Aktenzeichen 2 Sa 201/16
Leitsatz
Die Teilnahme an der Zeiterfassung führt beim Chefarztvertrag nicht zur Festlegung einer geschuldeten Arbeitszeit. Ausgleichspflichtige Überstunden fallen daher nicht an, auch wenn sich im Zeitkonto ein Saldo zu Gunsten des Chefarztes ergibt (vorliegend knapp 9.000 Stunden) und der Chefarzt für einzelne Tage (vorliegend 10 Tage in drei Jahren) Freizeitausgleich beantragt hat und der Arbeit insoweit fern geblieben ist.
Verfahrensgang
3 Ca 478/15 2016-02-10 Endurteil ARBGBAMBERG ArbG Bamberg
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Bamberg – Kammer Coburg – vom 10.02.2016, Az. 3 Ca 478/15, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Fortführung des Stundenkontos und bezahlten Freizeitausgleich hat. Entsprechende Ansprüche ergeben sich insbesondere auch nicht nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung.
A.
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist ein-gelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.
B.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die erkennende Kammer folgt der Begründung des Erstgerichts und macht sich dessen Ausführungen zu eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Dies gilt insbesondere zur Frage der Zulässigkeit der Anträge. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Parteien sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
I. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte für ihn das Stundenkonto fortführt. Ein entsprechender Anspruch folgt weder aus Betriebsvereinbarung noch aus dem Arbeitsvertrag oder aus betrieblicher Übung.
1. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, das Stundenkonto auf Grund Betriebsvereinbarung fortzuführen. Zwar können Betriebsvereinbarungen individuelle Rechte für die Arbeitnehmer begründen (§ 77 Abs. 4 BetrVG). Auch wenn der Kläger als Chefarzt unter den Anwendungsbereich der die Teilnahme am Zeiterfassungssystem regelnden BV 2011 gefallen wäre, so ist diese Betriebsvereinbarung jedenfalls durch die BV 2014 vollständig mit Wirkung zum 01.11.2014 abgelöst worden. Damit endete die Geltung der Vorgängerregelung. Die BV 2014 nimmt die leitenden Ärzte, zu denen der Kläger als Chefarzt unstrittig zählt, aber vom Anwendungsbereich aus.
2. Der Kläger hat keinen vertraglichen Anspruch auf Fortführung des Stundenkontos, insbesondere nicht aus betrieblicher Übung.
a. Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Erbringt der Arbeitgeber die Leistungen für den Arbeitnehmer erkennbar aufgrund einer anderen Rechtspflicht, kann der Arbeitnehmer nicht davon ausgehen, ihm solle eine Leistung auf Dauer unabhängig von dieser Rechtspflicht gewährt werden (st. Rspr. z.B. BAG 27.04.2016 -5 AZR 311/15 – Rn 27).
b. Bezogen auf die Führung des Stundenkontos scheidet ein Anspruch aus betrieblicher Übung schon deshalb aus, weil die Beklagte mit der Führung der Stundenkonten auch für die Chefärzte erkennbar die BV 2004 und die ablösende BV 2011 durchführen wollte (§ 77 Abs. 1 BetrVG).
aa. Beide Betriebsvereinbarungen galten nach deren § 1 für „alle Arbeiter und Angestellten“ bzw. „für alle Mitarbeiter“, also auch für den Kläger als im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses angestellten Chefarzt.
bb. Der Kläger ist kein leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG und daher nicht von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes und damit der o.g. Betriebsvereinbarungen ausgenommen.
(1) Der Kläger ist nicht zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG). Im Arbeitsvertrag findet sich hierzu keine Befugnis. Er kann, bezogen auf die nachgeordneten Ärzte seiner Abteilung, lediglich Vorschläge im Benehmen mit dem Klinikumsträger machen (§ 3 Abs. 4 lit. b Arbeitsvertrag).
(2) Dass dem Kläger Generalvollmacht oder Prokura erteilt wäre (§ 5 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG) ist weder behauptet noch sonst ersichtlich.
(3) Der Kläger ist auch kein leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG. Ob ein Chefarzt leitender Angestellter i.S.v. § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG ist, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab (BAG 05.05.2010 – 7 ABR 97/08 – Rn 14).
(a) Allein die formale Stellung eines Chefarztes genügt nicht zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG. Dies folgt bereits aus § 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG. Danach ist das ArbZG nicht anzuwenden auf leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG sowie auf Chefärzte. Die Erwähnung der Chefärzte in dieser Vorschrift wäre überflüssig, wenn sie ohne Weiteres dem Begriff des leitenden Angestellten unterfallen würden (BAG 05.05.2010 – 7 ABR 97/08 – Rn 15).
Ein Chefarzt ist auch nicht bereits deshalb leitender Angestellter, weil er regelmäßig frei und eigenverantwortlich Entscheidungen etwa über die Einführung spezieller Untersuchungs-, Behandlungs- und Therapiemethoden fällen kann (BAG a.a.O, Rn 16). Zwar obliegt dem Chefarzt eines Krankenhauses die Verantwortung im ärztlichen Bereich, wenn er eigenverantwortlich handelt und an Weisungen im Zweifel nicht gebunden ist. Die ärztliche Behandlung einschließlich der Entscheidung über bestimmte Behandlungsmethoden hat jedoch nicht in erster Linie eine unternehmerische Dimension. Sie zielt auf den Heilerfolg. Ärztliche Entscheidungen erklären sich aus den Besonderheiten des Arzt-Patientenverhältnisses und richten sich in erster Linie am Berufsrecht aus (§ 1 Abs. 2 BÄO). Ärztliche Entscheidungen des Chefarztes sind der Disposition des Arbeitgebers entzogen und betreffen nicht ohne Weiteres eine unternehmerische Aufgabenstellung im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG (BAG a.a.O.).
Maßgeblich für die Qualifizierung eines Chefarztes als leitender Angestellter im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG ist vielmehr, ob er nach der konkreten Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben kann. Dazu muss er nicht notwendig Mitglied der Krankenhausverwaltung sein. Erforderlich ist aber, dass er nach dem Arbeitsvertrag und der tatsächlichen Stellung in der Klinik der Leitungs- und Führungsebene zuzurechnen ist und unternehmens- oder betriebsleitende Entscheidungen entweder selbst trifft oder maßgeblich vorbereitet. Ausdruck einer solchen Stellung können z.B. die selbständige Verwaltung eines nicht ganz unerheblichen Budgets oder die zwingende Mitsprache bei Investitionsentscheidungen sein (BAG a.a.O., Rn 17).
(b) Nach diesen Kriterien ist der Kläger kein leitender Angestellter im Sinne das § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG.
Nach § 2 des Arbeitsvertrages ist der Kläger zwar in seiner ärztlichen Verantwortung bei der Diagnostik und Therapie unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet. Im Übrigen aber ist er an die Weisungen des Klinikumsträgers, der Klinikumsleitung und des leitenden Arztes des Klinikums gebunden (§ 2 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsvertrag). Vor wichtigen Entscheidungen wird der Klinikumsträger den Kläger hören, soweit sein Aufgabengebiet betroffen ist (§ 2 Abs. 1 Satz 4 Arbeitsvertrag). Hieraus ergibt sich, dass die Beklagte Vorstellungen und Vorschläge des Klägers grundsätzlich gerade nicht berücksichtigen muss. Auch bei den personellen Maßnahmen Anstellung, Umsetzung, Versetzung, Abordnung, Beurlaubung und Entlassung gegenüber den nachgeordneten Ärzten kann der Kläger lediglich Vorschläge machen (§ 3 Abs. 4 lit. b Arbeitsvertrag).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger über seine medizinischen Aufgaben hinaus tatsächlichen Einfluss auf die unternehmerischen Entscheidungen, beispielsweise zum Leistungsspektrum seiner Abteilung und damit auf die Gestaltung des Budgets, ausüben kann. Im Gegenteil hat der Kläger nach § 6 Abs. 2 Arbeitsvertrag Einvernehmen mit dem Klinikumsträger herbeizuführen über die Einführung neuer diagnostischer und therapeutischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bzw. Maßnahmen, die wesentliche Mehrkosten verursachen, soweit nicht unabdingbar. Dies gilt ausdrücklich auch für die Verordnung von Arzneimitteln und medizinischem Bedarf.
Auch die Delegationsstufe des Klägers spricht nicht für seine Zugehörigkeit zur Leitungsebene. Vielmehr ist er nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Arbeitsvertrags an die Weisungen des Klinikumsträgers, der Klinikumsleitung und des leitenden Arztes des Klinikums gebunden.
Aus der dem Kläger übertragenen Personalverantwortung und der administrativen Leitung für seine Abteilung lässt sich ebenfalls nicht die Eigenschaft als leitender Angestellter ableiten. Personalverantwortung und administrative Leitung sind nicht Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG. Eine „schlichte Vorgesetztenstellung“ ist für eine Qualifikation als leitender Angestellter nach § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG nicht ausschlaggebend (BAG a.a.O. Rn 30).
Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass die Erfüllung unternehmerischer (Teil-) Aufgaben der Tätigkeit des Klägers das Gepräge geben und jedenfalls ein beachtlicher Teil seiner Tätigkeit hiervon beansprucht würde.
Auf die Auslegungsregeln § 5 Abs. 4 BetrVG kommt es daher nicht an.
cc. Selbst wenn der Kläger als Chefarzt nicht unter die BV 2004 und BV 2011 gefallen wäre, so war doch erkennbar, dass die Beklagte hiervon ausging. Sie wollte die Zeiterfassung ausnahmslos für alle Mitarbeiter einführen. Dies zeigt gerade die Auseinandersetzung zwischen den Chefärzten und der Beklagten im Jahre 2004, dem Zeitpunkt der Einführung. Dass sich die Chefärzte möglicherweise auf Grund des Schreibens der Kanzlei des Klägervertreters vom 17.03.2004 lediglich auf Grund des insoweit auch bestehenden Direktionsrechts der Beklagten verpflichtet sahen, an der Zeiterfassung teilzunehmen, ist irrelevant. Die Beklagte jedenfalls hat nie erkennen lassen, dass der Kläger und die anderen Chefärzte nicht unter die BV 2004 fallen würden. Hieran ändert auch der Hinweis auf die Vorbildfunktion der Chefärzte im Schreiben des Verwaltungsleiters vom 26.03.2004 nichts. Denn Vorbild sein heißt insbesondere, sich an aus Sicht der Beklagten geltende Betriebsvereinbarungen zu halten. Auch im Schreiben der Kanzlei des Klägervertreters wird nicht etwa darauf hingewiesen, dass die Betriebsvereinbarung nicht für die Chefärzte gelten würde, es wurde lediglich die Sinnhaftigkeit der Zeiterfassung für Chefärzte bezweifelt.
II. Der Kläger ist nicht berechtigt, die angesammelten 8.968,22 Überstunden in Freizeit abzugelten (Antrag zu 2). Der Kläger hat keine Überstunden angesammelt. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wären sie nicht abzugelten – auch nicht in Freizeit.
1. Der Kläger hat kein Überstundenguthaben aufgebaut. Bei dem in der Dienstleistungsübersicht Erweitert unter der Rubrik Zeitkonto ausgewiesenen Saldo von 8.968,22 Stunden handelt es sich nicht um Überstunden. Diese Stunden sind daher auch nicht ausgleichspflichtig.
a. Die Vergütung von Überstunden ist schon deshalb ausgeschlossen, weil solche im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht angefallen sind.
aa. Überstunden liegen vor, wenn die Dauer der geleisteten Arbeitszeit die Dauer der geschuldeten Arbeitszeit übersteigt. Welche Arbeitszeit geschuldet ist, richtet sich nach dem Arbeitsvertrag.
bb. Arbeitsvertraglich ist eine geschuldete Arbeitszeit nicht festgelegt. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich auch eindeutig aus dem Arbeitsvertrag. Zwar richtet sich das Festgehalt des Klägers nach den Tarifverträgen des Öffentlichen Dienstes in der jeweiligen Fassung der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände VKA (§ 9 Abs. 1 Arbeitsvertrag). Regelungen zur Arbeitszeit finden sich im Arbeitsvertrag jedoch nicht. Im Gegenteil ist in § 1 Abs. 12 Arbeitsvertrag, der auf eine ganze Reihe einzelner Vorschriften des BAT Bezug nimmt, auf die Regelungen zur Arbeitszeit (§§ 15 – 18 BAT) ausdrücklich nicht verwiesen.
cc. Eine betriebsübliche Arbeitszeit für Chefärzte im Klinikum der Beklagten ist ebenfalls nicht festzustellen. Zwar ist dies bei tarifgebundenen Arbeitgebern im Zweifel die tarifliche Arbeitszeit. Für Chefärzte finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes auch im Bereich des VKA aber ausdrücklich keine Anwendung (§ 3 lit. i BAT, § 1 Abs. 2 a TVöD, § 1 Abs. 3 TV-Ärzte VKA). Da Chefärzte auch ausdrücklich nicht unter die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes fallen (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG) ist eine regelmäßige Arbeitszeit nicht einmal in Form einer Höchstarbeitszeit feststellbar (vgl. Wern in Arbeitsrecht im Krankenhaus, 2007, Teil 5 A Rn 23).
dd. Auch mit der Einführung der Zeiterfassung haben die Parteien eine geschuldete Arbeitszeit nicht vereinbart. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte mit der Einführung des Zeiterfassungssystems die geschuldete Arbeitszeit der Chefärzte festlegen wollte, insbesondere nicht auf eine 40-Stunden-Woche. Dies hätte angesichts der von diesen geleisteten Arbeitszeiten eine deutliche Verkürzung bedeutet. Die Beklagte hielt die Chefärzte zwar für verpflichtet, an der Zeiterfassung teilzunehmen und appellierte auch an deren Vorbildfunktion. Diese wollten unstreitig zunächst aber überhaupt nicht an der Zeiterfassung teilnehmen. Erst nach rechtlichen Hinweisen durch die Kanzlei des Klägervertreters auf das Direktionsrecht der Beklagten und dem Hinweis der Beklagten auf die Vorbildfunktion der Chefärzte kam es zur Teilnahme an der Zeiterfassung. Aus der bloßen Teilnahme an der Zeiterfassung kann daher nicht auf einen rechtsgeschäftlichen Willen geschlossen werden, eine regelmäßig geschuldete Arbeitszeit überhaupt zu vereinbaren – geschweige denn einen 8-Stunden-Tag. Der Kläger war mit Schreiben der Kanzlei seines Prozessvertreters vom 17.03.2004 auch ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Chefärzte keine dienstvertragliche Arbeitszeit schulden. Die Beklagte hat auch im Schreiben vom 26.03.2004 keine andere Auffassung vertreten.
ee. Aus der Buchung auf dem Zeitkonto folgt nichts anderes. Die regelmäßigen Buchungen auf dem Arbeitszeitkonto sind keine rechtsgeschäftlichen Erklärungen, sondern tatsächliche Handlungen im Sinne sogenannter Wissenserklärungen. Der Arbeitnehmer, der Kenntnis von der Buchung erhält, kann nicht annehmen, es handele sich um eine auf Bestätigung oder gar Veränderung der Rechtslage gerichtete Willenserklärung im Sinne eines deklaratorischen oder konstitutiven Schuldanerkenntnisses (BAG 23.09.2015 – 5 AZR 767/13 – Rn 23). Aus den Buchungen ist lediglich ersichtlich, wie viele Stunden der Kläger geleistet hat über die in der Zeiterfassung zu Grunde gelegten 8 Stunden für Montag bis Freitag von 07.00 – 15.30 Uhr abzüglich der Pause von 12.00 – 12.30 Uhr. Die angefallenen Stunden sind in der Rubrik Zeitkonto aufgeführt, in der Rubrik Arbeitszeitkonto ist jedoch immer „ÜStd: 0h00“, also keine Überstunden, vermerkt. Überhaupt sind auf dem Arbeitszeitkonto keinerlei Zugänge oder Abgänge („Abtragung“) enthalten, obwohl bei den einzelnen Tagen durchaus etwa „Arbeit am Sonntag“, „Nachtarbeit TVöD“, „Überstundenzuschlag“ etc. eingetragen ist (vgl. z.B. Blatt 109 ff der Akten). Deshalb konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass – trotz der in der elektronischen Zeiterfassung hinterlegten Sollarbeitszeit von 8 Stunden täglich – die Beklagte nunmehr eine regelmäßige Arbeitszeit entgegen der Regelungen im Arbeitsvertrag vereinbaren wollte.
Auch aus dem gesondert geführten „Überstundenkonto“ jeweils am Ende der Dienstleistungsübersichten, in dem Bereitschaftsdienste, Rufbereitschaft und Überstunden aufgeführt sind, kann der Kläger nichts für seine Rechtsauffassung ableiten. Dort sind zwar geleistete Überstunden vermerkt. Diese Zahlen decken sich aber nicht mit der Rubrik „Abw.“ im Zeitkonto und wurden auch nicht fortgeführt.
ff. Auch in den BV 2004 und BV.2011 sind Arbeitszeiten nicht geregelt, insbesondere nicht für die Chefärzte. Vielmehr heißt es dort jeweils in § 2 vorletzter Absatz:
„Ein Bestandteil sind die Zeitkonten, die automatisch vom System für jeden Mitarbeiter geführt werden. Das Zeitkonto erfasst die Zeitschulden bzw. Zeitguthaben, die im Allgemeinen durch Abweichung der dienstplanmäßigen Arbeitszeit von der tariflichen Arbeitszeit entstehen. Das Überstundenkonto erfasst Überschreitungen der dienstplanmäßigen Arbeit durch die geleistete Arbeit. …“
Das mit der BV 2004 eingeführte Zeitkonto nimmt also nur Bezug auf bestehende Regeln, schafft aber keine. Für den Kläger als Chefarzt bestand jedoch ohnehin nie eine tarifliche Arbeitszeit (s. o.), ebenso wenig wie eine dienstplanmäßige Arbeitszeit, die hätte über- oder unterschritten werden können. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung selbst erklärt, nicht Teil des Dienstplans zu sein (vgl. Protokoll vom 24.08.2016, Blatt 293 der Akten).
gg. Die Vereinbarung einer vertraglich geschuldeten Arbeitszeit ist auch nicht im Wege betrieblicher Übung erfolgt. Die Zeiterfassung wurde im Jahre 2004 auch für die Chefärzte eingeführt und immer in der gleichen Weise durchgeführt. Allein das einmalige Zugrundelegen einer 40-Stunden-Woche ist für sich genommen jedoch keine Leistung oder Vergünstigung. Denn wie die anderen Arbeitnehmer auch, hätte der Kläger, und ebenso die anderen Chefärzte, dann auch einen möglichen Minussaldo wieder ausgleichen müssen.
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freizeitausgleich für die im Saldo der „Dienstleistungsübersicht Erweitert“ ausgewiesenen Stunden, selbst wenn diese Überstunden im Rechtssinne wären.
a. Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus den BV 2004 und 2011. Die Betriebsvereinbarungen regeln nur die Zeiterfassung aufgrund der Dienstplanung, schaffen aber selbst keine Rechtsgrundlage für den Zeitausgleich. Dies wird von den Parteien auch nicht behauptet.
b. Auch aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich ein solcher Anspruch nicht.
aa. Die tariflichen Regeln zur Arbeitszeit und zum Ausgleich von Überstunden im BAT, die abgelöst wurden durch den TV Ärzte (VKA) bzw. den TVöD-K (VKA), sind im Arbeitsvertrag gerade nicht in Bezug genommen. Eine sonstige Regelung zur Bezahlung oder zum Freizeitausgleich von Überstunden besteht nicht. Nach dem Arbeitsvertrag (§ 9 Abs. 5) sind mit der Vergütung (Festgehalt und Beteiligungsvergütung) sämtliche Überstunden sowie Mehr-, Samstags-, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit jeder Art sowie Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft sogar ausdrücklich abgegolten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Klausel in Chefarztverträgen mit Beteiligungsvergütung wirksam ist oder mangels Transparenz nach § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wenn sie nicht individuell ausgehandelt ist (vgl. zur Pauschalabgeltung von Überstunden allgemein zuletzt BAG 18.11.2015 – 5 AZR 751/13 – Rn 23 mwN; kritisch für Chefarztverträge: Münzel, Chefarztverträge und AGB, NZA, 2011, 886; offengelassen für Rufbereitschaftsdienste LAG Hamm 15.03.2013 – 18 Sa 1802/12 – Rn 48 mwN).
bb. Wäre die vertragliche Vereinbarung über die Abgeltung von Überstunden unwirksam, dann ist im Vertrag die Vergütung dieser Leistungen weder positiv noch negativ geregelt. In diesem Fall kommt grundsätzlich ein Entgeltanspruch aus § 612 Abs. 1 BGB in Betracht (BAG 16.05.2012 – 5 AZR 347/11), der je nach Vereinbarung auch in Freizeitausgleich bestehen kann (vgl. Küttner/Poeche, 23. Auflage, 2016, Überstunden, Rn 14).
Nach § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Erforderlich ist eine objektive Vergütungserwartung, die zwar in weiten Teilen des Arbeitslebens unproblematisch gegeben sein wird. Da es jedoch einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gerade bei Diensten höherer Art nicht gibt, ist die Vergütungserwartung stets anhand eines objektiven Maßstabes festzustellen (BAG 22.02.2012 – 5 AZR 765/10: 21.09.2011 – 5 AZR 629/10; 17.08.2011 – 5 AZR 406/10). Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätze derjenige, der eine Vergütung begehrt (BAG 21.09.2011 – 5 AZR 629/10).
Im Hinblick auf die Frage der Vergütungserwartung sind die Verkehrssitte, Art, Umfang und Dauer der Dienstleistung sowie die Stellung der Beteiligten zueinander zu berücksichtigen (BAG 22.02.2012 – 5 AZR 765/10). Die Vergütungserwartung kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen (BAG, a.a.O.). Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind oder wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder insgesamt ein deutlich herausgehobenes Entgelt gezahlt wird, das die Beitragsmessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet (BAG a.a.O.).
cc. Unter Anwendung dieser Grundsätze fehlt es an der erforderlichen Vergütungserwartung.
(1) Der Kläger schuldet als Chefarzt Dienste höherer Art. Er hat die allgemeinchirurgische Abteilung fachlich zu leiten und ist in seiner ärztlichen Tätigkeit unabhängig (§ 2 Abs. 1 und § 3 des Arbeitsvertrages). Der Chefarzt einer Fachabteilung ist, wenn ihm diese Leitungsbefugnisse zukommen, mit einem leitenden Angestellten vergleichbar (BAG 17.03.1982 – 5 AZR 1047/79; LAG Hamm 15.03.2013 – 18 Sa 1802/12 – Rn 53). Bei leitenden Angestellten wird jedoch die Vergütung unabhängig von der üblichen Arbeitszeit vereinbart. Mehrarbeit, die sich daraus ergibt, dass der Chefarzt die ihm verantwortlich übertragenen Aufgaben erledigt, ist grundsätzlich mit der vereinbarten Vergütung abgegolten; dies gilt jedenfalls dann, wenn neben dem Gehalt auch noch eine Beteiligungsvergütung – wie vorliegend in § 9 Abs. 2 des Arbeitsvertrags – vereinbart ist (BAG 17.03.1982 – 5 AZR 1047/79 für ein Liquidationsrecht; LAG Hamm a.a.O.). Die Beteiligungsvergütung schafft schon Anreize dafür, dass der Chefarzt über die betriebliche Arbeitszeit hinaus tätig wird und dafür ein höheres Einkommen erzielt. Eine bestimmte Arbeitszeit, auf die sich die Vergütung des Klägers beziehen soll, haben die Parteien demgegenüber nicht vereinbart.
(2) Gegen das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung spricht die Höhe der Vergütung, die der Kläger erzielte. Der Kläger erhält eine herausgehobene Vergütung, die die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich überschreitet. Der Kläger erzielte im Jahre 2015 nach den nicht bestrittenen Angaben der Beklagten eine Vergütung in Höhe von ca. 217.000 EUR; die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung betrug im Jahre 2015 72.600,- €. Wer mit seinem Entgelt, das er aus abhängiger Beschäftigung erzielt, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht nach der Erfüllung eines bestimmten Stundensolls beurteilt werden (BAG, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 765/10). Das Entgelt des Klägers überschreitet diese Grenze um ca. das Dreifache.
(3) Der Kläger kann dem nicht entgegenhalten, nach den Regelungen des öffentlichen Dienstes, etwa des TVöD und des TV-Ärzte/VKA, bestehe eine Vergütungserwartung für ärztlicherseits geleistete Überstunden. Denn diese Regelungswerke gelten, wie bereits aufgezeigt, gerade nicht für Chefärzte.
c. Ein Anspruch auf Abgeltung des angesammelten Zeitsaldos – sei es in Freizeit oder Geld – folgt auch nicht aus den Grundsätzen der betrieblichen Übung.
aa. Dabei kann zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, dass auch andere Chefärzte das Formular RSt 03 für den Freizeitausgleich verwendet haben und daher ein kollektiver Tatbestand vorliegt.
bb. Die Beklagte hat dem Kläger schon keinen Freizeitausgleich für den angesammelten Zeitsaldo gewährt.
Zwar hat der Kläger mit dem allgemein im Klinikum verwendeten Formular Freizeitausgleich jedenfalls für insgesamt 10 Tage in den Jahren 2011 bis 2013 beantragt. Der Kläger ist an den entsprechenden Tagen auch der Arbeit ferngeblieben, wie die vorgelegten Dienstleistungsübersichten (mit Ausnahme des 13.12.2011) belegen. Da der Kläger an diesen Tagen die Zeiterfassung nicht bedient hat, sind an diesen Tagen keine Arbeitsstunden erfasst. Die Beklagte wird auch mit dem Fernbleiben des Klägers an den entsprechenden Tagen einverstanden gewesen sein.
Sie hat damit aber keinen Bezug zu dem aufgelaufenen Zeitsaldo hergestellt. Dies wäre allenfalls dann der Fall gewesen, wenn der Kläger von seiner Arbeitspflicht durch Reduzierung der Sollarbeitszeit freigestellt worden wäre (BAG 21.03.2012 – 6 AZR 560/10 – Rn 22; Küttner/Poeche, a.a.O., Rn 14). Denn der Freizeitausgleich erfolgt durch Reduzierung der Sollarbeitszeit, setzt aber nicht die Einrichtung eines Arbeitszeitkontos voraus (BAG a.a.O.). Die Sollarbeitszeit des Klägers – eine solche einmal unterstellt – ist jedoch nie reduziert worden. So ist in der Dienstleistungsübersicht vom Dezember 2011 eine Sollarbeitszeit von 168 h trotz der Weihnachtsfeiertage angegeben (Blatt 110 der Akten), gleichzeitig hatte der Kläger aber nach den von ihm eingereichten Anträgen für den 2.12., den 5.12., den 12.12. und den 13.12.2011 Freizeitausgleich beantragt (Blatt 38 und 40 der Akten) und für die ersten drei Tage auch erhalten (vgl. Dienstleistungsübersicht Blatt 109 der Akten). Im März 2013 hat der Kläger für fünf Tage Freizeitausgleich beantragt und ist an diesen Tagen auch der Arbeit fern geblieben (Blatt 39, 41, 42 und 113 f. der Akten). Gleichzeitig ist auf der Dienstleistungsübersicht eine Sollarbeitszeit von 160 Stunden vermerkt. Die Sollarbeitszeit variiert somit nicht wegen der freien Tage des Klägers, sondern offenbar deswegen, weil Wochenfeiertage berücksichtigt wurden, im Dezember 2011 die Weihnachtsfeiertage, im März 2013 der Karfreitag. Mit den vom Kläger genommenen freien Tagen hat die Beklagte somit gerade keinen Bezug zum geführten Zeitkonto hergestellt. Sie hat daher keinen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, dass der Kläger die Abgeltung des Zeitsaldos in Freizeit aus betrieblicher Übung beanspruchen könnte.
cc. Dass die Dienstpläne, für deren Erstellung der Kläger für seine Abteilung nach § 3 Abs. 4 a) des Arbeitsvertrages selbst verantwortlich ist, unter Berücksichtigung der vom Kläger gewollten freien Tage erstellt wurden, ist eine Selbstverständlichkeit, da die ärztliche Versorgung sicher gestellt sein muss. In der Billigung der konkreten Dienstpläne liegt aus den o.g. Gründen aber nicht die Gewährung eines Freizeitausgleichs zum (teilweisen) Ausgleich des Zeitsaldos. Im Übrigen ist die Billigung der (vom Kläger verantworteten) konkreten Dienstpläne durch die Beklagte bestritten.
dd. Soweit der Kläger freie Tage erhalten hat, ohne Urlaub hierfür verwenden zu müssen, ist dies aus Sicht des Gerichts allerdings auch nicht lediglich als Entgegenkommen der Beklagten zu werten. Denn ebenso wie es für den Kläger keine vereinbarte Höchstarbeitszeit gibt, ist auch eine Mindestarbeitszeit nicht vereinbart. Entscheidend ist vielmehr, dass der Kläger die ärztliche Versorgung der Patienten gewährleistet und seine sonstigen ausführlich im Arbeitsvertrag vereinbarten Aufgaben ordnungsgemäß wahrnimmt. Ist dies gewährleistet, bedarf es nach Ansicht des erkennenden Gerichts auch keiner Zustimmung der Klinikleitung für einzelne Tage Freizeit. Allerdings gebietet es die Rücksichtnahmepflicht des § 241 Abs. 2 BGB, dass der Kläger der Klinikleitung die Absicht anzeigt, an einzelnen Tagen frei zu nehmen, damit diese prüfen kann, ob dem nicht dienstliche Belange entgegenstehen. Ist dies der Fall, wird die Klinikleitung unter Beachtung des § 106 GewO anweisen können, dass der Kläger zu einer bestimmten Zeit oder an bestimmten Tagen nicht der Arbeit fernbleiben darf. Auch hier wird die Vorbildfunktion eines Chefarztes zu beachten sein.
III. Da, wie unter II. ausgeführt, überhaupt kein Anspruch auf Freizeitausgleich für den aufgelaufenen Zeitsaldo besteht, war auch der hilfsweise zu 2 gestellte Antrag abzuweisen.
C.
Der Kläger hat als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).