Arbeitsrecht

Aberkennung des Ruhegehalts wegen unerlaubter Verwendung dienstlicher Tankkarten (Computerbetrug)

Aktenzeichen  16a D 18.1918

Datum:
22.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20652
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 34 S. 1, S. 2, S. 3, § 35 S. 2, § 47 Abs. 1
BayDG Art. 13, Art. 14 Abs. 1, Abs. 2
StGB § 263a

 

Leitsatz

1. Eine vollständige Zerstörung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit eines Beamten, die seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. bei Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich macht, ist bei innerdienstlichen Betrugs- oder Untreuehandlungen in der Regel anzunehmen, wenn entweder das Eigengewicht der Tat besonders hoch ist oder eine zusätzliche Verfehlung mit erheblichem disziplinarischem Eigengewicht vorliegt und durchgreifende Milderungsgründe fehlen (Rn. 41). (redaktioneller Leitsatz)
2. Begeht ein Polizist, dessen Aufgabe es ist, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, stattdessen selbst gravierende Straften, führt das zu einem nachhaltigen Verlust des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit, dass er seine Dienstpflichten in Zukunft ordnungsgemäß erfüllen wird (Rn. 42). (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Disziplinarrecht hängt die Beurteilung der Frage, ob die Fähigkeit des Beamten, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert gewesen ist, von der Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflicht ab (Rn. 49). (redaktioneller Leitsatz)
4. Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten verfolgen neben der Pflichtenmahnung die Zwecke der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes (Rn. 56). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 10A DK 17.1923 2018-07-30 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. Juli 2018 wird in Ziff. I. abgeändert. Gegen den Beklagten wird die Disziplinarmaßnahme der Aberkennung des Ruhegehalts verhängt. Der dem Beklagten zustehende Unterhaltsbeitrag ist ihm bis einschließlich 31. Juli 2022 zu gewähren.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat Erfolg.
Der Beklagte hat ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen (1.). Die grundsätzliche Zuordnung des Dienstvergehens nach seiner Schwere zu einer Disziplinarmaßnahme nach Art. 6 BayDG richtet sich nach dem gesetzlich bestimmten Strafrahmen (2.1). Ein Polizeibeamter, der sich wiederholt des Computerbetrugs gegenüber seinem Dienstherrn schuldig gemacht hat, beeinträchtigt das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen seines Dienstherrn und sein Ansehen in der Öffentlichkeit aufs Schwerste und macht sich untragbar, zumal die Betrugstaten von weiteren Dienstvergehen flankiert wurden. In diesem Fall ist die volle Ausschöpfung des in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung gebildeten Orientierungsrahmens geboten (2.2). Die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt wird (2.3).
1. Der Senat legt seiner Entscheidung die Vorwürfe 1. bis 3. der Disziplinarklage zugrunde.
Hinsichtlich des Vorwurfs 1. können gemäß Art. 63 Abs. 1, Art. 55, Art. 25 Abs. 2 BayDG die im rechtskräftigen Strafbefehl getroffenen tatsächlichen Feststellungen auch der Entscheidung im Disziplinarverfahren ohne nochmalige Prüfung zugrunde gelegt werden. Anlass, von diesen Feststellungen abzuweichen, besteht nicht, zumal der Beklagte die ihm vorgeworfenen Sachverhalte insgesamt (auch hinsichtlich der Vorwürfe zu 2. und 3.) im behördlichen Disziplinarverfahren und auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeräumt hat.
Der Beklagte hat durch sein Verhalten bezüglich der missbräuchlichen Nutzung der Tankkarten und der Aufbewahrung erlaubnispflichtiger Munition vorsätzlich und schuldhaft gegen die Pflicht verstoßen, die Gesetze zu beachten. Ferner liegt hierin ein Verstoß gegen seine Pflicht, die übertragenen Aufgaben uneigennützig nach bestem Gewissen wahrzunehmen (§ 34 Satz 2 BeamtStG), sich mit vollem persönlichen Einsatz seinem Beruf zu widmen (§ 34 Satz 1 BeamtStG) und sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG). Im Hinblick auf die Aufbewahrung von Alkohol in seinem Spind hat der Beklagte gegen die ihm aus § 35 Satz 2 BeamtStG obliegende Pflicht dienstliche Anordnungen seiner Vorgesetzten auszuführen und zu befolgen, verstoßen. Nach den allgemeinen Richtlinien (hier: IMS IC5-0142.1-11 vom 4.5.2000) ist es neben dem Konsum von Alkohol und alkoholfreiem Bier während des Dienstes und in angemessener Zeit vor Dienstbeginn auch untersagt ist, in Diensträumen und den dazugehörigen Bereichen alkoholische Getränke und alkoholfreies Bier vorrätig zu halten. In dem wiederholten vorzeitigen Beenden der Nachtschicht (mind. 30 Minuten früher in der Zeit zwischen 2005 und 2013) und der damit in sachlichem Zusammenhang stehenden Benutzung eines Dienstkraftwagens zu Privatfahrten liegt eine Verletzung der Pflicht zum vollen persönlichen Einsatz im Beruf, zu achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb des Dienstes und zur Befolgung dienstlicher Vorschriften und Weisungen (hier Regelungen der Arbeitszeit, vgl. Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: August 2019, MatR/II Rn. 214 und Anlage 3 Ziff. 1 der BayVwVBes: Vorgaben hinsichtlich der Benutzung von Dienstkraftwagen zu Privatfahrten).
Der Beklagte hat mit den vorgenannten Pflichtverletzungen ein einheitliches (Hermann in Hermann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 1. Aufl. 2014, Rn. 167 ff.) Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten in sein Amt und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden war (BVerwG, U.v. 15.11.2018 – 2 C 60.17 – juris Rn. 19).
2. Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Schwerwiegende Vorsatzstraftaten bewirken generell einen Vertrauensverlust, der unabhängig vom jeweiligen Amt zu einer Untragbarkeit der Weiterverwendung als Beamter führt (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 12/13).
2.1 Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16).
Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, greift der Senat auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten auf den Strafrahmen zurück (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.2018 – 2 B 5.18 – juris Rn. 18; U.v. 10.12.2015 a.a.O.; B.v. 5.7.2016 – 2 B 2.16 – juris Rn. 14).
Setzt sich das Dienstvergehen – wie hier – aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung. Das ist hier der Computerbetrug nach § 263a StGB. Das ergibt sich schon daraus, dass für die Straftat des Computerbetrugs bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verhängt werden können. Damit bewegt sich die Strafandrohung weit über dem mittelschweren Bereich (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2015 – 2 WD 15.14 – juris Rn. 51; U.v. 20.3.2014 – 2 WD 5.13 – juris). Begeht ein Beamter innerdienstlich eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht (hier sind es bis zu fünf Jahre), reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 20), bei Ruhestandsbeamten dementsprechend bis zur Aberkennung des Ruhegehalts (Art. 13, 14 Abs. 2 Satz 2 BayDG). Bei innerdienstlichen Dienstvergehen kommt dem ausgeurteilten Strafmaß (hier 90 Tagessätze á 80 €) dabei keine „indizielle“ oder „präjudizielle“ Bedeutung für die Bestimmung der konkreten Disziplinarmaßnahme zu (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 15 f.).
2.2 Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Ermessenentscheidung führt zur Aberkennung des Ruhegehalts des Beklagten, weil er durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn und auch der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 BayDG). Eine vollständige Zerstörung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit eines Beamten, die seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. bei Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhegehalts erforderlich macht, ist bei innerdienstlichen Betrugs- oder Untreuehandlungen in der Regel anzunehmen, wenn entweder das Eigengewicht der Tat besonders hoch ist oder eine zusätzliche Verfehlung mit erheblichem disziplinarischem Eigengewicht vorliegt und durchgreifende Milderungsgründe fehlen. Erschwernisgründe können sich z.B. aus der Anzahl und Häufigkeit der Taten, der Höhe des Gesamtschadens und der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse ergeben.
Die vollständige Ausschöpfung des Orientierungsrahmens ist hier wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens geboten. Es handelt sich bei dem Dienstvergehen nicht um ein einmaliges Fehlverhalten, sondern um insgesamt 31 Betrugshandlungen, die über zwei Jahre andauerten. Ein Beamter, der seinen Dienstherrn zur eigenen Bereicherung durch eine betrügerische Handlung schädigt, begeht ein schwerwiegendes Dienstvergehen. Der Dienstherr kann seine Bediensteten nicht auf Schritt und Tritt kontrollieren. Für eine effiziente Aufgabenerfüllung ist er darauf angewiesen, ihnen Vertrauen entgegenzubringen. Ein Beamter, der dies ausnutzt, um sich zu bereichern, belastet das unverzichtbare Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße und uneigennützige Aufgabenwahrnehmung empfindlich. Ungeachtet des vergleichsweise geringen Schadens (1.864,42 €) belastet den Beklagten erheblich, dass er die in Rede stehende Straftat als Polizeivollzugsbeamter beging. Aufgabe dieser Beamtengruppe ist es, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären. Begeht ein Polizist stattdessen selbst gravierende Straften, führt das zu einem nachhaltigen Verlust des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit, dass er seine Dienstpflichten in Zukunft ordnungsgemäß erfüllen wird (vgl. OVG NW, U.v. 11.9.2019 – 3d A 1923/18.O – juris Rn. 93). Zudem war der Beklagte zum Tatzeitpunkt Beamter der 3. Qualifikationsebene und hatte als Dienstgruppenleiter eine Vorgesetztenfunktion inne. Seine (inner-)dienstliche Stellung wirkt sich erschwerend aus, weil die Verletzung insbesondere innerdienstlicher Pflichten durch Vorgesetzte größere Auswirkungen auf die Dienstmoral und das Ansehen der öffentlichen Verwaltung auslöst als bei Beamten in untergeordneter Dienststellung (vgl. Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2019, Art. 14 Rn. 10).
Zu berücksichtigen waren auch die näheren Umstände bei der Verwendung der Tankkarte, die auf eine erhebliche kriminelle Energie unter Missbrauch seiner dienstlichen Stellung schließen lassen. Der Beklagte musste mit jeweils eigenem, neuen Entschluss in den Besitz der Schlüssel für ein Dienstfahrzeug kommen, um die dort deponierte Tankkarte an sich zu bringen. Die Schlüssel, welche sich im DGL-Zimmer und damit in seinem unmittelbaren Zugriff befanden, hat der Beklagte unter Missbrauch seiner Stellung als Dienstgruppenleiter an sich genommen, hat dann am Ende einer Spätschicht (Dienstende: 18:45 Uhr) – also zu einer Zeit, als der größte Teil der Bediensteten die Dienststelle bereits verlassen hatte – eine Tankkarte aus einem Fahrzeug unberechtigt in seinen Besitz gebracht und konnte die in seinem aufzubewahrenden Schlüssel wieder unbemerkt zurückbringen. Der Beklagte hat am nächsten Morgen zwischen 6:15 Uhr und 6:27 Uhr vor Beginn der Frühschicht (Dienstbeginn: 6:45 Uhr) getankt – wissend, dass zu diesem Zeitpunkt die Tankstelle noch nicht geöffnet war und er somit unbeobachtet sein Privatfahrzeug betanken und mittels der auf der Tankkarte befindlichen PIN am Tankautomaten bezahlen konnte. Während der Öffnungszeiten wird die Tankkarte üblicherweise im Kassenraum bei den Angestellten der Tankstelle zum manuellen Bezahlen eingesetzt. Nach seinem Dienstantritt – wiederum zu einer Zeit, an der die Tagesdienstleistenden erst nach und nach ihren Dienst aufnehmen – holte er wieder den Schlüssel für das betreffende Fahrzeug aus dem DGL-Zimmer und legte die Tankkarte in das Dienst-Kfz zurück.
Zu berücksichtigen sind auch die weiteren Pflichtverstöße des Beklagten. Hierzu zählt zunächst der im Strafbefehl ebenfalls gewürdigte Verstoß gegen das Waffengesetz. Gerade beim Polizeibeamten muss man einen korrekten Umgang mit Schusswaffen und Munition erwarten können. Dass der Beklagte über einen längeren Zeitraum ohne die erforderliche Erlaubnis im Besitz einer nicht mehr als gering zu betrachtenden Anzahl von Patronen war und diese sogar nach einem Dienststellenwechsel wieder neu verwahrte, belegt ein mehr als sorg- und verantwortungsloses Verhalten im Umgang mit Waffen. Zudem wiegt die langjährige unberechtigte Nutzung eines Dienstfahrzeugs zum Dienstende der Nachtschichten zur Privatfahrt (Fahrt, die nicht der Erledigung von Dienstgeschäften dient) ebenfalls schwer. Privatfahrten mit Dienstkraftwagen dürfen nur in besonders begründeten Fällen mit Genehmigung des Behördenleiters ausgeführt werden. Eine solche Genehmigung hat der Beklagte nicht eingeholt, sondern vielmehr über den Zweck der Fahrt getäuscht, indem er diese als Streifenfahrt deklarierte und entsprechend in einem Papierbogen eintrug. Selbst bei Anerkennung eines Mitverschuldens der Dienststelle kann dies das Verhalten des Beklagten nicht entschuldigen und eine disziplinarrechtliche Würdigung ausschließen. Eine Absprache der Fahrten mit der Dienststellenleitung fand in den ganzen Jahren nicht statt. Die Fahrten erfolgten nur zu Zeiten, an denen der Dienststellenleiter nicht im Dienst war. Zwar waren die privaten Fahrten des Beklagten auf der Dienststelle teilweise bekannt; nicht jedoch dem ehemaligen Vorgesetzten des Beklagten, EPHK a.D. W* … Dieser gab in seiner Stellungnahme vom 7. Oktober 2014 an, keine positive Kenntnis von diesen Fahrten gehabt zu haben. Ihm wurden sie nur einmal als Begebenheit vom Hörensagen mitgeteilt. Da dies wiederum dem Beklagten nicht bekannt war, war sein Unrechtsbewusstsein auch nicht durch das Ausbleiben diesbezüglicher dienstlicher Kontrollen gemindert.
Hinzu kommt ein Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht. Der Beklagte hat über acht Jahre hinweg regelmäßig zum Ende der Nachtschicht (außer, wenn die Nachtschicht an einem Samstag oder Sonntag endete) seinen Dienst mindestens 30 Minuten früher beendet, war bereits vor Verlassen der Dienststelle in Zivil gekleidet und nicht mehr bewaffnet. Ein Verstoß gegen die Dienstleistungspflicht als einer Grundpflicht des Beamten wiegt schwer, wobei hier noch erschwerend hinzukommt, dass der Beklagte dadurch eine geordnete Übergabe der Dienstgeschäfte an den nachfolgenden Dienstgruppenleiter unmöglich machte. Abgerundet werden die Pflichtverstöße durch das verbotswidrige Lagern von alkoholischen Getränken. Den Vorgaben zufolge ist es – neben dem Konsum von Alkohol und alkoholfreiem Bier während des Dienstes und in angemessener Zeit vor Dienstbeginn – u.a. auch untersagt, in Diensträumen und den dazugehörigen Bereichen alkoholische Getränke und alkoholfreies Bier vorrätig zu halten. Die Einlassung des Beklagten (Geschenk für einen Kollegen; nur vorübergehende Zwischenlagerung) vermag ihn daher nicht zu entlasten.
2.3 Mildernde Umstände von solchem Gewicht, die trotz der Schwere des Dienstvergehens die Verhängung der Höchstmaßnahme als unangemessen erscheinen lassen, liegen nicht vor.
2.3.1 Es liegen keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Beklagten im Tatzeitraum der Milderungsgrund erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zur Seite stand. In dem hier für das Disziplinarverfahren besonders relevanten Zeitraum vom 23. April 2011 bis 18. Mai 2013 (Tankvorgänge) lassen sich den vorläufigen Arztbriefen der medizinischen Einrichtungen des Bezirks O. GmbH vom 17. Juni 2013 und des Bezirksklinikums Wöllershof vom 20. September 2013 nur entnehmen, dass sich der Beklagten wegen einer Anpassungsstörung vom 27. Mai bis 17. Juni 2013 bzw. vom 5. August bis 20. September 2013 stationären Aufenthalten unterziehen musste. Dem Bericht der Schön-Klinik vom 5. März 2014 lässt sich entnehmen, dass sich der Beklagte dort vom 12. Dezember 2013 bis 4. März 2014 in stationärer Behandlung befand. Als „anhaltende Belastungsfaktoren“ werden das (damals noch) ausstehende dienstrechtliche Verfahren und der Verlust der finanziellen Versorgungsgrundlage der Familie inkl. bedrohter Wohnsituation im Eigenheim genannt.
Danach bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte während der maßgeblichen Zeit aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen wäre, seinen Dienst ordnungsgemäß zu versehen und sein pflichtwidriges Verhalten zu erkennen. Der Beklagte hat für die Tatzeit weder vorgetragen, sich aufgrund etwaiger psychischer Störungen oder seelischer Erkrankungen in ärztlicher Behandlung befunden zu haben, noch dazu ausgeführt, sich selbst als psychisch krank empfunden zu haben. Es sind somit keine hinreichend konkreten Umstände ersichtlich, die seine Schuldfähigkeit in Zweifel ziehen könnten. Für die Erstellung eines Gutachtens fehlen die erforderlichen Anknüpfungstatsachen. Auch aus der vom Beklagten vorgelegten „gutachterlichen ärztlichen Äußerung“ des Dr. C* … S* … vom 17. Januar 2016 und des „Entlassberichts“ der sysTelio-Klinik vom 22. April 2015 (stationärer Aufenthalt: 14.2.2015 – 3.4.2015) ergeben sich keine Bedenken hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit. Aus diesen Bescheinigungen geht lediglich hervor, dass der Beklagte seit März 2014 in psychotherapeutischer Behandlung ist. Für die Zeit, in der der Beklagte seine Pflichtverletzungen begangen hatte, ist diese Bescheinigung nicht aussagekräftig, sondern gibt letztlich nur die Eigenwahrnehmung des Beklagten wieder. Die Bescheinigung schildert im Wesentlichen den Gesundheitszustand des Beklagten nach dem schwerwiegenden Einschnitt durch die Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens. Substantiierte konkrete Hinweise auf das Vorliegen schuldausschließender Gründe im Sinne des § 20 StGB im Tatzeitraum und in Bezug auf die konkreten Pflichtenverstöße sind nicht dargestellt. Die Vermutung, der Grund für die Verfehlungen seien die „schlechten Beurteilungen“ des Beklagten gewesen, ist nicht nachvollziehbar, da er zwar in den Jahren 2003 und 2006 nur mit sechs Punkten beurteilt wurde, in den Jahren 2009 und 2012 jedoch acht und elf Punkte erhalten hatte. Ab 2011 kann daher von schlechten Beurteilungen nicht die Rede sein.
Unabhängig hiervon setzt eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne des § 20 StGB erheblich eingeschränkt war. Hier ist bereits kein Eingangsmerkmal des § 20 StGB (krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Schwachsinn, schwere andere seelische Abartigkeit) erkennbar. Auch unabhängig vom Fehlen eines Eingangsmerkmales kann der Senat eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit ausschließen. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das begangene Delikt wiegt. Im Disziplinarrecht hängt die Beurteilung der Erheblichkeit von der Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflicht ab (BVerwG, B.v. 19.2.2018 – 2 B 51.17 – juris Rn. 8). Bei dem Dienstvergehen des Beklagten geht es nicht um rechtlich oder tatsächlich schwierige Pflichtentatbestände, vielmehr handelt es sich um eine jedem Beamten ohne weiteres einsichtige Pflicht. Warum der Beklagte beim Erkennen oder Befolgen gerade dieser einfachen Grundpflichten unvermeidbar versagt haben soll, während er anderen beruflichen oder privaten Pflichten vollauf genügt hat, ist nicht nachvollziehbar.
2.3.2 Die Schadenswiedergutmachung durch Erstattung des Betrages nach der Entdeckung stellt keinen beachtlichen Milderungsgrund dar (Zängl, Bayerisches Disziplinarrecht, Stand: Aug. 2019, MatR/II, Rn. 324d). Die spätere Einräumung des Fehlverhaltens und die Wiedergutmachung des Schadens nach Entdeckung der Tat führen ebenfalls nicht zu einer milderen Disziplinarmaßnahme. Ein Absehen von der Höchstmaßnahme käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Beklagte durch freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung von seinen Taten abgerückt wäre (BayVGH, B.v. 31.7.2017 – 16a DS 16.2489 – juris Rn. 11).
2.3.3 Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer sog. anerkannter Milderungsgründe, wie z.B. eine einmalige persönlichkeitsfremde Augenblickstat, bestehen nicht. Die Pflichtverletzungen an unterschiedlichen Tagen schließen die Annahme einer persönlichkeitsfremden Tat aus. Von einem durch Spontaneität und Kopflosigkeit bestimmten Verhalten als Charakteristika der persönlichkeitsfremden Augenblickstat kann angesichts der mehrfachen „Entgleisungen“ des Beklagten nicht ausgegangen werden (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2016 – 2 WD 19.15 – juris Rn. 55).
2.3.4 Das Persönlichkeitsbild vom 8. August 2013 ist eher negativ einzustufen und trägt daher nicht zur Entlastung des Beklagten bei.
Nachvollziehbare Beweggründe für sein Handeln hat der Beklagte nicht dargelegt. Die Enttäuschung über seine Beurteilungen und die von ihm angenommene Nichtberücksichtigung bei der „Altersbeförderung“ nach Besoldungsgruppe A 12 können sein Verhalten nicht entschuldigen. Auch von einem Beamten, der nicht entsprechend seiner Erwartungen beurteilt wird, kann erwartet werden, dass er seinen Dienst nach Recht und Gesetz versieht.
2.3.5 Auch die lange Dauer des bereits 2013 eingeleiteten Disziplinarverfahrens kann nicht mildernd berücksichtigt werden. Aufgrund des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Beklagten in seiner aktiven Dienstzeit als Beamter ist das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Dienstherrn endgültig zerstört, so dass die lange Verfahrensdauer – unabhängig von ihren Ursachen – es nicht rechtfertigt, von der Verhängung der Höchstmaßnahme abzusehen (vgl. BVerwG, U.v. 8.3.2005 – 1 D 15.04 – juris Rn. 47; BVerfG, B.v. 9.8.2006 – 2 BvR 1003/05 – juris Rn. 8; BVerwG, B.v. 17.4.2020 – 2 B 3.20 – juris Rn. 19 m.w.N.).
Weitere entlastende Gründe, die zu Gunsten des Beklagten sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
3. Die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme gegen den Beklagten ist auch nicht unverhältnismäßig und verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Schuldprinzip (vgl. BVerfG, B.v. 18.1.2008 – 2 BvR 313/07 – juris Rn. 11). Danach muss die dem Einzelnen staatlicherseits auferlegte Belastung geeignet und auch erforderlich sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Darüber hinaus darf der Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und den von dem Beamten hinzunehmenden Einbußen stehen. Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten verfolgen neben der Pflichtenmahnung die Zwecke der Gleichbehandlung und der Wahrung des Ansehens des öffentlichen Dienstes. Ist der durch das Gewicht des Dienstvergehens eingetretene Vertrauensschaden – wie vorliegend – mangels Milderungsgründen so erheblich, dass bei aktiven Beamten die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts gegenüber Ruhestandsbeamten als geeignete und erforderliche Maßnahme, den aufgezeigten Zwecken von Disziplinarmaßnahmen gegenüber Ruhestandsbeamten Geltung zu verschaffen. In derartigen Fällen ist die Aberkennung des Ruhegehalts auch angemessen. Ist das Vertrauensverhältnis – wie vorliegend – endgültig zerstört, erweist sich die Aberkennung des Ruhegehalts als angemessene Reaktion auf das Dienstvergehen. Sie beruht auf der schuldhaften Pflichtverletzung während der aktiven Dienstzeit und ist dem späteren Ruhestandsbeamten daher als bei Begehung vorhersehbar zuzurechnen (vgl. BVerwG, U.v. 8.3.2005 – 1 D 15/04 – juris Rn. 49; BVerfG, B.v. 9.8.2006 – 2 BvR 1003/05 – juris Rn. 9).
Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte und seine Familie durch die Aberkennung des Ruhegehalts existentiell betroffen werden. Dies ist jedoch allein die Folge der von ihm begangenen gravierenden Dienstpflichtverletzungen. Ihm steht zudem für die Dauer von sechs Monaten ein Unterhaltsbeitrag gemäß Art. 13 Abs. 2 BayDG zu. Auch ist er in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI), so dass er ggf. auch Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beantragen kann. Im Übrigen ist der Beklagte ggf. auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu verweisen.
Nach Abwägung aller be- und entlastenden Umstände ist deshalb nach Überzeugung des Senats die Aberkennung des Ruhegehalts angemessen und geboten.
4. Der Ausspruch unter der Nr. I Satz 3 des Urteilstenors findet seine Rechtsgrundlage in Art. 11 Abs. 3 Satz 3 BayDG. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht die Zeitspanne von sechs Monaten, während derer einem nach Art. 11 Abs. 3 Satz 1 BayDG aus dem Dienst entfernten Beamten ein Unterhaltsbeitrag zusteht, verlängern, wenn das notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, da der Beklagte angesichts seines fortgeschrittenen Alters und seiner Behinderung voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, zwischen dem Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils und dem Zeitpunkt, von dem an er ggf. eine Sozialversicherungsrente wird beziehen können, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
5. Nach alledem war die Berufung des Klägers stattzugeben und wie tenoriert zu entscheiden. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG, Art. 3 BayDG i.V.m. § 116 Abs. 1 VwGO).

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