Arbeitsrecht

Antrag auf Zulassung der Berufung, hier: Kostenerstattung – Wertigkeit eines militärischen Studiums

Aktenzeichen  6 ZB 17.1416

Datum:
5.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2391
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 4 Abs. 3
SG § 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, § 55 Abs. 1 S. 1, § 56 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, S. 3
VwVfG § 24, § 53 Abs. 1
BGB § 204
VwGO § 73 Abs. 1, § 75

 

Leitsatz

1. Die Einbeziehung von anerkannten Kriegsdienstverweigerern in den Kreis der Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten, die bei vorzeitiger Entlassung Ausbildungskosten zu erstatten haben, ist mit Art. 4 Abs. 3 GG vereinbar (stRspr BVerwG BeckRS 2016, 40247). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Höhe der Erstattungspflicht von Studienkosten bei vorzeitiger Beendigung eines Soldatenverhältnisses wird ein (behaupteter) Unterschied der Wertigkeit eines zivilen und eines militärischen Studiums nicht in die Betrachtung einbezogen, denn abgeschöpft wird nicht der „Wert“ des Studiums, wie er sich insbesondere in künftigen Einnahmen niederschlägt, sondern abgeschöpft werden die ersparten Aufwendungen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes und der grundsätzlichen Pflicht der Behörde zur Entscheidung über einen eingelegten Widerspruch gilt die Vorschrift des § 204 BGB über die Beendigung der Verjährungshemmung durch Nichtbetreiben des Verfahrens in amtswegigen Verfahren weder unmittelbar noch analog (ebenso BVerwG BeckRS 2012, 57785); hier steht dem Betroffenen die Untätigkeitsklage des § 75 VwGO zu. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 5 K 16.240 2017-05-09 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 9. Mai 2017 – B 5 K 16.240 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 24.966,52 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Kosten des Studiums nach vorzeitiger Beendigung seines Soldatenverhältnisses auf Zeit am 1. Dezember 2011 nach Verweigerung des Kriegsdienstes. Mit Leistungsbescheid vom 31. Juli 2014 forderte die Beklagte einen geldwerten Vorteil in Höhe von 33.714,20 € anlässlich eines Studiums des Klägers der Fachrichtung Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr M. zurück. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 reduzierte die Beklagte die Erstattungspflicht auf 24.966,52 €. Die daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Mai 2017 ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 4 Satz 1 SG Rechtsgrundlage für den Leisungsbescheid sei. Die Beklagte habe den geldwerten Vorteil sachgerecht und ermessensfehlerfrei bestimmt.
Die Einwände, die der Zulassungsantrag dem erstinstanzlichen Urteil entgegenhält, rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung.
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Der Kläger hat weder einen einzelnen tragenden Rechtssatz noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens zumindest als ungewiss erscheint (vgl. dazu BVerfG, B.v. 21.1.2009 – 1 BvR 2524/06 – JZ 2009, 850/851).
a) Der Einwand, die universitäre Ausbildung im Bereich der Bundeswehr werde häufig nicht der Ausbildung an einer zivilen Universität als gleichwertig angesehen und stoße bei zukünftigen Arbeitgebern nicht auf volle Akzeptanz, was bei der Abschöpfung des geldwerten Vorteils zu berücksichtigen sei, führt nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Satz 3 des Soldatengesetzes. Nach § 56 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SG muss ein Soldat auf Zeit, dessen militärische Ausbildung mit einem Studium oder einer Fachausbildung verbunden war und der auf seinen Antrag entlassen wird, die entstandenen Kosten des Studiums oder der Fachausbildung erstatten, wenn er auf seinen Antrag entlassen worden ist oder als auf eigenen Antrag entlassen gilt. Ein Soldat auf Zeit ist nach seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus dem Dienstverhältnis eines Zeitsoldaten zu entlassen (§ 55 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbs. 1 SG). Diese Entlassung gilt als Entlassung auf eigenen Antrag (§ 55 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 Halbs. 2 SG).
Die Einbeziehung von anerkannten Kriegsdienstverweigerern in den Kreis der Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten, die bei vorzeitiger Entlassung Ausbildungskosten zu erstatten haben, ist mit Art. 4 Abs. 3 GG vereinbar (ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, U.v. 28.10.2015 – 2 C 40.13 – juris Rn. 13). Da das Dienstverhältnis des Soldaten auf Zeit entsprechend der eingegangenen Verpflichtung andauern soll, kann der Dienstherr, der für das Studium eines Soldaten auf Zeit im dienstlichen Interesse erhebliche Kosten aufgewandt hat, regelmäßig davon ausgehen, dass ihm der Soldat die erworbenen Spezialkenntnisse und Fähigkeiten bis zum Ende der Verpflichtungszeit zur Verfügung stellen wird. Wenn der Soldat auf Zeit nach eigenem Entschluss aus dem Dienstverhältnis ausscheidet, stellen für ihn die auf Kosten des Dienstherrn erworbenen Spezialkenntnisse und Fähigkeiten im weiteren Berufsleben einen erheblichen Vorteil dar, während der Dienstherr die Kosten des Studiums insgesamt oder teilweise vergeblich aufgewendet hat. Diese Lage fordert einen billigen Ausgleich, den der Gesetzgeber durch die Normierung eines Erstattungsanspruchs verwirklicht hat. Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist vom Gesetz nicht auf die Höhe der entstandenen Ausbildungskosten festgelegt. Der Dienstherr ist vielmehr ermächtigt, von einem Erstattungsverlangen ganz abzusehen oder den Betrag zu reduzieren, wenn die Erstattung der Studiumskosten eine besondere Härte für den Soldaten bedeuten würde (§ 56 Abs. 4 Satz 3 SG). Unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 3 GG ist § 56 Abs. 4 Satz 3 SG 1995 dahin auszulegen, dass anerkannte Kriegsdienstverweigerer die Kosten ihres Studiums nur im Umfang des geldwerten Vorteils erstatten müssen, der ihnen aus dem genossenen Studium für ihr weiteres Berufsleben verbleibt.
Die Erstattungspflicht, der sich ein wegen seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kraft Gesetzes zu entlassender Soldat gegenübersieht, stellt in der Regel eine besondere Härte i.S.d. § 56 Abs. 4 Satz 3 SG dar, die den Dienstherrn nach dieser Vorschrift zu Ermessenserwägungen über den vollständigen oder teilweisen Verzicht auf einen Ausgleich der Studiumskosten zwingt. Der Erstattungsbetrag darf nicht höher sein als der Betrag, den der als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Soldat dadurch erspart hat, dass die Bundesrepublik Deutschland den Erwerb von Spezialkenntnissen und Fähigkeiten, die ihm im späteren Berufsleben von Nutzen sind, finanziert hat. Durch diese Beschränkung der zu erstattenden Kosten auf den durch die Fachausbildung erlangten Vorteil ist sichergestellt, dass die Erstattung nicht zu einer Maßnahme wird, die den Betroffenen von der Stellung des Antrags auf Kriegsdienstverweigerung abhält. Mit der Abschöpfung lediglich des durch das Studium erworbenen Vorteils erleidet der anerkannte Kriegsdienstverweigerer keine Einbuße an Vermögensgütern, über die er unabhängig von dem Wehrdienstverhältnis verfügt. Durch den Vorteilsausgleich wird nur die Situation wieder hergestellt, die in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht bestand, bevor der Soldat das Studium absolviert hat. Mehr soll und darf bei verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes nicht abgeschöpft werden.
Der Vorteil aus dem Studium, den der Dienstherr nach § 56 Abs. 4 Satz 3 SG in Ausübung seines Ermessens zu bestimmen und zu bemessen hat, besteht in der Ersparnis von Aufwendungen, nicht in der Aussicht auf künftige oder fiktive Einnahmen. Bestimmen, wenn auch generalisierend und pauschalisierend, lassen sich die Aufwendungen, die der Soldat auf Zeit dadurch erspart hat, dass er das Studium nicht auf eigene Kosten hat absolvieren müssen. Abgeschöpft werden darf nur die eingetretene Ersparnis.
Zwischen dem Studium und den zu erstattenden Kosten muss ein adäquater Zusammenhang bestehen. Erspart hat sich der ehemalige Soldat auf Zeit stets die unmittelbaren Studienkosten im engeren Sinn wie Studiengebühren und Aufwendungen für Studienmittel. Erspart hat sich der ehemalige Soldat auf Zeit des Weiteren aber auch die mittelbaren Kosten des Studiums wie Reisekosten und Trennungsgeld sowie die ersparten Lebenshaltungskosten und die Kosten für die Krankenversicherung.
Die Prüfung von nach § 56 Abs. 4 SG abzuschöpfenden Vermögensvorteilen darf nicht von hypothetischen Umständen (wie fiktiven Ausbildungsvergütungen) abhängig gemacht werden, die einer Beweisführung nicht zugänglich sind. Es ist eine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.2015 – 2 C 40.13 – juris Rn. 14 ff.; BVerwG, U.v. 12.4.2017 – 2 C 16.16 – juris Rn. 29; BayVGH, U.v. 13.12.2017 – 6 B 17.300 – juris Rn. 28 ff. m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen geht der Einwand des Klägers ins Leere. Die Kostenerstattungspflicht des Klägers beschränkt sich verfassungsgemäß auf den Ausgleich ersparter Aufwendungen für ein ziviles Studium. Bei diesem Ansatz sind die (behaupteten) Unterschiede der Wertigkeit eines zivilen und eines militärischen Studiums denklogisch nicht in die Betrachtung einzubeziehen. Denn abgeschöpft wird nicht der „Wert“ des Studiums, wie er sich insbesondere in künftigen Einnahmen niederschlägt, sondern abgeschöpft werden die ersparten Aufwendungen.
b) Die Rüge des Klägers, die Beklagte sei nicht zum Erlass eines Leistungsbescheides berechtigt gewesen, führt ebenfalls nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass der – frühere – Dienstherr befugt ist, die Erstattungsverpflichtung nach § 56 Abs. 4 Satz 1 SG durch Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) im Rahmen des nachwirkenden Soldatenverhältnisses festzusetzen (vgl. BVerwG, U.v. 12.4.2017 – 2 C 16.16 – juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.12.2017 – 6 B 17.299 – juris Rn. 30).
c) Die – erst im Zulassungsverfahren – erhobene Einrede der Verjährung führt ebenfalls nicht zu Zweifeln an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.
Der Kläger meint, der Erstattungsanspruch sei Ende November 2015 verjährt, weil das Widerspruchsverfahren nicht betrieben worden sei. Er beruft sich auf § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach eine nach § 204 Abs. 1 eingetretene Hemmung der Verjährung nach sechs Monaten endet, wenn das Verfahren dadurch in Stillstand gerät, dass die Parteien es nicht betreiben. Das kann nicht überzeugen.
Die Verjährungsfrist wurde rechtzeitig durch Erlass des Leistungsbescheids vom 31. Juli 2014, eines Verwaltungsakts, gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 VwVfG gehemmt. Die Hemmung dauert nach § 53 Abs. 1 Satz 2 VwVfG weiter an, weil der Leistungsbescheid noch nicht unanfechtbar ist. Die Hemmung ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht dadurch entfallen, dass über seinen fristgerechten Widerspruch erst durch Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 2016 entschieden worden ist. Die Vorschrift des § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB über die Beendigung der Verjährungshemmung durch Nichtbetreiben des Verfahrens kann schon nach ihrem Wortlaut keine unmittelbare Anwendung finden. Sie gilt in amtswegigen Verfahren aber auch nicht entsprechend (BVerwG, U.v. 26.7.2012 – 2 C 34.11 – juris Rn. 44 m.w.N.). Das folgt aus dem im Verwaltungsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatz (§ 24 VwVfG) und der grundsätzlichen Pflicht der Behörde zur Entscheidung über einen eingelegten Widerspruch (§ 73 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Fall der Nichtentscheidung über den Widerspruch binnen angemessener Zeit steht einem Kläger die Untätigkeitsklage unter den Voraussetzungen des § 75 VwGO zu (NdsOVG, U.v. 26.4.2016 – 5 LB 156/15 – juris Rn. 147, nachfolgend BVerwG, U.v. 12.4.2017 – 2 C 16.16 – juris).
2. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen lassen sich durch die Ausführungen unter 1. ohne weiteres beantworten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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