
2
Der Beklagte erteilte die Bewilligung am 9. Dezember 2015. Die Klägerin – eine Gewerkschaft für Dienstleistungsberufe – hat vor dem Verwaltungsgericht die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bewilligung erstritten. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen. Die Klage sei als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, weil die erteilte Bewilligung sich durch Zeitablauf erledigt habe. Die Klägerin habe wegen Wiederholungsgefahr ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Es sei damit zu rechnen, dass die Beigeladene in Zukunft weitere im Wesentlichen gleichartige Anträge auf Bewilligung von Sonntagsarbeit stellen werde. Der Beklagte habe nicht eindeutig erkennen lassen, dass er diese zukünftig ablehnen werde. Die Klägerin sei auch klagebefugt. Sie könne eine mögliche Verletzung von § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG rügen, weil die erteilte Bewilligung sie in ihrem Tätigkeitsbereich betreffe und nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie durch die Bewilligung mehr als nur geringfügig beeinträchtigt werde. Die Bewilligung sei von § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG nicht gedeckt. Es lägen bereits keine besonderen Verhältnisse vor, die die Erteilung der Bewilligung rechtfertigen könnten. Die von der Beigeladenen befürchteten wirtschaftlichen Nachteile beruhten zumindest auch maßgeblich auf dem Geschäftsmodell der Muttergesellschaft, das die Beigeladene sich zurechnen lassen müsse. Die angefochtene Bewilligung verletze die Klägerin auch in ihren Rechten, weil sie diese in ihrem Tätigkeitsbereich betreffe und ihre Tätigkeit mehr als nur geringfügig beeinträchtige. Letzteres folge bereits daraus, dass die angegriffene Bewilligung an zwei Sonntagen die Beschäftigung von jeweils 800 Arbeitnehmern erlaube.
3
Zur Begründung ihrer Revisionen machen der Beklagte und die Beigeladene geltend, die Klage sei mangels Klagebefugnis unzulässig. § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG schütze nur die Interessen von Arbeitnehmern, nicht aber diejenigen der Gewerkschaften. Die Klägerin habe zudem nicht die Möglichkeit der Beeinträchtigung in ihren Rechten durch die angefochtene Bewilligung dargetan. Anders als in den Fällen durch Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 1 und 2 ArbZG zugelassener Ausnahmen vom Sonn- und Feiertagsschutz reiche für eine Ausnahme durch Verwaltungsakt nach § 13 Abs. 3 ArbZG die pauschale Behauptung einer möglichen Rechtsverletzung nicht aus. Anderenfalls bestünde eine allumfassende Klagebefugnis der Gewerkschaften bei Anwendung des § 13 Abs. 3 ArbZG, die Gewerkschaften gegenüber Arbeitnehmern unzulässig privilegiere. Letztere könnten gegen Bewilligungen gemäß § 13 Abs. 3 ArbZG zulässigerweise nur klagen, wenn sie eine konkrete Beeinträchtigung durch die angegriffene Bewilligung nachwiesen. Bei einer derart weiten Anerkennung einer gewerkschaftlichen Klagebefugnis könne der Kreis der im Verwaltungsverfahren über die Erteilung der Ausnahmebewilligung nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG zu Beteiligenden nicht mehr rechtssicher gezogen werden.
4
Die Beigeladene hält die Klage zudem für unbegründet. Der von ihr geltend gemachte Schaden drohe wegen besonderer Verhältnisse im Sinne des § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG infolge der in der Weihnachtszeit erhöhten Nachfrage. Er könne nicht auf das Geschäftsmodell der Muttergesellschaft der Beigeladenen zurückgeführt werden. Dieses sei ganzjährig gleich geblieben.
5
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 2019 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 15. Januar 2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
7
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
8
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält einen vorhersehbaren saisonalen Bedarf nicht für ausreichend, um besondere Verhältnisse im Sinne von § 13 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b ArbZG annehmen zu können. Nach der zu § 105b GewO ergangenen fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Berliner Ladenöffnungsgesetz bedürfe jede Ausnahme von der Sonn- und Feiertagsruhe eines dem Gewicht dieses Belangs gerecht werdenden Sachgrundes. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse genüge insoweit regelmäßig nicht. Über ein solches gehe der von der Beigeladenen geltend gemachte Grund für die beantragte Sonntagsarbeit aber nicht hinaus.
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