Aktenzeichen B 5 K 17.344
Leitsatz
1. Ein vorläufiger Rechtsgrund für die Fortzahlung der Dienstbezüge ist weder in der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage zu sehen, noch in der weiterhin erfolgten faktischen Erfüllung der Dienstpflichten durch den Beamten (Rechtsfigur des “faktischen Beamtenverhältnisses”)(Rn. 16 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Nichtberücksichtigung einer Forderungsminderung aufgrund der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung des Beamten liegt ein Defizit in der Ermessensausübung, wenn der Dienstherr dem rechtlichen Anspruch, eine weiterhin erfolgte Verrichtung des Dienstes – hier: Tätigkeit einer der Besoldungsgruppe A 5 entsprechenden Polizeidiensttätigkeit – in seinen Billigkeitserwägungen nach Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG zu würdigen, so dass von der Rückforderung der Bezüge aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden kann, nur in ungenügender Weise nachgekommen ist. ((Rn. 18) (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Verweis des Dienstherrn, der Beamte habe während des Klageverfahrens Hilfstätigkeiten durchgeführt, die zur Forderungsminderung führen, greift nicht durch, wenn eine Qualitätsbewertung der vom Beamten verrichteten Arbeit kein geeigneter Maßstab zur Bestimmung der Höhe der Rückforderung ist, zumal die Alimentation im Beamtenverhältnis grundsätzlich nicht von Umfang und Qualität der Arbeitsleistung abhängig ist. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei den im gerichtlichen Verfahren erstmals angeführten Gründen, die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe erfolge wegen charakterlicher Nichteignung und sei im Verhalten des Beamten begründet, handelt es sich nicht um ein nach § 114 Satz 2 VwGO zulässiges Ergänzen der Ermessenserwägungen, sondern um eine von § 114 Satz 2 VwGO nicht gedeckte Auswechslung der die Billigkeitsentscheidung tragenden Gründe. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Rückforderungsbescheid des Landesamts für Finanzen vom 5. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2017 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 5. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
a) Rechtsgrundlage der Rückforderung ist Art. 15 Abs. 2 BayBesG. Nach Satz 1 dieser Norm regelt sich die Rückforderung zu viel gezahlter Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Dienstbezüge sind im Sinne dieser Vorschrift zu viel gezahlt, wenn sie ohne rechtlichen Grund geleistet werden. Nach Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayBesG steht es der Kenntnis des Mangels des rechtlichen Grundes der Zahlung gleich, wenn der Mangel so offensichtlich war, dass der Empfänger oder die Empfängerin ihn hätte erkennen müssen. Von der Rückforderung kann nach Satz 3 aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden.
b) Daran gemessen geht der Beklagte zutreffend davon aus, dass im Fall des Klägers eine Zuvielzahlung von Bezügen vorliegt, weil ein Rechtsgrund für ihre Zahlung nicht besteht. Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage ist lediglich ein vorläufiger Rechtsgrund für die Fortzahlung der Dienstbezüge. Sie fingiert das vorläufige Fortbestehen des Beamtenverhältnisses, dessen Ausfluss die während des Rechtsbehelfsverfahrens fortwährende Fürsorgepflicht ist. Dieser vorläufige Rechtsgrund entfällt mit rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens rückwirkend. Dass – wie im Fall des Klägers – der Dienstherr zunächst die sofortige Vollziehung der Entlassungsverfügung angeordnet hat und erst aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage wiederhergestellt worden ist, macht rechtlich keinen Unterschied (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12.81 – juris Rn. 14f.; B.v. 16.1.1992 – 2 CB 25.89 – juris Rn. 3; B.v. 3.2.2009 – 2 B 29.08 – juris Rn.6).
Damit war der vorläufige Rechtsgrund der Fortzahlung der Bezüge an den Kläger der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. September 2013 (Az.: AN 1 S 13.01683), mit dem die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt wurde sowie der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Juli 2014 (Az. 3 AS 14.1352), mit dem die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung angeordnet wurde. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Januar 2016 (Az.: 3 B 14.1487), durch das die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) rückwirkend ab dem 30. September 2013 Wirkung entfaltete, ist für diesen Zeitraum der Rechtsgrund für die Zahlung der Dienstbezüge entfallen. Aus diesem Grund steht fest, dass der Kläger für den Zeitraum nach dem 30. September 2013 seinen Anspruch auf Besoldung verloren und die gleichwohl geleisteten Bezüge im Sinne der Bereicherungsvorschriften ohne rechtlichen Grund erlangt hat.
c) Zudem bildet auch die weiterhin erfolgte faktische Erfüllung der Dienstpflichten durch den Kläger keinen Rechtsgrund für die Fortzahlung der beamtenrechtlichen Bezüge. Die Annahme eines faktischen Beamtenverhältnisses, auf das sich der Kläger analog dem zivilrechtlich anerkannten faktischen Arbeitsverhältnis beruft, scheidet jedenfalls vorliegend aus, weil die Bezüge für die Beteiligten ohne weiteres erkennbar allein aufgrund der durch die aufschiebende Wirkung bedingten verfahrensrechtlichen Fiktion eines fortdauernden Beamtenverhältnisses gezahlt worden sind. Gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedarf es der Rechtsfigur des „faktischen Beamtenverhältnisses“ auch nicht als Rechtsgrundlage einer angemessenen Gegenleistung für einen während der aufschiebenden Wirkung faktisch geleisteten Dienst. Die vom Kläger durch Verrichtung des Polizeidienstes erbrachte Gegenleistung kann im Rahmen des Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG berücksichtigt werden, wonach von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise abgesehen werden kann (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12.81 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 6.4.2006 – 14 ZB 05.2474 – juris Rn. 13).
Überdies fehlt es auch an der Voraussetzung der auf Weiterbeschäftigung gerichteten Willensübereinstimmung der Beteiligten. Liegt keine von beiden Parteien gewollte Beschäftigung des Arbeitnehmers vor, so sind auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts die rechtsgrundlos erhaltenen Leistungen nach den Bestimmungen über die ungerechtfertigte Bereicherung rückabzuwickeln (BAG, U.v. 30.4.1997 – 7 AZR 122/96 – juris Rn. 19ff.; VGH NW, B.v. 19.12.2005 – 1 E 1330/05 – juris Rn. 15). Wie der Bezügemitteilung vom 13. September 2013 zu entnehmen ist, wurde die Zahlung der Bezüge nach der Entlassung zunächst eingestellt. Infolge des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. September 2013 (Az.: AN 1 S 13.01683) und der dadurch gerichtlich angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage am 30. September 2013 wurden die Bezüge fortan wieder ausgezahlt. In der Bezügemitteilung vom 1. Oktober 2013 fand sich jedoch ein mehrfach abgedruckter Hinweis, dass die Zahlung der Bezüge ab dem 1. Oktober 2013 unter dem Vorbehalt der teilweisen oder vollständigen Rückforderung erfolge. Es kam also erst nach Ergreifung eines Rechtsbehelfes durch den Kläger seitens des Beklagten zur Weiterbeschäftigung und Fortzahlung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der teilweisen oder vollständigen Rückzahlung. Dieser Verwaltungsvorgang sowie das weitere Vorbringen im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren machen deutlich, dass der Beklagte die Bezüge nur infolge der ihm gemäß § 80 Abs. 1 VwGO bzw. § 80 Abs. 5 VwGO obliegenden gesetzlichen Verpflichtung gezahlt hatte und keine Freiwilligkeit vorlag.
d) In nicht zu beanstandender Weise gelangt der Beklagte auch zu der Einschätzung, dass der Kläger sich – unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen einer Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB – nicht mit Erfolg auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann, denn er haftet verschärft. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Dienstbezüge, die einem entlassenen Beamten aufgrund der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage bzw. seines Widerspruchs fortgezahlt worden sind, nach rechtskräftiger Abweisung der Klage gemäß § 12 Abs. 2 BBesG (dem Art. 15 Abs. 2 BayBesG entspricht) zurückzufordern sind und der verschärften Haftung des Empfängers unterliegen (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12.81 – juris Rn. 14f.; BVerwG, B.v. 16.1.1992 – 2 CB 25.89 – juris Rn. 3; B.v. 20.3.1998 – 2 B 128.97 – juris Rn. 9; B.v. 3.2.2009 – 2 B 29.08 – juris Rn.6).
Die Fortzahlung der Bezüge aufgrund einer gerichtlichen Anordnung während des Klageverfahrens erfolgt unter dem Vorbehalt des rückwirkenden Wegfalls des Leistungsgrundes bei Abweisung der Klage. Die Zahlungen beruhten damit auf einem Rechtsgrund, dessen Wegfall im Sinne des § 820 Abs. 1 Satz 2 BGB nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts als möglich angesehen worden und tatsächlich erfolgt ist. Der Kläger haftet damit gemäß § 820 Abs. 1 BGB i.V.m. § 818 Abs. 4 BGB verschärft, d.h. er kann sich nicht mehr auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB berufen (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12.81 – juris Rn. 16; BVerwG, B.v. 16.1.1992 – 2 CB 25.89 – juris Rn. 6; B.v. 20.3.1998 – 2 B 128.97 – juris Rn. 9; B.v. 3.2.2009 – 2 B 29/08 – juris Rn. 7).
Dies war für den Kläger auch klar ersichtlich. Zudem war es für den Kläger aufgrund der ihm mitgeteilten Einstellung der Zahlungen in der Bezügemitteilung vom 13. September 2013 und der Fortzahlung der Bezüge ab dem 1. Oktober 2013 ohne weiteres erkennbar, dass die Bezüge fortan gezahlt worden sind, um der durch die aufschiebende Wirkung bedingten verfahrensrechtlichen Fiktion eines fortdauernden Beamtenverhältnisses gerecht zu werden. Entgegen der Ansicht des Klägers ist hierfür auch nicht notwendig, dass der Vorbehalt der vollständigen oder teilweisen Rückforderung in jeder Bezügemitteilung aufgeführt wird. Hingegen wurde durch den Beklagten in der Mitteilung vom 1. Oktober 2013 darauf hingewiesen, dass die Zahlung ab dem 1. Oktober 2013 unter diesem Vorbehalt erfolgt und somit die folgenden Zeiträume umfasse.
e) Gleichwohl ist auch in den Fällen der verschärften Haftung eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung nicht schlechthin ausgeschlossen. Umstände, die den Verbrauch der zu Unrecht gezahlten Bezüge im Sinne dieser Rechtsprechung ausnahmsweise unter Berücksichtigung des auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben als gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, sind indes vom Kläger weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich (BVerwG, U.v. 27.1.1994 – 2 C 19/92 – juris Rn. 20). Ein Rechtsgrundsatz, dass der seine Entlassung anfechtende Beamte in jedem Falle die einstweilen fortgezahlten Bezüge in Höhe des notwendigen Lebensbedarfs ersatzlos verbrauchen dürfe, besteht nicht. Die Bestimmung der fortgezahlten Bezüge ist zwar der Verbrauch, aber nicht der in jedem Falle von einer Ersatzleistung befreiende Verbrauch. Anderenfalls wäre die verschärfte Haftung gem. § 820 Abs. 1 BGB nahezu gegenstandslos (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12/81 – juris Rn. 17; B.v. 3.2.2009 – 2 B 29/08 – juris Rn. 9).
f) Allerdings begegnet die Billigkeitsentscheidung gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG zur Überzeugung des Gerichts durchgreifenden Bedenken. Für diese Einschätzung sprechen folgende Erwägungen: Gemäß Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise von der Rückforderung abgesehen werden. Für die gleichlautende Vorschrift in § 12 Abs. 2 Satz 3 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) hat das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes ausgeführt (U.v. 26.4.2012 – 2 C 15/10 – NVwZ-RR 2012, 930/932):
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bezweckt eine Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG, eine allen Umständen des Einzelfalles gerecht werdende, für die Behörde zumutbare und für den Beamten tragbare Lösung zu ermöglichen, bei der auch Alter, Leistungsfähigkeit und sonstige Lebensverhältnisse des Herausgabepflichtigen eine maßgebende Rolle spielen. Sie ist Ausdruck des auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben und stellt eine sinnvolle Ergänzung des ohnehin von dem gleichen Grundsatz geprägten Rechts der ungerechtfertigten Bereicherung dar, so dass sie vor allem in Fällen der verschärften Haftung von Bedeutung ist. Dabei ist jedoch nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen.
(…)
Die Rechtsfehlerhaftigkeit einer Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG hat die Rechtswidrigkeit der Rückforderungsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG zur Folge. Ein Rückforderungsbescheid darf nicht ergehen, ohne dass eine Billigkeitsentscheidung getroffen worden ist. Eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners modifiziert den Rückzahlungsanspruch (…). Die Billigkeitsentscheidung betrifft nicht lediglich die Vollziehung oder Vollstreckung des Rückforderungsbescheids, sondern den materiellen Bestand des Rückforderungsanspruchs und ist deshalb zwingend vor der Rückforderung zu treffen (…) Neben dem vollständigen oder teilweisen Absehen von der Rückzahlung kommen die Stundung der Rückzahlungsforderung oder die Einräumung von Ratenzahlungen in Betracht (…). Vor der Billigkeitsentscheidung nach § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG steht lediglich die Höhe der Überzahlung fest, nicht aber, ob, in welcher Höhe und mit welchen Modalitäten diese Überzahlung auch einen Rückforderungsanspruch nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG begründet. Die Billigkeitsentscheidung ist damit notwendiger und untrennbarer Bestandteil der Rückforderungsentscheidung.“
Dieser Rechtsprechung schließt sich das Verwaltungsgericht an. Gemessen daran erweist sich die getroffene Billigkeitsentscheidung des Beklagten, dem Grunde nach an der Rückforderung in Höhe von 57.788,82 Euro festzuhalten, vor dem Hintergrund der vom Kläger über die gesamte Dauer des gerichtlichen Verfahrens weiterhin erbrachten Dienstleistung in vollem Umfang als fehlerhaft.
Dabei ist zwar zunächst zu berücksichtigen, dass der Beklagte – in einem ersten Schritt – in nicht zu beanstandender Weise selbst von dem Vorliegen von Billigkeitsgründen ausgegangen ist. Die sich sodann – in einem zweiten Schritt – anschließende Ermessensausübung des Beklagten (zur Struktur der gleichlautenden Vorschrift in § 15 Abs. 2 Satz 3 BBesG als Koppelungstatbestand: Kathke in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Stand September 2017, Rn. 118 zu § 15 BBesG m.w.N.) weist zur Überzeugung des Gerichts aber Ermessensfehler auf, weil der Beklagte zentrale Belange nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt bzw. unzutreffend gewichtet hat.
(1) Ermessensentscheidungen der Behörde sind dabei gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar. Die Gerichte sind zur Ermessenskontrolle, nicht aber zur eigenen Ermessensausübung ermächtigt. Die Überprüfung beschränkt sich daher auf die Feststellung, ob das Ermessen rechtmäßig, nicht auch, ob es zweckmäßig ausgeübt wurde (vgl. Rennert in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 Rn. 1, 15. Auflage 2019 mit Verweis auf BVerwG, U.v. 18.8.1960 – BVerwG I C 42/59).
(2) Zwar hat der Beklagte zutreffend die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers in die Ermessensentscheidung miteinbezogen, indem er anführte, dass der Kläger 28 Jahre alt und ledig sei, keine Kinder habe und sich derzeit in Ausbildung zum Speditionskaufmann befinde. Der Beklagte hat bei der Betrachtung der Lebensumstände des Klägers zu Recht nicht auf die Lage im Zeitraum der Zahlungen, sondern auf die Lage im Zeitpunkt der Rückabwicklung abgestellt. Diese Erwägungen wurden im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässigerweise nach § 114 Satz 2 VwGO noch durch das geringe Einkommen des Klägers während seiner Ausbildung ergänzt, das aus Sicht des Beklagten für ein (teilweises) Absehen von der Rückforderung spreche.
(3) Dennoch liegt in der Nichtberücksichtigung einer Forderungsminderung aufgrund der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung des Klägers ein Ermessensdefizit in Form einer Fehlgewichtung. Im Rückforderungsbescheid wird angeführt, dass die Tatsache, dass der Kläger während des Klageverfahrens Dienst geleistet hat, nicht forderungsmindernd berücksichtigt werden kann, da die Weiterbeschäftigung nur aufgrund der aufschiebenden Wirkung erfolgte und die Bezüge ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Rückforderung standen. Im gerichtlichen Verfahren trug der Beklagte weiter vor, den Umstand, dass der Kläger tatsächlich Dienst geleistet hat und die Arbeitsleistung, insbesondere seinen Einsatz beim G7-Gipfel, im Rahmen der Billigkeitsentscheidung berücksichtigt zu haben.
Soweit § 114 Satz 2 VwGO ein Ergänzen der Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zulässt, kann dies nicht zu einem vollständigen Auswechseln der Erwägungen führen. Daher lässt sich die Ergänzung im gerichtlichen Verfahren zulässigerweise nur dahingehend mitberücksichtigen, dass der Gesichtspunkt der Diensterbringung vom Beklagten in seine Erwägungen miteinbezogen wurde, allerdings zu keiner Forderungsminderung führen konnte. Sofern der Beklagte mit der nachgeschobenen Begründung eine forderungsmindernde Berücksichtigung der Arbeitsleistung begründen wollte, läge ein Widerspruch zu den Ausführungen im Widerspruchsbescheid vor und somit eine Auswechslung der Ermessenerwägungen, die nicht mehr von § 114 Satz 2 VwGO gedeckt ist.
Vor diesem Hintergrund, dass die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung zwar in die Ermessensentscheidung miteinbezogen wurde, allerdings nicht forderungsmindernd berücksichtigt wurde, widersetzt sich der Beklagte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Nach dieser Rechtsprechung bedarf es der Rechtsfigur des „faktischen Beamtenverhältnisses“ als Rechtgrundlage einer angemessenen Gegenleistung für einen während der aufschiebenden Wirkung faktisch geleisteten Dienst nicht, da die Gegenleistung im Rahmen des § 12 Abs. 2 Satz 3 BBG berücksichtigt werden kann (BVerwG, U.v. 25.11.1982 – 2 C 12.81 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 6.4.2006 – 14 ZB 05.2474 – juris Rn. 13). Durch die Ablehnung einer mindernden Berücksichtigung unter Verweis auf die Fortzahlung der Bezüge ausschließlich aufgrund der aufschiebenden Wirkung der Klage bedient sich der Beklagte der identischen Begründung, die auch zur Ablehnung des faktischen Beamtenverhältnisses herangezogen wurde. Dies würde – wie im Fall des Klägers geschehen – dazu führen, dass der Umstand der tatsächlichen Arbeitsleistung vollständig unberücksichtigt bliebe, was so von der zitierten Rechtsprechung gerade nicht vorgesehen ist. Dadurch hat der Beklagte die Arbeitsleistung des Klägers in nur ungenügender Weise im Rahmen seines Ermessens gewürdigt.
Überdies gelingt es dem Beklagten auch durch den Verweis auf die ausgeübten Tätigkeiten des Klägers während des laufenden Klageverfahrens nicht, die fehlende Forderungsminderung mit den vom Kläger – nach Ansicht des Beklagten – ausgeführten Hilfstätigkeiten zu begründen. Vielmehr haben sowohl die Bereitschaftspolizeiabteilung, bei der der Kläger tätig war, als auch das Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei bestätigt, dass der Kläger in der Zeit des anhängigen Klageverfahrens insgesamt einen Beitrag zur Bewältigung der Aufgaben der Abteilung bzw. der Bayerischen Polizei geleistet hat, der mit den bezogenen Dienstbezügen eines Polizeiwachtmeisters (Besoldungsgruppe A5) in Einklang gestanden hat. Zudem ist noch anzumerken, dass eine Qualitätsbewertung der vom Kläger verrichteten Arbeit als kein geeigneter Maßstab zur Bestimmung der Höhe der Rückforderung erscheint, zumal die Alimentation im Beamtenverhältnis grundsätzlich ebenfalls nicht von Umfang und Qualität der Arbeitsleistung abhängig ist. Es wird zwar nicht verkannt, dass rückwirkend für den Zeitraum des Klageverfahrens kein Beamtenverhältnis mehr vorlag, dennoch sind diese Grundsätze wegen der nachwirkenden Fürsorgepflicht nicht völlig außer Betracht zu lassen.
(4) Die Fehlgewichtung in der Ermessensentscheidung wird angesichts des erstmals im gerichtlichen Verfahren angeführten Ermessensgesichtspunkts des Fehlverhaltens des Klägers noch deutlicher, da dies der einzige vom Beklagten genannte Aspekt zu Lasten des Klägers ist, jedoch nicht mehr mit in die Ermessensentscheidung miteinbezogen werden kann. Der Beklagte führt dabei aus, dass die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen charakterlicher Nichteignung erfolgte und im Verhalten des Klägers begründet war. Weiter hätten der Entlassung Geschehnisse zugrunde gelegen, die gravierende Mängel an Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein, Kollegialität und Aufrichtigkeit aufzeigen würden. Dieses Fehlverhalten wiege so schwer, dass die wirtschaftliche Situation des Klägers demgegenüber in den Hintergrund trete.
Anhand dieser Ausführungen lässt sich feststellen, dass es sich für die Entscheidung des Beklagten um einen gewichtigen Gesichtspunkt der Ermessensentscheidung handelte, der gegenüber weiteren Aspekten überwog. Da dieser erst im gerichtlichen Verfahren eingeführt wurde, handelt es sich nicht um ein nach § 114 Satz 2 VwGO zulässiges Ergänzen der Ermessenserwägungen, sondern um eine von § 114 Satz 2 VwGO nicht gedeckte Auswechslung der die Billigkeitsentscheidung tragenden Gründe. Da diese sich negativ auswirkende Erwägung keinen Eingang mehr in die Ermessensentscheidung gefunden hat, ist umso weniger nachvollziehbar, aus welchem Grund der erbrachten Dienstleistung kein Gewicht beigemessen wurde.
(5) Darüber hinaus hat der Beklagte nicht in seine Ermessenserwägungen eingestellt, dass, selbst wenn ein zur Entlassung führendes Fehlverhalten des Klägers vorliegt, gemäß § 45 Satz 1 BeamtStG eine nachwirkende Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Beendigung des Beamtenverhältnisses besteht. Es mag zwar sein, dass Inhalt und Umfang dieser Fürsorgepflicht für die Zeit nach Beendigung des Beamtenverhältnisses maßgeblich davon bestimmt werden, auf welche Art und Weise das Beamtenverhältnis sein Ende gefunden hat (Plog/Wiedow, BBG, Stand Februar 2018, Rn. 52 zu § 78 BBG). Der Beklagte hätte aber im Rahmen seiner Ermessenserwägungen berücksichtigen müssen, dass einem früheren Beamten selbst in Fällen eines gravierenden, disziplinarrechtlich zu einer Dienstentfernung führenden Fehlverhaltens in Gestalt eines Dienstvergehens (§ 47 BeamtStG) für die Dauer von sechs Monaten ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 50 v.H. der Dienstbezüge, die bei Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zustehen, gewährt wird (Art. 11 Abs. 3 Satz 1 des Bayer. Disziplinargesetzes (BayDG), wobei zur Vermeidung einer unbilligen Härte eine Verlängerung ausdrücklich möglich ist (Art. 11 Abs. 3 Satz 3 BayDG).
Zudem hätte der Beklagte – ebenfalls unter dem Aspekt seiner nachwirkenden Fürsorgepflicht – auch zwingend berücksichtigen müssen, dass eine nachträgliche Bewilligung von Sozialleistungen aufgrund des in § 11 Abs. 2 des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) geregelten Zuflussprinzips ausscheiden könnte. Zudem liegt der dem Kläger für seine Dienstleistung belassene Monatsbetrag noch deutlich unter dem Sozialleistungsbetrag.
(6) Aus diesen Gründen liegt eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens vor, die zur Rechtswidrigkeit des Bescheids führt. Dem Beklagten obliegt es, im weiteren Verfahrensgang sodann zu prüfen, inwieweit die tatsächlich erbrachte Tätigkeit forderungsmindernd berücksichtigt werden kann, sodass ein höheres bzw. vollständiges Absehen von der Rückforderung infrage steht. Jedenfalls kann es dem Kläger – wie vom Beklagten vorgebracht – nicht zum Nachteil gereichen, von der ihm durch Art. 19 Abs. 4 GG zustehende Rechtsweggarantie Gebrauch gemacht zu haben, auch wenn diese letztlich zur Fortzahlung der Bezüge führte.
Zudem erscheint die vom Beklagten im streitgegenständlichen Rückforderungsbescheid herangezogene Analogie zur Rückforderung der Anwärterbezüge – zur Überzeugung des Gerichts – verfehlt. Zum einen hat der Kläger nach dem Ablegen seiner Qualifikationsprüfung im Januar 2014 für die Dauer von zwei Jahren im Rahmen einer vollwertigen Tätigkeit weitergearbeitet, während die Anwärterbezüge und deren Rückforderung nur den Zeitraum der Ausbildung bis zur Ableistung der Abschlussprüfung und dem Ende des Ausbildungsverhältnisses betreffen. Die Rückforderung gegenüber dem Kläger bezieht sich dabei auch auf eine Zeitspanne von 2 Jahren nach Abschluss der Ausbildung, die bei der Rückforderung von Anwärterbezügen für die Zeit nach der Ausbildung nicht existiert. Zum anderen dient die Rückforderung der Anwärterbezüge vorwiegend dem Zweck, die Anwärter im Vergleich zu Studenten finanziell nicht besser zu stellen. Eine finanzielle Besserstellung infolge der tatsächlichen Diensterbringung, die nach Angaben seines Vorgesetzten mit seinem Entgelt in Einklang steht, ist beim Kläger ebenfalls nicht einschlägig.
Angesichts der fehlenden Eckpunkte, wie die Höhe der Rückforderung in einem Fall wie dem des Klägers sachgemäß zu bestimmen ist, wäre es zukünftig durchaus wünschenswert, wenn von Seiten des Beklagten klare Kriterien festgelegt würden, wie in derartigen Fällen vorzugehen ist. Dies wäre außerdem vor dem Hintergrund einer einheitlichen, dem Gleichheitssatz entsprechenden Anwendung und Abwicklung der Billigkeitsentscheidung des Art. 15 Abs. 2 Satz 3 BayBesG zu begrüßen.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 VwGO.
3. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr.3 und Nr.4 VwGO liegen nicht vor.