Aktenzeichen S 3 R 1138/15
SGB X SGB X § 44 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber in Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss eine höhere Beitragsdichte als 5/6 bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall im Vollbeweis nachgewiesen sein (vgl. § 22 Abs. 3 FRG). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis vom 04.08.2016 hinausgeht.
II. Die Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, soweit sie über das angenommene Teilanerkenntnis vom 04.08.2016 hinausgeht.
Am Ende des seit 2013 laufenden Überprüfungs-, Widerspruchs- und Klageverfahrens blieb zwischen den Beteiligten nur noch streitig, ob der klägerischen Rente die Zeit vom 02.09.1974 bis zum 12.06.1977 als ungekürzte Beitragszeit zu 6/6 oder wie bislang nur zu 5/6 zugrunde zu legen ist.
§ 44 SGB Xregelt die Rücknahme eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsaktes. Hierunter fällt auch die inzidente Nichtanerkennung von weiteren rentenrechtlichen Zeiten in einem ansonsten begünstigenden Rentenbewilligungsbescheid. Voraussetzung für eine Rücknahme nach § 44 SGB X ist, dass sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und dass deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Zu Recht hat es jedoch die Beklagte abgelehnt, die Zeit vom 02.09.1974 bis zum 12.06.1977 als ungekürzte Beitragszeit anzuerkennen, weshalb die angefochtenen Rentenbzw. Überprüfungsbescheide, zuletzt in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 04.08.2016, insofern rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen.
Für vom Kläger in Polen zurückgelegte Versicherungszeiten ist das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen – DPSVA 1975 maßgeblich. Von diesem Abkommen wird der Kläger erfasst, da er bis zum 31.12.1990 nach Deutschland zugezogen ist und sich hier aufhält (vgl. Art. 27 Abs. 1, 2 Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 8.12.1990 – DPSVA 1990). Nach Art. 4 Abs. 2 DPSVA 1975 berücksichtigt der Rentenversicherungsträger des Staates, in dem der Berechtigte wohnt, Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten im anderen Staat so, als ob sie in seinem Staatsgebiet zurückgelegt worden wären. Gemäß Art. 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 vom 12.03.1976 (i.d.F. des Art. 20 Nr. 2 und 3 des Rentenreformgesetzes – RRG 1992 vom 18.12.1989) werden die Zeiten, die nach dem polnischen Recht der Rentenversicherung zu berücksichtigen sind, in Anwendung des Fremdrentengesetzes – FRG und des Fremd-renten- und Auslandsrentenneuregelungsgesetzes – FANG berücksichtigt. Dass der Kläger auch als Vertriebener anerkannt ist, ist mit Blick auf die Anwendbarkeit des FRG damit vorliegend nicht von Belang.
Gemäß § 15 Abs. 1 FRG stehen die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten inländischen Beitragszeiten gleich. Für die Feststellung derartiger Beitragszeiten genügt es gemäß § 4 Abs. 1 FRG, dass sie glaubhaft gemacht werden. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 FRG).
Gemäß § 22 Abs. 3 FRG sind jedoch für Beitrags- oder Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte um 1/6 zu kürzen. Diese Kürzung beruht auf der durch statistische Untersuchungen gewonnenen Erfahrung, dass auch die durchschnittliche Beitragsdichte im Bundesgebiet nur diesem Umfang von 5/6 entspricht. Um eine Besserstellung des fremdrentenberechtigten Personenkreises gegenüber in Deutschland rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern zu vermeiden, muss eine höhere Beitragsdichte bezüglich etwaiger Fremdrentenzeiten jeweils im Einzelfall nachgewiesen sein. Der Nachweis ist im Sinne eines Vollbeweises zu führen. Ein solcher liegt erst vor, wenn für das Vorliegen der behaupteten rechtserheblichen Tatsachen ein derart hoher, an Gewissheit grenzender Grad an Wahrscheinlichkeit spricht, dass sämtliche begründeten Zweifel demgegenüber zu schweigen haben. Es darf also kein vernünftiger, in den Umständen des Einzelfalles begründeter Zweifel mehr bestehen (D., Urteil vom 15.02.2012, Az. L 19 R 8/10 m.w.N.).
Für die Frage, ob Beitragszeiten zu 6/6 anzurechnen sind, kommt es damit auf den Nachweis an, dass diese Zeiten nicht etwa durch Krankheitszeiten, Urlaub oder ähnliches unterbrochen worden sind. Dieser Nachweis wird lediglich durch die Angabe von Beginn und Ende eines Beschäftigungsverhältnisses jedoch nicht geführt.
Mit den vom Kläger vorgelegten polnischen Unterlagen, insbesondere mit dem Berufsausbildungsvertrag vom 02.09.1974 und der Liste der Arbeitstage der Jahre 1974 bis 1978 (Bl. 174 f., 229 f. bzw. 182, 235 BA) kann der erforderliche Nachweis nicht erbracht werden, dass während der noch streitigen Zeit keine relevanten Unterbrechungen vorgelegen haben. Die Unterlagen enthalten allenfalls Rahmenangaben, aber keine Aussagen über tatsächliche krankheits- oder urlaubsbedingte Unterbrechungen. Laut Ausbildungsvertrag hatte der Kläger zwar Anspruch auf Urlaub. Ob, wann und in welchem Umfang dieser genommen wurde, bleibt jedoch unklar.
Die Aussage des Klägers, immer im Sommer Urlaub gehabt zu haben, steht sogar im Widerspruch zu der Arbeitstage-Liste auf Blatt 182 der Beklagtenakte, in der für die maßgeblichen Sommer 1975 bis 1977 in Spalte 3 auch in den Sommermonaten keine nicht gearbeiteten Tage eingetragen sind, sondern vielmehr Spalte 2 ebenso wie in den anderen Monaten über 20 durchgearbeitete Tage ausweist. Für das Jahr 1976 ist nicht einmal die Zahl der Arbeitstage in der Liste eingetragen. Dass die Liste auf Blatt 182 der Beklagtenakte nicht als Nachweis über tatsächlich gearbeitete Tage und Fehltage taugen kann, ergibt sich auch aus ihrem Vergleich mit den Krankengeldkarten des Klägers für die Jahre 1977 bis 1983 (Bl. 171-173, 227 f. BA). Demnach hatte der Kläger nämlich 1977 und 1978 krankheitsbedingte Fehltage, die allerdings in der Liste der Arbeitstage auf Blatt 182 der Beklagtenakte nicht aufgeführt sind.
Anders als für Zeiten ab Ausstellung des Legitimationsbuches oder für Zeiten, für die der Kläger Krankengeldkarten vorgelegt hat, konnte damit für die Zeit vom 02.09.1974 bis zum 12.06.1977 ein Nachweis i.S.v. § 22 Abs. 3 FRG nicht erbracht werden, so dass es bei der Kürzung um ein Sechstel zu verbleiben hat. Der Klage war insoweit der Erfolg zu versagen.
Die für das Widerspruchs- und Klageverfahren einheitliche Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und ist getragen von der Erwägung, dass zwar – im Widerspruchs- und Klageverfahren – noch weitere Zeiten dem Kläger anerkannt bzw. zu 6/6 bewertet wurden, dass aber andererseits die Beklagte insoweit nicht Anlass zu Widerspruch und Klage gegeben hatte, als Unterlagen erst nachträglich vorgelegt wurden.
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