Aktenzeichen III ZR 303/15
Art 34 GG
§ 24 Abs 2 SGB 8 vom 11.09.2012
Verfahrensgang
vorgehend OLG Dresden, 26. August 2015, Az: 1 U 321/15, Urteilvorgehend LG Leipzig, 2. Februar 2015, Az: 7 O 2439/14, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. August 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der beklagten Stadt im Wege der Amtshaftung Ersatz von Verdienstausfall (nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten) wegen unterbliebener Bereitstellung eines Betreuungsplatzes für ihren am 4. April 2013 geborenen Sohn.
2
Mit Schreiben vom 24. Juli 2013 meldete die Klägerin für ihren Sohn bei der Beklagten Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab April 2014 an. In ihrer Eingangsbestätigung vom 6. August 2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Nachfrage nach Betreuungsplätzen im gesamten Stadtgebiet besonders hoch sei und derzeit die verfügbaren Kapazitäten übersteige. Am 14. Januar 2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf die beabsichtigte Berufsaufnahme einen Antrag auf “dringende Platzsuche”. Am 22. April 2014 wurde ein Vertrag über die Betreuung des Sohnes der Klägerin in einer Kindertageseinrichtung der Beklagten ab dem 1. September 2014 geschlossen.
3
Die Klägerin hat behauptet, dass sie sich seit Juni 2013, auch parallel zur Bedarfsanmeldung gegenüber der Beklagten, intensiv bei verschiedenen Betreuungseinrichtungen um einen Platz für ihren Sohn bemüht habe. Zudem habe sie in regelmäßigen Abständen bei der Beklagten nachgefragt. Nachdem ihre Anstrengungen erfolglos geblieben seien und auch die Beklagte ihr keinen Platz ab April 2014 zur Verfügung gestellt habe, habe sie sich gezwungen gesehen, im Januar 2014 mit ihrem Arbeitgeber eine Verlängerung der bis zum 3. April 2014 laufenden Elternzeit zu vereinbaren. Ab dem 19. Mai 2014 habe sie Teilzeitbeschäftigungen bei ihrem Arbeitgeber aufgenommen, und zwar zunächst mit einem Stellenumfang von 25 % (10 Wochenstunden) und ab dem 25. August 2014 mit einem Stellenumfang von 75 % (30 Wochenstunden). Ab dem 15. September 2014 – nach Ablauf einer zweiwöchigen Zeit für die Eingewöhnung ihres Sohnes – sei sie ihrer Berufstätigkeit wieder in vollem Umfang (100 %) nachgekommen. Unter Abzug ersparter Elternbeiträge und des ihr gezahlten Betreuungsgelds hat die Klägerin ihren Verdienstausfallschaden auf 7.332,93 € (netto) berechnet.
4
Die Klägerin hat geltend gemacht, aus dem Rechtsanspruch nach § 24 Abs. 2 SGB VIII folge die Amtspflicht der Beklagten, nach rechtzeitiger Bedarfsanmeldung Kindern bei Vollendung des ersten Lebensjahres einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen. Diese Amtspflicht beziehe sich nicht allein auf das betreuungsbedürftige Kind, sondern auch auf die erziehungsberechtigten Eltern des Kindes. In ihren Schutzbereich falle auch das berufliche Erwerbsinteresse der Eltern. Die Beklagte habe schuldhaft gehandelt, weil der Kapazitätsengpass frühzeitig vorherzusehen gewesen und nichts Ausreichendes hiergegen unternommen worden sei.
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Die Beklagte hat eine drittschützende Wirkung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII in Abrede gestellt und gemeint, diese Norm bezwecke allein einen Anspruch des Kindes auf frühkindliche Förderung. Sie hat weiterhin entgegnet, sie habe eine ordnungsgemäße Bedarfsplanung vorgenommen; Verzögerungen bei der Errichtung von zusätzlichen Betreuungseinrichtungen habe sie selbst nicht zu vertreten.
6
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Ersturteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.