Aktenzeichen M 13L DK 15.4572
StGB § 185, § 266
GO Art. 29, Art. 46 Abs. 2
BayDG Art. 13 Abs. 1 S. 1, Art. 14 Abs. 1, 2, Art. 25 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Bei der Verwirklichung des Untreuetatbestandes reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. für den vorliegend im Ruhestand befindlichen Beklagten bis zur Aberkennung des Ruhegehalts. Dieser Orientierungsrahmen ist auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil auf einen Ruhestandsbeamten zur Sicherstellung zukünftiger ordnungsgemäßer Pflichtenerfüllung in einem geringeren Ausmaß einzuwirken wäre, als auf einen noch im aktiven Dienst befindlichen Beamten. (Rn. 62 – 64) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Untreuehandlung eines Bürgermeisters ist aufgrund der mit dem Bürgermeisteramt verbundenen Vorbildfunktion gegenüber den Mitarbeitern der Verwaltung, was den gesetzeskonformen Vollzug der Kommunalabgaben betrifft, als schwerwiegendste Verletzung dienstlicher Kernpflichten einzuordnen. (Rn. 78) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Dem Beklagten wird das Ruhegehalt aberkannt.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die zulässig erhobene Disziplinarklage führt in Anwendung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) i.d.F. d. Bek. vom 24. Dezember 2005 (GVBl S. 665; BayRS 2031-1-1-F) zur Aberkennung des Ruhegehalts.
I.
Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Vom Beklagten wurden keine Verfahrensmängel geltend gemacht, sie sind auch sonst nicht erkennbar. Der Beklagte wurde zu allen Verfahrensschritten und nach dem Abschluss der Ermittlungen abschließend angehört.
II.
Den vom Kläger in der Disziplinarklage vorgenommenen Beschränkungen (Disziplinarklage vom 13.10.2015 zu III., S. 9 bis 11) folgt das Disziplinargericht.
Gegenstand der disziplinarrechtlichen Würdigung im vorliegenden Verfahren ist nach der Beschränkung somit der Sachverhalt, der vom Kläger im Einzelnen in der Disziplinarklage vom 13. Oktober 2015 (dort zu Ziffer IV., S. 11 mit 21) dargelegt worden ist. Darauf wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen nach Art. 3 BayDG i.V.m. § 117 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) verwiesen.
Dieser Sachverhalt steht zum einen fest durch die tatsächlichen Feststellungen im Strafverfahren, die als Inhalt der beigezogenen strafrechtlichen Ermittlungsakte dem Disziplinargericht zur eigenen Überzeugungsbildung vorgelegen (vgl. Art. 3 BayDG i.V.m. § 108 Abs. 1 VwGO) und die im Ergebnis zur Verurteilung des Beklagten mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 4. August 2014 geführt haben. Auch wenn die tatsächlichen Feststellungen in dem Strafbefehlsverfahren nicht an der Bindungswirkung nach Art. 55 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 BayDG teilnehmen, so kann das Disziplinargericht diese der Entscheidung im vorliegenden Verfahren ohne eine weitere nochmalige Prüfung zugrunde legen (Art. 55 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 BayDG). Das Vorbringen der Beklagtenseite im behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahren gebietet kein Abweichen von den tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehlsverfahren.
Über die tatsächlichen Feststellungen im Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 4. August 2014 hinaus sind die weiteren Sachverhalte, die dem Beklagten im Disziplinarverfahren zur Last gelegt werden, festgestellt durch die Ermittlungen des Klägers im Verfahren, die als Bestandteil der Disziplinarakte sowie der Beiakten des Klägers dem Disziplinargericht zur eigenen Überzeugungsbildung vorgelegen haben (Art. 3 BayDG i.V.m. § 108 Abs. 1 VwGO).
Damit ist für die durch das Disziplinargericht vorzunehmende disziplinarrechtliche Würdigung im Einzelnen von den nachfolgenden Sachverhalten auszugehen:
1. In den Jahren 2002 mit 2012 hat der Beklagte als Erster Bürgermeister der Gemeinde A. entgegen der ihm nach der Geschäftsordnung der Gemeinde eingeräumten Organkompetenz zwei Gewerbesteuerzahlern fällige (Vorauszahlungs-) Beträge dadurch faktisch gestundet, dass zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt Mahnung und Zwangsvollstreckung gegenüber den Schuldnern unterlassen wurden. Für diese Stundungen wurden weder Säumniszuschläge noch Stundungszinsen erhoben. Es wurde vom Beklagten auch nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer Stundung vorgelegen haben. Als Leiter der Gemeindeverwaltung war der Beklagte zur rechtzeitigen und vollständigen Erhebung der kommunalen Abgaben verpflichtet.
Dieses Verhalten des Beklagten erfüllte in dem gesamten Zeitraum 2002 mit 2012 die tatbestandlichen Voraussetzungen der Untreue nach § 266 Strafgesetzbuch (StGB). Wegen der Verfolgungsverjährung für die Jahre 2002 mit 2007 (vgl. Bl. 560 der beigezogenen strafrechtlichen Ermittlungsakten) wurde im Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 4. August 2014 nur der Zeitraum 2008 mit 2012 abgeurteilt.
Für den Zeitraum 2008 mit 2012 hat der Beklagte über die strafbare Untreue hinaus durch den von ihm als Erster Bürgermeister initiierten Gemeinderatsbeschluss vom 27. Mai 2008, mit dem der Betrag einer Stundung für die beiden Gewerbesteuerzahler jeweils für die Jahre 2008, 2009 und 2010 ohne jeden weiteren Nachweis der Gewerbesteuerschuldner mit einer Obergrenze festgelegt worden ist, den Gemeinderat zu einer Beschlussfassung veranlasst, die die abgabenrechtlichen Vorschriften verletzt.
Nach der Beschlussfassung im Gemeinderat hat er dann durch seine Vormerkung zu diesem Beschluss weiter verhindert, dass beim Überschreiten dieser im Gemeinderatsbeschluss festgelegten Obergrenzen die von den beiden Gewerbesteuerschuldnern zu zahlenden Beträge von der Gemeindekasse gemahnt und vollstreckt werden.
Im Zeitraum nach dem Beschluss des Gemeinderates vom 27. Mai 2008 wurden bis zum Jahr 2012 somit durch dieses Verhalten des Beklagten gegenüber den beiden Gewerbesteuerschuldnern – nach den Feststellungen im Strafverfahren – Säumniszuschläge und Stundungszinsen in Höhe von insgesamt etwa 171.000,- EUR nicht geltend gemacht. Für den (strafrechtlich verjährten) Zeitraum von 2002 mit 2007 betrugen die nicht erhobenen Säumniszuschläge und Stundungszinsen der beiden Gewerbesteuerschuldner nach den Berechnungen des Beklagten etwa 17.400,- EUR (Bl. 131 ff. der Strafakte).
Die beiden Schuldner haben auf der Grundlage der Berechnungen des Beklagten vom 22. März 2013 im April/Mai 2013 Zahlungen in Höhe von etwa 117.000,- EUR für die im Zeitraum 2008 mit 2012 angefallenen Säumniszuschläge und Stundungszinsen (Bl. 135 und 138 der Strafakte) sowie von etwa 17.400,- EUR für die im Zeitraum 2002 mit 2007 angefallenen Säumniszuschläge und Stundungszinsen (Bl. 132 ff. der Strafakte) geleistet.
2. Im März 2012 beleidigte der Beklagte die Mitglieder des Gemeinderates, indem er in den Räumen der Gemeindeverwaltung gegenüber einem Mitarbeiter der Verwaltung die Gemeinderatsmitglieder als „20 Arschlöcher“ bezeichnet hat, um so ihnen gegenüber seine Missachtung auszudrücken.
3. Am 1. Juli 2013 beleidigte er im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung drei namentlich benannte Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung mit den Worten „Das sind doch Deppen“, um ihnen gegenüber seine Missachtung auszudrücken.
III.
Durch diese zur Überzeugung des Gerichts vorstehend unter Ziffer II. im Einzelnen festgestellten Sachverhalte hat der Beklagte in mehrfacher Weise gegen die ihm aus dem Abschnitt 6 des Gesetzes zur Regelung des Statusrechts der Beamtinnen und Beamten der Länder (Beamtenstatusgesetz – BeamtStG) i.d.F. d. Bek. vom 17. Juni 2008 (BGBl I S. 1010) obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen (vgl. zur Anwendbarkeit des BeamtStG für den als kommunalen Wahlbeamten tätigen Beklagten die Bemerkung des Klägers in der Disziplinarklage vom 13.10.2015, dort S. 21).
Im Einzelnen sind die festgestellten Sachverhalte wie folgt zu bewerten:
– Die vom Beklagten gegenüber den beiden Gewerbesteuerschuldnern in den Jahren 2002 bis 2012 antragslos gewährten Stundungen, ohne dass von der Gemeinde von den Schuldnern Säumniszuschläge und Stundungszinsen gefordert wurden, stellen als (strafbare) Untreuehandlungen jeweils eine innerdienstliche Dienstpflichtverletzung des Beklagten dar, da er durch dieses Verhalten gegen seine Pflichten zur Beachtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) und zu einem achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen hat.
– Gleichzeitig hat der Beklagte mit den von ihm gewährten Stundungen ohne die erforderliche kommunalrechtliche Organkompetenz und damit unter Verstoß gegen die Gesetze gehandelt, da er als Erster Bürgermeister für Entscheidungen über die Stundung der Gewerbesteuerzahlungen nach der Geschäftsordnung des Gemeinderates für die jeweilige Wahlperiode 2002/2008 bzw. 2008/2014 nur bis zu einem Höchstbetrag von 5.000,- EUR zuständig war. Ebenso hat er mit diesem Verhalten gegen die haushalts- und abgabenrechtlichen Vorschriften verstoßen und die ihm obliegende Verpflichtung zu einem wirtschaftlichen und sparsamen Handeln im Sinne der haushaltsrechtlichen Vorgaben verletzt.
– Der Beklagte hat es unterlassen, die vom Gemeinderat der Gemeinde gefassten Beschlüsse im Zusammenhang mit der Gewährung von Stundungen von Gewerbesteuerzahlungen ohne Säumniszuschläge und Stundungszinsen als rechtswidrig zu beanstanden und deren Vollzug abzulehnen. Den (rechtswidrigen) Beschluss vom 27. Mai 2008 hat der Beklagte dabei selbst initiiert, ebenso wurden – nach der Beanstandung durch den Gemeinderat zum fehlenden Vollzug des Beschlusses vom 27. Mai 2008 – auf seinen Vorschlag hin in der Sitzung des Gemeinderates vom 14. Dezember 2009 die weiteren Zahlungsmodalitäten hinsichtlich der Zahlungsrückstände der Gewerbesteuerschuldner festgelegt (Niederschrift vom 14.12.2009, Bl. 34 der Beiakte 1: „der von Herrn Bürgermeister dargelegten Vorgehensweise (…) zugestimmt“). Mit diesem Verhalten hat der Beklagte ebenfalls die ihm obliegenden Pflichten zur Beachtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verletzt.
– Mit den im Strafbefehl vom 4. August 2014 dem Beklagten zur Last gelegten (zwei) Beleidigungshandlungen gegenüber den Mitgliedern des Gemeinderates bzw. gegenüber den Mitarbeitern der Verwaltung der Gemeinde hat dieser seine Pflicht zur Beachtung der Gesetze (§ 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) und die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verletzt. Aufgrund der Einbindung dieses Verhaltens des Beklagten in das von ihm ausgeübte Amt des Erster Bürgermeisters, das mit dem Vorsitz im Gemeinderatsgremium und der Vorgesetzteneigenschaft gegenüber den Mitarbeitern der Verwaltung verbunden ist, ist auch dieses Verhalten als innerdienstlich zu werten.
IV.
Diese festgestellten und sämtlich als innerdienstliche Dienstvergehen zu wertenden Pflichtenverletzungen durch den Beklagten (vgl. zur Einordnung der Pflichtverletzungen des Erster Bürgermeisters in das von ihm ausgeübte Amt: BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 97) sind als einheitliche Dienstvergehen zu würdigen. Dies führt vorliegend gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 BayDG zur Aberkennung des Ruhegehalts, da die von der klagenden Disziplinarbehörde als erforderlich angesehene Disziplinarmaßnahme für die Bemessungsentscheidung des Gerichts nicht bindend ist (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 85).
1. Für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist nach Art. 14 Abs. 1 BayDG durch das Gericht „über die erforderliche Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall belastenden und entlastenden Gesichtspunkte zu entscheiden. (…) Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der gesamten Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten“ (BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59/07 – juris Rn. 16).
Damit ist maßgebliches Kriterium der Zumessung zunächst die Schwere des Dienstvergehens. Diese ist zum einen nach der Eigenart und der Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, nach Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) zu bewerten. Zum anderen sind für die Bewertung die Form und das Gewicht des Verschuldens und die Beweggründe des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) heranzuziehen. Weiter sind die unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Bereich oder für Dritte in den Blick zu nehmen (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 13).
Ist durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren, ist der Beamte gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dazu bedarf es der Prognose über das voraussichtliche künftige dienstliche Verhalten des Beamten. Wenn aufgrund dieser der Schluss zu ziehen ist, dass der Beamte auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen wird, ist das Beamtenverhältnis zu beenden (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 18).
Die festgestellten Dienstvergehen sind nach ihrem Gewicht einer der im Gesetz aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen. Dabei sind die in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung gebildeten Fallgruppen für bestimmte Regeleinstufungen zu berücksichtigen. Auf dieser Grundlage kommt es dann für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zur Vertrauensbeeinträchtigung, zum Persönlichkeitsbild und zum bisherigen dienstlichen Verhalten im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere Disziplinarmaßnahme als diejenige, die durch die Schwere des Dienstvergehens indiziert ist, notwendig ist (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 20).
2. In Anwendung dieser Grundsätze, die nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch auf die Rechtslage nach bayerischem Landesrecht übertragbar sind (BayVGH, U.v. 23.9.2009 – 16a D 2355/07 – juris Rn. 48; vgl. zuletzt etwa BayVGH, U.v. 21.1.2015 – 16a D 1904/13 – juris Rn. 80 ff.; BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 98 ff.), ergibt sich das Folgende:
a) Das zunächst für die Maßnahmenbemessung auf einer sog. ersten Orientierungsstufe heranzuziehende Kriterium der Schwere des Dienstvergehens hat im vorliegenden Fall die vom Beklagten begangene vorsätzliche Straftat der Untreue als innerdienstliche Dienstpflichtverletzung in den Blick zu nehmen. Dabei ist dem Grunde nach davon auszugehen, dass „schwerwiegende Vorsatzstraftaten (…) generell einen Vertrauensverlust“ bewirken, „der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt“ (so ausdrücklich BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 14; ebenso BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 50/13 – NVwZ-RR 2016, 421 Rn. 12).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, den die vorsätzliche Straftat des Beamten hervorgerufen hat, stellt die Rechtsprechung (auch) bei innerdienstlichen Straftaten auf den Strafrahmen des verwirklichten Delikts ab (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – NVwZ 2016, 772 Rn. 19; BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 102), ohne dass es für diese Bewertung auf das vom Strafgericht konkret verhängte Strafmaß indiziell ankommt (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24/16 – NVwZ-RR 2016, 876 Rn. 14 f.).
aa) Für den vom Beklagten verwirklichten (strafbaren) Untreuetatbestand besteht gemäß § 266 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) ein Strafrahmen, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren eröffnet. Damit bewegt sich die Strafandrohung weit über dem mittelschweren Bereich, der nach der Rechtsprechung für Delikte mit Strafandrohungen bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe anzusetzen ist (vgl. etwa BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6/14 – BVerwGE 154, 10 Rn. 20).
Damit reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. für den vorliegend im Ruhestand befindlichen Beklagten bis zur Aberkennung des Ruhegehalts.
bb) Dieser Orientierungsrahmen ist entgegen der Auffassung der Beklagtenseite im Schriftsatz vom 14. Dezember 2015 (dort S. 4) auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil auf den Beklagten als Ruhestandsbeamten zur Sicherstellung zukünftiger ordnungsgemäßer Pflichtenerfüllung in einem geringeren Ausmaß einzuwirken wäre, wie auf einen noch im aktiven Dienst befindlichen Beamten.
Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG sieht für den Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts vor, wenn er, wäre er noch im aktiven Dienst, aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden müsste (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG: „sind aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen“). Damit gelten für Ruhestandsbeamte, die ein Dienstvergehen begangen haben, die gleichen Maßstäbe wie für aktive Beamte. „Der Eintritt in den Ruhestand ist daher kein Grund, unabhängig davon, ob er in einem sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren steht, die Dienstvergehen anders zu beurteilen“ (BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 105 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, U.v. 13.7.2011 – 16a D 3127/09 – juris Rn. 168). Damit ist auch die Frage des Vertrauensverlustes nach den gleichen Maßstäben zu beurteilen wie bei einem aktiven Beamten.
b) Die volle Ausschöpfung dieses in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens ist vorliegend auch unter Berücksichtigung sämtlicher be- und entlastender Umstände des Einzelfalls geboten. Der durch die vom Beklagten begangenen Straftaten eingetretene endgültige Vertrauensverlust wird nicht durch entlastende Umstände aufgewogen, die ein Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigen.
aa) Das (strafbare) Handeln des Beklagten betrifft den Kernbereich seiner dienstlichen Tätigkeit. Das Handeln des Beklagten ist hinsichtlich der objektiven Umstände durch einen langdauernden Pflichtenverstoß gekennzeichnet, der in besonderer Weise die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung im (Status-) Amt des Beklagten in Frage stellt.
(1) Der Pflichtenverstoß dauerte fast die gesamte Dienstzeit des Beklagten als Erster Bürgermeister an.
Die vom Beklagten antragslos und ohne Nebenleistungen gewährten Stundungen betrafen einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren. Seit seiner Amtsübernahme im Mai 2002 bis zur erstmaligen Beantragung einer Stundung durch die Gewerbesteuerschuldner im Februar 2013 bzw. bis zur Beschlussfassung in der Sitzung des Gemeinderates vom 21. November 2012 zur zinslosen Stundung von Gewerbesteuerschulen bis längstens zur regulären Sitzung des Gemeinderates nach dem Verstreichen des quartalsmäßigen Steuertermins hat der Beklagte an diesem pflichtwidrigem Verhalten – Gewährung von Stundungen ohne Antrag und ohne Nebenleistungen – festgehalten und dieses nicht geändert.
Zwar hat sich auch der Gemeinderat in der Wahlperiode 2008/2014 beschlussmäßig mit der Gewährung von (antragslosen) Stundungen beschäftigt und dabei mit dem Beschluss vom 27. Mai 2008 eine endgültige „Obergrenze“ hinsichtlich Höhe und Zeitdauer der Stundungsbeträge festgelegt. Trotz dieser (rechtswidrigen) Beschlussfassung im Gemeinderat hat es der Beklagte in der Folge jedoch fast für die gesamte Wahlperiode 2008/2014 (weiter) unterlassen, jedenfalls diese durch den Gemeinderat gesetzten Grenzen einzuhalten. Im Gegenteil hat er durch seine Vormerkung zum Beschluss des Gemeinderates vom 27. Mai 2008 auch nach dieser förmlichen Befassung des Gemeinderates faktisch die Einhaltung der festgelegten Höchstbeträge durch einen entsprechenden Vollzug innerhalb der Gemeindeverwaltung verhindert.
Dass diese Vormerkung des Beklagten zum Gemeinderatsbeschluss vom 27. Mai 2008 nicht nur zum Zweck der Sicherstellung der Information des Ersten Bürgermeisters durch die Verwaltung erfolgte, sondern dass damit auch die bis dahin vom Beklagten aufgrund seiner alleinigen Entscheidung antragslos und ohne Nebenleistungen gewährten Stundungen auch in der Zukunft nur durch eine ausschließliche Entscheidung des Beklagten erfolgen konnten, zeigt die Mitteilung der Kämmerei vom 25. März 2009. Danach war der vom Gemeinderat im Beschluss vom 27. Mai 2008 festgelegte Höchstbetrag der zu stundenden Beträge für das Jahr 2008 bereits im März 2009 überschritten und eine (weitere) Stundung damit nach der Beschlussfassung des Gemeinderates nicht möglich (vgl. Aktenvermerk des Kämmerers vom 25.3.2009, Bl. 23 der Teilermittlungsakte „Zeugenvernehmung“ Bd. I). Der Beklagte wurde gemäß der von ihm dem Beschluss beigefügten Vormerkung durch die Verwaltung über diesen Sachverhalt informiert, um dann in der Folge die gesetzlich vorgesehenen Vollstreckungsmaßnahmen durch die Kämmerei durchführen zu können. Trotz dieser Information hat es der Beklagte aber dann offensichtlich unterlassen, weitere Schritte gegen die Gewerbesteuerschuldner einzuleiten bzw. die Kämmerei mit den entsprechenden weiteren Schritten zu beauftragen.
Dabei kann es den Beklagten insoweit auch nicht entlasten, dass dieses Vorgehen in der Sitzung des Gemeinderates vom 14. Dezember 2009 angesprochen worden ist und dem Gemeinderat die Stundungen aus der Vergangenheit bekannt gewesen sein sollen.
Wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt (Bl. 34 der Beiakte 1), wurde die Behandlung der Stundungen für das Jahr 2008 erst auf Antrag des Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses im Gemeinderat behandelt. Der Beklagte hat somit nicht von sich aus auf die entgegen der Beschlussfassung im Gemeinderat vom Mai 2008 – die er als erkennbar rechtswidrig bereits selbst hätte beanstanden müssen – erfolgte Sachbehandlung in Bezug auf die Stundungen hingewiesen.
Zum anderen ist, selbst wenn man diesen Gemeinderatsbeschluss als nachträgliche Genehmigung der Überschreitung der beschlossenen „Obergrenze“ für die Jahre 2008 und 2009 ansehen will, jedenfalls in der Folge von Seiten des Beklagten bis zur Gemeinderatssitzung vom 11. April 2013 wiederum kein weiterer Schritt unternommen worden, die Überschreitung der beschlossenen „Obergrenze“ für die Stundungen in den nachfolgenden Jahren ab 2010 zu verhindern bzw. bei dessen Überschreitung die ordnungsgemäße Vollstreckung der fälligen Beträge gegenüber den Gewerbesteuerschuldnern einzuleiten.
(2) Bei der Beurteilung des objektiven Verhaltens des Beklagten ist in erschwerender Weise auch die langdauernde Überschreitung seiner Organkompetenz zu berücksichtigen.
Der Beklagte hat ohne die Beteiligung des Gemeinderates die Stundungen für Beträge genehmigt, die nach der Geschäftsordnung der Gemeinde in der alleinigen Zuständigkeit des Gemeinderates gelegen haben. Er hat damit fortlaufend grundlegende kommunalrechtliche Zuständigkeitsvorschriften ignoriert. Dieser Verstoß war dem Beklagten als erfahrenen und vor der Übernahme des Bürgermeisteramtes langjährig in leitender Position in einer Gemeindeverwaltung tätigen Beamten auch vollkommen bewusst.
Dass seine Amtsvorgänger als Bürgermeister diese Stundungen in gleicher Weise gewährt haben, kann den Beklagten damit nicht entlasten. Im Gegenteil wäre es die Aufgabe des Beklagten gewesen, jedenfalls sofort nach dem Antritt des Amts des Bürgermeisters – wenn ihm diese Verpflichtung nicht bereits in seiner Funktion als Geschäftsleitender Beamter der Gemeinde oblegen hat – die Praxis der antragslos und ohne die Beschlussfassung des nach der Geschäftsordnung zuständigen Gemeinderates gewährten Stundungen zu beenden.
(3) Hinzu kommt, dass neben den vom Beklagten ohne Antrag der Gewerbesteuerschuldner gewährten Stundungen diese auch noch ohne die kommunalabgabenrechtlich gebotenen Nebenleistungen erfolgt sind. Auch insoweit ist die Vorbildung des Beklagten zu berücksichtigen. Die mit dem Bürgermeisteramt verbundene Vorbildfunktion gegenüber den Mitarbeitern der Verwaltung, was den gesetzeskonformen Vollzug der Kommunalabgaben betrifft, ist in diesem Zusammenhang als besonders erschwerend anzusehen. Das Verhalten des Beklagten ist auch unter diesem Aspekt als schwerwiegendste Verletzung dienstlicher Kernpflichten des Beklagten einzuordnen (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 107).
bb) Die subjektiven Handlungsumstände lassen ebenfalls keine Situation erkennen, die ein Absehen von der Verhängung der Höchstmaßnahme rechtfertigen. Aufgrund der Vorbildung des Beklagten und seiner langjährigen Tätigkeit als Geschäftsleitender Beamter der Gemeinde waren ihm die Rechtswidrigkeit der unter Verstoß gegen abgabenrechtliche Vorschriften gewährten Stundungen sowie sein ohne organrechtliche Kompetenz erfolgendes Handeln bewusst.
Entgegen der Auffassung der Disziplinarbehörde und der Beklagtenseite führt bei dieser Bewertung auch die fehlende subjektive Absicht des Beklagten, sich durch sein Handeln keinen eigenen finanziellen Vorteil zu verschaffen, nicht zu einer weniger schwerwiegenden Bewertung des subjektiven Verhaltens des Beklagten.
(1) Bei der Bewertung der Schwere der Dienstpflichtverletzung sind auch das Gewicht des Verschuldens des Beamten und die Beweggründe für das pflichtwidrige Verhalten zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59/07 – juris Rn. 13).
Dabei geht das Gericht wie die Verfahrensbeteiligten davon aus, dass der Beklagte die antragslosen und ohne Nebenleistungen erfolgten Stundungen nicht in eigennütziger Weise gewährt hat und ihm insoweit kein eigener finanzieller Vorteil zugeflossen ist.
(2) Diese fehlende Eigennützigkeit des Handelns des Beklagten führt jedoch zur Überzeugung des Disziplinargerichts zu keiner milderen Beurteilung der Dienstpflichtverletzung.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in der Entscheidung vom 21. Dezember 2016 zur Rechtsstellung des Ersten Bürgermeisters aus, dass dieser „eine besondere Vertrauensstellung“ innehat. „Ein erster Bürgermeister als kommunaler Wahlbeamter besitzt in der Gemeinde weitreichende Befugnisse. Dem stehen hohe Anforderungen an seine Führungsfähigkeiten und seine persönliche Integrität gegenüber. In der Gemeindeverwaltung hat er Vorbildfunktion für nachgeordnete Bedienstete. Außerdem steht er als gewählter Repräsentant unter besonderer Beobachtung der Gemeindebürger. Sein Fehlverhalten ist demgemäß in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen der Öffentlichkeit in eine gesetzestreue Gemeindearbeit zu beschädigen (…). Hinzu kommen die dem Beklagten aufgrund der Rechtsstellung eines Bürgermeisters als Beamter auf Zeit (Art. 34 Abs. 2 Satz 2 GO) obliegenden besonderen Amtspflichten“, die in besonderer Weise die Wahrung eines rechtmäßigen Vollzugs der gesetzlichen Vorschriften gewährleisten sollen. „Hieraus ergibt sich, dass die strikte Beachtung der Gesetze wesentlicher Bestandteil der beamtenrechtlichen Kernpflichten des Bürgermeisters ist“ (BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 107 ff.).
Vor dem Hintergrund dieser herausgehobenen Position des Ersten Bürgermeisters und der ihm obliegenden Gesetzesbindung besteht für das Disziplinargericht kein Anlass, das Verhalten des Beklagten aufgrund der fehlenden subjektiven Eigennützigkeit als weniger schwerwiegend anzusehen.
Durch die vom Beklagten vertretene Auffassung, dass er immer – ohne auf einen auf sich selbst bezogenen Vorteil bedacht gewesen zu sein – im Interesse der Gemeinde gehandelt hat, und dieses Verhalten damit insgesamt eine weniger schwerwiegende Pflichtenverletzung begründen würde, würde die strikte Gesetzesbindung zugunsten einer subjektiven Bewertung durch den jeweiligen Amtsinhaber obliegenden Entscheidungshoheit aufheben. Der Erste Bürgermeister würde sich über die gesetzlichen Vorgaben in dem von ihm definierten – vermeintlichen – Interesse der Gemeinde hinwegsetzen können und dieses Verhalten, soweit damit kein eigener Vorteil für den Amtsinhaber verbunden ist, müsste dann mildernd bei der Bewertung des Handelns des Amtsträgers Berücksichtigung finden.
Diese Auffassung des Beklagten, der die Disziplinarbehörde für die Bewertung als Milderungsgrund folgt, widerspricht jedoch, wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof für das Disziplinargericht überzeugend dargelegt hat, der gesetzlichen Ausgestaltung des Amtes des Ersten Bürgermeisters. Die mit diesem Amt verbundenen Dienstpflichten im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung stehen nicht zur Disposition des Amtsinhabers. Die Schwere der Dienstpflichtverletzung kann nicht durch die subjektive Bewertung dessen, was im Interesse der Gemeinde notwendig sein soll, relativiert werden.
(3) Auf der subjektiven Ebene ist vorliegend für die Bewertung des Handelns des Beklagten zusätzlich in erschwerender Weise zu berücksichtigen, dass diesem aufgrund seiner Vorbildung und seiner langjährigen Tätigkeit als Geschäftsleitender Beamter der Gemeinde bekannt und bewusst war, dass die ohne Antrag und ohne Nebenleistungen gewährten Stundungen jeder gesetzlichen Grundlage entbehren. Das Verhalten des Beklagten hat somit nicht nur in objektiver Weise gegen die Gesetze verstoßen. Subjektiv ist dieses Verhalten darüber hinaus als bewusstes Hinwegsetzen über die dem Ersten Bürgermeister eingeräumten Befugnisse einzuordnen.
Das Disziplinargericht bewertet damit die subjektive Handlungsabsicht des Beklagten nicht als weniger schwerwiegend als ein eigennütziges Verhalten.
cc) Diesen erheblichen Erschwerungsgründen stehen keine Milderungsgründe gegenüber, die den durch das (strafbare) Verhalten des Beklagten eingetretenen endgültigen Vertrauensverlust in einem Maße ausgleichen können, dass von der Verhängung der Höchstmaßnahme abzusehen ist.
(1) Soweit der Kläger und die Beklagtenseite darauf verweisen, dass dem Gemeinderat aufgrund der Rechnungsprüfungsberichte die Rückstände der beiden Gewerbesteuerschuldner bereits seit dem Jahr 2003 bekannt gewesen sind und auch nach der Beschlussfassung vom 27. Mai 2008 der Gemeinderat die Stundungen ohne Eingreifen weiter hingenommen hat, so kann das Disziplinargericht darin keinen durchgreifenden Milderungsgrund erkennen.
In den Rechnungsprüfungsberichten der Jahre 2003 ff. sind zwar jeweils die fehlenden rechtzeitigen Zahlungen von Gewerbesteuerschulden und die daraus resultierenden Rückstände aufgeführt. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass der Gemeinderat bewusst eine Stundung ohne Antrag und steuerlichen Nebenleistungen gebilligt hat, zumal die Rechnungsprüfung gerade von der Durchführung von Zwangsvollstreckungen ausgegangen ist („Maßnahmen der Einforderung sind schon eingeleitet“).
Die Beschlussfassung im Gemeinderat am 27. Mai 2008 hat dann die den beiden Gewerbesteuerschuldnern gestundeten Beträge betragsmäßig der Höhe nach begrenzt und ausschließlich bis zum Jahr 2010 als vertretbar angesehen. Trotz dieser Beschlussfassung hat sich der Beklagte bewusst über diese (zeitliche und betragsmäßige) „Obergrenzen“ hinweggesetzt und durch seine Vormerkung zur Beschlussfassung eine weitere Befassung des Gemeinderates bei einer Überschreitung der „Obergrenzen“ zusätzlich verhindert. Dies dauerte zunächst bis zur Beschlussfassung des Gemeinderates am 14. Dezember 2009.
Aber auch nach dieser erneuten Befassung des Gemeinderates hat der Beklagte durch die von ihm dem Beschluss vom 27. Mai 2008 beigefügte Vormerkung verhindert, dass beim Überschreiten der durch den Gemeinderat gesetzten „Obergrenzen“ eine Vollstreckung der offenen Forderungen durch die Verwaltung eingeleitet wird. Die Gewährung von Stundungen ohne Antrag und ohne Nebenleistungen dauerte deshalb unter bewusster Umgehung des Gemeinderates, dem die Vormerkung zum Beschluss vom 27. Mai 2008 durch den Beklagten nicht bekanntgegeben worden ist, nochmals etwa drei Jahre an. Erst mit der Beschlussfassung in der Sitzung vom 27. November 2012 (vgl. Bl. 28 der Beiakte 1) – die nicht durch den Beklagten, sondern durch den Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses initiiert worden ist – konnte eine nochmalige Befassung mit den Stundungen durch den Gemeinderat erreicht werden. Bis zu dieser Sitzung erfolgte somit auf Veranlassung des Beklagten keine Befassung des Gemeinderates mit der Frage, ob Stundungen ohne Antrag und ohne Nebenleistungen durch den Ersten Bürgermeister erfolgen können.
Damit ist es aber für das Disziplinargericht nicht erkennbar, dass das Handeln des Gemeinderates einen zugunsten des Beklagten zu wertenden Milderungsgrund darstellt. Nach Art. 46 Abs. 2 Bayerische Gemeindeordnung (GO) ist es Aufgabe des Ersten Bürgermeisters, die Beschlussfassung des Gemeinderates vorzubereiten. Es ist somit gerade nicht die Aufgabe des Gemeinderates, die ihm – vom dazu gesetzlich berufenen Ersten Bürgermeister – nicht zur ordnungsgemäßen Beschlussfassung vorgelegten Beratungsgegenstände von sich aus auf die Tagesordnung zu setzen und damit eine – den gesetzlichen Vorschriften entsprechende – Beschlussfassung durch den Gemeinderat herbeizuführen.
(2) Auch die Nachzahlung der in den Jahren seit 2003 von den beiden Gewerbesteuerschuldnern nicht geleisteten Säumniszuschläge und Stundungszinsen im Jahr 2013 durch die beiden Schuldner stellt keinen durchgreifenden Milderungsgrund dar. Auch wenn durch diese nachträgliche Zahlung die zu Unrecht nicht erhobenen Beträge der Gemeinde tatsächlich zugeflossen sind, so kann dies den Beklagten nicht entlasten.
Die Gewerbesteuerschuldner haben sich zunächst gegen die Nachforderungen durch Einsprüche zur Wehr gesetzt und dabei insbesondere die Verjährung der geforderten Säumniszuschläge und Stundungszinsen für die Jahre vor 2008 bzw. vor 2010 geltend gemacht (Schreiben vom 22.11.2013, Bl. 86 ff. der Disziplinarakte). Damit war es aber gerade ausgeschlossen, dass die zu Unrecht nicht erhobenen Beträge von der Gemeinde ohne weiteres erlangt werden können. Es hing vielmehr alleine vom „guten Willen“ der Steuerschuldner ab, ob diese offenen Beträge der Gemeinde zufließen werden.
Aber auch die tatsächliche (Nach-)Zahlung der geforderten Beträge beseitigt nicht den bei der Gemeinde in der Vergangenheit bereits eingetretenen Schaden. Denn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Gewerbesteuerzahlungen bzw. im Zeitpunkt der Fälligkeit der zu leistenden Nebenforderungen fehlte der Geldzufluss bei der Gemeinde. Diese fehlenden Beträge musste die Gemeinde mit eigenen Geldmitteln bzw. mangels eigener Geldmittel durch Kreditmittel vorfinanzieren (vgl. Rechnungsprüfungsbericht der Staatlichen Rechnungsprüfung 2006 – 2010, Bl. 110 der beigezogenen strafrechtlichen Ermittlungsakte zu „Tz 4“).
Diesem eingetretenen Schaden kann nicht der vom Beklagten geltend gemachte „Vorteil“ der Sicherung des Gewerbestandortes der beiden Firmen in der Gemeinde entgegengesetzt werden. Dass die antragslos und ohne Nebenleistungen gewährten Stundungen im Zusammenhang mit einer zugunsten der Gemeinde wirkenden Standortentscheidung der beiden Gewerbesteuerschuldner standen, beruht auf reiner Spekulation. Im Übrigen würde es mit dieser vom Beklagten vertretenen Auffassung alleine der Beurteilung durch den Ersten Bürgermeister zukommen, ob dieser die gesetzlich vorgegebenen abgabenrechtlichen Vorschriften einhält oder – aus vermeintlichem Interesse der Gemeinde – auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben verzichtet.
(3) Die vom Beklagten am 12. April 2013 vorgenommene Selbstanzeige gegenüber der Strafermittlungsbehörde und die am 9. August 2013 gegenüber der Kommunalaufsicht beim Landratsamt erfolgte Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst können den Beklagten ebenfalls nicht durchgreifend entlasten.
Nach dem Bericht des Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses der Gemeinde vom 21. März 2013, mit dem eine Sitzung des Gemeinderates für den 11. April 2013 beantragt worden ist, bestand zu diesem Zeitpunkt für den Rechnungsprüfungsausschuss der Verdacht des strafbaren Verhaltens des Beklagten im Zusammenhang mit den von diesem ohne Antrag und ohne Nebenleistungen gewährten Stundungen („Bericht zur Rechnungsprüfung des Jahres 2011“, TEA „Strafanzeige G. B.“, Bl. 4 ff.). Auch wenn in der Sitzung des Gemeinderates vom 11. April 2013 das vom Rechnungsprüfungsausschuss vorgeschlagene Vorgehen – Vorlage an die Kommunalaufsicht des Landratsamtes zur umfassenden Prüfung der Vorwürfe – mehrheitlich abgelehnt worden ist, war jedenfalls im Zeitpunkt der beiden Selbstanzeigen der Sachverhalt, der Gegenstand der straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen war, bekannt. Die Selbstanzeigen erfolgten also erst nach der Aufdeckung der (Straf-) Tat, so dass sie den Beklagten nicht mehr entlasten können.
Dies ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht anders zu beurteilen, weil er im Rahmen der straf- und disziplinarrechtlichen Ermittlungen mit den Ermittlungsbehörden kooperiert haben will.
Für das Disziplinargericht ist nicht erkennbar, dass der Beklagte über die bereits bekannten Sachverhalte hinaus den Ermittlungsbehörden Informationen zur Verfügung gestellt hat, die ohne seine Mitwirkung nicht oder nur unter Schwierigkeiten zu erlangen gewesen wären. Die vom Beklagten übergegebenen Rechnungsprüfungsberichte und Gemeinderatsprotokolle standen als Dokumente der Gemeinde jederzeit dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zur Verfügung.
Dagegen ist sein Verhalten im Zusammenhang mit der Gemeinderatssitzung vom 11. April 2013 nur deshalb bekannt geworden, weil der Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses die diesbezüglichen Dokumente der Strafverfolgungsbehörde im Rahmen der weiteren Strafanzeige vom 23. März 2013 (vgl. TEA „Strafanzeige G. B.“, Bl. 9 ff.) zur Verfügung gestellt hat. Aus diesen Unterlagen geht zur Überzeugung des Disziplinargerichts jedoch hervor, dass der Beklagte nach der Beschlussfassung des Rechnungsprüfungsausschusses vom 21. März 2013 und den dabei erhobenen strafrechtlichen Vorwürfen noch versucht hat, die Einleitung einer umfassenden rechtlichen Überprüfung seines Verhaltens im Zusammenhang mit den Stundungen zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund ist für das Disziplinargericht ein vom Beklagten behauptetes kooperatives Verhalten mit den Ermittlungsbehörden nicht in einem derartigen Umfang erkennbar, dass diese Kooperation ein Absehen von der Höchstmaßnahme zugunsten des Beklagten rechtfertigen kann.
(4) Die gesundheitlichen Folgen, die mit dem Bekanntwerden der (straf- und disziplinarrechtlichen) Vorwürfe beim Beklagten eingetreten sind, sind zwar zu seinen Gunsten in die Maßnahmenbemessung einzustellen. Das Gericht verkennt nicht, dass durch die Vorwürfe die gesamte weitere Lebensplanung des Beklagten obsolet geworden ist und die öffentliche Wahrnehmung seines Verhaltens ihn in äußerster Weise belastet hat.
Allerdings sind diese Auswirkungen grundsätzlich Folge seines Verhaltens, das zur Einleitung des Straf- und des Disziplinarverfahrens geführt haben. Der Beklagte hatte seit seinem Amtsantritt im Jahr 2002 in über zehn Jahren die Möglichkeit, durch sein Verhalten (ausdrückliche Befassung des Gemeinderates bzw. Vollzug der gesetzlichen Regelungen durch Weisungen gegenüber der Gemeindeverwaltung) die unrechtmäßigen Stundungen zu beenden. Dies hat er unterlassen, im Zeitraum zwischen Ende 2012 und April 2013 hat er auch noch durch sein Verhalten eine umfassende Aufklärung der Sachverhalte zu verhindern versucht.
Vor diesem Hintergrund sind zur Überzeugung des Disziplinargerichts die gesundheitlichen Folgen für den Beklagten nicht derart in die Maßnahmenbemessung einzustellen, dass die verwirkte Höchstmaßnahme als unverhältnismäßig anzusehen ist.
dd) Durch das Verhalten des Beklagten ist die Vertrauensgrundlage, die seine Weiterbeschäftigung als Beamter zulassen würde, endgültig zerstört, so dass nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG beim noch aktiven Beamten die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen ist. Beim Beklagten als Ruhestandsbeamten ist damit das Ruhegehalt abzuerkennen (Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG). Die Dienstpflichtverletzungen betreffen den unmittelbaren Kernbereich der dienstlichen Tätigkeit des Beklagten als Erster Bürgermeister. Sie sind im Hinblick auf die Verletzung des Gebotes des gesetzestreuen Verwaltungsvollzugs durch den Beklagten so schwerwiegend, dass seine weitere Verwendung als Beamter ausgeschlossen ist.
Dieser endgültige Vertrauensverlust kann auch nicht durch die öffentlichen Unterschriftenlisten, die für einen Verbleib des Beklagten im Amt des Ersten Bürgermeisters im Disziplinarverfahren vorgelegt worden sind, in Frage gestellt werden. Es ist bereits zweifelhaft, ob durch derartige Listen die alleine anhand objektiver Kriterien zu beurteilende Frage des Vertrauensverlustes anders beurteilt werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 111). Jedenfalls aber ist diese öffentliche Wahrnehmung des Verhaltens des Beklagten nicht geeignet, die Verletzung der dienstlichen Kernpflichten durch den Beklagten in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Als Erster Bürgermeister ist der Beklagte in besonderer Weise an die strikte Beachtung der Gesetze gebunden (BayVGH, U.v. 21.12.2016 – 16a D 2335/13 – Rn. 109). Diese Gesetzesbindung ist notwendiges Korrelat zur umfassenden Rechtsstellung, die die Bayerische Gemeindeordnung dem Ersten Bürgermeister zuweist (vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2016, a.a.O und Rn. 110). Gerade deshalb führt das eigenmächtige Verhalten des Beklagten in Bezug auf die Stundungen zur endgültigen Zerstörung der Vertrauensgrundlage für einen weiteren Verbleib im Statusamt des Ersten Bürgermeisters.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.