Arbeitsrecht

Anerkennung eines Wegeunfalls als Dienstunfall trotz Krankschreibung

Aktenzeichen  3 B 15.327

Datum:
17.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBeamtVG BayBeamtVG Art. 45, Art. 46

 

Leitsatz

Ein Unfall auf dem Weg zum Dienst (Art. 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BayBeamtVG) ist als Dienstunfall anzuerkennen, wenn der Beamte trotz ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung tatsächlich nicht dienstunfähig war und seinen Dienst dann auch verrichtet hat. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 K 12.1155 2013-05-16 Urt VGMUENCHEN VG München

Gründe

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Aktenzeichen: 3 B 15.327
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 17. März 2016
(VG München, Entscheidung vom 16. Mai 2013, Az.: M 12 K 12.1155)
3. Senat
Sachgebietsschlüssel: 1334
Hauptpunkte:
Dienstunfall
Wegeunfall während attestierter Dienstunfähigkeit
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Widerlegliche Vermutung der Arbeitsunfähigkeit
Rechtsquellen:
In der Verwaltungsstreitsache

gegen
…, vertreten durch den Oberbürgermeister, Personal- und Organisationsreferat
– Beklagte –
wegen Dienstunfall;
hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2013,
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 3. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Wagner, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Vicinus, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Weizendörfer aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. März 2016 am 17. März 2016 folgendes
Urteil:
I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2013 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 14. November 2011 und ihres Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2012 verpflichtet, das Unfallereignis vom 16. September 2011 als Dienstunfall anzuerkennen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die im Jahre 1966 geborene Klägerin stand bis zu ihrer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe mit Ablauf des 31. Oktober 2011 als Lehrerin im Dienst der Beklagten.
Sie suchte am Donnerstag, dem 15. September 2011 nach dem regulären Unterricht ihre Frauenärztin auf. Nachdem ihr zuvor ein negativer Beurteilungsbeitrag eröffnet worden war, verspürte sie heftige Schmerzen im Unterleib. Die Ärztin stellte zur Vorlage beim Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (voraussichtlich) bis einschließlich 19. September 2011 (Montag) aus.
Am Freitag, dem 16. September 2011, 6.17 Uhr, teilte die Klägerin dem Schulsekretariat per E-Mail mit, dass sie krankgeschrieben sei, aber „wegen der Notfalltelefonliste“ wenigstens die ersten beiden Stunden Unterricht halten wolle. Die Klägerin gibt an, sie habe gegen 7.00 Uhr beim Sekretariat telefonisch nachgefragt, ob die E-Mail eingegangen sei. Man habe das bejaht und ihr gesagt, „sie solle besser reinkommen“.
Auf dem Weg zu ihrem Dienstort, dem Städtischen T…-…-Gymnasium, stürzte die Klägerin gegen 7.20 Uhr auf der Rolltreppe der U-Bahn-Station M… ….
In der Schule angekommen, legte die Klägerin die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, teilte aber mit, dass die Krankschreibung nur prophylaktisch gewesen sei und sie keine Schmerzen mehr habe. Zudem informierte sie nach eigenen Angaben das Sekretariat über den zuvor ereigneten Unfall. Sie hielt ihre beiden ersten Unterrichtsstunden, hatte eine Bereitschaftsstunde und ging anschließend wegen des Unfalls auf Weisung des Schulleiters zum Orthopäden, der sie zum Zweck der Nachuntersuchung für den 20. September 2011 krankschrieb.
Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 Rechnungen über ärztliche Aufwendungen, die beim Unfall entstanden waren, eingereicht hatte, teilte ihr die Beklagte mit Schreiben vom 14. November 2011 mit, dass ein Dienstunfall ausgeschlossen sei, da sich der Unfall während der Krankschreibung und damit nicht während des Dienstes ereignet habe. Es werde gebeten, die Rechnungen bei der Beihilfestelle einzureichen.
Am 15. November 2011 zeigte die Klägerin unter Verwendung des Formulars „Dienstunfallanzeige Beamte“ den am 16. September 2011 erlittenen Unfall als Dienstunfall an. Mit Schreiben vom 19. November 2011 führte die Klägerin aus, dass sie am Unfalltag die Notfallliste der Klasse 9a im Sekretariat habe abgeben müssen und deswegen auch mit Fieber in die Schule gefahren wäre. Es sei übliche Praxis, sich krankschreiben zu lassen und den Unterricht entsprechend der Belastungsfähigkeit wenigstens teilweise zu halten. Sie selbst habe das mehrfach so durchgeführt. Es sei auch wichtig, die Kollegen nicht mehr als nötig mit Vertretungsstunden zu belasten. Am 19. September 2011 habe sie den vollen Unterricht gehalten.
Der bei der Beklagten am 20. Dezember 2011 eingegangene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2012 zurückgewiesen. Da die Klägerin am Unfalltag dienstunfähig gewesen sei, fehle es an der engen ursächlichen Verknüpfung zwischen (Wege-)Unfall und Dienst. Ausweislich der im Widerspruchsverfahren eingeholten Stellungnahme des Schulleiters vom 18. Januar 2012 sei die Klägerin darauf aufmerksam gemacht worden, dass sie nicht unterrichten dürfe, da sie krankgeschrieben sei. Es habe weder die Zustimmung noch gar die Aufforderung bestanden, während der festgestellten Arbeitsunfähigkeit Dienst zu leisten. Es treffe nicht zu, dass, wie von der Klägerin behauptet, „Lehrkräfte krankgeschrieben werden, damit sie nur teilweise, eben entsprechend ihrer Belastungsfähigkeit, den Unterricht halten“ könnten.
Am 13. April 2012 erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht mit dem sinngemäßen Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14. November 2011 und vom 6. Februar 2012 zu verpflichten, den am 16. September 2011 erlittenen Unfall als Dienstunfall anzuerkennen.
Es bestehe trotz der Dienstunfähigkeit eine enge ursächliche Verknüpfung zwischen Unfallereignis und der Ausübung des Dienstes. Die Klägerin sei ihrer dienstrechtlichen Pflicht zur möglichst unverzüglichen Abgabe eines Attestes nach Krankschreibung nachgekommen. Die Stellungnahme der Schulleitung sei widersprüchlich. Zum einen werde angegeben, die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass sie nicht unterrichten dürfe, zum anderen sei trotzdem geduldet worden, dass die Klägerin ihre Klasse aufgesucht und Unterricht gehalten habe.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin sei zwar verpflichtet, durch unverzügliche Vorlage entsprechender ärztlicher Atteste die Dienstunfähigkeit anzuzeigen. Hierfür müsse sich die Klägerin aber nicht persönlich zur Dienststelle begeben; eine Übermittlung mittels eines Briefes sei ausreichend. Eine etwaige Duldung des Unterrichtens durch die Schulleitung habe nicht vorgelegen. Der Schulleiter habe die Klägerin ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass sie keinen Unterricht zu halten habe. Hierzu wurde eine Stellungnahme des Schulleiters vom 30. April 2012 vorgelegt, aus der sich ergibt, dass er die Klägerin, als er davon Kenntnis erlangt habe, dass sie in einer Klasse Arbeitsblätter verteilen wolle, darauf aufmerksam gemacht habe, dass sie keinen Unterricht zu halten habe. Eine etwaige Duldung habe nicht vorgelegen. Die restlichen Stunden des Tages sei die Klägerin von Kollegen vertreten worden.
Mit Urteil vom 16. Mai 2013 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Angesichts ihrer Dienstunfähigkeit habe für sie keine Verpflichtung bestanden, sich zu ihrer Dienststelle zu begeben. Die Klägerin sei auch nicht verpflichtet gewesen, das Attest in dienstunfähigem Zustand persönlich abzugeben. Dafür, dass die Klägerin von ihrem Dienstherr aufgefordert worden sei, trotz der Dienstunfähigkeit in die Schule zu kommen, bestünden keine Anhaltspunkte. In den dienstlichen Stellungnahmen des Schulleiters fänden sich hierzu keine Angaben. Die Klägerin habe zwar angegeben, vom Sekretariat sei ihr gesagt worden, sie solle besser reinkommen. Diese Angaben seien jedoch unsubstantiiert geblieben. Es sei nicht ersichtlich, warum die Klägerin dies nicht schon in ihrer ersten Darstellung des Sachverhalts vom 19. November 2011 mitgeteilt habe. Außerdem bleibe unklar, wer diese Äußerung in welchem Zusammenhang getätigt haben solle. Vielmehr komme in der E-Mail, die die Klägerin um 6.17 Uhr an das Sekretariat geschickt habe, zum Ausdruck, dass die Klägerin selbst entschieden habe, trotz Dienstunfähigkeit zum Dienst zu erscheinen. Im Übrigen habe die Klägerin gewusst bzw. hätte wissen müssen, dass eine Sekretärin ihr gegenüber nicht weisungsbefugt sei. Auch der Vortrag, die Schulleitung habe es geduldet, dass die Klägerin unterrichte, ändere hieran nichts. Die Schulleitung habe in ihren Stellungnahmen erklärt, dass sie die Klägerin sofort nach Kenntnis der Sachlage darauf hingewiesen habe, dass sie nicht unterrichten dürfe, so dass eine Duldung nicht in Betracht komme. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, die Krankschreibung sei nur prophylaktisch erfolgt und sie habe keine Beschwerden mehr gehabt. Eine Dienstunfähigkeitsbescheinigung könne nicht eigenmächtig durch den Beamten aufgehoben werden. Zwar liege es im Verantwortungsbereich des Beamten, ein Attest bei plötzlicher Besserung der Beschwerden nicht einzureichen und zum Dienst zu erscheinen. Lege er es aber vor, müsse er ggf. ein neues Attest beibringen, das seine wieder erlangte Dienstfähigkeit bestätige.
Gegen dieses Urteil richtet sich die durch den Senat mit Beschluss vom 9. Februar 2015 zugelassene Berufung der Klägerin, mit der sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 16. Mai 2013 und des Bescheids der Beklagten vom 14. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2012 die Beklagte zu verpflichten, den am 16. September 2011 erlittenen Unfall als Dienstunfall anzuerkennen.
Krankheit allein begründe keinen Rechtfertigungsgrund für das Fernbleiben vom Dienst. Sie müsse zur Dienstunfähigkeit geführt haben. Die Klägerin sei jedoch in der Lage gewesen, ihren Unterricht zumindest teilweise zu halten. Ein Arzt könne die Dauer der Arbeitsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Feststellung nur prognostizieren. Insofern könne er nur die voraussichtliche Dauer der Arbeits- bzw. Dienstunfähigkeit bescheinigen. Erweise sich diese Prognose aber nicht als richtig, weil die voraussichtliche Dienstunfähigkeit für einen längeren Zeitraum als notwendig prognostiziert worden sei, gehöre es zur Pflicht eines Beamten trotz Krankschreibung wieder zum Dienst zu erscheinen. Die Dienstunfähigkeit sei durch eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht objektiv festgestellt. Im Übrigen habe die Klägerin das ärztliche Attest zum Zeitpunkt des Unfalls noch gar nicht vorgelegt. Vielmehr habe sie mit E-Mail vom 16. September 2011 angekündigt, jedenfalls die ersten beiden Stunden zum Dienst zu erscheinen. Die Klägerin habe daher den Weg zur Dienststelle auch in der Absicht zurückgelegt, jedenfalls die ersten beiden Stunden zu unterrichten. Berechtigt habe sie sich diesbezüglich trotz Krankschreibung für dienstfähig erklärt. Somit habe für den Weg zur Dienststelle Dienstunfallschutz bestanden. Die Klägerin sei verpflichtet, ein ärztliches Attest über ihre Dienstunfähigkeit vorzulegen. „Vorzulegen“ könne nur so verstanden werden, dass das Originalattest in körperlicher Form in Augenschein genommen werden könne. Dieser Verpflichtung habe die Klägerin persönlich nachkommen wollen. Hierbei sei sie verunglückt.
Die Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Zur Ergänzung wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Anerkennung des Unfallereignisses vom 16. September 2011 als Dienstunfall. Insofern erweist sich der Bescheid der Beklagten vom 14. November 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2011 als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls vom 16. September 2011 im Beamtenverhältnis auf Probe stand, genießt sie Dienstunfallschutz nach Art. 45 BayBeamtVG.
Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass die Beklagte das Schadensereignis vom 16. September 2011 als Dienstunfall anerkennt.
Gemäß Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Nach Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG gilt als Dienst auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Wegs zwischen Familienwohnung und Dienststelle. Obwohl der Weg zur Dienststelle noch keinen Dienst darstellt, hat der Gesetzgeber den Wegeunfall dem Dienstunfall damit gleichgestellt. Die Gleichstellung dient der Erweiterung der Unfallfürsorge des Dienstherrn auf die Gefahren des allgemeinen Verkehrs im öffentlichen Verkehrsraum, denen sich der Beamte aussetzt, um seinen Dienst zu verrichten. Diese Gefahren stammen zwar nicht aus der Risikosphäre des Dienstherrn, sie können aber auch vom Beamten nicht beherrscht oder beeinflusst werden (vgl. BVerwG, U. v. 10.12.2013 – 2 C 7/12 – ZBR 2014, 601 – juris Rn. 6).
Der Weg von der Familienwohnung zur Dienststelle ist nicht schlechthin geschützt. Der Unfallschutz erfasst nur das wesentlich durch den Dienst gesetzte Gefahrenrisiko der Fortbewegung auf der Wegstrecke (Teilnahme am Verkehr). Der Weg ist deshalb nur geschützt, soweit er seine wesentliche Ursache im Dienst hat und andere mit dem Dienst zusammenhängende Ursachen für das Zurücklegen des Weges in den Hintergrund treten (zur vergleichbaren bundesrechtlichen Bestimmung: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Sep. 2015, § 31 BeamtVG Rn. 176 m. w. N. und BVerwG, U. v. 9.12.2010 – 2 A 4/10 – ZBR 2011, 306 – juris Rn. 13).
Hier befand sich die Klägerin auf unmittelbarem Weg von ihrer Familienwohnung zur Dienststelle, um sich zum Dienst zu begeben. Wesentliche Ursache war somit der Dienstantritt, so dass der Dienstunfallschutz greift. Damit liegt eine andere Grundkonstellation vor, als das Aufsuchen der Dienststelle ausschließlich zum Zwecke der Abgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, bei der ein dienstlicher Zusammenhang fehlt (vgl. VG Ansbach, U. v. 29.7.2009 – AN 11 K 07.03351, nachgehend BayVGH, B. v. 19.7.2010 – 14 ZB 09.2481 – jeweils juris).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil die Klägerin am Unfalltag arbeitsunfähig krankgeschrieben war. Insoweit schließt sich der Senat nicht dem Beschluss des 14. Senats des Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juli 2010 (14 ZB 09.2481 – juris Rn. 8) an, wonach grundsätzlich dann kein Dienstunfall vorliegt, wenn die Dienststelle aufgesucht wird, obwohl der Beamte krankgeschrieben ist. Aus der als Beleg hierfür genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich der Schluss in dieser Konsequenz nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Oktober 1991 (2 C 8/91 – NJW 1992, 2979 – juris Rn. 22) entschieden, dass die Inanspruchnahme der unentgeltlichen Truppenversorgung nicht zum Dienst des dortigen Klägers gehört und hervorgehoben, dass der Kläger im Gegenteil während seiner stationären Behandlung gerade dienstunfähig gewesen sei.
Von der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nicht zwingend auf eine etwaige tatsächlich bestehende Dienstunfähigkeit geschlossen werden. Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt zwar im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 86 VwGO ein hoher Beweiswert zu. Sie beinhaltet die tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer bzw. Beamte infolge Krankheit arbeitsunfähig ist (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 16. Aufl. 2016, § 5 EFZG Rn. 14). Diese Vermutung ist aber grundsätzlich widerlegbar. Dafür spricht auch, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung regelmäßig nur eine Vermutung des ausstellenden Arztes hinsichtlich des tatsächlichen Heilungs-/Genesungsprozesses darstellen kann. Konsequent enthält die formularmäßige Vorgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung daher auch den Hinweis auf eine voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit (vgl. Merkel, DB 2012, 2691/2692).
Mit Ihrem Dienstantritt hat die Klägerin die ärztliche Prognose widerlegt. Sie hat – unwidersprochen – ausgeführt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur prophylaktisch erfolgt war und sie am Tag des Dienstantritts beschwerdefrei war. Es mag zwar ungewöhnlich sein, dass eine Krankschreibung für vier Tage bereits einen Tag später widerlegt sein soll. Ausgeschlossen ist das indes nicht. Im Übrigen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin am Tag des Unfalls nicht dienstfähig gewesen sein sollte. Entsprechendes hat auch die Beklagte nicht vorgetragen. Die Folgen des Unfallgeschehens zogen keine Dienstunfähigkeit nach sich, weshalb der behandelnde Orthopäde die Krankschreibung allein für Zwecke der Nachuntersuchung ausstellte. Hätte dieser die Klägerin für dienstunfähig gehalten, hätte er seinerseits erneut eine Krankschreibung auch für den 19. September 2011 veranlasst. So aber hielt die Klägerin auch an diesem von der Krankschreibung der Frauenärztin umfassten Tag ohne Beanstandung der Beklagten ihren kompletten Unterricht ab.
Die Klägerin durfte ihre Dienstleistung anbieten, weil die ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit mangels gesetzlicher Regelung kein Dienstleistungsverbot beinhaltet. In der arbeitsrechtlichen Literatur besteht Einigkeit, dass der Arbeitnehmer zur Arbeitsaufnahme nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, die Arbeit vorzeitig wieder aufzunehmen, wenn er sich nach eigener Einschätzung als arbeitsfähig einschätzt (vgl. Plocher, DB 2015,1597/1602; Hunold, DB 2014, 1679; Merkel, DB 2012, 2691). Diese arbeitsrechtliche Bewertung lässt sich auch auf die vorliegende beamtenrechtliche Streitigkeit übertragen. Danach kann der Beamte seine Dienstleistung trotz der ärztlich bescheinigten Dienstunfähigkeit erbringen. Als Korrelat hierzu kann bzw. muss der Dienstherr im Rahmen seiner Fürsorgepflicht den Beamten von der Dienstleistung entbinden, sofern der Beamte entgegen seiner eigenen Einschätzung hierzu doch nicht in der Lage sein sollte (vgl. Hunold, DB 2014, 1679/1860). Konsequent hat daher auch die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Schulleiter seien angewiesen, in solchen Fällen die Dienstfähigkeit zu überprüfen. Ein Arbeitsversuch während laufender Krankschreibung setze das Einvernehmen des Dienstvorgesetzten voraus. Das ist ein probates Mittel, um die Fürsorgepflicht auszufüllen bzw. ihr nachzukommen. Aber auch wenn nach den Ausführungen der Beklagten in der Berufungsverhandlung krankgeschriebene Lehrkräfte in der Praxis nach Hause geschickt werden, kann sich die Beklagte damit nicht der gesetzlichen Fiktion des Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayBeamtVG entziehen. Der Weg von der Familienwohnung zur Dienstunfallfürsorge ist auch in diesem Fall von der Dienstunfallfürsorge erfasst.
Die Beklagte verweist darauf, die Klägerin habe sich ohne Wissen und ohne Duldung ihres Vorgesetzten auf den Weg zur Dienststelle gemacht. Das Risiko, hierbei einen Unfall zu erleiden, könne daher billigerweise nicht der Beklagten aufgebürdet werden. Mangels entsprechender verbindlicher dienstlicher Weisungen war der Klägerin jedoch der Dienstantritt nicht verwehrt, so dass der Wegeunfall im Risikobereich der Beklagten liegt. Eine andere Beurteilung mag – ähnlich bei der Lösung des Zusammenhangs mit dem Dienst bei Alkoholkonsum oder völlig vernunftwidrigen Handlungen (vgl. Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand: Sep. 2015, § 31 BeamtVG Rn. 179, 58 bis 60) – dann angezeigt sein, wenn der Beamte einer objektiven Fehleinschätzung hinsichtlich seiner Dienstfähigkeit unterliegt und nicht der beabsichtigte Dienstantritt, sondern die Folgen der Erkrankung wesentliche Ursache für das Unfallgeschehen sind. Andernfalls würde es zu einer unzulässigen Risikoerhöhung zulasten des Dienstherrn kommen. Dass die Klägerin einer objektiven Fehleinschätzung im vorgenannten Sinne unterlegen wäre, ist nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht behauptet.
Auf die Frage einer etwaigen Duldung der Dienstverrichtung trotz Vorliegens einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. auf die behauptete Krankschreibungspraxis bei der Beklagten kommt es nicht entscheidungserheblich an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2 VwGO, 191 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 127 BRRG nicht vorliegen.
Rechtsmittelbelehrung
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des anderen Oberverwaltungsgerichts (Verwaltungsgerichtshofs), des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die angefochtene Entscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 3 GKG, § 52 Abs. 2 GKG)

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