Aktenzeichen AN 2 K 16.02202
VwGO § 42, § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 70 Abs. 2, § 88, § 113 Abs. 1
VwVfG § 3a Abs. 2
Leitsatz
1 Multiple-Choice beziehungsweise Single-Choice-Aufgaben (Antwort-Wahl-Verfahren) sind als Prüfungsform grundsätzlich anerkannt; diese Aufgabenform ist auch nicht von vornherein ungeeignet, die Eignung für den Beruf des Bürokaufmanns festzustellen. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Antwort-Wahl-Verfahren weist gegenüber einer ungebundenen, „freitextlichen“ Prüfung einige Besonderheiten auf, denen das Prüfungsverfahren Rechnung tragen muss. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Gründe
Über die Klage konnte ohne eine weitere mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Parteien damit einverstanden sind, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die Klage war abzuweisen, da sie zwar zulässig aber unbegründet ist.
Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthaft und der Klageantrag entsprechend auszulegen, vgl. § 88 VwGO. Durch eine bloße Aufhebung des negativen Prüfungsbescheids lebt der Prüfungsanspruch des Klägers wieder auf, da er in diesem Fall die vorgesehenen Prüfungsmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft hat. Eine gesonderte Verpflichtung der Beklagten, den Kläger insoweit erneut zur Prüfung zuzulassen, ist nicht erforderlich (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 825).
Die Klage ist nicht wegen fehlender Einhaltung der Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO unzulässig, da dem Kläger gemäß §§ 70 Abs. 2, 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss.
Zunächst ist festzustellen, dass der Prüfungsbescheid vom 15. Juni 2017 nicht in den fristgerecht eingelegten Widerspruch vom 15. März 2016 einbezogen war, da dieses Widerspruchsverfahren mit Erlass des Widerspruchsbescheids vom 8. Juni 2016 abgeschlossen war. Wenn während eines laufenden Widerspruchsverfahrens der angegriffenen Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt ersetzt wird, kann der Widerspruchsführer entweder den neuen Verwaltungsakt nach § 91 VwGO analog in das Widerspruchsverfahren mit einbeziehen oder den ursprünglichen Widerspruch für erledigt erklären und gegen den neuen Verwaltungsakt erneut Widerspruch erheben (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 68 Rn. 23). Die Klägerseite hat vorliegend jedoch die neue Prüfungsentscheidung vom 25. Juni 2017 trotz entsprechender Nachfrage seitens der Beklagten mit Schreiben vom 13. Mai 2016 nicht in das frühere Widerspruchsverfahren einbezogen, sondern vor Erlass des neuen Prüfungsbescheids ausdrücklich eine das erste Widerspruchsverfahren abschließende Widerspruchsentscheidung gefordert. Entsprechend hat der Klägerbevollmächtigte am 27. Juni 2016 seine Kostenrechnung hinsichtlich des ersten Widerspruchsverfahrens bei der Beklagten eingereicht. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerseite zum Ausdruck gebracht, dass sie von einem Abschluss des ersten Widerspruchsverfahrens ausgeht und eine Einbeziehung des zweiten Prüfungsbescheids nicht wünscht.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher vorliegend notwendig, da der Widerspruch des Klägers vom 18. Juli 2016 gegen den Bescheid vom 15. Juni 2016 die gesetzliche Widerspruchsfrist nicht eingehalten hat. Fristende war gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB am 18. Juli 2016, da der negative Prüfungsbescheid vom 15. Juni 2017 am 17. Juni 2016 zugestellt wurde und der 17. Juli 2016 ein Sonntag war. Die elektronische Widerspruchseinlegung am 18. Juli 2016 erfolgte jedoch nicht formgerecht, da dem der E-Mail angefügten Dokument die nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG erforderliche gültige qualifizierte Signatur fehlte und hiermit die Frist nicht eingehalten werden konnte. Dies geht aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen hervor. Auf Grund der mangelhaften Signatur konnten Manipulationen an dem Dokument nicht ausgeschlossen und nicht sichergestellt werden, dass das Dokument tatsächlich durch den Klägerbevollmächtigten versendet wurde (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2017 – 4 CN 1/16 – juris Rn. 21 f.). Ob die Ursache für die fehlerhafte Signatur in die Sphäre des Klägers fällt oder mit Empfangsschwierigkeiten seitens der Beklagten zusammenhängt, ist eine Frage, wer die Fristversäumung zu verschulden hat und ändert nichts an der Tatsache, dass das Dokument nicht formgerecht eingegangen ist.
Zwar ist der Klägerseite insoweit zuzustimmen, dass der Ausdruck der mit eingescannter Unterschrift versehenen Widerspruchsschrift die Schriftform nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO wahrt (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, B.v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98 – juris). Entscheidend für die Fristwahrung ist aber der Zeitpunkt des Ausdrucks und nicht der Zeitpunkt des Eingangs (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, B.v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98 – juris Rn. 16; BAG, B.v. 11.7.2013 – 2 AZB 6/13 – juris Rn. 12). Die Beklagte druckte die Widerspruchsschrift jedoch erst am 19. Juli 2016 und damit einen Tag nach Fristablauf aus.
Die Beklagte hat sich auch entgegen des Vortrags der Klägerseite nicht rügelos auf den Widerspruch eingelassen. Zwar hat sie in ihrem Widerspruchsbescheid auch Ausführungen zur Begründetheit gemacht. Dies erfolgte jedoch nur hilfsweise und nach ausdrücklicher Rüge des Formverstoßes beziehungsweise der Verfristung. Zuvor hatte die Beklagte in einer E-Mail vom 28. September 2016 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Abweisung des Widerspruchs als unzulässig und lediglich hilfsweise als unbegründet geplant sei.
Der Klägerseite war jedoch entsprechend ihrem Antrag vom 30. September 2016 gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, da die Widerspruchsfrist unverschuldet versäumt wurde. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde fristgerecht nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO am gleichen Tag gestellt, an dem die Klägerseite Kenntnis von der nicht formgerechten Widerspruchseinlegung erlangte. Die Frist wurde unverschuldet versäumt, da dem Kläger beziehungsweise seinem Prozessbevollmächtigten (vgl. § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO) keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen ist. Ein Beteiligter war ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO gehindert, wenn er diejenige Sorgfalt beachtet hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 – 2 BvR 1401/91, 2 BvR 254/92 – juris Rn. 20; BVerwG, U.v. 27.2.1976 – IV C 74.74 – juris Rn. 24). Der Prozessbevollmächtigte muss die übliche Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts beachten, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (vgl. BVerfG, B.v. 27.9.1995 – 1 BvR 414/95 – juris Rn. 7). Auch unter Beachtung der wegen Einlegung des Widerspruchs am Tag des Fristablaufs erhöhten Sorgfaltsanforderungen (vgl. BGH, B.v. 9.5.2006 – XI ZB 45/04 – juris Rn. 12) geht das Gericht davon aus, dass der Klägerbevollmächtigte vorliegend die erforderliche Sorgfalt angewandt hat. Der Klägerbevollmächtigte muss grundsätzlich nicht kontrollieren, ob ein ordnungsgemäß abgesandtes Schriftstück auch tatsächlich eingegangen ist (vgl. BVerfG, B.v. 11.1.1991 – 1 BvR 1435/89 – juris Rn. 22). Da der Klägerbevollmächtigte keine Fehlermitteilung erhielt und er zudem prinzipiell das der E-Mail angefügte Dokument qualifiziert elektronisch signiert hatte, musste sich ihm auch nicht aufdrängen, dass die Signatur nicht in gültiger Form beim Beklagten empfangen wird. Es konnte auch nicht ermittelt werden, ob der Klägerbevollmächtigte das Dokument fehlerhaft signiert hat oder Empfangsschwierigkeiten seitens der Beklagten dazu geführt haben, dass die Signatur als ungültig angesehen wurde. Auf Grund der für die Klägerseite nicht erkennbaren Probleme bei der formgerechten Übermittlung, war sie ohne ihr Verschulden daran gehindert, die Widerspruchsfrist einzuhalten.
Die Klage ist jedoch unbegründet, da der negative Prüfungsbescheid vom 15. Juni 2016 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 VwGO. Die seitens der Beklagten gewählte Prüfungsform und das Prüfungsverfahren in den Fächern „Betriebslehre“ und „Wirtschafts- und Sozialkunde“ im Rahmen der Abschlussprüfung zur Berufsausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation/zur Kauffrau für Bürokommunikation sind aus gerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden und ausreichend normativ niedergelegt.
Die in den Prüfungen im Fach „Betriebslehre“ und im Fach „Wirtschafts- und Sozialkunde“ gewählten Aufgabenstellungen sind grundsätzlich geeignet, um die Eignung für den Beruf des Bürokaufmanns festzustellen.
Im Fach „Wirtschafts- und Sozialkunde“ mussten insgesamt 29 Aufgaben beantwortet werden, die alle als Multiple-Choice-Aufgaben ausgestaltet waren, also unter verschiedenen Antworten eine oder mehrere richtige Antworten auf den Lösungsbogen übertragen werden mussten. Von den 31 Aufgaben der Prüfung im Fach „Betriebslehre“ waren 15 als Single-Choice-Aufgaben gestellt, bei denen jeweils eine Antwort aus mehreren vorgegebene Antworten auf den Lösungsbogen zu übertragen war. Multiple-Choicebeziehungsweise Single-Choice-Aufgaben (Antwort-Wahl-Verfahren) sind als Prüfungsform grundsätzlich anerkannt (vgl. BVerfG, B.v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 – juris Rn. 65). Es ist auch nicht erkennbar, dass diese Aufgabenform von vornherein ungeeignet wäre, die Eignung für den Beruf des Bürokaufmanns festzustellen, zumal die in dieser Form gestellten Aufgaben weniger als ein Drittel der Gesamtprüfung ausmachen, welche gemäß § 8 Verordnung über die Berufsausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation/zur Kauffrau für Bürokommunikation vom 13. Februar 1991 (Verordnung-Bürokommunikation) zusätzlich zu den schriftlichen Prüfungen in den Fächern „Betriebslehre“ und „Wirtschafts- und Sozialkunde“ aus einer schriftlichen Prüfung im Fach „Bürowirtschaft“, welche in offener Form gestellt wurde, und einer praktischen Prüfung besteht.
Weitere elf Aufgaben im Fach „Betriebslehre“ (Aufgabe 1, 2, 3, 6, 8, 9, 10, 14, 25, 26 und 29) sind nicht als Multiple- oder Single-Choice-Aufgaben gestaltet. Vielmehr handelt es sich hier um Textaufgaben, bei denen die Ergebnisse berechnet und diese auf den Lösungsbogen übertragen werden mussten. Dass somit letztlich nur das Ergebnis bewertet wurde und nicht auch einzelne Rechenschritte, die gegebenenfalls auf dem Aufgabenblatt niedergelegt wurden, ist nicht zu beanstanden, da die einzelnen Rechenaufgaben keine wesentlichen Zwischenrechnungen erforderten und zudem ein Taschenrechner verwendet werden durfte. Eine zwingend eigenständig zu bewertende Teilleistung lag demnach nicht vor. Zudem wurde bei der Bewertung von Aufgaben, bei denen ein zuvor in einer anderen Aufgabe errechneter Wert verwendet werden musste, bei der Auswertung sichergestellt, dass dies nicht zu einer unzulässigen Berücksichtigung von bloßen Folgefehlern führt. Eine Lösung wurde nachweislich des vorgelegten Lösungsblatts in diesem Fall auch als richtig anerkannt, obwohl mit dem zuvor falsch errechneten Wert weitergerechnet wurde.
Bei den übrigen fünf Aufgaben im Fach „Betriebslehre“ mussten die Prüflinge Konten für Buchungen benennen. Die Besonderheit bestand hier lediglich darin, dass die richtige Lösung vom Aufgabenblatt auf den Lösungsbogen übertragen werden musste. Da eine gewisse Sorgfalt ohne weiteres Bestandteil des Berufsbilds des Bürokaufmanns ist, ist dies jedoch nicht zu beanstanden.
Dass die Aufgabenstellung durch einen überregionalen Ausschuss und nicht durch den regionalen Prüfungsausschuss erfolgt, beruht auf § 18 Abs. 2 Prüfungsordnung für die Durchführung von Abschluss- und Umschulungsprüfungen der IHK … für … (Prüfungsordnung für Abschlussprüfungen) und ist nicht zu monieren, da nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG) die umfassende Verantwortlichkeit für die Abschlussprüfungen bei der Industrie- und Handelskammer und nicht beim Prüfungsausschuss liegt (vgl. BVerwG, B.v. 13.3.1990 – 7 B 172/89, 7 B 176/89 – juris Rn. 10). Dass dem Prüfungsausschuss außer der Leistungsbewertung auch die Aufgabenerstellung vorbehalten ist, ist prüfungsrechtlich nicht zwingend (vgl. BVerwG, B.v. 13.3.1990 – 7 B 172/89, 7 B 176/89 – juris Rn. 13; Wendt, GewArch 2010, 7, 8). Zwar wird gerade bei den gebundenen Aufgaben, bei denen den Prüflingen nur ein begrenzter Antwortspielraum verbleibt, durch eine zentrale Aufgabenstellung die Prüfertätigkeit von den örtlichen Prüfungsausschüssen auf den überregionalen Aufgabenerstellungsausschuss in einem höheren Maße übertragen als bei ungebundenen Prüfungen. Da aber nach dem Vortrag der Beklagten der regionale Prüfungsausschuss stets das Letztentscheidungsrecht besitzt, ist dessen Entscheidungsspielraum jedenfalls ausreichend gesichert.
Entgegen der Klägerseite liegt in der zentralen Durchführung und Bewertung der gebundenen Prüfungsteile durch einen zentralen Fachausschuss kein Verfahrensfehler. Wie die Beklagte schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung dargelegt hat, werden zwar die Lösungsbögen der Prüfungen in den Fächern „Betriebslehre“ und „Wirtschafts- und Sozialkunde“ von einem zentralen Rechenzentrum ausgewertet und die Prüfer vor Ort entscheiden in der Regel nicht über die Bewertung. Allerdings hat der örtliche Prüfungsausschuss das Recht, von der zentralen Bewertung abzuweichen; ihm obliegt insoweit das Letztentscheidungsrecht im Hinblick auf die Ergebnisse und den Prüfungsmaßstab. Eine Bindung des örtlichen Prüfungsausschusses besteht insoweit nicht und ist auch in den Prüfungsordnungen nicht festgelegt. Dies hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt und dieses Vorgehen entspricht § 42 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) und § 25 Abs. 1 Prüfungsordnung für Abschlussprüfungen, die festlegen, dass Beschlüsse über die Bewertung einzelner Prüfungsleistungen, der Prüfung insgesamt sowie über das Bestehen und Nichtbestehen der Abschlussprüfung vom Prüfungsausschuss gefasst werden. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung auch deutlich gemacht, dass sich der örtliche Prüfungsausschuss seiner Letztentscheidungskompetenz bewusst ist. Insoweit trifft der örtliche Prüfungsausschuss die endgültige Entscheidung, indem er entweder beschließt, die Bewertung des zentralen Fachausschusses zu übernehmen, oder an dessen Stelle eine eigene Bewertung vornimmt.
Die Beklagte hat darüber hinaus die Eigenarten des Antwort-Wahl-Verfahrens im Rahmen der Ausgestaltung des Prüfungsverfahrens ausreichend beachtet. Diese verfahrensrechtlichen Besonderheiten sowie die Verwendung des Antwort-Wahl-Verfahrens sind auch normativ in ausreichender Weise niedergelegt.
Das Antwort-Wahl-Verfahren weist gegenüber einer ungebundenen, „freitextlichen“ Prüfung einige Besonderheiten auf, denen das Prüfungsverfahren Rechnung tragen muss (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87 – juris; BVerfG, B.v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 – juris; OVG NW, B.v. 4.10.2006 – 14 B 1035/06 – juris Rn. 14). Der Prüfling kann im Antwort-Wahl-Verfahren lediglich eine oder mehrere Antworten ankreuzen. Er hat nicht die Möglichkeit, zu begründen, warum er die Antwort ausgewählt hat, oder gegebenenfalls darzulegen, dass er keine der vorgegebenen Antworten als richtig erachtet, beziehungsweise auf weitere Fehler in der Aufgabenstellung hinzuweisen (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87 – juris Rn. 56, 71). Da die Bewertung der Prüfung letztlich in einem bloßen Zusammenzählen von richtigen und falschen Antworten besteht, entfällt für den Prüfer der Bewertungsspielraum. Die Prüfertätigkeit wird damit auf die Ausarbeitung der Fragestellungen, die Auswahl der Aufgaben und die Festlegung der Bestehens- und Notengrenzen vorverlagert (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87 – juris Rn. 56; BVerfG, B.v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 – juris Rn. 63; SächsOVG, B.v. 10.10.2002 – 4 BS 328/02 – juris Rn. 7; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 40). Da bei einem bloßen maschinellen Auslesen der Prüfungsergebnisse der jeweilige Schwierigkeitsgrad keine Beachtung mehr findet, muss das Prüfungsverfahren einen Ausgleich in der Form gewährleisten, dass die Bestehensgrenze in Zusammenhang mit dem Schwierigkeitsgrad der Prüfung gesetzt wird (vgl. BVerfG, B.v. 14.3.1989 – 1 BvR 1033/82, 1 BvR 174/84 – juris Rn. 75). Ein probates Mittel hierfür ist die sog. relative Bestehensgrenze, bei der sich die zum Bestehen der Prüfung erforderliche Punktzahl nicht allein aus einem Vomhundertsatz der Gesamtpunktzahl ergibt, sondern zumindest auch aus einem Vomhundertsatz der durchschnittlichen Leistung.
Das Prüfungsverfahren der Beklagten entspricht diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Durch das von der Beklagten geschilderte Kritikverfahren, bei dem Prüfungsteilnehmer, Ausbilder, Lehrer und die örtlichen Prüfungsausschüsse nach der durchgeführten Prüfung Einwände bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer beziehungsweise der Aufgabenerstellungseinrichtung gegen die Aufgabenstellung und die vorläufige Lösung erheben können, ist gewährleistet, dass widersprüchliche oder fehlerhafte Aufgaben im Rahmen der Bewertung nicht berücksichtigt werden oder in der Form korrigiert werden, dass weitere Antwortmöglichkeiten als richtig zugelassen werden. Auch bei den streitgegenständlichen Prüfungen in den Fächern „Betriebslehre“ und „Wirtschafts- und Sozialkunde“ erfolgte bei je einer Aufgabe (Aufgabe 4 im Fach „Betriebslehre“ und Aufgabe 13 im Fach „Wirtschafts- und Sozialkunde“) keine Auswertung.
Mit dem Aufbeziehungsweise Abwertungsverfahren besteht zudem die Möglichkeit, die Ergebnisse der Prüfung an den Schwierigkeitsgrad anzupassen. Wenn über 33% der Teilnehmer die Prüfung in einem gebundenen Fach nicht bestehen, die Durchschnittsnote höher als 4,25 ist, wenn mehr als 25% nach dem Gesamtergebnis der gebundenen Prüfung die Prüfung nicht bestehen oder die Gesamtdurchschnittsnote der gebundenen Fächer höher als 4,0 ist, können die Aufgabenerstellungseinrichtung, die IHK-Landes-Federführer Berufsbildung oder der Fachausschuss einen Antrag auf Auf- oder Abwertung stellen und die Noten-Punkte-Skala wird entsprechend korrigiert. Darüber hinaus weist die streitgegenständliche Prüfung die Besonderheit auf, dass der örtliche Prüfungsausschuss – wie dargestellt – nicht an das zentral festgestellte Prüfungsergebnis gebunden ist. Insoweit verbleiben dem örtlichen Prüfungsausschuss ein gewisser Beurteilungsspielraum und eine gewisse Beurteilungskompetenz, da er in einzelnen Bewertungen von der zentralen Auswertung abweichen und beispielsweise auch andere Antworten als richtig zulassen kann.
Die geschilderten verfahrensrechtlichen Besonderheiten sind in den für die betreffenden Industrie- und Handelskammern verbindlichen internen Vereinbarungen ausreichend normativ festgelegt. Einer gesonderten Rechtsgrundlage, beispielsweise in der Prüfungsordnung, bedarf es nicht.
Berufsbezogene Prüfungen, die entsprechend Eingriffe in den Schutzbereich der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG darstellen, benötigen eine Rechtsgrundlage, die entsprechend der Wesentlichkeitstheorie die grundlegenden Punkte, zu der auch die Prüfungsform gehört, enthalten muss (vgl. BVerfG, B.v. 17.4.1991 – 1 BvR 1529/84, 1 BvR 138/87 – juris Rn. 53; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 22, 28). Zwar ist der Beklagten insoweit zuzustimmen, dass der erfolgreiche Abschluss der Berufsausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation anders als die Approbation für einen Arzt keine Voraussetzung für die Ausübung des Berufs ist. Allerdings handelt es sich hier um einen anerkannten Ausbildungsberuf und wird dem Kläger die Ausübung dieses anerkannten Berufs, für dessen Ausübung viele Arbeitgeber eine abgeschlossene Ausbildung voraussetzen, ohne Abschluss jedenfalls erschwert, so dass auch hier ein berufsbezogener Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG anzunehmen ist und folglich die wesentlichen Punkte der Prüfungsform und des -verfahrens zumindest in der Prüfungsordnung zu regeln sind. Da es sich jedoch um einen weniger schweren Eingriff handelt, sind die Anforderungen an die Normdichte geringer.
Die Übernahme der zentral entwickelten Aufgaben ist in § 18 Abs. 2 Prüfungsordnung für Abschlussprüfungen normiert.
Soweit die Klägerseite vorträgt, es mangele an einer ausreichenden Rechtsgrundlage für die Verwendung des Antwort-Wahl-Verfahrens, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen ist in der für die streitgegenständliche Prüfung einschlägigen Prüfungsordnung die grundsätzliche Zulässigkeit des Antwort-Wahlverfahrens festgelegt. Zum anderen sind die Anforderungen an die normative Festlegung vorliegend auf Grund des konkreten Prüfungsverfahrens geringer.
Wird eine Prüfung im Antwort-Wahl-Verfahren durchgeführt, muss dies seine Grundlage in einem Gesetz im formellen oder zumindest materiellen Sinne haben (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 29). Eine bloße verwaltungsinterne Vereinbarung, mag sie auch für die Verwaltung selbst bindend sein, genügt dem mangels Außenwirkung nicht. § 8 Abs. 4 Verordnung-Bürokommunikation vom 13.02.1991 bestimmt jedoch, dass die in Absatz 3 genannte Prüfungsdauer insbesondere unterschritten werden kann, soweit die Prüfung in programmierter Form, also im Antwort-Wahl-Verfahren, durchgeführt wird. Damit ist die Möglichkeit, die Prüfung oder einen Teil der Prüfung im Antwort-Wahl-Verfahren durchzuführen, in der Prüfungsordnung niedergelegt. Ob es einer solchen Erwähnung des Antwort-Wahl-Verfahrens in der Prüfungsordnung angesichts der Besonderheiten des konkreten Verfahrens und des geringeren Eingriffs in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG überhaupt bedarf, kann daher im vorliegenden Fall offen bleiben. Einer weitergehenden Festlegung bedarf es jedenfalls nicht, da in der streitgegenständlichen Prüfung nicht die gesamte Prüfertätigkeit auf die Fragestellung vorgelagert ist, sondern die von der Prüfungsordnung vorgesehenen Prüfer, also der örtliche Prüfungsausschuss, – wie oben dargelegt – bei der Bewertung der Prüfung einen gewissen Spielraum besitzen und die Frage, ob und mit welchem Bestimmtheitsgrad das ausgeführte Antwort-Wahl-Verfahren geregelt sein muss, für jede berufsbezogene Prüfung im Einzelfall zu prüfen ist (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Aufl. 2014, Rn. 42). Daher ist es auch nicht zu beanstanden, dass die für das Antwort-Wahl-Verfahren erforderlichen Verfahrensbesonderheiten, das Auf- und Abwertungssowie das Kritikverfahren nur in einer verwaltungsinternen Vereinbarung niedergelegt sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Berufung wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.