Aktenzeichen 4 AZR 234/10
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Münster, 13. Oktober 2008, Az: 4 Ca 669/08, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen), 21. Oktober 2009, Az: 18 Sa 1763/08, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten, die im Übrigen verworfen wird, wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Oktober 2009 – 18 Sa 1763/08 – teilweise aufgehoben und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass dem Kläger für das Jahr 2007 ein Tag Zusatzurlaub zusteht.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 13. Oktober 2008 – 4 Ca 669/08 – zurückgewiesen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Auslegung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel und sich daraus ergebende Ansprüche des Klägers.
2
Der Kläger, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist seit dem 15. September 1983 bei der Beklagten als Entnahmearzt beschäftigt. Der Arbeitsvertrag vom 21. September 1983 enthält in § 2 folgende Regelung:
„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23. Februar 1961 und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen.“
3
Die Beklagte betreibt für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) den Blutspendedienst ua. im Land Nordrhein-Westfalen. Die Beklagte, die nicht Mitglied der Tarifgemeinschaft des DRK ist, war zunächst nicht tarifgebunden. Sie schloss, auch vor dem Hintergrund der Ablösung des BAT durch die Nachfolgetarifverträge im öffentlichen Dienst, am 31. Oktober 2006 mit dem Deutschen Handels- und Industrieangestellten-Verband (DHV, nunmehr DHV – Die Berufsgewerkschaft) einen Haustarifvertrag. Aufgrund von nachfolgenden Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di kam es am 18. Januar 2007 zur Vereinbarung eines weiteren Haustarifvertrages (nachfolgend: Haustarifvertrag), der am 1. Januar 2007 in Kraft trat und der ua. folgende Regelungen enthält:
„§ 2
Anwendung von Tarifverträgen
1.
Auf die Rechtsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer … wird das zwischen der DRK-Bundestarifgemeinschaft und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di – vereinbarte Tarifvertragsrecht, beginnend mit dem 27. Änderungstarifvertrag, dem sogenannten ‚DRK-Reformtarifvertrag’ vom 22. Dezember 2006, einschließlich aller ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge und besonderen Tarifvertragsteile in seiner jeweils gültigen Fassung angewandt, soweit in diesem Tarifvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist.
…
§ 4
Vertrauensschutz / Besitzstandswahrung
Soweit für einzelne Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen …, die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallen, für sie günstigere Regelungen aus Vereinbarungen arbeitsvertraglicher Art mit dem Arbeitgeber gelten, als in diesem Tarifvertrag vereinbart, behalten sie alle Ansprüche, die sich aus diesen Vereinbarungen ergeben. Der Abschluss dieses Tarifvertrages ist kein Rechtsgrund für den Wegfall oder die Einschränkung oder die Kündigung solcher Vereinbarungen.“
4
Nach verschiedenen Informationen der Beklagten an die bei ihr tätigen Beschäftigten über die Tarifvertragsverhandlungen und -abschlüsse teilte sie diesen ua. mit Schreiben vom 4. Januar 2007 mit:
„Sie haben ab sofort drei Wahlmöglichkeiten
– Verbleib im alten BAT
– dem DHV-Haustarifvertrag
– und dem DRK-Reformtarifvertrag …“
5
Die Beklagte rechnete für die Zeit ab dem 1. Januar 2007 das Arbeitsverhältnis auf Grundlage des Haustarifvertrages ab. Ein in den Vorjahren geleistetes Urlaubsgeld nach Maßgabe des Tarifvertrages über ein Urlaubsgeld für Angestellte vom 16. März 1977 (TV-Urlaubsgeld) sowie eine Zuwendung nach dem Tarifvertrag über eine Zuwendung für Angestellte vom 12. Oktober 1973 (TV-Zuwendung) gewährte die Beklagte ebenso wenig wie einen sog. Winterzusatzurlaub nicht mehr.
6
Mit Schreiben vom September 2007 machte der Kläger „für das Jahr 2007 und für die Folgezeit“ ua. die „Zahlung von Urlaubsgeld gemäß BAT“ sowie „Zahlung von Weihnachtsgeld gemäß BAT“ und mit weiterem Schreiben vom 10. März 2008 die Gewährung eines „Zusatzurlaubsanspruchs“ erfolglos geltend.
7
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Nach dem TV-Zuwendung könne er eine höhere Zahlung beanspruchen als die von der Beklagten auf Grundlage des Haustarifvertrages geleistete. Aufgrund der Bezugnahmeklausel seien die Regelungen des BAT und der hierzu geschlossenen Zusatztarifverträge als günstigere Bestimmungen auf das Arbeitsverhältnis nach wie vor anzuwenden. Das folge auch aus § 4 Haustarifvertrag. Darüber hinaus habe die Beklagte auch eine Urlaubsregelung vom 2. Dezember 1977 angewandt. Danach erhielten Arbeitnehmer ua. dann Zusatzurlaub, wenn sie ihren Urlaub aus einem Kalenderjahr in der Zeit vom 1. November des Jahres bis zum 31. März des Folgejahres in Anspruch nähmen.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Urlaubsgeld für das Jahr 2007 in Höhe von 255,65 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2007 zu zahlen,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine weitere Sonderzuwendung für das Jahr 2007 in Höhe von 1.002,66 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2007 zu zahlen,
3.
festzustellen, dass der Kläger im Jahr 2007 einen Tag Zusatzurlaub erworben hat,
hilfsweise
festzustellen, dass dem Kläger im Wege des Schadensersatzes ein Tag bezahlte Freistellung wegen eines auf der Grundlage der betrieblichen Zusatzurlaubsregelung im Jahr 2007 erworbenen Tages Zusatzurlaub zu gewähren ist,
4.
festzustellen, dass dem Kläger für die Arbeitszeit zwischen 20.00 Uhr und 06.00 Uhr Nachtarbeitszuschläge nach § 35 Abs. 1 e in Verbindung mit § 15 Abs. 8 BAT zustehen,
5.
festzustellen, dass dem Kläger für Arbeit an Sonntagen Sonntagszuschläge nach § 35 Abs. 1 b in Verbindung mit § 15 Abs. 8 BAT zustehen,
6.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Urlaubsgeld für das Jahr 2008 in Höhe von 255,65 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2008 zu zahlen,
7.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine weitere Sonderzuwendung für das Jahr 2008 in Höhe von 1.066,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2008 zu zahlen,
8.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Urlaubsgeld für das Jahr 2009 in Höhe von 255,65 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2009 zu zahlen.
9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach § 2 Haustarifvertrag sei die Anwendung der bisher aufgrund individualvertraglicher Vereinbarung anwendbaren Tarifverträge ersetzt worden. Der Kläger habe erstmals im September 2007 Ansprüche nach dem BAT geltend gemacht. Die Beklagte habe zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen können, dass sich die Vertragsbeziehungen allein nach dem neuen Haustarifvertrag richteten. Jedenfalls sei die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel dahingehend auszulegen, dass die beiden Haustarifverträge an deren Stelle treten sollten. Der Kläger könne auch keinen Zusatzurlaub beanspruchen. Die vom Kläger angeführte „Urlaubsregelung“ und die Betriebsvereinbarung, auf die er sich stütze, gestalteten nur einen nach § 49 BAT bestehenden Anspruch aus, begründeten aber selbst keinen solchen. Zudem habe der Kläger seinen Urlaub nicht aufgrund betrieblicher Gründe in der besagten Zeit in Anspruch genommen.
10
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.