Aktenzeichen B 5 K 18.689
Leitsatz
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 14. Oktober 2017 auf Anerkennung förderlicher hauptberuflicher Beschäftigungszeiten für seine Tätigkeit als Betriebsleiter im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb vom 1. März 1994 bis zum 4. April 1994 sowie vom 5. Oktober 1994 bis zum 30. September 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2018 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1. Über die Klage konnte gem. § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten insoweit ihr Einverständnis erklärt haben.
2. Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2017 und der Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2018 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Anerkennung seiner Beschäftigungszeiten als Betriebsleiter im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb vom 1. März 1994 bis 4. April 1994 sowie vom 5. Oktober 1994 bis 30. September 2016 als sonstige für die Beamtentätigkeit förderliche hauptberufliche Beschäftigungszeiten entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Regelung des Art. 31 Abs. 2 BayBesG sieht vor, dass der Zeitpunkt des Dienstantritts auf Antrag um sonstige für die Beamtentätigkeit förderliche hauptberufliche Beschäftigungszeiten fiktiv vorverlegt werden kann. Förderlich sind solche Zeiten, die für die Wahrnehmung der künftigen Dienstaufgaben von konkretem besonderen Interesse sind. Abzustellen ist auf die künftig auszuübende Beamtentätigkeit und die mit dem Amt verbundenen Aufgaben. Dementsprechend kommen vor allem solche Tätigkeiten in Betracht, die mit den Anforderungsprofilen möglicher Tätigkeiten der betreffenden Qualifikationsebene in sachlichem Zusammenhang stehen oder durch die Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen erworben wurden, die für die auszuübenden Tätigkeiten von Nutzen oder Interesse sind. Die Förderlichkeit von Vortätigkeiten muss nicht die ganze Bandbreite der späteren Verwendung umfassen. Vielmehr sind die inhaltlichen Anforderungen mehrerer Ämter einer Fachrichtung oder auch nur die Anforderungen eines bestimmten Dienstpostens in den Blick zu nehmen. Der Begriff der Förderlichkeit ist dabei – unter Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) a.F. – weit auszulegen und nach objektiven Maßstäben zu beurteilen (vgl. zum Ganzen: VG Bayreuth, U.v. 14.4.2015 – B 5 K 13.712 – juris Rn. 24; VG München, U.v. 8.2.2017 – M 5 K 15.3979 – juris Rn. 25 und U.v. 2.7.2014 – M 5 K 13.4946 – juris Rn. 24; VG Augsburg, U.v. 12.7.2012 – Au 2 K 11.1646 – juris Rn. 25; vgl. auch Nrn. 31.2.3 und 31.2.5 der Bayerischen Verwaltungsvorschriften zum Besoldungsrecht und Nebengebieten (BayVwVBes); LT-Drs. 16/3200 S. 382; Kuhlmey in Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht, Stand Februar 2020, Art. 31 BayBesG Rn. 45; Wonka, Recht im Amt 2014, S. 62/67; zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 BeamtVG a.F. vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2002 – 2 C 4.01 – Buchholz 239.1 § 10 BeamtVG Nr. 14 – juris; VGH BW, U.v. 18.3.2014 – 4 S 2129/13 – juris Rn. 22).
Bei der Regelung des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 BayBesG – die (gebundene) Vorschrift des Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BayBesG greift bei Fachlaufbahnen mit einem fachlichen Schwerpunkt mit technischer Ausrichtung wie im vorliegenden Fall nicht – handelt es sich um eine Ermessensvorschrift, die eine Schärfung durch ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften erfahren hat (so: BayVGH, B.v. 11.6.2019 – 3 ZB 17.976 – juris Rn. 14). Im Rahmen der Kontrolle einer auf die vorgenannte Regelung gestützten behördlichen Ermessensentscheidung sind die Gerichte auf die Prüfung beschränkt, ob die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und ob sie die ihr vorgegebenen Ermessenschranken nicht überschritten und ihr Ermessen sachgemäß und nicht fehlerhaft ausgeübt hat (vgl. nur: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 40 Rn. 85 ff. m.w.N.). Ein Ermessensfehlgebrauch im vorgenannten Sinn ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Behörde sachfremde Erwägungen, d.h. solche Erwägungen anstellt, die von der Norm nicht gedeckt sind, oder wenn sie entscheidungserhebliche Gesichtspunkte missachtet. Von einem solchen Ermessensdefizit ist auszugehen, wenn die Behörde den Sachverhalt nicht komplett oder nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und es infolgedessen an den entscheidungserheblichen Tatsachen mindestens partiell fehlt.
Gemessen daran erweist sich die Entscheidung des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2018, die Tätigkeit des Klägers als Betriebsleiter im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb für die Zeit vom 1. März 1994 bis zum 4. April 1994 sowie vom 5. Oktober 1994 bis zum 28. Februar 2004 mit jeweils 75 v.H. sowie für die Zeit vom 1. März 2004 bis zum 30. September 2016 in Höhe von 20 v.H. als berücksichtigungsfähige Zeit anzuerkennen als ermessensfehlerhaft.
Dabei hat der Beklagte zwar angesichts der Tatsache, dass der Kläger die Anerkennung der Förderlichkeit seiner Betriebsleitertätigkeit – mit Ausnahme der Zeit der Ableistung seines Zivildienstes (5.4.1994 – 4.10.1994) – für den Gesamtzeitraum (1.3.1994 – 30.9.2016), d.h. für eine Zeitspanne von 22 Jahren und sieben Monaten begehrt, ermessensfehlerfrei einen Abschlag vorgenommen. Denn es stellt zur Überzeugung des Gerichts insbesondere keine Fehlgewichtung der Belange des Klägers dar, wenn der Beklagte angesichts des sehr langen Zeitraums, für den der Kläger die Anerkennung der Förderlichkeit seiner Beschäftigungszeiten begehrt, einen gewissen Abschlag im Hinblick auf die vom Kläger über die Jahre seiner Berufstätigkeit unstreitig erworbene Berufserfahrung bzw. Arbeitsroutine vorgenommen hat. Insofern unterliegt die Anerkennung der Betriebsleitertätigkeit für den vom Zivildienst (5.4.1994 – 4.10.1994) unterbrochenen Zeitraum vom 1. März 1994 bis zum 28. Februar 2004 in einem Umfang von 75 v.H. als für die Beamtentätigkeit förderliche hauptberufliche Beschäftigungszeiten keinen durchgreifenden Zweifeln.
Dagegen hat der Beklagte aber im Rahmen seiner Ermessensausübung zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, dass der Kläger – insbesondere in der Zeit ab dem Jahr 2004 – unstreitig eine nicht nur geringfügige Lehrtätigkeit an der Staatlichen Berufsschule … ausgeübt hat, die sich im Hinblick auf die (weitere) Anerkennung seiner Betriebsleitertätigkeit als für die Beamtentätigkeit förderliche hauptberufliche Beschäftigungszeiten auswirken kann.
Zwar ist der Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass diese Tätigkeit, die – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – nicht das Merkmal der Hauptberuflichkeit erfüllt, nicht „isoliert“, d.h. unabhängig von der Betriebsleitertätigkeit als förderliche Zeit anerkannt werden kann.
Ermessensfehlerhaft hat der Beklagte diese Zeit aber – im Rahmen der Prüfung der Förderlichkeit der Betriebsleitertätigkeit – gänzlich unberücksichtigt gelassen. Bei dieser Einschätzung ist zu berücksichtigen, dass der Kläger diese Lehrtätigkeit sowohl über einen langen Zeitraum (22.9.2004 – 11.9.2016) als auch in einem erheblichen Zeitumfang ausgeübt hat. Denn nach unbestritten gebliebenem Sachvortrag des Klägers umfasste der Umfang des Unterrichts einen kompletten Schultag pro Woche (Schreiben des Klägers vom 14.10.2017). Darüber hinaus ist die vom Kläger ausgeübte Lehrtätigkeit („Fachpraxis Lernort Betrieb“) in engem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Betriebsleiter zu sehen. Diese Tätigkeit impliziert für den Kläger die Notwendigkeit, neben der Verschaffung der für die Ausübung der Lehrtätigkeit erforderlichen und auch für die Tätigkeit in der Landwirtschaftsverwaltung nützlichen – der Kläger ist mittelfristig für einen Einsatz als Ausbildungsberater am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgesehen (Schreiben des StMELF vom 6.12.2017) – pädagogischen und didaktischen Kenntnisse auch das eigene Fachwissen kontinuierlich auf dem aktuellen Stand zu halten. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass, worauf das StMELF zutreffend hinweist (Schreiben vom 14.2.2019), auch die Landwirtschaft seit Jahren einem erheblichen Änderungs- und Anpassungsdruck ausgesetzt ist. Denn es liegt auf der Hand, dass die Umwälzungen, der sich (auch) die Landwirtschaft u.a. aufgrund der sich ständig wandelnden ökologischen, klimatologischen, betriebs- und volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen ausgesetzt sieht, den Leitern landwirtschaftlicher Betriebe eine ständige und erhebliche Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft abverlangt. Das gilt in besonderem Maße für solche landwirtschaftlichen Betriebsleiter, die sich – wie der Kläger – in der landwirtschaftlichen Berufsausbildung engagieren und den angehenden Landwirten das Rüstzeug für eine erfolgreiche Betriebsführung zu vermitteln haben. Dass der Kläger diesen Anforderungen weit über das durchschnittliche Maß hinaus gerecht geworden ist, wird u.a. durch seine von der Beklagten nicht bestrittenen Ergebnisse bei der Betriebszweigauswertung, die er seit dem 1. Juli 2005 hatte durchführen lassen, dokumentiert. Das erhellt in einer Gesamtbetrachtung, dass der Kläger – wie das bis in das Jahr 2016 währende Engagement des Klägers im Rahmen seiner Lehrtätigkeit belegt – über den Gesamtzeitraum seiner Tätigkeit als Betriebsleiter seines landwirtschaftlichen Betriebs nicht in Routine verfallen ist, sondern seine Fachkenntnisse und seinen Betrieb auf dem aktuellen Stand gehalten hat. Der Umstand, dass der Beklagte diese in Zusammenhang mit der Lehrtätigkeit stehenden Tatsachen in Bezug auf die Entscheidung über die Anerkennung seiner Beschäftigungszeiten als Betriebsleiter im eigenen landwirtschaftlichen Betrieb vom 1. März 1994 bis 4. April 1994 sowie vom 5. Oktober 1994 bis 30. September 2016 als sonstige für die Beamtentätigkeit förderliche hauptberufliche Beschäftigungszeiten gänzlich unberücksichtigt gelassen hat, begründet die Annahme eines Ermessensdefizits. Letzteres gilt vor allem im Hinblick darauf, dass der Beklagte die Zeit vom 1. März 2004 bis zum 30. September 2016 nur in Höhe von 20 v.H. als berücksichtigungsfähig anerkannt hat.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
4. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.