Arbeitsrecht

Anfechtung einer Personalratswahl

Aktenzeichen  M 14 P 16.1396

Datum:
27.9.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 154975
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BPersVG § 10, § 24 Abs. 1 S. 1, § 25, § 28, § 67, § 83 Abs. 2
ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 2 S. 2
RDGEG § 3, § 5
VwGO § 67 Abs. 1 S. 6

 

Leitsatz

1. Die Vorschriften des § 10 BPersVG zur Schweigepflicht und des § 67 BPersVG zur Neutralitätspflicht stellen per se aufgrund ihrer systematischen Stellung im Bundespersonalvertretungsgesetz keine Vorschriften des Wahlverfahrens dar; ein Verstoß gegen diese Vorschriften kann eine Wahlanfechtung nur dann begründen, wenn zusätzlich der Umstand der Sittenwidrigkeit hinzukommt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Gegensatz zur Wahlbehinderung ist Wahlbeeinflussung als solche nicht verboten, auch wenn sie naturgemäß das Ziel hat, auf die Wählerentscheidung Einfluss zu nehmen; die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung ist erst dann überschritten, wenn sie sich als sittenwidrige Wahlbeeinflussung darstellt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nicht jedes nach allgemeinem Verständnis unfaire oder unsachliche Verhalten überschreitet die Grenze zur Sittenwidrigkeit im wahlrechtlichen Sinne. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Eintreten eines einer Gewerkschaft angehörenden Personalratsmitglieds vor Personalratswahlen für die Liste seiner Gewerkschaft ist zulässig. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Gegenstandswert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Inmitten des Verfahrens steht die Anfechtung der Wahl des örtlichen Personalrats durch Beschäftigte.
Beim Deutschen Patent- und Markenamt wurde am 8. März 2016 die Wahl zum örtlichen Personalrat durchgeführt. Mit Niederschrift vom selben Tag wurde das Ergebnis der Wahl festgestellt.
Vorangegangen war eine Personalversammlung des örtlichen Personalrats am 3. März 2016 in der Dienststelle München, die von dessen Vorsitzenden Herrn T. geleitet wurde. Der Antragsteller zu 1) hatte als Vertreter der Gewerkschaft „Verband der Beschäftigten des gewerblichen Rechtsschutzes“ (VBGR) dort die Gelegenheit zur Äußerung. Die geplante Tagesordnung sah vor, dass das Grußwort der Gewerkschaften und Verbände als letzter Tagesordnungspunkt 12 erfolgen sollte. Tatsächlich hielt der Antragsteller zu 1) sein Grußwort vor dem Tagesordnungspunkt 9. Vorausgegangen war ein Redebeitrag des Vorsitzenden des Hauptpersonalrats Herrn E.. Im Anschluss an das Grußwort des Antragstellers zu 1) erwiderte der Vorsitzende des Personalrats hierauf.
Der Vorsitzende des örtlichen Personalrats versandte am 4. März 2016 eine E-Mail an alle Beschäftigten der Dienststelle München des Deutschen Patent- und Markenamtes mit einem Link auf die im Intranet veröffentlichten Redebeiträge aus der Personalversammlung, soweit ihm diese zur Verfügung gestellt worden waren.
Der Redebeitrag des Vorsitzenden des Hauptpersonalrats Herrn E. lautete nach der Veröffentlichung im Intranet wie folgt:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die letzten Wochen haben mich aber dazu bewogen, ein Statement zu den unzähligen Veröffentlichungen des VBGR vorzutragen. Da war oft von Schuld der ver.di-Personalräte die Rede und dass es Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, seitdem sehr schlecht geht und die Arbeitsbedingungen sich dramatisch verschlechtert haben. Diese Aussagen haben mich an das EPA erinnert, in dem tatsächlich solche Zustände herrschen. … Selbstverständlich gibt es bei der Dienstvereinbarung Beurteilungsrichtlinien Nachbesserungsbedarf (den wir im Übrigen auch mit der Amtsleitung verabredet haben). Der Vorwurf des VBGR, durch diese neue DV werden alle Kolleginnen und Kollegen benachteiligt, ist und bleibt trotz ständiger Wiederholungen falsch! Sie werden doch nicht glauben, wie es auch immer wieder vorgetragen wird, dass diese DV rechtswidrig ist. Da unterschätzen sie die Juristinnen und Juristen des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz, die eben diese wichtige DV auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft und genehmigt haben.
Wider besseren Wissens wird seitens des VBGR an die Tarifbeschäftigten suggeriert, mit ihnen wird alles besser und jeder bekommt eine bessere Eingruppierung und das ist an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Ich würde mich auch freuen, wenn alle Tarifbeschäftigten eine bessere Eingruppierung bekommen würden, dies lässt aber die Entgeltordnung zumindest flächendeckend nicht zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen einen manchmal überzogenen Wahlkampf – ich mag es nur nicht – wenn man Sie vorsätzlich falsch informiert! Sie haben also bei der Wahl die Qual! Ich vertraue Ihrer abgegebenen Stimme. ver.di Liste 1.“
Der Vorsitzende des Personalrats äußerte auf der Personalversammlung nach der Veröffentlichung im Intranet Folgendes:
„Sehr geehrter Herr G., Danke für Ihr Grußwort.
Ehrlich gesagt, muss ich mich über ihre – und die von ihrem Verband gemachten Aussagen – manchmal sehr wundern. Allein schon deswegen, weil diese den Eindruck vermitteln, als hätten sie das Bundespersonalvertretungsgesetz nicht verstanden, was ja nicht stimmt. . Ich wünsche den neu gewählten Gremien, dass alle gewählten Personalräte sich auch als solche verstehen und mitarbeiten. Eine Opposition ist im Bundespersonalvertretungsgesetz nicht vorgesehen.
Für Opposition ist in Gremien mit 15 oder einer Handvoll mehr Mitglieder kein Platz.
Ebenso wenig sollte Personalratsarbeit nicht mit Verbandsarbeit verwechselt werden.
Sie erinnern sich bestimmt daran, dass ich . Klausursitzungen angeboten habe. Diese hatten zum Ziel, dass darin die unterschiedlichen Standpunkte gemeinsam auf die rechtlichen Rahmenbedingungen geprüft werden, dass wir gemeinsam schauen, welchen möglichen Weg – welche mögliche Vorgehensweise, wir gemeinsam zum Wohle der Beschäftigten und zur Erfüllung der der Dienststelle obliegenden Aufgaben einschlagen.
Das war deswegen nicht möglich, weil handelnde Akteure ihres Verbandes das verweigert haben. Handelnde Akteure ihres Verbandes haben in Ausschüssen, beispielsweise dem, zur Erarbeitung der neuen Beurteilungsrichtlinie bereits zu Beginn gesagt, ich zitiere: „egal was ausgehandelt wird, wir werden sowieso nicht zustimmen“.
Stattdessen haben sich handelnde Akteure ihres Verbandes zurückgelehnt und abgewartet, was die von ihnen so gerne kritisierte Mehrheit als Ergebnis vor zu weisen hat, um dann Gegenpositionen zu erarbeiten und diese zu veröffentlichen. Einzig und alleine zu dem Zweck, den Beschäftigten vorzugaukeln, hier sind die besseren Personalräte aber leider in der Minderheit. Ich hätte es begrüßt wenn man mitgearbeitet hätte. Sie haben die Gelegenheit sich einzubringen bewusst nicht wahrgenommen und stattdessen Fundamentalopposition betrieben! Wenn den handelnden Akteuren ein Ergebnis in den Kram gepasst hat, dann wurde es sich opportun auf die Fahne geschrieben. Das ist nicht mein Verständnis für eine wirksame Interessenvertretung! Handelnde Akteure ihres Verbandes geben öffentlich zum Ausdruck, dass sie nicht gewillt sind, formal und im Rahmen des Gesetzes wirksame Entscheidungen des Gremiums, dem sie angehören, zu akzeptieren. Stattdessen wird aktiv versucht, Mehrheitsentscheidungen zu untergraben. In meinen Augen wird somit auf besonders destruktive Art und Weise der Betriebsfrieden in der Dienststelle und innerhalb des Gremiums gestört. Der im BPersVG enthaltenen immanenten Pflicht zur Wahrung des Dienststellenfriedens wird aktiv entgegengewirkt.
Sie haben den örtlichen Personalrat, dem auch handelnde Akteure ihres Verbandes angehören, wiederholt mit verwaltungsgerichtlichen Klagen überzogen.
Sämtliche Anschuldigungen von ihnen wurden seitens der Gerichtsbarkeit zurückgewiesen, auch in der, von ihnen angerufenen zweiten Instanz. Wiederholt habe ich die handelnden Akteure ihres Verbandes gebeten, Verantwortung zu übernehmen und mit zu arbeiten. Den Erfolg sind sie den Beschäftigten des Amtes bis heute schuldig geblieben! ….“
Am 23. März 2016 haben die Antragsteller als Wahlberechtigte beim Deutschen Patent- und Markenamt das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren beim Verwaltungsgericht München eingeleitet. Sie tragen vor, bei der Wahl sei gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden. Eine Berichtigung habe nicht erfolgen können und der Verstoß habe das Wahlergebnis beeinflusst. Es liege ein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) vor, der nach ständiger Rechtsprechung zu den wesentlichen Vorschriften i.S.d. § 25 BPersVG zähle. Die Wahlbeeinflussung ergebe sich aus den Äußerungen von Herrn E. und Herrn T. auf der Personalversammlung am 3. März 2016 und der Versendung der Redebeiträge per E-Mail an alle Wahlberechtigten. Es handle sich hierbei um Äußerungen, die den Boden der Neutralität verlassen hätten und damit gegen die Neutralitätsverpflichtung aus § 67 BPersVG verstießen. Der Personalrat sei zu Objektivität und Neutralität seiner Amtsführung verpflichtet und habe sich einer gewerkschaftlichen Betätigung in der Dienststelle zu enthalten. Auf Kosten des VBGR und seiner Mitglieder sei versucht worden, Werbung für die eigenen ver.di-Listen zu machen. Weder Herr T. noch Herr E. hätten zu erkennen gegeben, dass sie nicht in der Funktion als Vorsitzende eines Personalratsgremiums, sondern als Kandidaten der von der Gewerkschaft ver.di unterstützten Wahlvorschlagslisten sprächen. Dies stelle einen bewussten Versuch dar, auf die drei Tage später stattfindende Personalratswahl Einfluss zu nehmen. Ein Verstoß gegen die Neutralitätsverpflichtung liege zudem in der Versendung des Redebeitrags an alle Wahlberechtigten der Dienststelle München. Der Antragsteller zu 1) sei vorab nicht gefragt worden, ob sein Redebeitrag mit aufgenommen werden solle. Zudem sei eine Umstellung der Redebeiträge in der Sitzung erfolgt. Damit habe für den Antragsteller zu 1) keine Möglichkeit bestanden, sich zu den Ausführungen von Herrn T. zu äußern. Zudem liege ein Verstoß gegen die Schweigepflicht nach § 10 BPersVG vor, weil Herr T. über Mitglieder des Personalrats, die gleichzeitig Mitglieder des VBGR seien, und über deren Verhalten in den Ausschüssen berichtet habe. Die von ihm geäußerten Tatsachen entsprächen teilweise nicht der Wahrheit. Die Verstöße könnten das Wahlergebnis auch beeinflusst haben; insoweit reiche bereits die Möglichkeit einer Änderung oder Beeinflussung.
Diesem Vortrag der Antragsteller ist der Beteiligte zu 1) mit Schriftsätzen seiner Bevollmächtigten vom 19. April und 27. Juni 2016 entgegengetreten. Er führt aus, das schlechte Wahlergebnis, das offensichtlich zur Wahlanfechtung motiviert habe, hätten Organisationen der DBB-TU auch andernorts zu verzeichnen. Die Antragsteller würden das auch Amtsträgern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung und die Grenzen der Sittenwidrigkeit verkennen. Die Anforderungen insoweit seien hoch und in jedem Einzelfall nach Inhalt, Beweggrund und Zweck zu bewerten. Die Antragsschrift enthalte keinen schlüssigen Vortrag, der die Wahlanfechtung als möglicherweise berechtigt erscheinen lasse, so dass eine wirksame Anfechtung nicht vorliege. Alle Sprecher seien den Beschäftigten hinsichtlich ihrer personalrechtlichen Funktion und Gewerkschaftszugehörigkeit bekannt gewesen. Herr E. habe – entgegen dem Manuskript – nicht zur Wahl der ver.di-Liste aufgerufen. Die zeitlich frühere Äußerungsmöglichkeit für den Antragsteller zu 1) habe den Vorteil gehabt, dass noch keine Teilnehmer die Veranstaltung verlassen hätten. Herr T. habe mehrfach während der Veranstaltung gefragt, ob es noch Wortmeldungen gebe; der Antragsteller zu 1) habe darauf jedoch verzichtet. Er habe überdies seine Rede nicht zur Verfügung gestellt, so dass eine Verlinkung nicht habe erfolgen können.
Die Antragsteller replizierten hierauf mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18. Dezember 2016 und führten aus, es sei für die Wahlanfechtung unerheblich, welches Wahlergebnis sich ergeben habe. Herr T. und Herr E. hätten die Möglichkeiten, die ihnen durch ihre Ämter zur Verfügung gestanden hätten, ausgenutzt. Die meisten Beschäftigten hätten nicht erkennen können, dass die Sprecher nicht für ihr Personalratsgremium gesprochen hätten, sondern für ihre Wahlvorschlagsliste. Es liege Wahlwerbung unter Missbrauch der ausgeübten Personalratsämter vor. Der Antragsteller zu 1) habe nicht ausdrücklich auf Wortmeldungen verzichtet. Herr E. habe den Redebeitrag so gehalten, wie er im Manuskript stehe, also mit Aufruf zur Wahl der ver.di-Liste. Der Antrag sei nicht unsubstantiiert.
Die Beteiligte zu 2) hat sich im Verfahren nicht geäußert.
Das Gericht hat am 27. September 2017 eine Anhörung durchgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
II.
Der fristgerecht, substantiiert und auch sonst in zulässiger Weise nach § 25 BPersVG von fünf Wahlberechtigten gestellte Wahlanfechtungsantrag ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wahlanfechtung nach § 25 BPersVG liegen nicht vor.
Nach dieser Vorschrift kann die Wahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.
In Betracht kommt hier lediglich ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens. Eine solche Vorschrift stellt § 24 Abs. 1 Satz 1 BPersVG dar. Danach darf niemand die Wahl des Personalrats behindern oder in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise beeinflussen. Die von den Antragstellern angeführten Vorschriften des § 10 BPersVG zur Schweigepflicht und des § 67 BPersVG zur Neutralitätspflicht stellen per se aufgrund ihrer systematischen Stellung im Bundespersonalvertretungsgesetz keine Vorschriften des Wahlverfahrens dar; ein Verstoß gegen diese Vorschriften kann eine Wahlanfechtung nur dann begründen, wenn zusätzlich der Umstand der Sittenwidrigkeit hinzukommt. § 24 Abs. 1 Satz 1 BPersVG wendet sich an jedermann und verpflichtet ihn, alles zu unterlassen, was in einer das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden Bediensteten verletzenden Weise ein bestimmtes Wahlergebnis herbeiführen kann (BayVGH, B.v. 7.3.2017 – 17 P 16.2124 – juris Rn. 15). Im Gegensatz zur Wahlbehinderung ist Wahlbeeinflussung als solche nicht verboten, auch wenn sie naturgemäß das Ziel hat, auf die Wählerentscheidung Einfluss zu nehmen. Die Grenze zur unzulässigen Wahlwerbung ist erst dann überschritten, wenn sie sich als sittenwidrige Wahlbeeinflussung darstellt (BayVGH, B.v. 7.3.2017 a.a.O.). Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 27.6.2007 – 6 A 1.06 – juris Rn. 34) führt insoweit aus:
„Eine nach dieser Vorschrift unzulässige Wahlwerbung wird angenommen bei verunglimpfender Abwertung von Mitbewerbern, bei diffamierender oder grob wahrheitswidriger Propaganda über Wahlbewerber sowie bei Schmähkritik, mit der der Boden sachlicher Kritik an den Mitbewerbern verlassen wird. Scharfe Kritik an gegnerischen Gewerkschaften oder Listen wird als zulässig angesehen, solange sie nicht in Hetze ausartet. In diesem Zusammenhang werden Äußerungen als unzulässig betrachtet, welche geeignet sind, den Dienstbetrieb zu beeinträchtigen.“
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 7.3.2017 a.a.O.) konkretisiert § 24 Abs. 1 Satz 1 BPersVG wie folgt:
„Das Verbot der sittenwidrigen Wahlbeeinflussung orientiert sich am Leitbild eines fairen Wettbewerbs, der auf die Wirkung der Persönlichkeit der Wahlbewerber und ihrer Argumente setzt und manipulative sowie diffamierende Methoden ausschließt. Hierbei sind jedoch der Wahlkampfcharakter von Wahlen sowie die Fähigkeit der Wähler zu berücksichtigten, sich eigenständig ein Urteil zu bilden, wozu auch gehört, unfaires oder unsachliches Verhalten selbst erkennen und aus ihm Schlussfolgerungen ziehen zu können. Rechtlicher Reglementierung bedarf der Wahlkampf dort, wo der Persönlichkeitsschutz der Wahlbewerber oder die Autonomie der Willensbildung der Wähler spürbar in Gefahr geraten könnte, etwa bei einem Verstoß gegen Bestimmungen des Strafgesetzbuchs oder bei verunglimpfender, diffamierender Abwertung von Mitbewerbern, grob wahrheitswidriger Propaganda über Wahlbewerber oder bei Schmähkritik, mit der der Boden sachlicher Kritik an den Mitbewerbern verlassen wird. Nicht jedes nach allgemeinem Verständnis unfaire und unsachliche Verhalten überschreitet jedoch die Grenze zur Sittenwidrigkeit im wahlrechtlichen Sinne. Eine Überspannung der diesbezüglichen Anforderungen liefe Gefahr, den Wahlkampf seiner Vitalität zu berauben und seinerseits wahlbeeinflussende Wirkungen zu erzeugen.“
Nach diesen Maßstäben haben Herr T. und Herr E. durch ihre Redebeiträge auf der Personalversammlung am 3. März 2016 nicht in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Einfluss auf die Wahl zum örtlichen Personalrat genommen. Herr T. hat dies auch nicht durch das zeitliche Vorziehen des Grußwortes des Antragstellers zu 1) und das Versenden eines Links zu den Redebeiträgen der Personalversammlung getan.
1. Die Redebeiträge von Herrn T. und Herrn E. stellen keine gegen die guten Sitten verstoßende Verletzung der Neutralitätspflicht des § 67 BPersVG dar. Der Angriff der Antragsteller auf die Redebeiträge von Herrn T. und Herrn E. dürfte im Hinblick auf § 67 BPersVG auf zwei Aspekte abzielen, zum einen auf die von den beiden Rednern geäußerte Kritik an Mitgliedern des VBGR, zum anderen auf die von den Antragstellern als unzulässig angesehene Werbung für die ver.di-Liste durch Herrn E.
Weder die von Herrn T. noch die von Herrn E. geäußerte Kritik an der Liste des VBGR verstößt in sittenwidriger Weise gegen die Neutralitätspflicht aus § 67 BPersVG. Herr T. hat insoweit ausgeführt, die im örtlichen Personalrat vertretenen Mitglieder des VBGR und der Verband als Ganzes hätten sich einer konstruktiven Zusammenarbeit verschlossen und hat dies beispielhaft begründet; weiter hat er angegeben, handelnde Akteure des Verbandes hätten den örtlichen Personalrat wiederholt mit erfolglosen verwaltungsgerichtlichen Klagen überzogen. Herr E. hat geäußert, der Vorwurf des VGBR zur Benachteiligung der Beschäftigten durch die neue Dienstvereinbarung sei falsch; die Suggestion des VGBR, mit ihm werde alles besser, sei an Dreistigkeit nicht zu überbieten. Es kann offen bleiben, ob diese Redebeiträge bereits einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht aus § 67 BPersVG darstellen; hierfür mag einiges sprechen. Die Redebeiträgte überschreiten jedoch nicht die Grenze der Sittenwidrigkeit. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein wieder kandidierender Bewerber die eigene Arbeit möglichst positiv darstellt und Defizite an der Arbeit des Gegners aufzeigt. Da die Bewertung der bisherigen eigenen Arbeit ebenso wenig wie die Kritik an der Arbeit des Gegners ohne subjektive Ansätze auskommt, ist die Einhaltung eines absoluten Sachlichkeitsgebots insoweit weder tatsächlich möglich noch rechtlich geboten (BVerwG, U.v. 27.6.2007 – 6 A 1.06 – juris Rn. 31). Weiter überschreitet nicht jedes nach allgemeinem Verständnis unfaire oder unsachliche Verhalten die Grenze zur Sittenwidrigkeit im wahlrechtlichen Sinne. Dies gilt im Hinblick auf den Wahlkampfcharakter von Wahlen und die Fähigkeit der Wähler und Wählerinnen, sich eigenständig ein Urteil zu bilden, wozu auch gehört, unfaires oder unsachliches Verhalten selbst zu erkennen und aus ihm Schlussfolgerungen ziehen zu können (BVerwG, U.v. 19.9.2012 – 6 A 7.11 – juris Rn. 39). Im Hinblick auf diese Grundsätze sind die Äußerungen von Herrn T. und Herrn E. nicht als sittenwidrig zu qualifizieren. Die von Herrn T. dargestellten Umstände, die die aus seiner Sicht wenig konstruktive Zusammenarbeit des Personalrats mit den dort vertretenen Mitgliedern des VBGR belegen, verlassen noch nicht den Boden einer Meinungsäußerung und haben keinen verleumderischen Charakter. Dasselbe gilt für seine Aussage zu den angeblich von Akteuren des VBGR erfolglos angestrengten Gerichtsverfahren, selbst wenn diese in dieser Pauschalität nicht zutreffen sollte. Auch die Äußerung von Herrn E. zum Verhalten von Mitgliedern des VBGR im Hinblick auf die neue Dienstvereinbarung Beurteilungsrichtlinien stellt allenfalls eine wenig sachliche, aber keine verleumderische oder diffamierende Kritik dar. Sie artet ferner nicht in Hetze aus und gefährdet auch nicht den Dienstbetrieb (vgl. Ballerstedt/Schleicher/Faber, Bayer. Personalvertretungsgesetz, Onlinekommentar, 41. Update 03/17, Art. 24 Rn. 10a).
An der Einstufung der Äußerungen als nicht sittenwidrig ändert es auch nichts, dass Herr T. und Herr E. auf der Personalversammlung im Rahmen ihrer Funktion als Vorsitzender des Personalrats bzw. als Vorsitzender des Gesamtpersonalrats gesprochen haben. Zwar gilt für sie damit die Neutralitätsverpflichtung des § 67 BPersVG in besonderem Maße. Es ist jedoch selbstverständlich, dass sie neben ihrer jeweiligen personalvertretungsrechtlichen Funktion regelmäßig auch einer Liste angehören und vor einer anstehenden Personalratswahl für diese eintreten. Der mündige Bürger und Wähler, dessen Vorstellung den Regelungen des Bundespersonalvertretungsgesetzes zugrunde liegt (BVerwG, B.v. 3.3.2002 – 6 P 14/02 – juris Rn. 21) kann dies erkennen und im Rahmen seines Wahlverhaltens bewerten.
Auch ein möglicher Wahlaufruf von Herrn E. im Hinblick auf die ver.di-Liste würde nicht in sittenwidriger Weise gegen die Neutralitätspflicht aus § 67 BPersVG verstoßen. Im Hinblick auf dieses Ergebnis ist eine Beweisaufnahme zu der Frage, ob Herr E. diesen Ausspruch tatsächlich getätigt hat, unterblieben. Aus dem Zusammenspiel von § 67 Abs. 1 Satz 2 BPersVG, der die Freiheit der gewerkschaftlichen Betätigung durch das Gebot der objektiven und neutralen Amtsführung begrenzt, und § 67 Abs. 2 BPersVG, der diese Freiheit gewährleistet, ergibt sich zwar, dass letztere jedenfalls nicht weit auszulegen ist. Das Eintreten eines einer Gewerkschaft angehörenden Personalratsmitglieds vor Personalratswahlen für die Liste seiner Gewerkschaft wird jedoch als zulässig angesehen (Gerhold in Lorenzen/Etzel/Gerhold u.a., BPersVG, Onlinekommentar, 62. Update 06/2017, § 67 Rn. 21a). Im Übrigen würde der gerügte Verstoß gegen die Neutralitätspflicht allenfalls ein Beschlussverfahren nach sich ziehen, nicht aber die Sittenwidrigkeit begründen.
2. Auch das Versenden eines Links auf die Redebeiträge der Personalversammlung per E-Mail an alle Beschäftigten durch Herrn T. begründet keinen sittenwidrigen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht des § 67 BPersVG. Er hat damit nicht in sittenwidriger Art und Weise gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Der Antragsteller zu 1) hatte ebenfalls die Möglichkeit, sein Grußwort im Intranet veröffentlichen zu lassen. Der Vorsitzende des Personalrats hat hierzu in der Anhörung ausgeführt, im Rahmen einer Sitzung des Personalrats werde besprochen, welche Redebeiträge für die Personalversammlung angedacht seien. Dabei würden die Redner gebeten, die Redebeiträge vorab zur Verfügung zu stellen. Dies diene dazu, die Personalversammlung sinnvoll gestalten und den jeweiligen Redebeitrag ins Intranet einstellen zu können. Es sei möglich, den Redebeitrag vorab zu übersenden oder auch noch nach der Personalversammlung bis zur Veröffentlichung des Manuskripts im Intranet nachzuliefern. Als Anwesender auf der Sitzung des Personalrats wurde also auch der Antragsteller zu 1) gebeten, seinen Redebeitrag zur Verfügung zu stellen. Er hat hierzu in der Anhörung angegeben, er habe seine Rede nicht schriftlich eingereicht, und zwar weder die vorformulierte noch die als Entgegnung auf den vorangegangenen Redebeitrag von Herrn E. tatsächlich gehaltene Rede. Er hat damit die Gelegenheit zur Veröffentlichung nicht wahrgenommen und kann sich deshalb im Rahmen einer Wahlanfechtung nicht auf diesen Umstand berufen. Zwar begründet er sein Unterlassen insbesondere damit, dass Redebeiträge der Gewerkschaften bislang nie ins Intranet eingestellt worden seien. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die ausdrückliche Bitte um Zur-Verfügung-Stellung der Redebeiträge auch an ihn im Rahmen einer Sitzung des Personalrats bezeugt, dass auch Redebeiträge von Gewerkschaften eingestellt werden sollten, was die unwidersprochene Aussage des Vorsitzenden des Personalrats in der Anhörung bestätigt. Der Antragsteller zu 1) hat auch nicht vorgetragen, dass er versucht habe, seine Gastrede in dem Manuskript zu platzieren oder dass diese zurückgewiesen worden wäre.
3. Auch das Vorziehen des Redebeitrags des Antragstellers zu 1) auf der Personalversammlung begründet keinen sittenwidrigen Verstoß gegen Wahlvorschriften. Zum einen hat die zeitliche Vorverlegung der Gastrede des Antragstellers zu 1) jedenfalls auch den Vorteil, dass zu diesem Zeitpunkt noch eine Vielzahl der Beschäftigten anwesend war. Zum anderen hatte er die Möglichkeit, sich nach den Äußerungen von Herrn T. nochmals zu Wort zu melden. Er hat in der Anhörung selbst ausgeführt, nach der Rede von Herrn T. sei an die Anwesenden die Frage gestellt worden, ob noch weitere Wortmeldungen aus dem Plenum gewünscht würden. Außerdem hätte er sich unter Punkt 11 der Tagesordnung „Aussprache/Diskussion“ zu Wort melden können. Nutzt er all diese Gelegenheiten nicht, um zu Wort zu kommen und auf die Ausführungen von Herrn T. zu entgegnen, stellt die Wahlanfechtung unter Berufung auf die zeitliche Vorverlegung ein nicht zum Erfolg führendes venire contra factum proprium dar.
4. Auch der von den Antragstellern gerügte Verstoß von Herrn T. und Herrn E. gegen die Schweigepflicht des § 10 BPersVG kann der Wahlanfechtung nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar fällt unter die Schweigepflicht auch das Abstimmungsverhalten von Personalratsmitgliedern. Es kann aber offen bleiben, ob die doch recht pauschalen Äußerungen zur Personalratsarbeit der dort vertretenen Mitglieder des VBGR einen Verstoß gegen die Schweigepflicht darstellen. Die rechtlichen Folgen eines solchen Verstoßes können der Ausschluss aus dem Personalrat nach § 28 BPersVG, ein Schadensersatzanspruch oder disziplinar- und strafrechtliche Maßnahmen sein (Faber in Lorenzen/Etzel/Gerhold u.a., a.a.O., § 10 Rn. 13), nicht aber automatisch die Einstufung als sittenwidrig oder der Erfolg einer Wahlanfechtung.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, denn das personalvertretungsrechtliche Beschlussverfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 Abs. 2 BPersVG, § 80 Abs. 1 i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsgerichtsgesetz – ArbGG -, § 2 Abs. 2 Gerichtskostengesetz – GKG).
Nach § 23 Abs. 3 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ist der Gegenstandswert nach billigem Ermessen zu bestimmen; nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht es billigem Ermessen, den Gegenstandswert in der Hauptsache unter Rückgriff auf § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000 € festzusetzen, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Gegenstandswertes keine genügenden Anhaltspunkte enthält.

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