Aktenzeichen S 46 SF 501/16 ERI
Leitsatz
1. Durch Versetzung in den einstweiligen Ruhestand geht die Eigenschaft als leitender Beschäftigter nach § 17 Abs. 4 SGG verloren. Dies hat zur Folge, dass der bisherige ehrenamtliche Richter nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGG von seinem Amt zu entbinden ist. (amtlicher Leitsatz)
2 § 17 Abs. 4 SGG ist eine Ausnahmevorschrift und daher eng auszulegen. Bei der Tätigkeit von hauptamtlichem Leitungspersonal der Kranken- und Pflegekassen als ehrenamtliche Richter ist abzustellen auf die aktuelle Funktion. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der ehrenamtliche Richter am Sozialgericht München, Herr A., wird mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als ehrenamtlicher Richter entbunden.
Gründe
I.
Der betroffene ehrenamtliche Richter, aus verfahrenstechnischen Gründen Antragsteller genannt, war bis Ende 2014 Leiter einer gesetzlichen Krankenkasse. Er wurde mit Schreiben des Sozialministeriums vom 17.02.2010 erstmals in das Amt eines ehrenamtlichen Richters aus dem Kreis der Vertreter der Krankenkassen berufen. Mit Schreiben vom 16.02.2015 wurde der Antragsteller für eine weitere Amtsperiode ab 01.04.2015 berufen. Er ist den Kammern für Streitsachen in Angelegenheiten des Vertrags(-zahn)arztrechts zugeteilt. Die laufende Amtsperiode hätte bis 31.03.2020 gedauert.
Der Antragsteller erwähnte im November 2016, dass er sich seit 01.01.2015 im einstweiligen Ruhestand befinde und dem Ehrenamt gerne weiter nachkommen wolle. Ergänzend führte er im Rahmen der Anhörung aus, dass der einstweilige Ruhestand, sofern nichts dazwischen komme, mit dem 01.01.2018 in den regulären endgültigen Ruhestand übergehe. Bis dahin nehme er für seinen Dienstherrn gelegentlich vertretungsweise an Sitzungen des Zulassungsausschusses teil und sei weiterhin ordentliches Mitglied im Verwaltungsrat des MDK.
II.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein ehrenamtlicher Richter von seinem Amt zu entbinden, wenn das Berufungsverfahren fehlerhaft war oder das Fehlen einer Voraussetzung für seine Berufung oder der Eintritt eines Ausschließungsgrundes bekannt wird.
Weil sich der Antragsteller zum Zeitpunkt seiner erneuten Berufung mit Schreiben vom 16.02.2015 bereits im einstweiligen Ruhestand befand, fehlte eine Voraussetzung für seine Berufung schon zu diesem Zeitpunkt. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGG bezieht sich auf jedes Berufungsverfahren, nicht nur auf die erstmalige Berufung.
§ 12 Abs. 3 SGG schreibt vor, dass in den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts unter anderem ehrenamtliche Richter aus den Kreisen der Krankenkassen mitwirken. Als Bediensteter der Träger der Sozialversicherung kann der Antragsteller gemäß § 17 Abs. 3 SGG aber nicht ehrenamtlicher Richter in Kammern sein, die über Streitigkeiten aus seinem Arbeitsgebiet entscheiden. Arbeitsgebiet ist dabei aber nicht nur der persönliche Arbeitsbereich des Betroffenen, sondern der gesamte Aufgabenbereich der juristischen Person des öffentlichen Rechts; dies betrifft auch Angelegenheiten des Vertragsarztrechts (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 11. Auflage 2014, § 17 Rn. 6). Damit widersprechen sich diese beiden Vorschriften.
Diesen Konflikt löst § 17 Abs. 4 SGG: Mitglieder der Vorstände sowie leitende Beschäftigte bei den Kranken- und Pflegekassen und ihren Verbänden sind als ehrenamtliche Richter in den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts nicht ausgeschlossen. Damit ist § 17 Abs. 4 SGG eine Ausnahme zum Ausschluss in § 17 Abs. 3 SGG (BSG, Urteil vom 25.11.1998, B 6 KA 84/97 R, dort Rn. 12) und ermöglicht so die Mitwirkung als ehrenamtliche Richter nach § 12 Abs. 3 SGG.
Bereits der einstweilige Ruhestand, der bei regulärem Verlauf in den endgültigen Ruhestand mündet, beendet die Eigenschaft „leitender Beschäftigter“ im Sinne von § 17 Abs. 4 SGG. Zum einen handelt es sich bei § 17 Abs. 4 SGG um eine Ausnahmevorschrift, für die grundsätzlich eine enge Auslegung angezeigt ist. Auch Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung spricht für diese Auslegung. Hauptamtlich tätiges Leitungspersonal der Kranken- und Pflegekassen soll als ehrenamtliche Richter mitwirken können. Es geht dabei um die aktuelle Funktion. Würde diese herausgehobene Funktion etwa durch eine Umsetzung innerhalb des Sozialversicherungsträgers wegfallen, würde ebenfalls diese persönliche Eigenschaft fehlen. Dann kann auch für den einstweiligen Ruhestand ein Fortbestand der Eigenschaft „leitender Beschäftigter“ nicht angenommen werden.
Weil die persönliche Voraussetzung für die Berufung des Antragstellers bereits zum Zeitpunkt seiner erneuten Berufung fehlte, ist er gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGG von seinem Amt zu entbinden. Wäre diese Voraussetzung erst danach weggefallen, hätte das Gericht nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGG eine Ermessensentscheidung treffen können, in die die begrüßenswerte Bereitschaft des Antragstellers, sein Ehrenamt fortzuführen, und seine große Erfahrung in dem diffizilen Rechtsgebiet hätte berücksichtigt werden können. Die Entscheidung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGG ist jedoch eine gebundene Entscheidung, so dass der Antragsteller hiermit von dem Amt als ehrenamtlicher Richter zu entbinden ist.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 22 Abs. 2 Satz 3 SGG.