Aktenzeichen 11 W 1281/16
VV-RVG Nr. 7008
ZPO ZPO § 104 Abs. 2 S. 3, § 122 Abs. 1 Nr. 3, § 126
Leitsatz
Dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt steht im Vergütungsfestsetzungsverfahren nach den §§ 45 ff. RVG auch dann ein Anspruch gegen die Staatskasse auf Festsetzung der Umsatzsteuer zu, wenn die von ihm vertretene Partei zum Vorsteuerabzug berechtigt ist (Anschluss an OLG Hamburg, Beschluss vom 19.6.2013 – 4 W 60/13 = MDR 2013, 1194; entgegen OLG Celle, Beschluss vom 4.10.2013 – 2 W 217/13 = MDR 2013, 1434).
Verfahrensgang
13 T 4807/16 2016-05-30 Bes LGMUENCHENI AG München
Tenor
I.
Die Beschlüsse des Landgerichts München I vom 30.05.2016 – Az.: 13 T 4807/16 – und des Amtsgerichts München vom 25.02.2016 – Az.: 281 C 30021/14 – werden aufgehoben.
II.
Auf die Erinnerung der Rechtsanwälte … wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 11.01.2016 dahin abgeändert, dass die den Rechtsanwälten … aus der Staatskasse zu zahlende Prozesskostenhilfevergütung auf 270,13 EUR festgesetzt wird.
Gründe
I. Der Kläger hat als Insolvenzverwalter der … KG im vorliegenden Rechtsstreit einen Rückgewähranspruch wegen insolvenzrechtlicher Anfechtbarkeit in Höhe von 1.200,00 € zuzüglich Zinsen geltend gemacht und vorweg die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, die ihm vom Landgericht München I (nach vorangegangener Ablehnung durch das Amtsgericht München) mit Beschluss vom 24.07.2015 unter Beiordnung der Rechtsanwälte … bewilligt worden ist. Das Amtsgericht München hat gegen den Beklagten am 15.09.2015 ein Versäumnisurteil erlassen. Der hiergegen zunächst erhobene Einspruch ist vom Beklagten zurückgenommen worden.
Die Urkundsbeamte der Geschäftsstelle beim Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 11.01.2016 die den Rechtsanwälten … aus der Staatskasse zu zahlende Prozesskostenhilfevergütung auf 227,00 € festgesetzt und dabei die Berücksichtigung der ebenfalls zur Festsetzung angemeldeten Umsatzsteuer in Höhe von 43,13 € abgelehnt.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Rechtsanwälte … hat das Amtsgericht München mit richterlichem Beschluss vom 25.02.2016 zurückgewiesen. Die vom Amtsgericht zugelassene Beschwerde der beigeordneten Rechtsanwälte hat das Landgericht München I mit Kammerbeschluss zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Beschwerdegericht im Wesentlichen ausgeführt, die Umsatzsteuer auf die Vergütung der beigeordneten Rechtsanwälte sei nicht zu berücksichtigen, da der Kläger zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Der Gegner einer vorsteuerabzugsberechtigten Partei solle nicht mit der Umsatzsteuer belastet werden, wenn diese selbst aufgrund ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung mit diesem Betrag nicht belastet werde, weil sie ihn gegenüber dem Finanzamt geltend machen könne. Es sei unerheblich, dass hier die Staatskasse Vergütungsschuldner sei, da die Umsatzsteuerpflicht an die Frage anknüpfe, wer Auftraggeber des Rechtsanwalts sei. Das sei auch bei Gewährung von Prozesskostenhilfe stets die Partei selbst.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die Rechtsanwälte … mit der vom Landgericht ausdrücklich zugelassenen weiteren Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Umsatzsteuer sei gemäß der Nr. 7008 VV-RVG in voller Höhe Teil der gesetzlichen Vergütung des Rechtsanwalts. Die Regelung in § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO finde auf den vorliegenden Fall keine entsprechende Anwendung, weil es für die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts nicht auf eine Vorsteuerabzugsberechtigung der Partei ankomme. Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe habe gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zur Folge, dass der beigeordnete Rechtsanwalt Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei nicht geltend machen könne. Folglich könne diese die Umsatzsteuer auch nicht als Vorsteuer geltend machen, so dass die Staatskasse im Ergebnis nicht belastet sei.
II. Die – nach ausdrücklicher Zulassung durch das Landgericht – gemäß den §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 6 RVG zulässige Beschwerde der Rechtsanwälte … hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts und des Amtsgerichts steht den beigeordneten Rechtsanwälten ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Umsatzsteuer aus der Staatskasse zu.
1. Für ihre Tätigkeit als Prozessbevollmächtigte des Klägers haben die beigeordneten Rechtsanwälte gegen die Staatskasse Anspruch auf eine Vergütung im Sinne der §§ 45 ff. RVG; zu dieser gehören auch die Auslagen und damit – wegen VV-RVG Nr. 7008 – die Umsatzsteuer auf den Betrag der Vergütung (siehe §§ 45 Abs. 1, 46 Abs. 1 RVG).
2. Die Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers, dem die Beschwerdeführer beigeordnet worden waren, wirkt sich auf die Höhe der Prozesskostenhilfevergütung nicht aus (Senatsbeschluss vom 03.12.2014 – 11 W 1962/14; ebenso OLG Hamburg, Beschluss vom 19.06.2013 – 4 W 60/13 = MDR 2013, 1194 = RVGreport 2013, 348 mit zustimmender Anm. von Hansens; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 22. Auflage, § 46 Rn. 77; AnwK-RVG/Volpert/N. Schneider, RVG, 7. Auflage, § 55 Rn. 19 und VV 7008 Rn. 71, 74)
a) Der prozessuale Kostenerstattungsanspruch des Klägers, der aufgrund des Versäumnisurteils geltend gemacht werden kann, folgt aus dem Prozessrecht (§§ 91 ff.,103 ff. ZPO); dabei bedeutet die Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers, dass er von dem unterlegenen Beklagten die Umsatzsteuer nicht fordern kann, weil er sie vom Finanzamt erstattet erhält, sie also für ihn ein „durchlaufender Posten“ ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12.06.2006 – II ZB 21/05 Tz. 6 = NJW-RR 2007, 285 = MDR 2007, 303). Dies hätte nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs – letztlich selbstverständlich – auch für die PKH-Anwälte des Klägers gegolten, wenn diese von ihrem Beitreibungsrecht im Sinne von § 126 ZPO Gebrauch gemacht und den Kostenerstattungsanspruch ihrer Partei – wenngleich im eigenen Namen – gegen den Beklagten als Prozessgegner geltend gemacht hätten; § 126 ZPO ändert nichts daran, dass ein der Partei zustehender Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht wird.
b) Hiervon zu unterscheiden ist allerdings die Rechtsbeziehung zwischen dem PKH-Anwalt und seiner Partei:
1) Der anwaltliche Gebührenanspruch ergibt sich aus § 675 BGB i. V. m. den Vorschriften des RVG und hat mit dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen den Beklagten zunächst einmal nichts zu tun.
2) Dementsprechend folgt aus der Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers – in diesem Verhältnis – auch nicht etwa die Berechtigung, die Umsatzsteuer nicht zu bezahlen. Vielmehr schuldet der Kläger die Umsatzsteuer und kann sie vom Finanzamt erstattet verlangen (BGH, a. a. O., Tz 9). Nicht ersichtlich ist deshalb, wieso die Staatskasse diese Umsatzsteuer nicht ebenso zu vergüten hätte:
Der PKH-Anwalt würde diese Steuer von einer nicht bedürftigen (vorsteuerabzugsberechtigten) Partei erhalten, soll hierauf aber bei Bedürftigkeit der Partei keinen Anspruch haben, weil Schuldner dann die Staatskasse ist – und dies, obwohl die gesetzlichen Gebühren des PKH-Anwaltes wegen § 49 RVG ohnehin bereits geringer sind als die Wahlanwaltsgebühren.
c) In dem vom Landgericht zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Beschluss des OLG Celle vom 04.10.2013 – 2 W 217/13 (= JurBüro 2014, 31) wird nicht ausreichend zwischen dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte, dem Gebührenanspruch des Anwaltes gegenüber dem Kläger und dem Vergütungsanspruch des PKH-Anwalts gegen die Staatskasse unterschieden (siehe OLG Celle, a. a. O., Tz. 8 und dagegen überzeugend die Anmerkung von Hansens, RVGreport 2014, 20, 21). Soweit die Gegenseite die Umsatzsteuer nicht schuldet – auch nicht dem im Wege des § 126 ZPO vorgehenden Anwalt – liegt dies an der Vorsteuerabzugsberechtigung bezüglich des Kostenerstattungsanspruchs. Diesen Anspruch aber macht der PKH-Anwalt hier nicht geltend, weder gegen die eigene Partei noch gegen die Staatskasse, weshalb die Fragestellung des OLG Celle (a. a. O., Tz 8) fehl geht. Richtig müsste die Frage lauten, ob es zutreffend sein kann, dass der PKH-Anwalt von seiner Partei die Umsatzsteuer erhält, von der Staatskasse – bei Bewilligung von PKH – hingegen nicht. Dies wird von der herrschenden Meinung zutreffend verneint. Ein überzeugender Grund, den Zahlungspflichtigen Schuldner, mithin die Staatskasse, nicht damit zu belasten, ist nicht ersichtlich (so auch das OLG Hamburg, a. a. O.).
d) Der gesetzlich vorgesehene Anspruchsübergang in § 59 Abs. 1 RVG ändert hieran nichts – auch dann nicht, wenn der Prozessgegner der Staatskasse eine Vorsteuerabzugsberechtigung der bedürftigen Partei entgegenhalten kann (überzeugend Hansens, Anm. zu OLG Hamburg, a. a. O., RVGreport 2013, 348, 349). Darauf, ob die Staatskasse bei einem Vorgehen gegen die erstattungspflichtige Partei über § 59 RVG auf der Umsatzsteuer „sitzen bleibt“, kommt es nicht an; bei weiterer Betrachtung mag es sein, dass die Staatskasse den Umsatzsteuerbetrag zwar an den PKH-Anwalt auskehren muss – dieser allerdings hat ihn an das Finanzamt abzuführen, so dass die Staatskasse wieder einen entsprechenden Zuwachs erfährt.
e) Aus der pauschalen Verweisung auf § 104 Abs. 2 ZPO in § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG kann nicht der Schluss gezogen werden, dass wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung des Kläger die Geltendmachung der Umsatzsteuer gegenüber der Staatskasse ausgeschlossen sein soll. Der Sinn der Verweisung auf § 104 Abs. 2 ZPO, der vorrangig das Erstattungsverhältnis zwischen den Parteien betrifft, besteht darin, für die Antragstellung des Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse ebenfalls eine Glaubhaftmachung ausreichen zu lassen. Dabei passt allerdings § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht, was der Gesetzgeber hier, anders als in § 11 Abs. 2 Satz 3 RVG, offensichtlich übersehen hat (Hansens, RVGreport 2014, 21, unter III. 3., bzw. RVGreport 2013, 348, 349, unter IV. 1.).
f) Soweit der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 12.06.2006 – II ZB 21/05 – ausführt, der beigeordnete Rechtsanwalt könne die Umsatzsteuer gegenüber seiner zum Vorsteuerabzug berechtigten Partei (sogar aus der höheren Wahlanwaltsvergütung) geltend machen, ohne durch die Forderungssperre nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO daran gehindert zu sein, muss daraus nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass eine Festsetzung der Umsatzsteuer aus der Prozesskostenhilfevergütung gegen die Staatskasse ausgeschlossen sein soll. Hinzu kommt, dass dem vom Gericht beigeordneten Rechtsanwalt nicht zugemutet werden kann, seine Vergütung in Höhe des Nettobetrags gegen die Staatskasse geltend zu machen und die darauf anfallende Umsatzsteuer seiner bedürftigen Partei in Rechnung zu stellen.
3. Den Rechtsanwälten … steht somit neben der bereits festgesetzten Vergütung in Höhe von 227,00 € zusätzlich die hierauf anfallende Umsatzsteuer in Höhe von 43,13 € zu. Die aus der Staatskasse an sie zu zahlende Prozesskostenhilfevergütung erhöht sich damit auf 270,13 €. Dahingehend war der Beschluss des Amtsgerichts München vom 11.01.2016 abzuändern.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das vorliegende Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet, auch nicht im Beschwerdeverfahren (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 9 RVG).